Spiegel - LG - Verklebte Hände
Von Karina Finkenau

An Uns! Und ein wenig auch Spiegel geben für die „Letzte Generation”
Viele Aufrufe, Anträge, Briefe
Reden in Gemeinschaften, Kneipen, Schulen,
Seminaren, Fortbildungen.
Aufrufe, Mahnungen, Warnungen,
Exposés von Wissenschaftlern, Technikern, Forschern
von Schriftstellern, Philosophen, …
Viel Geschehen und sichtbares Leid
von Wassern, die über Länder gehen
von Feuern, die sich durch Dörfer, Städte und Wälder fressen
von Dürre und Hunger und Ertrinken und Erfrieren
Stacheldraht, Mauern, Grenzen, Abschottungen,
Vertreibungen, Ausrottungen, Hinrichtungen, Kriegen
von Meeren die zu Gräbern wurden,
von Wüsten die Leben spurlos ausgelöscht, …
Aber der Mensch fährt fort, als gäbe es weder Weg noch Eingreifen,
Augen, die nicht sehen, Ohren, die nicht hören, Hände, die lahm sind,
der Mensch fortgefallen, sitzt am Schalter,
allein gehorchen, aufgeben, wegsehen muss reichen
was hat er anderes gelernt, was ist schon Wunsch und Wille
und Bestimmung und Entscheidungen, … die Angst allein …
Und jetzt braucht es den Mensch, der selber denkt,
der leben will was für ihn Freude und Verantwortung, Sinn ist
der Mensch müsste den Motor stoppen,
die Maschine rast auf den Abgrund zu, auf das Ende menschlichen Lebens
die ausgebeutete Erde schreit! Der Mensch sieht es, weiß es! Nur, …
Das Ruder rumreißen ist dem Mensch noch möglich, hier und jetzt,
in solidarischem Zusammenklang könnte es gelingen
im ersten Schritt ist jeder allein, … die Hand öffnen und entgegenhalten,
hier vor dem Schalter, vor dem neuen Tag, vor jeglichem Entschluss
ist jeder ganz auf sich gestellt und allein, einsam mit seinem Sein.
Und die Fragen sind übergroß, und jede Antwort unsichtbar und fern
Verantwortung bricht über jeden herein und sie erbarmt sich nicht.
Einen Weg durchs Meer muss jetzt jeder bauen
und weiß doch, dass er nicht Moses ist
Jetzt gilt es Wasser aus dem Felsen zu schlagen,
denn jeder Nächste wird verdursten,
jetzt gilt es Meere zu spalten, um Wege zu schaffen
jetzt das Feuer spalten, damit ein Fluchtweg bleibt
wo Du auch bist, viele Hände braucht es
den harten Felsen, der vor aller Leben steht,
den schlimmen Brocken, den wir selbst erschaffen,
aus dem Wege zu räumen, aus dem Wege zu schmelzen.
Mensch, wenn du jetzt nicht Wahrheit sehen willst,
Wahrheit bekennst und lebst, Hilfe suchst und bietest? …
Viele Rufe, die durch Straßen hallten,
Kinder, die verstanden und nach Verantworten griffen
und nach den Taten, die diese in sich trägt,
Kinder riefen, Mensch, oh Mensch, …
du brichst wahllos Regeln zu deinen Gunsten,
färbst Wahrheiten ein bis sie zu Lügen werden,
wir aber finden keine Zukunft mehr,
und sind gezwungen Regeln zu brechen
und können diese nicht um ihrer selbst willen regieren lassen.
Gesetze sind geschrieben für ein gesundes Zusammenleben aller Kreaturen,
in denen Zukunft sanft hinter Horizonten wartet,
sie tragen Gesellschaften einem allgemeinen Frieden zu
dienen lebenserhaltend einem Miteinander zu.
Wenn sie sich aber gegen den Frieden, gegen die Verantwortung stellen,
wenn die Gemeinschaft einer Gesellschaft nur mehr für die Gesetzte lebt
ohne deren Sinn, wenn sie sogar wider ihren eigenen Sinn handelt,
und der Horizont plötzlich das Ende ist,
was bleibt, als ein Umgehen dieser Regeln, ein Brechen der Gesetze,
ein dagegen Schreien? …
Das Warme auf und ab bekannter Gewohnheiten,
die geborgen halten und einlullen ohne ein Schaffen können
in ein Einfach-Nicht-Tun ohne Fragen, ohne erschreckendes Verantworten,
sondern stoppten ihre gewohnte Pflicht und wagten es,
dass sich-an-Regeln-schuldig-machen,
Laut war das Oh und das AH
Erwachsene zogen verstehend mit,
den kurzen Frühling des Lebens, der Jugend,
und gewagter Konsequenz gönnend Raum und Unterstützung bringen
aber was es dann wieder dennoch gilt, lieber schnell vergessen,
untergehen lassen im Getümmel, im Weiter-So,
es geht nicht anders, es war schon immer so.
Bis einige fragten, wo, wo träfe ich sie nur, wo ist die Tür,
dass sie verständen den Sachverhalt der Zeit,
und da blieb ihnen erstmal nur das Auto und der Straßenasphalt,
einen Spiegel, der ein Detail schnell offenbart:
Wir sind es alle, die an Straßen kleben,
eben an dem Erhalt von Gewohnheiten,
wer aber oder was hat die Stärke, unsere Hände zu lösen
von veralteten irreführenden Straßen, Ordnungen, Separierenden, Gerüsten,
die jetzt Schaden bringen von zerstörender Gewalt!
Wir kleben als sei nichts mehr zu machen,
wir beharren, halten und ja, kleben fest,
den starren Nacken nach hinten gewandt.
Hier an der Sperre, dem Bruch in den Alltag,
plötzlich in Eile angehalten, jähes Unterbrochen-Sein,
kurzes Fieber, das herausreisst, ein Unfall, der anschließend wie fortgeblasen,
das Gesicht von Tod zwischen die Zeit getreten, ohne dass er Eintritt,
eine Art Ausstellung für uns, die kurz anspricht, was sein könnte,
ein Stau aufgebrachter Gefühle, uns wiederzugeben, zu finden,
ein winziger Vorgeschmack, von dem, was übermächtig bei uns eintreten wird, wenn, …
die Folgen unseres Umgangs mit der Natur und den Menschen und uns selbst, über uns hereinbricht.
Was aber, wenn es nicht nur ein kurzes Gesicht, ein Alarm wäre, was wenn, …
zu welcher Arbeit, Prüfung, Vorstellung, Behandlung könnte man dann noch fahren?
Welches Kind abholen, nach Hause bringen, wenn die Erde aufbricht?
Welches tete a tete, und welchen Termin, wenn die vielen Tränen Flüsse bauen?

Hier vielleicht sind es 120 Minuten und keiner kommt zu Schaden,
außer dem, den unsere klebrige Art selbst verursacht hat?
Was bürden wir denen auf? …
Arbeit, Stress, Angst, den aufzubringenden Mut,
die Bereitschaft zu großem eigenen Verlust auf sich zu nehmen um unseres Willens.
Sie, die uns den Spiegel halten, die uns alarmierend,
mit Händen schmerzhaft an Straßen verklebt,
bekämpfen wir zu guter Letzt, bestrafen wir hart für das Bild,
das uns aus den Spiegeln anstarrt.
„Du hast einen großen Fleck aus ätzender Creme im Gesicht,
du musst was tun !“
„Dafür, dass du es mir zu sagen wagst, werde ich dich zunichte machen.“
Fort den Spiegel, den Alarm.
Ein Verbrechen ist das.
Er zeigt nur: Wir sind es alle, mit unserer Art, die den Stau bauen,
mit unserem festklebenden Behindern,
schaffen wir unendliches Leid und Tod, die ganze Zeit, schon über Jahre. …
Die Menschen, wir, konnten, können wählen, denken wir nach!
Mit “Ja und Amen” und Danke und “Schon gut” ist es nicht getan.
Auf diese Weise, angehalten, herausgerissen aus dem Alltag,
das Hamsterrad gestoppt,
ein Stock geworfen in Speichen, ein jäher Ruck, Angst vor unserem Versagen,
vor unserem Nicht-Mehr-Mithalten, vor unserem Hinausgeworfen-Sein
und wir erahnen, verstehen schmerzlich: Es kann so nicht mehr sein.
Wir werden herausgebrochen aus unserem gewohnten Sein,
wir schaufeln den Weg zu, der uns Rettung wäre,
nur weil wir nicht sehen wollen
und uns ein Neugestalten nicht zutrauen.
Wir vergessen, dass wir einander haben und eine Menschheit sind,
die Großes leisten kann, Großes, dass wir uns alle retten
und uns neu erschaffen aus Liebe zu dieser Welt!
Wir aber schreien der Wahrheit ins Gesicht,
du bist der Schuldige, den es zu töten gilt!
Wer es wagt zu sagen,
dass dieser weitere Stein uns unseren Überlebensweg versperrt,
den sperren wir ein, dem zerbrechen wir sein Leben,
er muss es für die Lüge geben!
Er ist kriminell, der, der den Spiegel hebt, der erfahren macht,
dass unser Durchziehen einmal stille steht, jäh unterbrochen.
Dank ihnen können wir unsere aufgebrochene Wahrheit
in eigenem Leib und Alltag erfahren.
Es sind wir, die gelöst werden müssen
von den eingefahrenen, ausbeutenden Straßen des Verkehrssystems,
des Kapitals.
Wir sind es, die in Gewahrsam schieben und in Gefängnisse,
um nicht sehenden Auges
um unser eigenes Verderben zu wissen und es zu erschaffen.
Und immer will der Mensch den Spiegel zerschlagen,
der ihm Hilfe und Erkenntnis spricht und Voraussetzung ist,
den von sich selbst gewünschten eigenen Weg wiederzufinden.
Weine nicht, hilf dem eigenen Gesicht,
erneut zu Aufbruch und das reinigende klare Wasser zu finden.
Du kannst dich noch zu Dir hinwenden,
Du hast noch Zeit zu wählen,
denn hebst du nur das erste Bein in einen ersten Schritt, …
es würden dann ja alle sein und ein Gehen bräche an,
neuen Pfade und andere Spuren zu setzen.
Danke dem Alarm, danke dem Alarm, verurteile nicht!
Löse deine tätigen Hände von festgefahrenem Zerstören,
von Leugnung und Verrat, von überaltem Halt, und wage neu zu gehen.
Vertraue dem Morgenden und baue nach deinem Sehnen den Tag.
Gebe frei!
Damit sie winkend Windbewegung bringen und uns Fliegen machen,
und wir beginnen das Heilen langer Zeiten Leides.
Wenn die Wahrheit spricht, verurteile sie nicht als kriminell,
und steige nicht in die Gefangenschaft der Lüge, die Enge bringt,
Diktat und Separation, eine Menschheit in Solidarität, der Wahrheit offen, könnte noch alles retten.
Dann an die Spiegelnden,
die uns unsere festgeklebten Hände ins Bewusstsein brachten.

Mehr zur Autorin:

Karina Finkenau
Philosophin, Künstlerin & Schriftstellerin

Die Brücken über die Wunden
sind die Schöpferkraft
die nach vorne gehende Tat
die Halt bietet
Karina Finkenau

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