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Mein Koffer ist gepackt. Er ist ganz leicht.

Es wird ein Neuanfang mit leichtem Gepäck, denn das meiste lasse ich zurück.

Man könnte meinen, dass wenigstens die Wehmut mit hineingehüpft ist, aber nein. Keine Wehmut, keine Trauer, keine Reue, nur: Erleichterung.

Ich lösche nach über zehn Jahren meine Accounts auf Facebook und Instagram. (Und natürlich TikTok, aber das zählt nicht, das war nur ein kurzer, schriller Ausflug von dem ein paar miese Erinnerung zurückbleiben und ein noch mieseren Kater.)

Ja, ich ziehe aus meinem virtuellen Zuhause aus. Denn genau das war es für mich. Ein Ort der Inspiration und der Begegnungen, ein Ort, an dem ich Freundschaften geschlossen und verwandte Seelen getroffen habe. Ich habe Menschen dort über ein Jahrzehnt begleitet und daran teilgenommen, wie sie heirateten oder sich trennten, Kinder bekamen oder Eltern zu Grabe trugen.

Ich habe poetische Texte geteilt und es hat mich selbst herzzerreißend berührt, wie viele sich dadurch berührt fühlten.

Warum also dieser Schritt?

Herr Zuckerberg war vielleicht der Auslöser, aber eigentlich nur der letzte Tropfen (ein recht schmieriger Tropfen), als er sich öffentlich an den noch schmierigeren Präsidenten anbiederte und in den Chor der demokratiefeindlichen W…(despektierliche Bezeichnung deiner Wahl einsetzen) einstimmte, die ihre Hetze und ihren Rassismus hinter Meinungsfreiheit tarnen.

Aber auch schon lange davor war mir Meta mehr als unsympathisch. Diese gebündelte Macht in den Händen eines Superreichen. Der komische Algorithmus, der die Nutzer wie Marionetten hierhin und dorthin führt, und dem man sich selbst dann nicht entziehen kann, wenn man ihn (in Teilen) durchschaut.

Beiträge von mir, die nur Worte enthielten, selbst wenn es wirklich sorgfältige Geschichten waren, erreichten niemanden. Aber je mehr von mir als Person zu sehen war, und je leichter gekleidet, um so größer wurde die Reichweite. (Und nein, ich halte es nicht für Sexual Empowerment dann bewusst als Frau seinen Körper zu Werbezwecken einzusetzen, ich halte das für den Kniefall vor einem patriarchalischen System. Aber dazu wann anders mehr.) Nur als Beispiel.

Dann die perfiden Mechanismen zur Aufmerksamkeitsfesselung. Wenn du einmal drin bist in diesem virtuellen Kaninchenloch, dann sollst du gefällig auch drin bleiben. Weil deine Aufmerksamkeit eine Menge Geld wert ist.

Das funktioniert auch bei mir ausgezeichnet. Mein Gehirn ist wie gemacht für sinnloses Doomscrolling.

Aber genau dadurch schlugen mich auch ein paar krasse Aha-Momente mitten ins Gesicht. (Und zwar solche mit Martial-Arts Erfahrung.)

Der erste ergab sich aus eben jenem  Verrotten meiner Aufmerksamkeitsspanne, ausgelöst durch inhaltslose kleine Bilder und Worte, die nie enden und so herrlich anspruchslos sind.

Ich stellte fest, dass ich, als Autorin, nicht mehr dazu imstande bin, Bücher zu lesen.

Bitte lest diesen Satz noch einmal und fühlt die Scham und das Entsetzen nach, die mich packten.

Ich, die ich mit Büchern aufgewachsen bin, deren Muttermilch sozusagen aus Druckertinte bestand, ich beobachtete mich selbst dabei, wie ich nach den ersten Zeilen in einem Roman wie selbstverständlich nach nebenan fasse, um mein Handy zur Hand zu nehmen. Immer wieder. Zwei Zeilen lesen, App öffnen. Zwei Zeilen lesen, App öffnen. Zwei Zeilen lesen, App öffnen. Aufgeben, in der App bleiben.

Mich schüttelte es eiskalt bis in die Knochen, als ich mir eingestehen musste, dass ich nicht einfach zu müde war, um zu lesen, sondern nichts weiter als eine Süchtige nach dem nächsten Kick inhaltslosem Dopamin-Junkfood.

Dann kam der nächste kleine Schock. Und die Erkenntnis, dass das Soziale der Sozialen Medien ebenso eine Falle ist, die vom eigentlich Sozialen abhält. (Keine neue Erkenntnis, ist mir klar.)

All die fremden Menschen, deren Tageslauf ich kenne. Besser als den von Freunden oder Familienmitgliedern. Was sich anfühlt wie Intimität, aber keine ist.

Es ist so bequem, sich Menschen nahe zu fühlen, die man nicht kennt. Während man zuhause auf der Couch liegt. Und glaubt, man führt gerade dennoch tiefschürfende Gespräche. Und ab und zu ein Katzenvideo dazwischenschiebt.  

Es ist bequem und sicher, und ich verstehe gut, dass es für einsame Menschen mit sozialen Schwierigkeiten durchaus eine legitime Minderung der eigenen Einsamkeit darstellen kann. (Glaubt mir, ich verstehe das sehr, sehr gut!) Aber es ist eben nicht viel mehr als das Übertünchen einer Einsamkeit, die dadurch nicht weniger wird. Sondern nach und nach größer.

Weil je mehr Energie in das Pflegen virtueller Kontakte fließt, umso weniger bleibt für die echten übrig.

Das merkte sogar ich, die ich mir sicher war, genügend Real-Life-Socializing zu betreiben.

Vor mehr als einem Jahr nahm eine Jugendfreundin wieder Kontakt zu mir auf, die ich seit über zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hatte. (Das passierte übrigens durch eine gemeinsame Bekannte, nicht online.)

Es handelte sich dabei um eine wirklich gute Jugendfreundin, die damals für mich eine wichtige Rolle gespielt hatte, und ich freute mich ganz außerordentlich darauf, sie wiederzusehen. Dann stellte sich auch noch heraus, dass sie nicht einmal eine halbe Stunde entfernt lebte. Und… ein Jahr später, hatten wir uns immer noch nicht gesehen.

Ja, es war ein heftig stressiges Jahr. Ja, es ist nie leicht, Termine zu finden, die für beide passen.

Aber da lag ich einen Nachmittag auf der Couch, trieb mich im Kaninchenloch herum, kommentierte bei intimfremden Menschen, und dachte: heute hätte ich Zeit gehabt für ein Treffen. Und an mindestens einem Dutzend ähnlicher Nachmittage in den letzten Monaten ebenso.

Aber echte Treffen im echten Leben sind mühselig. Man muss sich anziehen. Und vor die Tür gehen. Dort regnet es vielleicht. Eine Location finden, wie anstrengend. Falls man sich doch nichts zu sagen hat, kann man nicht einfach die App schließen. Unterhaltungen von Angesicht zu Angesicht sind langwierig. Ganz ähnlich dem Lesen eines Buchs.

Nichts davon hatte ich mir bewusst so deutlich überlegt. Aber unbewusst hatte es mich davon abgehalten, einen konkreten Termin zu vereinbaren. Und als mir das wiederum bewusstwurde, da erschrak ich abermals vor mir selbst. Und schämte mich erneut.

Das war noch nicht alles. Noch lange nicht alles. Im Gegenteil: in mir wurde eine Spirale der Erkenntnisse gezündet, die ich nicht hatte kommen sehen. (Wahrscheinlich existiert in all meinen Büchern zusammen das Wort „Erkenntnis“ nicht so oft wie in diesem Text.)

Als wäre der Typ mit den beiden Pillen aufgetaucht und hätte mir die rote einfach in den Hals gestopft, ohne zu fragen.

Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden…

Jedenfalls blieb mir letztlich nichts anderes übrig: meine Koffer sind gepackt.

Was mit den guten Kontakten ist, wollt ihr wissen, mit den Menschen, die wirklich Anteil genommen haben an meinen Texten und Gedanken?

Die bleiben bestehen. Selbstverständlich. Das Leben endet doch nicht mit Facebook und Instagram. Es fängt erst mit dem Ausschalten des Mobiltelefons an.

Ich werde weiter Geschichten erzählen. Bücher schreiben. Bilder malen. Nein, nicht einfach weiter. Sondern mehr. Ich bin immer noch hier. Im Wald und in Cafés und Bücherläden und am Meer…

Und auf YouTube auch. Das ist die einzige virtuelle Ausdrucksform, die ich behalte. Und ausbauen werde. (Und die viel zu anstrengend ist für schnelles Dopamin. Zum Glück.)

https://youtu.be/--B5deENEI8?si=RlD_FQ9P8-1snl4D (Öffnet in neuem Fenster)

In meinem Koffer sind Neugier und Demut, Lebenslust und frische Unterhosen.

Frau Abenteuer ruft, ich muss los.

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