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Untergrund und Unvermögen

Capoeira Origami

Aufregende Zeiten! Was wir uns früher gewünscht haben und heute als Fluch aufgefasst wird, erfasst uns Zeithistoriker:innen immer dann, wenn einerseits unser Fach im Persönlichen versinkt, also sich Individuen danebenbenehmen, und dann, wenn unsere Disziplin sich irgendwie mit dem Strafrecht vermengt. Beides ist zuletzt passiert.

Seit Wochen schwelt nun über dem „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ die Affäre Vosgerau, weil jener nicht nur das wohl AfD-nächste existierende CDU-Mitglied ist, sondern nebenbei auch noch Privatdozent für Jura (auch wenn er den PD demnächst verlieren könnte (Öffnet in neuem Fenster)), weshalb er Mitglied des „Netzwerks“ sein darf. Vosgerau hat am Potsdamer Treffen teilgenommen, laut eigener Aussage, weil er den österreichischen Rechtsextremen Martin Sellner einmal persönlich kennenlernen wollte.

Nun würde ein professorales Netzwerk, das sich ausschließlich der Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit verschrieben hat, natürlich in Verlegenheit kommen: Hier ist jemand, der sich ganz offensichtlich in Zirkeln wohlfühlt, für die Freiheit an der Hautfarbe endet. Aber das Netzwerk ist ja eben kein monothematischer Interessenverband, sondern in allererster Linie ein konservativer Selbstvergewisserungsclub, in dem Vosgerau gut aufgehoben ist – das Potsdamer Treffen ist deshalb weniger ein inhaltliches als ein Kommunikationsproblem. Und mit Kommunikation kennt man sich dort aus, schließlich gilt es den großen Feind, nämlich alles, was irgendwie „woke“ ist, zu bekämpfen – und das mit oft bemerkenswert schlichten Mitteln.

Erst im vergangenen Oktober (Öffnet in neuem Fenster) verschickte das Netzwerk einen Brief an „alle Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz“, in dem es die Sorge ausdrückt, „kritische wissenschaftliche Stimmen“ würden vom Diskurs über (Post-)Kolonialismus ausgeschlossen, um im direkten Anschluss eine Debatte zu fordern, ob postmoderne Ansätze „als faktisches Standardparadigma an deutschsprachigen Universitäten, Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen etabliert werden dürfen und sollen.“ Oder kurz: Das Netzwerk fordert, dass seine eigene politische Haltung jederzeit und überall Rederecht haben müsse und möchte darüber hinaus diskutieren, ob man nicht eine davon abweichende politische Haltung aus der deutschen Wissenschaft fernhalten könne. Jedenfalls als „Paradigma“. Diese Denkweise, für eine Verbindung aus ungefähr 700 habilitierten Menschen erstaunlich schlicht, erinnert an die Vorwürfe einer „ideologischen Klimapolitik“, deren eigene unreflektierte Ideologie „Alles soll bleiben, wie es ist“ lautet.

Aber wo wir gerade dabei sind: Über Capoeira hätte ich überhaupt nichts gewusst, hätte ich nicht vor knapp vier Jahren einen Beitrag dazu (Öffnet in neuem Fenster) redaktionell betreut, der es als „post-kolonialen Kampfsport“ bezeichnet, also die schlimmste Idee, die man sich beim Netzwerk Dingensbummens vorstellen kann. Und als hätte das nicht gereicht, hat Daniela Klette, die nun nach 30 Jahren im sehr oberirdischen Untergrund festgenommen wurde, über Jahre Capoeira betrieben, Kindern beigebracht, auf der Straße getanzt, und so weiter. Das ist ja das eigentlich Neue das sich nun ergeben hat, wie vollkommen normal man leben kann, solange man nicht mit einer Panzerfaust einen Geldtransportfahrer (also jemanden, der bei Proletariat eigentlich mitgemeint sein sollte) bedroht um sich die Wohnung, das Essen und die Arzttermine als Selbstzahler (da gibt’s immerhin schnell Termine) leisten zu können.

Die Pressekonferenz zur Verhaftung war dann auch nur auf den ersten Blick business as usual und auf den zweiten, kritischeren Blick ein Meisterstück in Auslassungen: Auch auf genauere Nachfragen wurde nie ausdrücklich erwähnt, ob Klette nun wegen irgendwelcher terroristischen Bestrebungen angeklagt werden könne – die Meinungen und Informationen gehen da offenbar ohnehin auseinander. Aber nach allem, was wir bisher wissen, ist in dieser Woche eine Frau wegen des Verdachts von schweren Raubüberfällen festgenommen worden, nicht wegen eines Terrorverdachtes. Da kollidieren dann nämlich Recht und Geschichtsschreibung: Wo das eine verjährt, fängt das andere erst wirklich an.

Robert Wolff (mit dem ich an anderer Stelle eng zusammenarbeite, zur Transparenz) hat im Spiegel (Öffnet in neuem Fenster) den Verdacht geäußert, dass zumindest der Verfassungsschutz schon länger wusste, dass Klette sich in Berlin aufhält, und ich halte das für durchaus plausibel: Abgesehen von der Episode mit der Panzerfaust wissen wir wenig über Klettes frühere oder heutige Gewaltbereitschaft, es ist durchaus plausibel, dass man sie kontrolliert beobachtete in der Hoffnung, über sie die beiden anderen Flüchtigen zu finden oder Erkenntnisse über bis heute bestehende Unterstützungsnetzwerke zu erlangen. Dass Klette offenbar mehrfach nach Brasilien und zurückreisen konnte, spricht gleichzeitig dafür, dass es eben kein großes Netzwerk gibt: Ein solches könnte sie nämlich in Südamerika mit genug Geld für ein auskömmliches Leben versorgen, Klette musste aber offenbar für Überfälle wieder zurück nach Deutschland.

Es wird nun spannend, ob sie irgendwann über ihre Zeit in der RAF und danach redet. Es wäre ihr gutes Recht das nicht zu tun, es würde uns viel helfen, wenn doch. Denn wir wissen immer noch viel nicht über die sogenannte „dritte Generation“ der RAF, die in den Medien gerade als ein unumstößliches Faktum vorkommt – als ob man zum Eintritt einen Mitgliedsausweis ausgestellt bekommen hätte, und bei Baader und Meinhof fing die Eintrittsnummer mit 1 an, bei Klette mit 3. So einfach ist es nicht, und es ist durchaus denkbar, dass die mit dem Thema betrauten Staatsanwaltschaften es bei den schweren Raubüberfällen belassen, um nicht in die Verlegenheit zu kommen, eine Mitgliedschaft beweisen zu müssen, die aus mehr als Fingerabdrücken und Haarwurzeln bestanden hat. Denn mit „Plausibilität“ kann sich meine Zunft in die Fußnoten retten, vor Gericht reicht das üblicherweise nicht aus.

Was sonst noch war:

Für die Friedrich-Ebert-Stiftung habe ich in der Reihe “FES history Impuls” einen Beitrag über Geschichtspolitik und linken wie rechten Populismus schreiben dürfen, in der vergangenen Woche ist er erschienen und als PDF wie gedruckt hier zu bekommen: FEShistory Impuls #2 (Öffnet in neuem Fenster)

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