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https://sinnfoll.podigee.io/8-selbermachen (Öffnet in neuem Fenster)

**SINNFOLLE ESTHETIK** - der Podcast über Gestaltung und Ermächtigung

mit Lisa Palm (Öffnet in neuem Fenster) über ihre Masterarbeit WAS DAS MACHEN MIT UNS MACHT  (Öffnet in neuem Fenster)

Literatur

  •  Sennett, R.: Handwerk, Berlin 2008

  •  Csíkszentmihályi, M.: Das flow-Erlebnis, Jenseits von Angst und Langeweile: im Tun aufgehen,  11. Auflage, Stuttgart 2010

Gespächsprotokoll Folge 8

Die Verschriftlichung wurde zum besseren Verständnis redaktionell bearbeitet.

Luise: Hallo und herzlich willkommen zu SINNFOLLE ESTHETIK, dem Podcast über Gestaltung und Ermächtigung. In Folge Nummer 8 geht es heute um den Stellenwert von Handwerk und Selbermachen in unserer Gesellschaft.

Mit meinem Co-Host Manuel Möll, seines Zeichens Literaturwissenschaftler spreche ich mit der Webkünstlerin Lisa Palm über ihre Masterarbeit  "Was das machen mit uns Macht", über ihren Job in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung und allgemein der Wirkung oder dem Bedüfniss nach handwerklicher Arbeit.

Mein Name ist Luise Stark. Ich bin Designerin und Kulturanthropologin und wünsche euch viel Spaß beim Anhören.

Das Gesprächsprotokoll für Personen, die nicht hören können oder wollen, findet ihr zu jeder Ausgabe kostenlos auf unserer Steadyseite.

Ein kleiner Hinweis vorab. Zum Zeitpunkt der Aufnahme befand sich Manuel in Quarantäne und musste mit dem Laptop-Micro aufnehmen. Wir bitten also die schlechte Aufnahmequalität zu entschuldigen.

Manuel: Heute begrüßen meine Kollegin Luise und ich Lisa Palm (Öffnet in neuem Fenster) bei uns im Podcast. Wir freuen uns, sie heute bei uns zu haben. Herzlich Willkommen, Lisa.

Lisa: Hallo. (lacht)

Manuel: Lisa hat uns im Vorgespräch verraten, dass sie sich selbst am ehesten als Webkünstlerin beschreiben würde. Lisa, in deiner Masterarbeit mit dem Titel Was das machen mit uns Macht schreibst du über dich: "Schon mein ganzes Leben begleiten mich handwerkliche Prozesse. Im Alter von sechs Jahren brachte ich mir selbst das Häkeln bei. Während meiner Freizeit zu Schulzeiten nähte und änderte ich Kleidung, nach dem Abitur folgte eine Ausbildung zur Maßschneiderin und anschließend studierte ich Textildesign."

Lisa: Genau.

Manuel: Kannst du uns ein bisschen was zu dieser Masterarbeit erzählen?

Lisa: Ich habe mich in meiner Masterarbeit im größeren Sinne mit dem Thema Handwerk beschäftigt, weil ich Handwerk schon immer interessant fand und das Machen auch. Mir ist aber aufgefallen, dass Handwerk zwar einen sehr hohen Stellenwert in der Gesellschaft hat, aber niemand mehr wirklich mehr Handwerksberufe lernen möchte. Also irgendwie gehen die Zahlen der Auszubildenden zurück und trotzdem fängt jeder an plötzlich selbst was machen zu wollen: Stricken zu lernen, selbst einen Stuhl zu bauen oder Ähnliches - aber in der Freizeit - also es will niemand lernen, aber dann doch machen. Und das hat mich verwirrt und dadurch habe ich darüber nachgedacht warum das denn so ist: Wieso scheinen wir das Machen zu müssen? Also wenn es uns genommen wird oder wenn wir uns nicht dafür entscheiden das beruflich zu machen... warum haben wir dann trotzdem den Drang das zu machen. Und zum anderen habe ich zu der Zeit auch ein Praktikum in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung  gemacht. In einer Weberei, wo das Handwerk/ das Machen therapeutisch eingesetzt wurde und das heißt ja, dass es auch einen theapeutischen Effekt haben muss und das hat mich dann zu dieser Masterarbeit geführt. Ich wollte mich damit beschäftigen was es für Auswirkungen hat, wenn wir mit den Händen arbeiten.

Luise: Vielen Dank für die erstmal kurze Ausführung - hinter der natürlich auch eine riesige, auch theoretische Auseinandersetzung steht. (Weitere Infos/Bilder: http://machs.lisapalm.de/) Ich würde zu Beginn ein paar Definitionsfragen stellen bzw. deine Arbeit beschäftigt sich nicht nur mit Handwerk, sondern auch mit Ergotherapie, Kunsttherapie und dem Selbermachen: Kannst du uns anhand eines Beispiels die Grenzen zwischen den Begriffen/Praktiken erklären? Gibt es da überhaupt Grenzen und wo ordnest du dich da ein?

Lisa: Ja, das war auch ganz wichtig für mich. Mich am Anfang der Arbeit damit zu beschäftigen: Was genau ist eigentlich Handwerk? Also wie definieren wir das? Und Handwerk, wenn man das genauer betrachtet, ist eigentlich nur die Bezeichnung der Wirtschaftsform. Handwerk im eigentlichen Sinne ist nur der Beruf. Also wenn eine Person davon leben muss was sie macht, dann ist sie Handwerkerin oder Handwerker. Das nimmt dann nicht nur ihre ganze Zeit ein und sie ist nicht nur Herstellende, sondern auch gleichzeitig Buchhalter:in - alles in einem. Das ist dieser ganze Wirtschaftszweig Handwerk. Wenn das aber alles nicht darauf ausgerichtet ist... dass ich mein Geld verdienen muss. Wenn es losgelöst ist,von diesem Leistungsdruck und ich das handwerkliche Machen mache um ja therapeutischen Erfolg zu haben, dann steht der Prozess im Vordergrund. Dann steht nicht das Ergebnis im Vordergrund, was ich verkaufen muss, um zu überleben, sondern das Machen an sich, was eben Auswirkungen hat auf uns.

Luise: Kann man das dann auch so vergleichen, dass wenn es darum geht, dass jemand Handwerker:in ist, dass das dann was mit Selbstständigkeit zu tun hat? Also wenn ich jetzt an Handwerk denke, denke ich ja wirklich nur an diese Tätigkeit. Also bei dir es es ja zum Beispiel das Weben, wo anders ist es das Drechseln und so weiter und du definierst das Handwerk eigentlich über die herstellende Praxis hinaus und nimmst diese ganzen Handlungen noch mit rein, die dafür sorgen, dass du etwas verkaufen kannst. Habe ich das so richtig verstanden?

Lisa: Ja. und das der:die Handwerker:in eben autonom handelt, also komplet eigentständig ist ja.

Luise: Und wie würdest du dann deine Position beschreiben?

Lisa. Das ist eine gute Frage. (lacht) Naja, eben dann Künstlerin. Weil ich mich dagegen entschieden habe Produkte zu erstellen, die ich verkaufe, um davon Leben zu können. Dafür gehe ich arbeiten drei Tage die Woche, um mich davon zu lösen unter diesem Leistungsdruck zu stehen. Auf der anderen Seite ist es aber nicht nur theraupeutisch für mich, damit es mir gut geht, sondern ich verstehe mein künstlerisches Arbeiten auch als einen Dienst an der Gesellschaft. Ich bringe eine Message nach außen, die ich wichtig finde. Ich möchte, dass Menschen darüber nachdenken, reflektieren. Also irgendwie ist dann eben der Kunstschaffende nochmal eine ganz eigenständige Form, also ist der da gar nicht einzuordnen. Die Kunst nimmt da nochmal ein ganz eigenes Feld ein.

Luise: Wo würdest du da deine Masterarbeit einordnen?

Lisa: Mhm. (lacht)

Luise: Weil du hast ja viel mehr. Du hast dich ja theoretisch damit auseinandergesetzt. Du hast ein Produkt/Konzept geschaffen , was ja aber sowohl eine Message hat, als auch andere Menschen dazu anleitet, Dinge selbst zu tun.

Lisa: Ich glaube, da muss man nochmal kurz umreisen, was ich in meiner Masterarbeit gemacht habe. Ich habe eine theoretische Arbeit geschrieben und darauf folgte dann die Praxis und da habe ich Textilien entworfen, die zum Selbstmachen anregen. Weil ich in der theoretischen Arbeit herausgefunden habe, dass handwerkliches Machen gesundheitsfördernd sein kann und therapeutisch sein kann, möchte ich das auch weitergeben an die Menschen, die dann durch meine Textilien angeregt werden und sie auch diesen therapeutischen Effekt und die positiven Auswirkungen erleben können. Das sind Textilien, die man eben verändern kann durch bestimmte handwerkliche Techniken, damit etwas Neues entsteht. Zum Beispiel entsteht aus einem Textil dann ein Rock, denn ich dann tragen kann und auch noch selbst gestalten kann, indem ich ihn besticke oder so. Das ist die Idee. Das kann man auch in den künstlerischen Bereich einordnen, aber eigentlich ist es streng genommen Design. Das ist ja auch die Abschlussarbeit meines Designstudiums. Weil es sehr angewandt ist. Es ist ein Produkt, was auf den Markt kommen soll. Also man würde mein Textil verkaufen zusammen mit Garn und Nadeln, also so dass es ein DIY-Set ist und damit wäre es eigentlich schon wieder ein Verkauf und so weiter. (lacht) Wobei natürlich auch die Grenzen zwischen Design und Kunst immer mehr verschwinden, also natürlich arbeiten Designerinnen und Designer heutzutage auch sehr künstlerisch und sehr frei und Künstler:innen arbeiten auch sehr angewandt, also da verschwimmen die Grenzen auch immer mehr. Und letztendlich habe ich mit meinem Projekt auch wieder eine Message: Dass Handwerk gut ist und es jeder machen sollte.

Manuel: Du hattest die schriftliche Arbeit - das ist die theoretische Arbeit, die Masterabeit und dann hattest du dazu noch eine praktische Arbeit, die gemacht wurde. Diese praktische Arbeit, war welche genau? Kannst du da nochmal ein bisschen was dazu sagen?

Lisa: Ja, die praktische Arbeit war ein Gewebe. Vier verschiedene Gewebe, die bestimmte Apekte für textile Techniken schon beinhalten. Also das bestimmte Zeichen - Mache das und dann entsteht das - und um das zu unterstützen, ist in den Geweben immer noch QR-Code eingewebt, den ich einscannen kann und über diesen QR-Code komme ich auf eine Homepage, wo ich nochmal die Anleitung finde, wie ich das Textil verändern  muss, wie ich da vorgehen  muss, was ich machen muss , damit am Ende was anderes entsteht.

Manuel: Du bietest sozusagen über das Material, dass du bereitgestellt hast, auch die Hilfe zur Selbsthilfe an, denn der oder diejenige kann dann sofort nachschauen: wie ich das selber machen kann und hat sogleich die Anleitung da um das weiter zu fertigen?

Lisa: Ganz genau.

Manuel: Wie verbinden sich dann diese beiden Sachen: Die Masterarbeit und diese praktische Arbeit? Was hast du dir dabei gedacht, bei diesem Aufbau? Also warum gerade diese Teile?

Luise: Prüfungsordnung, Manuel. (lacht)

Manuel: (lacht) Das ist die einfache Antwort.

Lisa: Ja, natürlich müssen wir einen theoretischen Teil machen und einen praktischen und der verbindet sich eben bei mir durch die Erkenntnisse, die ich in der theoretischen Arbeit gewonnen habe: Dass handwerkliches Machen positive Auswirkungen hat auf den Menschen, war dann mein Ansatz. Ok, dass möchte ich den Menschen dann auch geben, dass sie das auch selbst erleben können und habe dann auf Grundlage dessen die Textilien gemacht.

Manuel: Das Textilienmachen hast du dann warhscheinlich nicht nur ander Uni gemacht, sondern auch im privaten Bereich, dass ist ja wahrscheinlich so, dass es bei dir in einem fleißenden Übergang steht, denn du hast ja uch Webstühle daheim.

Lisa: Ja, ich hab auch Webstühle. Also ich hab jetzt neu eine große Jaquard-Maschine, die in meinem Studio steht seit zwei Wochen (Aufnahme Anfang Januar)

Manuel: Das zeichnet aber auch die gute Handwerkerin aus, dass sie sich mit ihrem Werkzeug mit dem sie tägtäglich arbeitet auch intensiv auseinandersetzt. Der Hammer ist nicht nur zum Hämmern da, sondern er besteht aus unterschiedlichen Materialien und muss erstmal auch in seiner Zusammensetzung irgendie verstanden werden, genau wie der Webstuhl, der ein wesentlich komplexeres Instrument ist, ne?

Lisa: Ja.

Manuel: Um diese Werkstücke zu fertigen.

Kurze Stille.

Luise: Baust du dir da jetzt eine Frage draus?

Manuel: (lacht) noch nicht. Ich übergebe erstmal an dich, falls du eine hast?

Luise: Da würde eigentlich die Frage anschließen.

Manuel: Ich habe die Fragen gerade nichtt vor mir. (lacht)

Luise: Na weil du irgendwas geschrieben hattest mit: Wie kommt man überhaupt an den Punkt sich Material habhaft zu machen? Siehe - ich kann es nicht aussprechen. Ist irgendwas französisches bestimmt-

Manuel: horror vacui.

Lisa: Das musste ich auch erstmal googeln. (lacht)

Luise: Dann müssen wir nur vorher eine Frage formulieren, bevor Lisa antwortet, sonst verstehen es die Leute nicht.

Manuel: Ja, also ich formuliere mal die Frage, ok? Wir haben jetzt schon über das Material gesprochen, dass du im praktischen Teil deiner Arbeit, der - wie Luise mich aufgeklärt hat - zur Prüfungsordnung gehört. Mich würde jetzt erstmal noch interessieren: Wie kommt man überhaupt an diesen Punkt, sich Material habhaft zu machen. Ich stelle mir dabei erstmal diese riesen Garnrolle vor und bin erstmal total verzweifelt, wie wenn ich vor einem leeren Blatt sitze und diese Angst habe: "Oh mein Gott, jetzt muss ich erstmal das leere Blatt befüllen." - Das was man gemeinhin als den horror vacui versteht. - Die Angst vor der Leere. Welche Wege gibt es deiner Meinung nach, diese Angst, das Material oder das was man noch nicht sieht - die eigentlich vollendetet Arbeit - sich an diesen Schritt heranzuwagen. Diesen Beginn zu machen, was Neues aus diesem Garn zu machen, zu überwinden?

Lisa: Also der beste Tipp ist eigentlich: Einfach loslegen. Also wenn es jetzt wirklich darum geht, diese Angst zu überwinden, nicht schaffen zu können. Einfach irgendwas in die Hand zu nehmen und los zu legen, weil erst dann merke ich - erst dann gibt dir das Material eine Antwort und ich sehe an dem Material meine Vorlieben. Also wenn ich mit einem Material arbeite, merke ich sehr schnell: Moment mal, der Webstuhl kommt damit nicht klar, oder mir gefällt die Farbe nicht oder mir gefällt die Haptik nicht und dadruch, dass ich einfach irgendwie angefangen habe, den ersten Schritt gemacht habe, passiert schon was und dann fängt auch der Forschergeist an. Ich frage mich: Ok, die Farbe ist blöd. Ich guck mal nach einer anderen. Dann suche ich mir eine neue Farbe oder ich merke, dass Garn ist zu dünn. Ich kann damit nicht das erreichen, wie ich mir das vorstelle, weil das mit dem Webstuhl oder mit den anderen Garnen, mit denen ich das verkreuze, kommt nicht das raus, was ich möchte. Der Webstuhl gibt mir die Antwort und so ist das immer ein Geben und Nehmen mit der Maschine mit dem Material und daran lerne ich dann auch was zukünftig funktioniert. Dann weiß ich natürlich schneller, was ich brauche, weiß ich von vornherein, was kann ich alle ausschließen. In welche Richtung wird es wahrscheinlich gehen. Und ich denke diese Angst ist sicher auch, wenn ich mir zu viel vornehme. Ich denke, dass jemand, der schon lange in einem Bereich arbeitet, also jetzt eine Zeichnerin die jeden Tag arbeitet, wird weniger die Angst vor den weißen Blatt haben, weil sie schon Erfahrung hat und dann einfach anfängt und in den Prozess kommt, als jemand der sich vornimmt: Boar ich will jetzt zeichnen... und sich hinsetzt und denkt: oh Gott... und ist jetzt erstmal überfordert, weil ja überhaupt kein Erfahrungswert da ist und man natürlich auch schnell scheitert dann.

Manuel: Gibt es für dich sowas wie eine Beziehung zum Material und wenn ja, wie baust du diese überhaupt zu diesem Stoff oder zu diesem Garn auf, dass man ja da am Anfang hat. Wie kommst du überhaupt dazu, dass so auszuwählen für die Maschine.

Lisa: Ganz viel ist gerade am Anfang meine kulturelle Prägung. Bestimmte Farbpaletten sind Kultur geprägt. Dann natürlich auch meine Erfahrung: Gerade beim Textil. - Ich trage ja zum Beispiel einen Pullover und habe ja ein Gefühl, ob mir das Material gefällt oder nicht. Gefällt mir wie das aussieht und so weiter. Das zum einen und dann zum anderen ist es nach einer Zeit wieder die Erfahrung, dass ich öfter ich damit arbeite, desto mehr weiß ich, was mir gefällt und was mir nicht gefällt. Für Materialien, die immer  total gut funktionieren, entwickel ich ja auch eine Zuneigung und wähle sie entsprechend häufiger aus.

Manuel: Material hat also auch eine Rückkopplung zu dir, oder spiegelt dir wieder was zurück in der Hinsicht, dass du merkst: Ach, funktioniert mit dem Material ganz gut, dann probiere ich das wieder mit dem Material oder mit einem Material, dass vielleicht anders gefärbt ist oder andere Größenordnung hat oder so. Also du versucht da auf jeden Fall auch irgendwie in eine Art von Wiederholung eintreten zu lassen, wenn es sich einmal bewährt hat.

Lisa: Genau. Wiederholung bzw. Steigerung. Wenn ich dann denke: Ja ist schon ganz gut, aber könnte noch... Und da finde ich eigentlich auch ganz interessant, dass der Gedanke, dass ich das Material - gehen wir kurz in ein anderes Handwerk - Ich finde das am interessantesten am Beispiel Ton: dass ich das Material nehme und den Ton verändere. Das heißt, ich mache etwas mit diesem Material und gleichzeitig wenn das Produkt fertig ist, selbst wenn ich nur mit meinen Fingern reindrücke, spiegelt gleichzeitig der Ton auch mich selbst wieder. Der Ton hat sich verändert durch mich und dadurch, dass er mir rückspeiegelt, was ich sehe, verändert er auch mich. Und er trägt die Spuren von mir in sich. Das ist eine wechselseitige Beziehung. Also dass  der Ton/ das Stück auch meine Individualität in sich trägt.

Luise: Ich würde da nochmal ganz kurz einhaken: Das was du jetzt beschrieben hast, also nicht nur mit der Beziehung zum Material, sondern auch die vorangehende Erfahrung usw. - Wenn es darum geht, für sich selbst so eine Beziehung zum Material zu beschreiben oder auch die handwerkliche Erfahrung mit reinzunehmen - das ist ja das, was eigentlich ausgebildetete Gestaler:innen ausmacht - dass man diese Erfahrung schon in einer gewissen Weise hat, auch nicht mehr die Angst vorm weißen Blatt hat, sondern eigentlich mit einer Idee ran geht und überlegt: Ok, welche Werkzeuge stehen mir zur Verfügung.

Lisa: Ja.

Luise: Und das unterscheidet dich eigentlich ganz klar von einer Zielgruppe. Weil du geforscht hast, hast dich mit Materialien auseinandergesetzt und gibst den Personen ein zugeschnittenes Werkzeugkit, wo leute relativ selbstsicher ohne viel eigene Erfahrung zu haben, etwas erzeugen können, auf dass sie dann stolz sein können, dass sie zeigen können, wo sie ihre Produktivität darstellen können. Hast du da spezielle Zielgruppe im Auge?

Lisa: Eigentlich nicht. Also es ist eins dabei was eher für Kinder ist. Das wird dann so eine Art Cape, damit man Spiderman sein kann. Da stickt man eine Spinne. - Also Sticken nach Zahlen. Aber sonst ist es eigentlich für alle Anfänger:innen, die Interesse haben mit Textil zu arbeiten. Also ein Interesse für Textiltien muss glaube ich schon da sein und eine gewisse Fingerfertigkeit, weil man doch eher fein arbeiten muss. Ist jetzt nicht so als würde man mit Holz arbeiten. Aber sonst eigentlich für alle, die sich interessieren.

Manuel: Ich würde gern nochmal auf dieses DIY weiter eingehen: Du hast ja jetzt diese praktische Arbeit so konzipiert, als Do-it-yourself-Kit, mit dieser Anleitung, die du vorher erwähnt hast. In deiner Masterarbeit ist mir beim Lesen der Eindruck entstanden - und du darfst mich da gerne verbessern, wenn ich das irgendwie falsch verstanden habe - dass da so ne Kritik an dem Do-it-yourself drinne steckt, wie es bisher bestanden hat. Dass man weg geht vom Handwerk und sich eher diese kleinen DIY-Sachen vornimmt und sich darüber eben mit einer Art von Handwerk versucht zu identifizieren. Siehst du da einen Unterschied zwischen dem was du machst und den DIY-Sachen, wie sie beispielsweise im Trend waren oder sind in den letzten Jahren?

Lisa: Ja. Also ich arbeite durchaus professioneller. Das ist auch einfach der Unterschied. Ich habs gelernt und DIY ist ungelernt und darf auch so aussehen. Ich habe einen anderen Anspruch an mich. Also ich stand dem auch eigentlich immer kritisch gegebenüber, dass ich das so ein bisschen belächelt habe, diese ganze Bewegung, aber eben durch die Arbeit weiß ich jetzt, welche Auswirkungen es hat und das es auch ein menschliche Bedürfnis ist, sich zu betätigen und mit den Händen zu arbeiten und ich finde es halt sehr sehr schade, dass niemand mehr den Weg geht einen Handwerksberuf zu lernen, weil dadurch - also ich bin auch gelernte Schneiderin, komme auch direkt aus dem Handwerk -  dadurch, dass ich weiß, wie ein Produkt hergestellt wird, also wie lange es dauert, welche Schritte nötig sind und wie viel Material kostet und all diese Sachen, weiß ich auch andere Produkte zu schätzen - also auch aus anderen Bereichen, aus der Keramik aus Holz. Ich weiß einfach, dass es eine bestimmte Dauer hat, etwas herzustellen und wie viel können da drin stecken muss, um sowas zu machen und weiß dann auch wie viel das kosten muss und - weil es leider seit Jahren diese akademisierung der Gesellschaft gibt - geht das verloren. Das Verständnis für Materialien geht verloren. Das heißt eigentlich, wenn die Menschen billig einkaufen, kann ich ihnen das nichtmal vorhalten, weil sie wissen gar nicht - also sie können gar nicht das Tshirt anfassen und wissen: Moment mal das ist aber nur Plastik. Weil sie das nicht mehr gelernt haben, weil sie nicht mehr mit Handwerk aufwachsen. Maximal haben sie noch die Großeltern gesehen, die das Machen und das finde ich sehr schade und da würde ich mir auch wünschen, dass sich das ändert, weil so viele Akademiker:innen brauchen wir gar nicht (lacht) und was auch noch sehr interessant ist, was ich auch glesene habe im Zuge meiner Masterarbeit: Das DIY eigentlich auch nur dann möglich ist, wenn ich genug Freizeit habe, um mich dann noch meinem Hobby zu widmen. Weil es uns so gut geht, weil wir einfach eine Industrienation sind und wir alles haben und dann fangen wir aber wieder an DIY zu machen... also eigentlich total paradox.

Luise: Da würde ich vielleicht noch eine Beobachtung mit einwerfen, die mir wieder schwerst in ein Gehirn eintrat, als ich deine Masterarbeit gelesen habe, weil mir dann wieder eingefallen ist: Ich bin früher viel auf Kunsthandwerkermärkten unterwegs gewesen. Mit Stand und so weiter und habe mich furchtbar - das war damals noch in meiner Designausbildung - hab mich furchtbar über die "DaWanda-Muttis" aufgeregt.

Lisa: Mhm, ja. (lacht) Kann ich verstehen.

Luise: Ja, das waren Personen.... Es waren Frauen, die nicht gearbeitet haben. Es waren Hausfrauen, die in ihrer Freizeit textile Sachen hergestellt haben und die dann billiger anbieten konnten, weil es für sie ein Hobby war und ich als Person, die davon leben müsste, wurde dumm angemault, weil ich die Sachen für zu teuer verkaufe. Aber ich habe zum einen eine andere Qualität geboten und den ganzen Kram drum herum. Aber jetzt durchs Zweitstudium hab ich gemerkt: Ja nee, da steckt eigentlich noch etwas anderes dahinter. Nämlich Frauen, die sonst kein  Geld verdienen.

Lisa: Ja, richtig.

Luise: Personen, die keinen eigenen Erwerb haben und sich durch diese kleine Arbeit ein eigenes Taschengeld zusammensparen, dass sie selbst verdient haben, über das sie selbst verfügen können. Also da ist so ein ganz ambivalentes Gefühl, gerade wenn es um das Selbermachen geht.-

Manuel: So eine Art von Rückgewinnung der eigenen Autonomie?

Luise: Genau, also eigentlich hat das mit einem Frauenbild zu tun, was sich versucht wieder selbst ins Spiel zu bringen.

Lisa: Ja, voll. Dazu zählen natürlich auch andere positive Beispiele von DIY: Auch in der Punk-Bewegung. Zines, die selbst hergestellt wurden, einfach um zu sagen: "Hey, wir wollen auch ne Stimme haben, wir wollen auch was publizieren. Wir wissen zwar nicht wie, aber wir machen es jetzt einfach." Und das ist ja auch ein Aspekt. Das ist zwar nicht professionel, aber trotzdem ist es ein Weg etwas zu machen und das ist ein sehr sehr guter Weg. Natürlich möchte ich da noch hinzufügen, dass natürlich auch weniger Menschen einen Handwerksberuf ergreifen, weil man einfach sehr sehr schlecht verdient, weil eben die Wertschätzung nicht mehr da ist - es ist irgendwie ein Teufelskreis. Das Handwerk stirbt aus, dadurch fehlt die Wertschätzung. Dadurch wird nicht mehr für die Produkte ausreichend bezahlt, damit Handwerkende davon leben können. Dann ergreift niemand mehr den Beruf, weil es auch gesellschaftlich nicht so anerkannt ist, wie ein Professor... oder nicht mal ein Professor, einfach jemand der ein Studium absolviert hat. Zum Beispiel habe ich eine Freundin, die ist Schneider-Meisterin und ist so eine begnadete Handwerkerin und dann kenne ich Andere, die studiert haben. Und wenn man die beiden vergleicht, hat sie einfach viel mehr gelernt und zu geben und zeigen, als manch andere die studiert haben. Das sie sieht das zum Beispiel an ihrem Gehalt. Sie arbeitet auf der gleichen Stufe wie Leherinnen. Sie bildet auch an einer Schule aus, verdient aber sehr sehr viel weniger als die Lehrer:innen dort, obwohl sie einfach jahrlange Erfahrung hat und begnadetet Handwerkerin ist. Eigentlich müssten die beiden auf einer Gehaltsstufe stehen. Da stimmt auch irgendwas nicht. Das ist schade.

Luise: Auf alle Fälle. Ich glaube der Gegenwind oder auch die Gegenwehr, die jetzt entsteht, die es auch schon länger gibt, ist ja die Intellektualisierung des Handwerks - die aus meiner Sicht relativ kritisch zu betrachten ist, weil das ist ja genauso als würde man sagen: Kunst kann auch Wissenschaft. Dass wir uns jetzt versuchen, Stück für Stück die ganzen Stufen zu erarbeiten, weil man sich selbst verletzt fühlt und sagt, ich bin genauso viel wert.

Lisa: Ja.

Luise: Wo ich mich dann frage, wie das für dich ist: Du bezeichnest dich als Webkünstlerin, hast studiert. Inwiefern oder inwieweit merkst du, dass dir dein akademischer Abschluss hilft Ideen durchzusetzen und inwieweit würdest das akademische Sprechen als ein Labeling oder als ein Marketing empfinden?

Lisa: Mhm. Das ist eine gute Frage. Ich wollte tatsächlich gar nicht studieren. Ich wollte nach meiner Schneiderausbildung Weberin werden. Mir wurde aber eine zweite Ausbildung nicht nochmal bezahlt. Ich hatte Abitur und wusste, ich kann Weben auch im Studium lernen. Natürlich merke ich, dass man als studierte Person einen höheren Stellenwert hat. Das merkt man auf jeden Fall und natürlich sehe ich auch kritisch, dass ich jetzt eher künstlerisch arbeite und nicht mehr produziere, weil es ist ja auch gar nicht anders möglich. Ich könnte mir jetzt meinen Arsch aufreißen und Tag und Nacht weben und total wenig verdienen, aber der Weg ist mir einfach zu anstrengend. Ich bin ja auch in einer Wohlstandsgesellschaft. Ich muss das nicht machen. Ich kann auch einen anderen Beruf machen und sehe für mich eigentlich den einzigen Weg in der Kunst. Und das ist sicher auch durchs Studium geprägt, dass ich da auch gelernt habe konzeptioneller zu denken. Und da auch einfach was vorranzubringen. Wobei auch Textil noch sehr wenig vertreten ist in der Kunst. Also da sehe ich dann schon auch: Ok, das ist jetzt nicht noch ein Gemälde. Nichts gegen Maler:innen, aber Gemälde gibt es schon sehr viele. Also ist einfach ein größerer Bereich als das Texil und das Textil war lange gar nicht vertreten, weil es so vergänglich ist. - War immer als Alltagsgegenstand angesehen und kam erst ab den siebzigern in den Museen an. Das ist sehr sehr spät. Ich seh das schon auch durchaus kritisch und wünsche mir, dass Handwerker:innen oder Weber:innen, die einfach produzieren und verkaufen, den gleichen Stellenwert und die Anerkennung.

Luise: Ich glaube aber auch, wir müssen nochmal unterscheiden zwischen Peronen, die in einem Anstellungsverhältnis sind und Personen, die dann in der Selbstständigkeit unterwegs sind. Weil gerade die in der Selbstständigkeit, da braucht man auch nicht mit Mindestlohn oder irgendwas kommen, weil da geht es dann weniger dadrum, Löhne zu erhöhen, sondern den Anreiz zu schaffen, damit Menschen mehr dafür bezahlen . Als selbständige Person interessiert der Mindestlohn oder Löhne ansich direkt nicht, sondern da geht es wirklich darum, dass die Person eine Wertschätzung erfahren in ihrer Tätigkeit.

Manuel: Ich kann das mit dem Handwerk auf jeden Fall sehr gut nachvollziehen. Mein Vater ist Garten-/Landschaftsgestalter und arbeitet jetzt seit 35 Jahren in diesem Beruf und es gab immer wieder Situationen, in denen er Kundenkontakt hat. Er muss seine Arbeit vorstellen, er muss Angebote machen usw. Und es gibt immer den Unterschied zwischen dem Unternehemensberater, der schön im Anzug bei seinen Kunden sitzt oder meinem Vater, der von der Baustelle kommt und im Garten etwas zeigen möchte, in Arbeitskleidung und da gab es über die Jahre unterschiedlichste Geschichten: Angefangen von Blicken, die ihm zugeworfen worden bis zum Versuch in runterzuhandeln, nur auf der Tatsache beruhend, dass da nicht jemand im Anzug steht. Könnte man ja auch machen, aber das ist halt nicht authentisch.

Luise: Oh, da bringt du Worte.

Manuel: Oh, ja. (lacht)

Luise: Auf der einen Seite Authentizität auf der anderen Seite Hapitus.

Manuel: Vielleicht möchtest du gerade was dazu sagen, zu den beiden Begriffen.

Luise: Genau. Lisa, das wäre jetzt meine Frage gewesen: Hast du das Gefühl, dass das ein Milieuproblem ist?

Lisa: Ja, sicher. Wo soll es sonst her kommen? (lacht)

Luise: Also natürlich ist jede:r Handwerker:in anders usw. und hat unterschiedliche Geschichten, aber es ist natürlich so der krasse Zwiespalt zwischen: Ich muss Zeit aufwenden Dinge in Serie herzustellen, um Sachen verkaufen zu können. Und: Ich möchte Innovation schaffen. Das heißt, ich muss Zeit auf Forschung verwenden. Also aus meiner Perspektive sind Forschungsmehtoden auch ein Handwerk, weil ich Dinge nach bestimmten Arten und Weisen tue, aber nach deiner Deifinition wäre es kein Handwerk, weil da überhaupt keine Produktion in irgendeiner Form stattfindet.

Mich würde noch interessieren, wie du das empfindest, was man nicht nur an der Vergütung in der Ausbildung verändern kann, sondern wie sich an sich Ausbildungen in Handwerksberufen so umgestalten lassen könnten, dass sie eloquenter auf die Gesellschaft wirken... oder gibts da gar keinen Grund dafür, weil eigentlich sind ja die Anderen schuld? (lacht)

Lisa: (lacht)Also zum einen hast du total recht, natürlich sehr viel ist Handwerk. Es gibt auch neue Berufe, die ich einordnen würde ins Handwerk. Wie zum beispiel der IT-Bereich. Also ein Programmierer, eine Programmiererin ist natürlich auch Handwerkerin. Man muss Lösungen finden, man arbeitet mit den Händen. Zum Beispiel Richard Sennet (Öffnet in neuem Fenster), ein Soziologe - der hat auch das Buch "Handwerk" (Berlin 2008) geschrieben - sagt, auch Erzieher:innen sind Handwerker:innen, weil sie ein bestimmtes Handwerkszeug haben, um zu arbeiten. Und das andere: wie sich der Handwerksberuf ändern sollte... also tatsächlich denke ich eher, dass sich gesellschaftlich etwas ändern sollte. Klar geht es dabei auch um Dienstleistungen. Das heist ja nicht, dass da immer ein Produkt am Ende herauskommen muss. Auch der Klempner ist ein Handwerker, der hat kein Produkt. Das geht eher in die Richtung mit der Forschung. Es ist kein Produkt und trotzdem ist es ein Dienst an der Gesellschaft und er arbeitet halt mit Werkzeug. Das Schwierige mit dem Handwerken ist eben, wie du schon meintest, die Selbstständigkeit, dass eine Handwerksperson viele Dinge in sich vereinen muss und da reicht eben nicht einfach mehr Lohn, sondern da muss auch die der bürokratische Aufwand verringert werden - was eine einzelne Person eigentlich an Papierbergen bewältigen muss, neben dem was eigentlich das Herstellen und die Dienstleistung ist. Entlastung von den Krankenkassen oder auch die Beiträge müssen so angepasst werden, dass eine Person da Erleichterung erfährt und nicht unbedingt nur das Geld. Also ich sehe da schon eher den Staat in der Pflicht, als jetzt die Handwerksberufe zu verändern.

Manuel: Wir hatten ja zu Beginn gesagt, dass du als Webkünstlerin diese Balance versucht hast zu schaffen in deinem Alltag und dich gegen eine selbstständige Handwerkstätigkeit enstschieden hast. Die Aufteilung war glaube ich drei Tage die Woche arbeiten und dann sich auf das Weben zu konzentireren zu können. Diese drei Tage Arbeiten haben ja, wie du selbst auch kurz erwähnt hast, auch diesen therapeutischen Charakter, den du auch in der Masterarbeit beschreibst. Kannst du da nochmal ein bisschen näher drauf eingehen? Was du genau in diesen drei Tagen machst?

Lisa: Also ich arbeite in einer Weberei für Menschen mit Behinderung und da ist das so, dass die Menschen selbst an den Webstühlen sitzen und weben und ich eigentlich nur begleite. Also ich bereite Webstühle vor und ich begleite den Webprozess und ja, begleite auch eigentlich deren Alltag. Das ist natürlich viel Betreuung in Konfliktsituation oder in Problemsituationen.

Manuel: Was hast du denn da gesehen, was dich in deiner Arbeit am stärksten beeinflusst hat?

Lisa: Also sehr viel! (lacht) Die Freude am Handwerk, die Freude am Weben. Und mir sind die Stärken des Handwerks nochmal klar geworden: Dass gerade das Weben eine so strukturierende Tätigkeit ist. Das ist so ein gesetzter Rahmen. Es gibt diesen Webstuhl und es gibt diesen Faden und die werden verkreuzt und es ist eine rechtwinklige verkreuzung. Es ist kein kreuz und quer. Es ist total definiert und klar und übersichtlich. Man hat zwar nicht sehr schnell ein Produkt in den Händen, das seh ich auch, dass das für manche ein Nachteil ist, sondern man webt erstmal zehn oder zwanzig Meter bis man das Textil aus dem Webstuhl rausholt und dann erst sieht, was man eigentlich gemacht hat, aber gerade das strukturierende ist für bestimmte Krankheitsbilder sehr beruhigend und gibt sehr viel Sicherheit und ist gerade deshalb in dem Bereich therapeutisch.

Manuel: Inwieweit ist da auch eine Form von Selbstbestimmung drin? Ich sage jetzt mal in dieser Patientensituation. Ich bin jetzt als Patient dabei, ich habe jetzt diese Therapie, die mir in irgendeiner Form ein Handwerk an die Hand gibt, mit der ich mir eine Struktur für mich selbst schafffen kann, wo ich auch Abläufe neu lernen kann, Fingerfertigkeiten, Handfertigkeiten... sollte da auch für den Patienten ein Mitbestimmungsrecht da sein, in seiner Therapie, dass er auswählen kann, ob er sich für eine Art handwerkliche Therapie entscheiden kann, deiner Meinung nach?

Lisa: Ich denke, das kommt auf den Patienten, die Patientin drauf an, was gefördert werden soll. Ist ja bei uns nicht anders. Für manche ist es eine große Herausforderung selbst eine Farbe auswählen zu können, das überfordert sie direkt und es beruhigt sie, wenn man ihnen alles vorgibt. Andere wachsen daran, dass sie selbst aufprobieren können und nicht immer alles vorgesetzt bekommen. Das ist da ganz unterschiedlich.

Manuel: An der Stelle sagst du auf jeden Fall, man sollte das wesentlich differenzierter sehen.

Lisa: Ja, ja total und immer an den Patienten, die Patientin angepasst, das ist das Wichtigste. Es muss immer individuell sein. Es gibt kein allgemeingültiges Rezept.

Luise: Bei den komplizierten Abläufen des Webens, weil ich mich auch noch daran errinnern kann, wie man dann im Webstuhl sitzt, treten muss, schießen muss, öffnen... und es gab Abende, wenn man das dann lange gemacht hat, wo ich dann so unkonzentriert war, dass ich das nicht mehr gebacken bekommen habe. Dann ging nichts mehr. Und das interessante ist ja, dass du in deiner Masterarbeit vom flow sprichst. Und das ist ja der Moment, wenn alles in einander läuft. Wenn man nicht mehr darüber nachdenken muss, was man gerade tut, sondern man wird eigentlich eins mit seiner Tätigkeit. Könntest du uns dazu ein ein bisschen was erklären?

Lisa: Es ist genau das, was du sagst: dass man so verschmilzt und dass auch das Zeitgefühl aufhört. Aber es sollte eigentlich nicht so sein, dass es zu leicht ist, also zu langweilig, sondern es muss genau in diesem Spannungszustand sein. Zwischen Über- und Unterforderung. Das ganz Wichtige dabei ist, dass man alle Schritte beherrscht und zwar im effeff - also intrinsisch - dass der Körper automatisch schon weiß, was er machen muss. Man geht ganz in der Handlung auf. Alles sitzt.

Manuel: Was meinst du, warum ist der Moment so wichtig? Warum hast du das überhaupt thematisiert?

Lisa: Also ich glaube, er ist nicht wichtig für das Handwerk. Es kann auftreten und es ist eher so ein i-Tüpfelchen. Ich habe mich damit beschäftigt, weil ich das kenne und tatsächlih auch dachte, dass das auch dazugehört. Ist aber gar nicht so, dass empfinden gar nicht alle. Nicht alle kommen in diesen Zusatand. Es ist natürlich auch das, was einen daran hält. Was mich daran hält, ist, dass ich diesen Zustand kenne. Also Csíkszentmihályi (Das flow-Erlebnis, Jenseits von Angst und Langeweile: im Tun aufgehen, 11. Auflage, Stuttgart 2010), der den Begriff des flow geprägt hat, hat viele Beispiele aus dem Sport. Da sind dann aber Kletterer, die an der Felsenwand in tausend Metern Höhe hängen und dann ihren flow-Moment haben. Und dann eben beim nächsten Mal den Kick suchen und das würde ich jetzt bei mir nicht sagen. Es ist eher das Gefühl, wenn man eben aufgeht und ganz im Bereich seiner Kompetenzen ist, dann ist das auch so ein Machtgefühl. Ich bin Herr dieser Lage und ich gehe total auf. Ich weiß alles. Die Welt liegt mir zu füßen. Das Handwerk liegt mir zu füßen und dadurch ermächtige ich mich auch selbst und kann darin so aufgehen. Die totale Kontrolle. Und gleichzeitig ist es totale Entspannung, weil ich weiß: in diesem Moment kann mir nichts passieren. Ich habe alles in der Hand.

Manuel: Dann ist der Begriff des flow auch eine Belohnung für dich?

Lisa: Ja, genau, dass ist dann gerade im Nachhinein betrachtet eine Belohnung und das natürlich auch ein hier gehöre ich hin. Das ist mein Platz so, wenn ich merke, hier fühle ich mich einfach hundertprozentig aufgehoben, dann will ich da natürlich auch immer wieder zurück, weil mir das Geborgeheit gibt.

Luise: Ich finde diese Vorstellung von der Sehnsucht nach dieser Sicherheit und diesem über alles Bescheid wissen und so weiter... finde ich, ist weit weg von einem Traditionsbegriff? Man weiß was passiert uns so weiter...

Lisa: Ja. (lacht)

Luise: Obwohl das eine findet auf einer geistigen Ebene statt, das andere ist noch mit ganz anderen Dingen verbunden.Vielleicht nicht Tradition sondern etwas rituelles? So eine Art Ritual?

Lisa. Ja. total. Csíkszentmihályi beschreibt auch, dass der flow in Ritualen auftaucht.

Luise: Ja, und wie ist das dann: widerspricht dann sowas rituelles, so ein flow-Gefühl eigentlich einer Vorstellung von Innovation? Weil Innovation erreichst du ja nur, wenn du dich aus deiner Komfortzone herausbewegst, wenn du etwas Neues entdeckst, wo du dich nicht auskennst.

Lisa: Ja. Csíkszentmihályi sagt, das flow nichts mit Fließbandarbeit zu tun hat. Also keine Langeweile. Also es ist schon etwas wo ich auch etwas auprobiere und dann merke: Oh, das klappt voll gut. Und dann geh ich darin voll auf und deshalb kommt der flow-Moment auch nicht so oft, weil ganz oft bin ich in meiner comfort zone. Vielleicht ist es genau dieser Zustand - ein bisschen drüber. Csíkszentmihályi beschreibt - also ich habe das jetzt bei mir selbst noch nicht beobachtet - dass ganz viele dann daraus gehen und sich irgendwie entwickelt haben, irgendwie einen Schritt weiter gekommen sind. Das muss ich unbedingt bei mir nochmal beobachten, aber das war auf jeden Fall seine Erkenntnis. Das ist dann bei den Bergsteigern vermutlich eher so, die dann irgendeinen Höhenmeter geschafft haben, den sie vorher nicht geschafft haben. Das aber geschafft haben ,weil sie soviel dafür trainiert haben und so, eben immer im Bereich ihrer Kompetenzen waren und dann diesen Schritt bewältigen konnten.

Manuel: Das ist ja eigentlich der Inbegriff des Begriffs der Erfahrung. Wie man ihn verstehen kann: Machen und daraus immer wieder lernen, Fehler ausbessern, Fehler machen, weiter machen und so weiter. Dieser Aspekt der Wiederholung hat einen enormen Stellenwert.

Lisa: Ja, also mir ist es jetzt, wo wir so darüber sprechen, nochmal bewusster. Was ist es eigentlich? Es bedeutet, dass ich mich in eine neue Situation begebe mit den Kompetenzen, die ich habe und dann merke, weil ich die Kompetenzen habe, kann ich die Situation jetzt bewältigen. Und das ist dann so das Gefühl und dann geht man eben darin auf. Das ist eben nicht diese Unterforderung, sondern dieser Spannungszustand.

Manuel: Wollen wir noch einen kleinen Aublick machen? Lisa, wo siehst du denn das Weben 2022? (lacht)

Lisa: (lacht) Ja,bei mir - ich hab ja jetzt den neuen Webstuhl und da wird jetzt 2022 hoffentlich ganz großes passieren, Ich bin ganz gespannt.

Manuel: Mhm. Wortwörtlich Großes?

Lisa: Ja.Genau. (lacht) Und ja, und wo es zukünftig mit dem ganzen Weben hingeht: Ich glaube, das Textile löst sich auch immer mehr auf in der Immaterialität. Mittlerweile werden bei Ausstellungen wo Textilkünstler:innen aufgerufen werden etwas einzureichen auch Videos von Textilien akzeptiert. Also das löst sich alles auf. Webdesign ist im erweiterten Sinne auch wie Weben oder Textil - das Netz usw. Da, denk ich, geht es hin. Für die Zukunft des Handwerks wünsche ich mir, dass wieder Material geschult wird, also dass es auch wieder Einzug findet an Schulen. Einfach wieder etwas mit den Händen zu machen. Einfach zu wissen, wie entstehen überhaupt Sachen. Die sind ja nicht einfach im Regal, sondern die muss auch jemand machen und das würde ich mir wünschen, dass da wieder so ein Rückschritt erfolgt. Nicht ganz in die Tradition, aber wenigsten dass es mehr Achtsamkeit erfährt.

Manuel: Und damit sind wir auch am Ende des heutigen Podcasts. Lisa, herzlichen Dank, dass du heute bei uns da warst. Es war unglaublich interessant etwas mehr über das Weben und die einzelnen Aspekte, die du zum Weben hinzufügst, zu erfahren.

Lisa: Danke. Vielen Dank für die Einladung. Hat Spaß gemacht.

Luise: Ja, alle Social-Media-Links sowie Lisas Website findet ihr in den Shownotes. Schaut unbedingt bei ihr vorbei. Wir bedanken uns fürs Zuhören und in der nächsten Ausgabe geht es nach Wien. Wir sprechen mit einem Kultur- und Sozialanthropologen, der einen Film zum Thema Magie produziert. Seid gespannt. Bis zum nächsten Mal.

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