Frieden spielen
Song: Fink - Yesterday was hard on all of us
Triggerwarnung: Queerfeindlichkeit, Suizid, Rassismus
So viel davon war die vergangenen Wochen in mir. Ein gefährlicher Dreckstrudel aus Hass, Hysterie und Gewalt schlug auf mich ein, sei es von Behörden, in Kommentarspalten oder einfach nur in den Nachrichten. Der Faschismus greift mit großen, scharfen Klauen um sich und als Erstes offensichtlicherweise die Trans* Community weltweit an.
Sei es offen in den USA durch das Nichtausstellen oder transfeindliche “Deadnaming” auf neu ausgestellten Reisepässen (Öffnet in neuem Fenster) (“Was ist Deadnaming? (Öffnet in neuem Fenster)”) und die Entfernung von Kommentar Moderation auf den Meta Plattformen Facebook & Instagram mit der Konsequenz, dass queere und trans* Menschen als “geisteskrank und Anomalie” bezeichnet werden dürfen (Öffnet in neuem Fenster)oder verdeckt durch viele, tägliche Übergriffe, die es nicht in die Nachrichten schaffen. Die aber da sind. Wie ein Steinchen im Schuh oder einer Ohrfeige ohne Vorankündigung.
In Deutschland sind gerade aufgrund aktueller Entwicklungen “noch” rassifizierte Menschen Zielscheibe der rechten Parteien, aber schon bald schwenkt das Pendel wieder um zur queeren Community. Beides tut gleich schlimm weh. In die Augen meiner Migra* Freund*innen zu blicken, in denen sich Angst spiegelt und Tränen sammeln ist genau so schlimm wie jetzt noch genauer abzuwägen bei wem man sich outet. An schlechten Tagen reicht schon ein blöder Kommentar und alles ist wieder da. Die erdrückende Dysphorie (Öffnet in neuem Fenster), die Sorgen, die Machtlosigkeit.
Dann, eines Morgens eine Mail. Absender*in : Meine Therapeuty, Warnung vor meiner Krankenkasse. Es sind haarsträubend transfeindliche Details ans Licht gekommen, Berichte über absichtlich nicht weitergereichte Anträge zu (lebensrettenden) geschlechtsangleichenden OPs an den medizinischen Dienst, unfreundliche bis offen feindselige Behandlung von hilfesuchenden Transpersonen am Telefon. Ich solle - solange es noch geht - meine Krankenkasse wechseln. Was für jede cis Person klingt wie ein Gang zum Bäcker bedeutet für mich: Tagelange Recherche und Telefonate mit möglichen, neuen Krankenkassen (Spoiler: Die Liste ist nicht lang, aber dennoch bleibt es Arbeit) um abzuklären :
“Werdet ihr mich fair behandeln und so, wie es das Gesetz will?”
Denn Gesetze und deren Auslegung werden in der Realität nur für privilegierte Menschen auch wirklich immer angewandt. Das bedeutet, dass folgende Parameter erfüllt sein müssen um möglichst schnell in freundlichem Ton ans Ziel geleitet zu werden, die OP zu bekommen, den Extratipp, the extra mile: Wohlstand bis Reichtum, cis Identität, cis männliche Identität, weiß sein bzw. “deutsch” klingender Nachname am Telefon und auf dem Briefkopf, able-bodied (Öffnet in neuem Fenster)sein. Klingt unglaublich? Ist es auch erstmal. Bis man davon erfährt und heilfroh ist noch Sonderkündigungsrecht zu haben und nicht ein weiteres Jahr abhängig von den Launen einzelner Sachbearbeiter*innen zu sein.
Doch was tun? Sich beschweren? Sogar klagen?
Krankenkassen eine ungleiche Behandlung nachzuweisen ist schwierig bis fast unmöglich, denn sie sitzen immer am längeren Hebel, können sich so lange die Schuld gegenseitig intern zuschieben bis viele Betroffene aufgeben und wechseln oder sich ihrem Schicksal ergeben. Oder noch kränker werden. Oder Suizid begehen. Ja, so ernst wird es dann am Ende. Denn es ist auch eine Sache des Geldes und der Zeit. Beides haben weder rassifizierte Menschen (Öffnet in neuem Fenster) noch trans*/non-binäre Menschen, die auf die Genehmigung von wichtigen Behandlungen wochen - und monatelang warten. Um dann eine Ablehnung zu erhalten weil z.T. in einem sechsseitigen Antrag ein Wort falsch formuliert ist.
Das zermürbt und ist so belastend, dass viele häufig keinen anderen Ausweg sehen als sich das Leben zu nehmen. Statistisch werden diese Zahlen nie mit behördlichem Versagen verbunden, warum auch? Ist doch alles nach Vorschrift gelaufen. Vorschrift. Eines der gewaltvollsten Wörter, die es gibt.
Aber was bleibt einem am Ende des Tages übrig? Man kann nur innerhalb der eigenen Parameter Dinge in Bewegung bringen mit den Möglichkeiten, die es gerade gibt. Tonnenschweres Achselzucken, gemischt mit einer Prise “Ich kann nicht mehr”. Denn wir sind eine winzige Minderheit, vergleichen mit all den lauten, bräsigen Rassisten, den Finanzheinis, den Menschen die über die Grenzen anderer gehen in dem Denken, dass das alles richtig so sei und ihnen zusteht. Den Menschen, deren Ideen und Eigenschaften in dieser Welt immer mehr wert sein werden als die von Menschen, die andere lieben, bilden, stark und widerstandsfähig machen wollen.
Also nehme ich mir eine metaphorische Tasse und versuche damit den Ozean zu leeren. Irgendwie absurd, aber es beruhigt die Nerven. Ich werde fündig, trete einer neuen Krankenkasse bei, aber ein mulmiges Gefühl bleibt. Und Erkenntnis, dass sich dadurch alle Pläne höchstwahrscheinlich um 5-6 Monate nach hinten verschieben.
Doch Hoffnungslosigkeit ist ein Luxus, den ich mir nicht leisten kann.
Es ist so verführerisch all der Verzweiflung nachzugeben. Doch dafür ist das Leben noch viel zu schön und wertvoll, als dass ich es ganz lassen wollen würde. Ich habe begonnen mich in politische Themen und Handlungsstrategien einzulesen, bin in eine Partei eingetreten (und die geneigten Leser*innen dürfen gerne raten in welche..), denke wieder über Songwriting nach, designe Bilder und zeichne, spende Hoffnung und vernetze mich. Mache mir Gedanken was ich esse, frage nach Hilfe und nehme sie auch an. Trotz all der Dunkelheit renne ich wie blöd mit einer Kerze durch die Gegend und zeige mit kindlicher Begeisterung darauf als hätte ich gerade eigenständig das Feuer entdeckt.
Doch absurderweise hilft auch dieses “Frieden spielen” beim gerade bleiben, beim immer wieder neu beginnen. Und sei es nur die Möglichkeit, dass allein die nächste Stunde besser auszuhalten ist.
Also bleibe ich noch ein wenig und spiele mit. Wer weiß, am Ende geht es ja sogar gar nicht ums Gewinnen sondern ums dabei sein.
Und verdammt, bin ich gerade dabei!