Krise_Rise
In einer Zeit multipler globaler Krisen ist die Sehnsucht nach Ordnung extrem. Das ermöglicht autoritären System und Rädelsführern einen rasanten Aufstieg, da sie eine Krisenbewältigungsstrategie versprechen oder vielmehr scheinbar handlungsunfähige Machtlose sich eben das von ihnen. Handlungsunfähigkeit- und Machtlosigkeitsglaube haben sich in den letzten Jahren durch eine zunehmende User:innenmentalität verstärkt, die sog. soziale Medien durch ihre nicht zu bewältigende Informations- und Bilderflut zementieren oder zumindest beeinflussen. Unterstützt durch kapitalgesteuerte Algorithmeninteressen ist diese User:innenmentalität, sprich stumpfes Anwenden statt aktives Eingreifen und (selbst)Entwickeln, zu einer globalen digitalen Bubble mutiert, die ohne Regulierungsmechanismen und massiven Protest der Zivilbevölkerungen digitalen Faschismus täglich mehr zur Realität werden lässt oder diesen zumindest nicht mehr in den Bereich des Dystopischen (ver-)bannt. Längst tot geglaubte (Selbst-)Geißelungsstrukturen wie das traditionelle Frauenbild als Hausfrau, Mutter, Ehefrau erwachen aufgrund gesellschaftspolitischer Ängste wieder zum Leben, so boomt bspw. der Tradwives-Trend.
Sogenannte klassische Modelle aller Gesellschaftsbereiche werden aus Angst und Verunsicherung wieder aus der Mottenkiste geholt, sei es das heteronormative Familienmodell (natürlich im Einfamilienhaus) oder das erstarkende Vertrauen in Vater- und Führerfiguren, in „den starken Mann“, der es schon richten wird und damit kopfüber in autoritäre, in diktatorische und faschistische Strukturen. Dieses Zurück ist natürlich kein Zurück in Sicherheit oder Frieden, eine Illusion, die Führungsposer propagieren, da die Digitalisierung uns nach wie vor eine nie dagewesene Demokratisierung aller Bereiche erlaubt. Eine Demokratisierung, die durch Kommunikationsfreiheit, sprich: freedom of speech, der international vernetzten hierarchiefreien Kommunikation möglich wird. Viele Jahre wurden so weltweit gesellschaftliche Demokratisierungsträume geteilt und reale Demokratisierungsrevolutionen entfacht. Perfide, wie Freedom of Speech (medial) mittels Hate Speech als Verstummungskatalysator benutzt wird, versuchsweise in ihr Gegenteil verkehrt.
Repressive Kräfte, politischer wie (vermeintlich) religiöser Natur, steuern immer vehementer gegen Weltoffenheit. Schließlich gilt es, Macht und Kapital in den Händen weniger zu halten. So viele Menschen, die global verunsichert sind, durch Handelskriege, Inflationen, Wohnungsnot, Klimakrise, damit einhergehenden Ernteausfällen und multiple existenzbedrohende Naturkatastrophen. Mehr Menschen denn je, lautet die digitale Propaganda. Wir befinden uns (durch die Klimakatastrophe sowieso) an einem Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte. Die seit 80 Jahren aktive, friedliche, westlich dominierte Weltordnung ist außer Kraft, das Gleichgewicht der Kräfte hat sich verschoben, verschiebt sich täglich weiter, fordert uns. Es geht um ein Entscheiden für Demokratisierung oder gegen die Wand. Es geht um das Neudenken des Miteinanders (Mehrgenerationenwohnen, Patchwork-Communities, Car-Sharing, entsprechende ökologische Architekturen/Stadtplanungen etc., Internationalität (zukünftig viel leichter durch Synchronübersetzung) etc. ), weil wir gesellschaftlich Modelle umsetzen müssen, die den Klimawandel aufhalten und gleichzeitig unseren Bedürfnissen als fühlende, soziale Wesen entsprechen, die sich nicht mehr von Geld und Göttern verbiegen und einsperren lassen. Wenn Angst und Gier und der daraus resultierender Hass eine zukunftsorientierte Transformation blockieren, werden wir uns in Rückwärtsgewandtheit (Echo: Rückwertsgewandtheit) selbst auslöschen bzw. die Diktatur einer Finanzelite ermöglichen, die andere in Echoräumen, Staatsschranken, Folterkammern sieht. Wie kann das nicht klar sein?
In diesem Kontext ist darum Solidarität in Vielfalt erstes Gebot. Dafür gilt es, mit Schubladen aufzuräumen. Weg mit steilen Hierarchien, Denkmustern, Strukturen, Gesellschaftsmodellen, von denen wir uns nicht grundlos befreit haben oder seit Jahrhunderten an einer sich langsam vollziehenden Befreiung arbeiten. Jedes Zurück ist nur Angst vor Sicherheitsverlust und Sicherheit existiert nicht, ist nur Wahn. Ist Gier, mit der wir uns selbst schaden. Es gilt, für jede*n (wieder) in die eigene Schöpfungskraft, Handlungsfähigkeit, Relevanz, Einzigartigkeit zu vertrauen. Das Altbekannte ist eine einfache Antwort auf die gesellschaftspolitischen und damit einhergehend: die persönlichen Krisen dieser Zeit. Einfache Antworten sind immer falsch, führen platt in den Schützengraben. Die Antworten, die uns helfen, sind komplex. Keine Angst vor dem Vagen haben, sondern wagen. Weil Vagheit nur sagt, dass es das Neue noch nicht gibt, es aber da ist, wenn wir uns darauf fokussieren greifbar. Wir können es finden, wie wir alles erfinden können, im Benennen, in allen Bereichen, neue Begriffe, Unternehmen, Wirtschaftszweige, Wohn-, Lebens- und Kreativräume schaffen, denn dafür sind wir Menschen.