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Wo schreibst du?

Über die Frage, welche Auswirkungen das Wo und Wie auf unser Schreiben hat, ob wir diese gezielt einsetzen können und wie viel unsere Texte mit uns selbst zu tun haben.

Ihr Lieben, diesmal sitze ich schon am Donnerstagnachmittag eingerollt in meinem rosa Sessel und schreibe meine Sonntagszeilen. Wenn die Inspiration da ist, dann kann sie nicht bis Freitag oder Samstag warten und schert sich nicht im Geringsten um meine Routine. Also tippen meine Finger in einer einzigen fließenden Bewegung Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort, Satz für Satz in das flimmernde Weiß. Es ist einer dieser Momente, der genau so passiert, wie man sich das Schriftsteller:innendasein immer vorstellt: Ich komme von einem Treffen im Café am Ku´damm, wurde auf dem Nachhauseweg vom Regen überrascht und schmunzele immer noch über einen kleinen Jungen, der freudestrahlend in die größte Pfütze auf dem Gehweg hüpfte und dabei ein paar Umstehende unter Wasser setzte. Ich dachte beim Überqueren der Straße daran, mit wem ich jetzt gerne im Regen tanzen würde und lächelte in das frühlingswarme Nass. Zuhause angekommen schälte ich mich aus den nassen Klamotten, setzte Tee auf, startete eine meiner Schreib-Playlists und klappte meinen Laptop auf. Eine Bilderbuch-Schreib-Szene, die in einem beinahe ekstatischen Zustand des Schreibens mündet. Nein, das finde ich ganz und gar nicht übertrieben oder kitschig. Es fühlt sich genauso an. Würde ich jetzt genauso eifrig tippend am Fenster sitzen, wenn strahlender Sonnenschein vor meiner Nase und ein Acht-Stunden-Arbeitstag hinter mir lägen? Oder nur eine Winzigkeit an diesem Tag anders gekommen wäre? Welche Worte würdet ihr dann jetzt in diesem Moment wohl von mir lesen und vor allem: Wie fühlten sie sich an?

Ich denke darüber nach, welche Auswirkungen das Setting auf unser Schreiben hat. In Gesprächen mit anderen aktiv kreativen Menschen und nach dem ein oder anderen Podcast mit Künstler:innen, die von ihrem Tun berichten, wird schnell klar, dass hier drastische Unterschiede existieren. Zum Glück, sonst würde die Kunst wohl recht eintönig wirken, vielleicht aber auch nicht. Es gibt Künstler:innen, die arbeiten am liebsten umgeben von kahlen weißen Wänden, mit zugezogenen Vorhängen und nur einem kleinen Licht, auf das Wesentliche gerichtet. Eine allumfassende Stille für den totalen Fokus. Jegliches Gefühl für Zeit und Raum wird ausgeschlossen, damit die Ideen fließen und sich voll entfalten können. Ich habe schon erlebt, dass Menschen mehrere Tage im totalen Flugmodus verbrachten und mit einem formvollendeten Werk plötzlich wieder auftauchten. Kein Tageslicht, kein Vogelzwitschern, keine Musik. Was für diese Menschen hervorragend zu funktionieren scheint, wäre wohl der Tod meiner eigenen Kreativität. Diese braucht nämlich Sonnenaufgänge, das glühende Abendrot, Regenbögen, das Rauschen der Stadt, Stimmen, die sich in meine Ideen einmischen, Tapetenwechsel, Tageszeiten, Uhrzeiten. Was für einige andere wiederum viel zu viel Input wäre, lockt bei mir selbst die hartnäckigsten Worte und Gedanken aus der Reserve. Zu sehr brauche ich die Verknüpfung zu meinem realen Empfinden beim Schreiben meiner Texte. Nicht nur einmal wurde eine Geschichte nach Tagen in schriftstellerischer Einsamkeit beim Schreiben im gut besuchten Café erst richtig rund. Zwischen diesen beiden Vorgehensweisen liegen vermutlich unzählbare weitere Varianten und wir alle müssen eben die finden, die für uns funktioniert, auch wenn sie für diejenigen, die es anders machen vielleicht wahnsinnig klingt. Wir machen alle unsere eigene Kunst, auf unsere individuelle Art und Weise.

Ob sich die Auswirkungen unseres Schreibumfeldes wohl kontrolliert auf unsere Texte übertragen lassen? Lässt sich eine Story, die in der Großstadt spielt, nicht auch viel besser schreiben, wenn man sich dabei tatsächlich in einer städtischen Umgebung aufhält oder gelingt die Szene der stürmischen Mordnacht vielleicht noch ein klein wenig spannender, wenn es tatsächlich vor meinem Fenster stürmt und gewittert und dicke Regentropfen mit dumpfem Klang an meine Fenster schlagen? Berührt der Liebeskummer meiner Protagonistin nicht viel tiefer, wenn ich ihn aus meinen eigenen schmerzvollsten Erinnerungen erschaffe oder sorgt das nur für Chaos?

Diese Gedankengänge führten mich zum Begriff „Method Writing“, dem Method Acting des Schreibens. Ob ich mich wie einst Heath Ledger nun für einen Monat in einem Hotelzimmer isoliere, um mich auf einen Charakter einzulassen, werden wir noch sehen.

Wer solche Geschichten mag, diese über Menschen, die sich bewusst von der Außenwelt abschotten, um sich selbst und anderen Dingen auf den Grund zu gehen, darf gerne diesem Buchtipp folgen, einem Roman von Robert Gwisdek:

Bereits vor einiger Zeit stellte ich mir die Frage, ob wir überhaupt etwas schreiben können, das rein gar nichts mit uns selbst zu tun hat. Selbst wenn wir Geschichten schreiben, die nicht weiter weg von unserer eigenen Realität sein könnten, beinhalten sie doch immer einen Funken unserer Autobiografie. Oder nicht? Ich kann die Frage noch immer nicht allgemeingültig beantworten, doch in meinem Fall erscheint es mir nahezu unmöglich, völlig losgelöst von mir selbst zu schreiben. Jede Figur oder Szene, die ich erschaffe, enthält eine Prise meiner selbst, meiner Erfahrungen, Sehnsüchte oder ist das Produkt einer Vermischung von Personen aus meinem Umfeld, und wenn es nur eine Figur ist, von der ich einmal gelesen habe - sie war doch einmal Teil meines Erlebens. Vermutlich ist das Ganze wieder mal Auslegungssache, doch ich für meinen Teil erachte diese Tatsache als höchst spannend und frage mich gerne, wessen Charakterzüge wohl in den Protagonist:innen meiner Lektüre stecken…

Bis nächste Woche!

Alles Liebe

deine Sarah

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