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Nur perfekt.

Gedanken über das Streben nach kreativer Perfektion und warum wir unsere Zeit mit dieser Unmöglichkeit verschwenden oder: Eine Ode an die fehlerhafte Kunst!

Immer wieder tut sich mir die Frage auf, was mich eigentlich davon abhält, meine Kunst zu zeigen. Warum fällt es mir so schwer, meine Werke zu veröffentlichen, wo ich doch Herz und Seele in mein Schreiben stecke und den Prozess so sehr genieße? Meistens, weil ich meine kreative Arbeit nicht gut genug finde. Ich habe Angst davor, etwas Falsches zu schreiben, die falschen Themen zu wählen und mich nicht perfekt zu artikulieren. Die Furcht davor, nicht gut genug zu schreiben hat nichts damit zu tun, dass ich alles perfekt machen möchte. Oder doch? Liegt das Streben nach Perfektion etwa in der Natur des Menschen? Vermutlich wünschen wir uns alle Anerkennung, Lob und positive Kritiken für unser Tun, egal ob es nun um kreative Angelegenheiten geht oder die besten Bewertungen von Kund:innen und Vorgesetzten im Brotjob. Während es in diesem allerdings einfach nur irgendwie schön und auch angenehmer ist, Lob statt Rüge zu kassieren, geht es in schriftstellerischer Hinsicht ganz konkret ans Eingemachte. Klar, das Schreiben ist für mich eine ganz intime Sache, die sich mit Gedanken auseinandersetzt, über die ich vielleicht nicht einmal mit meinen engsten Freund:innen spreche. Manche Dinge sind einfach zu nah, zu tief, um sie auszusprechen, doch eingehüllt in den schützenden Mantel der Kunst wagen sie den Schritt nach draußen und lassen mich darüber nachdenken, ob dieser nun Versteck oder Türöffner ist. Ich denke beides. Oder etwas dazwischen.

Über das dazwischen habe ich erst gestern eine Unterhaltung mit einem kreativen Menschen geführt, den ich frisch kennengelernt habe. Nachdem er mir erzählt hatte, er sei Musiker und ich erwiderte, Autorin zu sein, lag schlagartig eine Vertrautheit in der Luft, die uns beiden das Gefühl vollkommener Sicherheit schenkte. So ist das, wenn zwei kreative Sonderlinge aufeinandertreffen und sich in Sachen Nerdigkeit nicht vorsorglich zurücknehmen. Dann sind auf einmal Türen für Gespräche offen, die man sonst nur zu schreiben vermag. Er sprach darüber, wie schwer es ihm fällt, seine Musik zu veröffentlichen, wenn er sie noch nicht für perfekt hält. Dabei gehe es nur um Nuancen, die mit größter Wahrscheinlichkeit nur ihm selbst auffallen und am Ende vielleicht sogar die winzige Unvollkommenheit sind, die das Stück tatsächlich perfekt machen. Dieser Musiker hält es nun ähnlich wie ich und veröffentlicht seine Kunst in regelmäßigen Abständen, ganz gleich wie viel Überwindung es ihn kostet. Hierzu fällt mir spontan ein Lied von Reinhard Mey ein, in dem er singt:

„..ein Stück Musik von Hand gemacht,

noch von einem echten Menschen mit nem Kopf erdacht,

ne Gitarre, die nur so wie ne Gitarre klingt

und ne Stimme, die sich anhört, als ob da einer singt.

Halt ein Stück Musik aus Fleisch und Blut,

meinetwegen auch mal mit nem kleinen Fehler,

das tut gut.“

In Bezug auf Musik ist dieser Mut zur Unperfektheit eine große Bereicherung, denn wie viele Live-Aufnahmen von Künstler:innen sind so viel erfolgreicher als die cleane Studioversion, weil sie einfach authentisch klingt und man diesem Menschen, der sich durch seine Musik offenbart, seine Emotionen wirklich abkauft, wenn vor Rührung die hohe Note nicht gelingt oder der Griff auf der Gitarre einen halben Ton daneben geht. Zumindest geht es mir so.

Aber zurück zum dazwischen und wie man die Vollkommenheit des Unperfekten auf das geschriebene Wort übertragen kann. Kann ein Buch auch einen Halbton daneben liegen und dadurch erst zum Erfolg werden? Und wann ist ein Buch, eine Geschichte, ein Gedicht eigentlich gut und wann schlecht? Diese Frage habe ich mir schon so oft gestellt und die Antwort ist wohl mal wieder so individuell wie wir es eben sind. Jedenfalls unterhielten wir uns darüber, dass man als Kunst-Konsument:in gerne mal dazu neigt, Werke sogleich in gut oder schlecht zu kategorisieren. Dabei gibt es so viel Raum dazwischen und auch ganz andere Fragen, die man stellen kann, als die nach einer Bewertung. Was löst Kunst in uns aus? Womit verbinden wir diese Emotion? Haben wir die Geschichte so erwartet? Warum berührt sie uns auf diese Art und Weise? Lasst uns etwas Abstand nehmen von dieser Einordnung und Bewertung. Kunst ist für uns alle da, als Schaffende und Konsumierende.

Musiker und Autorin sind an diesem Abend zu dem Schluss gekommen, dass wir unsere Kunst für uns selbst machen. Einzig und allein für uns, weil wir es gerne tun und unserer Leidenschaft nachgehen wollen. Und wenn sie anderen gefällt, dann ist das großartig! Aber Kunst ist nicht dazu da, so geschaffen zu werden, dass sie anderen gefällt. Sie muss immer an erster Stelle den/die Künstler:in erfüllen. Jetzt magst du vielleicht sagen: Ja, ist doch klar! Die Sache ist absolut klar und an dieser Stelle auch keine Neuigkeit. Doch diese Selbstverständlichkeit in der Praxis umzusetzen und Gefahr zu laufen, nicht in den Augen der breiten Masse perfekt zu sein, sich unsympathisch zu machen mit seinem Schaffen, das passiert in den meisten Fällen nicht einfach so. Gerade eine kreative Grübelnase wie ich es bin, muss immer wieder den Mut zur Einzigartigkeit sammeln, obwohl genau das doch der ganze Punkt ist.

Das Streben nach kreativer Perfektion ist wohl einfach ein sinnloses Unterfangen, das zum Scheitern verurteilt ist, weil es sie schlichtweg nicht gibt. Man könnte Perfektion nun einfach durch Einzigartigkeit ersetzen und eben danach streben. Aber Einzigartigkeit ist doch nichts, was man erreicht oder sich erarbeitet - wir sind doch alle bereits absolute Unikate! Es gilt wohl eher, ein paar Dinge zu entfernen, die unseren Kern unsichtbar und vielleicht auch weniger fühlbar machen, weil wir so daran gewöhnt sind, dass Anpassung der richtige Weg ist. Wieder einmal möchte ich uns ermutigen, sich nicht anzupassen und das, was wir fühlen, nicht beiseite zu schieben, sondern genauso roh und unperfekt aufzuschreiben, wie es vor uns steht.

DAS sind wir. DAS ist unsere Kunst. DAS ist unsere Einzigartigkeit.

Mit diesem Zitat von Julia Cameron möchte ich dir und deiner Kreativität nun ein wenig Raum schenken. Völlig aufrichtig zu schreiben und unsere Einzigartigkeit zu zelebrieren ist eine Sache, die Zeit und Vertrauen braucht, eine Verbindung zu uns selbst, die wir uns im Rahmen der normkonformen Erwartungen fleißig wegtrainiert haben. In vielen Fällen, ich bin ganz klar ein solcher Fall. Es soll kein weiteres To-do auf deiner Liste sein, vielmehr eine Einladung zu dir selbst, die du einlösen kannst, wann immer du bereit bist einmal vorbeizuschauen.

Bis nächste Woche!

Alles Liebe

deine Sarah

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