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Der Ri:Newsleisure

Liebe Leserinnen und Leser,

diese Woche gibt es vor allem eines zu verkünden: den Gewinner unseres Aufsatzwettbewerbs! Doch wir haben uns auch aktueller Digitalisierungsthemen angenommen, die Deutschland und die Welt derzeit umtreiben.

Viel Freude beim Lesen!

Das Ri:Team

Byung Jin Park gewinnt Aufsatzwettbewerb der Recht innovativ (Ri) (Öffnet in neuem Fenster) zum Thema Redefreiheit und Louis D. Brandeis

In seinem Beitrag „Crossover Redefreiheit (Öffnet in neuem Fenster)“ benötigt Byung Jin Park (Öffnet in neuem Fenster) nur wenige Zeilen, um Louis D. Brandeis in die Gegenwart zu holen. Methodisch begegnet er der Frage, welche Bedeutung Brandeis‘ Wirken für die Redefreiheit im 21. Jahrhundert hat, indem er sein Ohr auf die Schiene der Geschichte legt und zunächst einmal zuhört, wie Menschen aus verschiedenen Epochen die Redefreiheit mit Leben füllen, ob einem dies inhaltlich nun zusagt oder nicht. Der Beitrag macht sich hierdurch darum verdient, auch Lesenden, die mit Brandeis‘ Werk nicht vertraut sind, dessen fortbestehende Bedeutung plastisch näherzubringen. Park zeigt damit zugleich auf, dass die gegenwärtigen Herausforderungen rund um die Redefreiheit sich im digitalen Zeitalter zwar neu eingekleidet haben, gleichwohl aber über Jahrzehnte und Jahrhunderte entlang derselben langen Diskussionslinien verlaufen. Ein Ende des Ringens um Bestand, Schutz und Reichweite der Redefreiheit ist damit nicht in Sicht. Gut so! Wir hoffen, dass unser Preisträger Byung Jin Park sich auch in Zukunft mit so einfallsreichen Einwürfen wie seinem Beitrag „Crossover Redefreiheit“ einbringt.

Das Preisgeld von 1.000,00 EUR wurde vom Sponsor Harvard Club Rhein-Main e.V. (Öffnet in neuem Fenster) bereitgestellt.

Wir danken dem Autor Byung Jin Park und dem Sponsor Harvard Club Rhein-Main e.V. herzlich!

Das PDF des Artikels ist für Ri:Leser:innen hier (Öffnet in neuem Fenster) abrufbar.

News in a nutshell

1. "Not a bug, but a feature" - auch im beA...

Spätestens seit der Virusvariante Omikron sind uns Klassifizierungen ein Begriff. IT-Sicherheitsrisiken werden ebenfalls klassifiziert. Sie werden in der CVE-Datenbank erfasst (Common Vulnerabilities and Exposures). Das Common Vulnerability Scoring System (CVSS (Öffnet in neuem Fenster)) erfasst dabei die Gefährlichkeit anhand verschiedener Kriterien (Angriffsvektor, notwendige User-Interaktion und dergleichen). Hohe Werte sind selten. Was sich seit Ende letzter Woche offenbart, schaffte auf Anhieb die höchste Score von 10.0: "Log4shell" (CVE-2021-4428) (Öffnet in neuem Fenster) war da. Es beschreibt eine Schwachstelle in der Java-Programmbibliothek namens Log4j, die der Protokollierung dient. Wird Log4j für die Protokollierung von durch Nutzer beeinflussbare Zeichenfolgen eingesetzt, kann Schadcode eingebracht und ausgeführt werden. Kurz zusammengefasst: Ein betroffenes System kann nach einem entsprechenden Angriff fremdgesteuert werden.

Betroffen von diesem Sicherheits-Gau sind auch die das besondere elektronische Anwaltspostfach (kurz beA) nutzenden Rechtsanwält:innen. Und das sind - aufgrund passiver, ab 1. Januar 2022 auch aktiver Nutzungspflicht - nahezu alle von ihnen.

Die beA-Verantwortlichen reagierten schnell: Am Samstag war beA vom Netz. Ob die sog. Client Security Software, die für die beA-Nutzung auf den Anwaltsrechnern installiert werden muss, gefährdet war oder ist, bleibt unklar (siehe z.B. die gründliche Aufbereitung von Jens Kutschke (J-Lawyer) hier (Öffnet in neuem Fenster)). Jedenfalls enthält sie die betroffene Programmbibliothek Log4j in den verwundbaren Versionen. Ein Update für die Client Security Software wurde zwar zügig bereitgestellt. Es setzt allerdings (auch dies hier (Öffnet in neuem Fenster) gut erklärt vom J-Lawyer) nur einen "quick and dirty fix" um, indem die Protokollierungs-Funktionalität deaktiviert wird. Man muss hoffen, dass die beA-Macher das Risiko endgültig beseitigen - eine gepatchte Version von Log4j (2.16.0) steht bereit (Öffnet in neuem Fenster). Ob und inwiefern die Serverinfrastruktur des beA kompromitiert war, ist offen.

Wer jetzt aufatmet und entspannt zur Kanzleikaffeemaschine schreitet (brüht die auch mit Java?), sollte nicht vergessen, auf dem Weg noch den Kanzleiserver, Wifi-Router, Netzwerk-Switch, IP-Telefon und sonstige Hardware zu prüfen bzw. bereitgestellte Updates unverzüglich zu installieren. Denn im Internet brennt es weiterhin.

2. Der BGH und die brandneue Telemedizin

Auch die Digital Health-Branche dürfte derzeit ein gepflegtes "Ooh burn!" in Richtung Bundesgerichtshof (BGH) zischen:

Vor einem Jahr wurde in der Ri 2020 der Artikel "Der digitale Arztbesuch per App - Wie weit darf (das Verbot von) Fernbehandlung gehen? (Öffnet in neuem Fenster)" (Ri 2020, 133 ff (Öffnet in neuem Fenster).) veröffentlicht. Darin wurde vertreten, dass das Urteil des OLG München (vom 9. Juli 2020, Az. 6 U 5180/19) (Öffnet in neuem Fenster), welches die Werbung mit einer Smartphone-App für den "digitalen Arztbesuch" als unzulässig bestätigte, fehlerhaft ist. Fehler wurden sowohl in der Sachverhaltsdarstellung als auch in der rechtlichen Wertung gesehen.

Der BGH hat das Urteil des OLG München mit Urteil vom 9. Dezember 2021 (Az. I ZR 146/20) ebenfalls bestätigt:  (Öffnet in neuem Fenster)

"Die Beklagte hat unter Verstoß gegen § 9 HWG in seiner alten Fassung für die Erkennung und Behandlung von Krankheiten geworben, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Menschen beruht. Eine eigene Wahrnehmung im Sinne dieser Vorschrift setzt voraus, dass der Arzt den Patienten nicht nur sehen und hören, sondern auch - etwa durch Abtasten, Abklopfen oder Abhören oder mit medizinisch-technischen Hilfsmitteln wie beispielsweise Ultraschall - untersuchen kann. Das erfordert die gleichzeitige physische Präsenz von Arzt und Patient und ist im Rahmen einer Videosprechstunde nicht möglich.

Nach § 9 Satz 2 HWG in seiner neuen Fassung ist das in Satz 1 geregelte Verbot zwar nicht auf die Werbung für Fernbehandlungen anzuwenden, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen. Zu diesen Kommunikationsmedien gehören auch Apps. Das gilt aber nur, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt."

"Die Beklagte hat für eine umfassende, nicht auf bestimmte Krankheiten oder Beschwerden beschränkte ärztliche Primärversorgung (Diagnose, Therapieempfehlung, Krankschreibung) im Wege der Fernbehandlung geworben."

Der vollständige Urteilstext liegt noch nicht vor (Öffnet in neuem Fenster). Unverständnis ist jedoch gegeben: Denn nach dem Ergebnis der vorstehenden Untersuchung hat die Beklagte mit der App-Werbung selbst keine Fernbehandlung beworben, sondern den Abschluss von Versicherungsverträgen. Weil die Werbung mit der App als Teil der Digital-Imagewerbung des Versicherers zu verstehen sei, nicht jedoch als Produktwerbung, sei das Heilmittelwerbegesetz (HWG) und damit § 9 HWG nicht einmal anwendbar. Das kann man u.U. anders sehen: Nur eine Abgrenzung von Produkt- und Imagewerbung scheint der BGH - wie schon das OLG München - nicht vorgenommen zu haben. Dabei verlangt der Begriff der Behandlung in § 9 HWG das Vorliegen eines individuellen Krankheitsfalls - ein solcher wurde ebenfalls nicht geprüft oder festgestellt.

Gleichermaßen darf nicht vergessen werden, dass die Arztperson nach Prüfung entscheidet, ob eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien in Betracht kommt. So regelt § 7 Abs. 4 MBO-Ä:

"Ärztinnen und Ärzte beraten und behandeln Patientinnen und Patienten im persönlichen Kontakt. Sie können dabei Kommunikationsmedien unterstützend einsetzen. Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird.“

Die Bundesärztekammer hat am 22. März 2019 Hinweise und Erläuterungen zu § 7 Abs. 4 MBO-Ä (Öffnet in neuem Fenster) herausgegeben.

Für Rechtssicherheit hat der BGH nach erstem Dafürhalten nicht gesorgt. Es bleibt also weiterhin am Gesetzgeber, die im o.g. Artikel aufgezeigten "Medienbrüche" zwischen den einzelnen Normen zu beseitigen. Die anhaltende Pandemie mit Kontaktvermeidungsgebot gebietet es, die Telemedizin zu fördern, nicht sie auszubremsen. 

3. Science Tracking: Eine Bedrohung für die Freiheit von Wissenschaft und Forschung?

Die Vermischung von wissenschaftlichen und kommerziellen Bereichen sowie Regelungslücken oder unterschiedliche internationale Gesetzeslagen können für die Wissenschaft nachteilige Folgen haben, befürchtet die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Sie hat am 28. Oktober 2021 ein Informationspapier (Öffnet in neuem Fenster) herausgegeben, um auf die Problemlage aufmerksam zu machen. Darin verweist sie auf die neuen Geschäftsmodelle der großen Wissenschaftsverlage:

"Die Aggregation und die Weiterverwendung bzw. der Weiterverkauf von Nutzerspuren werden relevante Aspekte der Verlagstätigkeit. Verlage verstehen sich jetzt teilweise ausdrücklich als Unternehmen für Informationsanalysen. Das Geschäftsmodell der Verlage wandelt sich damit von Content Providern hin zu einem Data Analytics Business."  (S. 3)

Mit dem Datenschutz nimmt man es dort aber mitunter nicht so genau:

"Die Erfassung von u. a. Seitenbesuchen, Zugriffen, Downloads und damit granularer Profile des wissenschaftlichen Verhaltens erfolgt teilweise unter unzureichender Information der Nutzenden." (S. 4)

Die DFG sieht zudem das Risiko, dass die Wissensgesellschaft privatisiert wird und damit das Wissen über Forschungsinhalte und -tendenzen sowie Institutionen und Akteure in die Hände Einzelner gelegt wird (S. 7). Mit der Privatisierung der Wissenschaft und Forschung kommen zudem kommerzielle Drittinteressen, die auch zu einem Kontrollverlust bei den Wissenschaftsinstitutionen führen können:

"LexisNexis, ein internationaler Anbieter von Informationslösungen und Tochterunternehmen der RELX Group, zu der auch Elsevier gehört, hat einen Vertrag unterzeichnet, durch den für 16,8 Millionen US-Dollar persönliche Daten an ICE, die amerikanische Behörde für Immigration und Customs Enforcement, übergeben werden sollen. Die Situation wird vielfach noch dadurch verkompliziert, dass Hochschulen und Bibliotheken auch ohne ihr Wissen zu Mitwirkenden in der Verletzung von Datenrecht, Wissenschaftsfreiheit und Wettbewerbsrecht werden können." (S. 8 f.)

Mit "Stop Tracking Science (Öffnet in neuem Fenster)" wurde eine internationale Initiative ins Leben gerufen, um den vorgenannten Entwicklungen entgegenzutreten. Die Initiative fordert (übersetzt):

1. Das Tracking von Wissenschaftler:innen durch Unternehmen muss aufhören und darf nicht länger Gegenstand von Verhandlungen zwischen Forschungseinrichtungen und Verlagen sein.

2. Offene Standards in der wissenschaftlichen Kommunikation müssen Vorrang vor Lösungen haben, die Wissensmonopole und Anbieterbindung fördern.

3. Alle Akteure der Science Governance müssen ihre Entscheidungs- und Bewertungsinstrumente neu gestalten und ihre Fixierung auf bibliometrische Indikatoren überwinden.

Was können Wissenschaftler:innen tun?

  • Sie können den Aufruf „Stop Tracking Science“ unterzeichnen;

  • Sie greifen zu Open-Source Alternativen zur Verwaltung von Referenzen (z.B. Zotero).

  • Sie nutzen statt SSRN, academia .edu oder Researchgate nicht-kommerzielle Dokumentenserver wie z.B. Zenodo (CERN) zur Veröffentlichung.

  • Sie können ihr eigenes Engagement für Verlage überdenken, die Science Tracking fördern und praktizieren.

Was können wissenschaftliche Institutionen (und Verlage) tun?

Was kann der Gesetzgeber tun?

Er kann und sollte prüfen, wie er die Freiheit der Wissenschaft und Forschung, ein Grundrecht in Art. 5 Abs. 3 GG, sichert.

Wir danken der Deutschen Gesellschaft für Psychologie für den Hinweis!

Die Ri selbst wird ab 2022 sämtliche neuen Fachbeiträge frei abrufbar zur Verfügung stellen. Das oben beschriebene Tracking der Leser:innen gab es bei der Ri nie und wird es auch nie geben. Für die Ri hat Herausgeberin Claudia Otto die DORA unterzeichnet.

TBT

Dass z.B. die Rechtswissenschaft zugunsten von kommerziellen Interessen an Qualität eingebüßt hat, darauf wurde beispielsweise in "Künstliche Intelligenz (KI) in der deutschen juristischen Pop-Literatur - Eine kritische Auseinandersetzung mit etablierten falschen Glaubenssätzen (Öffnet in neuem Fenster)" (Otto, Ri 2020, 101 ff (Öffnet in neuem Fenster).) hingewiesen. Hierfür gab es Anerkennung seitens der Wissenschaft, u.a. durch Aufnahme in die Literatursammlung (Öffnet in neuem Fenster) von "@notmyrobots (Öffnet in neuem Fenster)", einer Initiative deutscher Wissenschafter:innen (Öffnet in neuem Fenster), die sich um verantwortungsbewusste Kommunikation von KI-Inhalten bemüht.

Zu der Bedeutung der Freiheit von Informationen für die Wissenschaft und Forschung wurde dieses Jahr ein umfangreicher Artikel namens "3D-Proteinstrukturvorhersage mittels KI-System AlphaFold - Was bedeutet sie für Wissenschaft und Recht, insbesondere für das Schutzrechtesystem? (Öffnet in neuem Fenster)" (Otto, Ri 2021, 80 ff (Öffnet in neuem Fenster).) veröffentlicht. Denn auch die Google-Tochter DeepMind hat hier wissenschaftsrelevante Informationen als eigene beansprucht.

Fast Forward

In den letzten Wochen des Dezembers 2021 erscheinen noch die vollständige Ri 2021 mit einem weiteren Artikel und die englischsprachige Ri-nova 2021.

Eine schöne Restwoche sowie einen schönen, bestenfalls schneereichen 4. Advent wünscht

Das Ri:Team