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Pumpkin Spice Coming-out

Ich würde nicht behaupten, dass ich „basic“ bin. Vielleicht bin ich nicht die aufregendste Person, aber basic? Der Schuh will mir nicht passen. Weil ich aus der coolen Kohorte rausgealtert bin und wie jeder Millennial weiß, dass wir nicht mehr den Puls der Zeit bestimmen, bin ich mit einem bestimmten Maß an Irrelevanz zufrieden. Und Dinge werden schneller basic, als das Universum sich ausbreitet. Aber es gibt eine Sache, die schon seit Interneturzeiten als basic gilt, die mir große Freude bereitet. Im Spätsommer, wenn ich traurig bin, weil die Birkenstocks (ok, bin ich vielleicht doch basic?) nur noch wenige Tage, vielleicht noch eine Woche, Sinn machen, dann tröste ich mich mit der Aussicht auf ein Heißgetränk. Sonst trinke ich nur – wie sich das gehört – sauren Americano. Klassentransit sei Dank, liebe ich Kaffee, der auch in einem Kaffeemagazin Platz hätte. Aber weil ich ein Millennial mit Taurus Placements bin, brauche ich kleine Treats.

Pumpkin Spice Latte. Mit Hafermilch und veganer Schlagsahne.

Jetzt ist es raus.

Ich liebe Pumpkin Spice Latte.

Es tut so gut, das zu sagen. Ich liebe den Geschmack, die Texture, ich liebe den kleinen Koffein-Kick, aber sogar ohne Koffein macht mir das Getränk Spaß. Ich kann ihn morgens, mittags, abends trinken. Pumpkin Spice Latte ist mein kleiner Schnuller für die ersten, kalten und dunkleren Tage.

Im Herbst/Winter 2022 hatte ich zum ersten Mal so viele Lesungen, dass ich fast jede Woche irgendwohin fahren musste. Und jedes Mal wirklich jedes Mal, wenn ich am Bahnhof war und dachte: Ok, schon wieder mit dem Zug irgendwohin, musste ich mir in dem kleinen und ungemütlichen Starbucks am Hauptbahnhof einen PSL holen. Ich konnte nicht anders. Irgendwann fühlte es sich so an, als würde ich Lesungen nur zusagen, um mir den PSL fix zu holen. Ich brauchte diese Ausrede, diese Ausnahmesituation, um zu Starbucks zu gehen. Weil: Zu Starbucks gehen, das macht man doch nicht. Das ist nicht Teil meines Repertoires, der Kaffee ist zu groß, zu teuer und die Leute werden da ausgebeutet. Zu Starbucks gehen fühlt sich an, als würde ich mit meinen Werten brechen. Kapitalismuskritisch? So definitiv nicht.

Aber irgendwas an PSL ist wie eine gerechtfertige Ausnahme: ein verschobenes Zeichen, so oft umcodiert, dass es nicht mehr nur nichts bedeutet, sondern wiederständig wird. Kann das most basic Getränk eine Form kultureller Auflehnung sein? Ist Pumpkin Spice das Gewürz der Gerechtigkeit?!

Wenn ich Leuten erzähle, dass ich PSL liebe, dann freuen sie sich für mich, so als würde ich ihnen sagen, dass ich schwul bin und sie reagieren mit irgendeinem aus dem Kontext gefallen Drag-Slang: Wow, it’s giving self realization. You own that drin. Aber in meinem Selbstbild ist fest verankert, dass ich nicht auf Marketing reinfallen will. Pumpkin Spice Latte ist, ich habs nachgelesen, eine Erfindung von Starbucks und das beliebteste saisonale Getränk. Spannend finde ich, dass PSL 2003 geboren wurde und damit ist schon viel über die frühen 00er-Jahre gesagt. Anfang der 2010er wurde PSL offiziell zu einem basic Getränk erklärt und das Internet schoss sich darauf ein, dass alles mit Pumpkin Spice irgendwie uncool ist.

Es ist aber nicht der Appeal von PSL an sich, der mich reizt, es sind der Geschmack und die Saisonalität. Ich finde Pumpkin Spice ist eine sehr gelungene Mischung aus wärmenden und leckeren Gewürzen. Irgendwo zwischen Zimt, Muskat, Nelken und Piment will ich mich einmummeln und ganz kurz die Sorgen der Welt vergessen. Interessanterweise hat Pumpkin Spice keinen Kürbis in sich, aber ist eine Gewürzmischung für Kürbis, unter anderem Kürbiskuchen. Und diese heimelige Gewürzkombination geht auch ohne Kürbis gut auf. It is giving self care. Mehr als jedes andere Getränk. Deswegen rede ich mir auch gerne ein, dass PSL irgendwie gesund ist, so wie es gesund ist, sich morgens Zimt aufs Müsli zu streuen, weil irgendwas mit dem Darm. Mir tut das jedenfalls gut.

So viel zum Thema Genuss, aber die Freude am PSL kommt auch aus dem pervertierten Spiel mit kulturellen Codes. Es ist der Bruch mit meinem Ich-Konzept, der bewusste Bruch, aber auch das Eingeständnis an meine innere Karen: Manchmal will ich einfach basic sein und so gesamtgesellschaftlich anschlussfähige Dinge tun. Ist es out of character für mich, wenn ich mir einmal die Woche für ein paar Wochen im Jahr ein überteuertes Getränk hole, dass angeblich so basic ist, dass das ganze 2010er-Jahre-Internet darauf verständigt hat? Was ist der character, was ist das Bild, das ich von mir zeichnen will?

Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht mehr. Jetzt, wo alles Branding geworden ist, wo jede Geste, jedes Getränk und jeder Einkauf komplexe Haltungen transportieren soll, gebe ich einfach auf. Meine Brand ist kaputt. Mein Branding ist stillgelegt. Ich folge nur noch meinen überstimulierten Geschmacksnerven und wenn ich einen kleinen Treat brauche, eine kleine Belohnung, und wenn das Craving nach PSL kickt, dann werde ich das tun. Wir stehen vor so vielen Herausforderungen in der Welt, das meine persönliche Brand, entweder in realen Interaktionen oder online, doch wirklich egal ist. Bin ich basic? Bin ich langweilig? Das Risiko will ich eingehen, wenn ich dafür im Gegenzug den After-Glow von PSL im Bauch hab.

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