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Die Angeklagten sind Comedians. Aber die Farce liefert die Justiz.

Hinter jedem guten Witz steckt eine Katastrophe

Dass die Stimmung im Gerichtssaal so ausgesprochen heiter ist liegt nicht einfach daran, dass die vier Angeklagten von Beruf Comedians sind. Sie sind nur die perfekt besetzten Darsteller in einer Posse, die die Justiz geschrieben hat. So viel gelacht wird im Saal - heiter ist die Sache eigentlich nicht. Sie ist ein Skandal.

Ein Versagen der Justiz.

Die vier Männer drehten vor drei Jahren einen Videoclip: Es sollte eine Geschichte über einen Überfall auf einen Kiosk erzählt werden. Der Kioskbesitzer stand vor seinem Laden und schaute zu, wie die Vier mit Sturmhaube und Gewehr mehrere Anläufe nahmen, ihren Film zu drehen. Nach der dritten Klappe rückte das Überfallkommando an. Eine Anwohnerin hatte die 110 gewählt. Weder sie noch die Polizisten, die sich die Sache eine Weile betrachtet hatten, will die laufende Kamera, im doppelten Sinne,  wahrgenommen haben. Die Truppe hatte es außerdem versäumt, vorab eine Drehgenehmigung einzuholen. Dass der Kioskbesitzer den Beamten die Sache, die hier vorgeht, erklärte, spielte keine Rolle. Die vier wurden zu Boden gebracht, bei dreien Handschellen angelegt. So lagen sie da; eine Dreiviertelstunde im Februar auf der Straße. Die Tonaufnahme lief noch eine Weile. Verständlicherweise fand keiner der Beteiligten die Sache in dem Moment komisch. Die Vier aber wenigstens jetzt. Vor Verhandlungsbeginn fragt der Fotograf der BILD, ob sie verpixelt werden wollen. „Nö, nehm ich für mein Insta. Generiert Reichweite“, sagt einer lachend.

„Ihr blöden Idioten, das ist ein Dreh! Hurensöhne, Missgeburten“ etc. verzeichnen die Aufnahmen, die ihnen eine Anzeige wegen Beleidigung einbrachte, denn einer von ihnen stellte die Tonaufnahme ins Netz. Damit ist „unbefugt das gesprochene Wort“ veröffentlicht worden, ein Anklagepunkt. Aber einer der Vier allesamt sehr sympathischen jungen Männer hatte einen gänzlich humorfreien Grund, die Tonaufnahmen zu publizieren. „Damit die Welt“ das sieht, erklärt er vor Gericht.

Zwei der Vier sind schwarz und sahen sich erheblich stärker in die Mangel genommen als die anderen. „V. Revier, das sind die schlimmsten“. Empörend, ehrverletzend - für die Beamten, die Anzeige erstatteten.

Wenn sie ehrlich zu sich selbst wären, ein paar Dinge mit Humor ernst nähmen, ein wenig mehr nachdenken würden, hätten die Vier schon damals gewusst, wie selbstgerecht ihr Empörungsvideo nach dem Polizeieinsatz war. Es ist viel los in Frankfurt, wie in jeder Großstadt des Abends. Dass Sturmhauben und Waffen Panik auslösen bei Beobachtern, dass die Polizei, jeden Tag unterbesetzt zu Einsätzen jeder Art gerufen, sich zu Recht verarscht fühlte, auch.

Die Vier sind in Begleitung eines einzigen Verteidigers. Das Alter der Angeklagten „zusammengezählt ergibt noch nicht meins“, sagt der und eigentlich ist die Stimmung im Saal von Anfang an entspannt, weil die Vier es vor Gericht nicht so hoch hängen, der Verteidiger sich gewohnt jovial gibt und die Sache für eine Petitesse hält. Dass die Staatsanwaltschaft die Sache hochhängt, wird schon in ihrer Anklageschrift klar: Von „sogenannten Comedians“ spricht sie. Wie auch immer man das finden kann, was die Jungs da machen - die verdienen ihren Lebensunterhalt auf der Bühne. Da kaufen Leute Karten, um die zu sehen. Aber mit der Nummer wurden Beamte verhöhnt, der Rechtsstaat quasi angegriffen. Hier muss durchgegriffen werden.

Ein ungläubiges Gelächter brandet zum ersten mal auf, als der zweite Angeklagte befragt wird. Wozu müsse er das denn jetzt noch einmal alles erzählen, er habe das doch schon vor anderthalb Jahren hier vor Gericht gemacht, seufzt er. Er nimmt es sportlich.

Wie jetzt? Die Sache sei hier schon mal verhandelt worden, fragt die Richterin ungläubig? Ja, „dafür hab‘ ich schon auf den Deckel gekriegt“. Hektisch wird im System nach dem Verfahren gesucht, denn kein Angeklagter darf zweimal für dieselbe Sache bestraft werden.

Es findet sich nichts. Der Verteidiger ruft seinen Kompagnon an, mit dem er damals zwei der Vier vertrat, um dem Gericht bei der Suche nach dem Aktenzeichen zu helfen. Die humorlose Vertreterin der Staatsanwalt blättert irritiert in ihren Akten, derweil die Vorsitzende ( „Frau Vorsitzende“ wie der alte Verteidiger stets sagt, den man nur in Cowboystiefeln und Jeans kennt), die Jungs hilflos fragt:

- „Wo war das denn? Hier, in diesem Gebäude?“

- „Ja, ein Stockwerk drüber, vom Fahrstuhl einmal um die Ecke die erste Tür oder so“, antwortet Angeklagter Drei.

- „Wie hieß denn der Richter?“

- „Pfff. Keine Ahnung mehr.“

- „Wie sah der denn aus?“

- „So Mitte, Ende Vierzig. Sehr sympathisch. Der hat sogar gesagt, dass er mal in eine unserer Shows kommt. War ein sehr kurzer Termin.“

Alle Vier nicken sich zu. Angeklagter Zwei kriegte damals als einziger eine Geldstrafe über 200 Euro. „Gegen alle Vier“, hat der viel beschäftigte Verteidiger mittlerweile im Gerichtssaal herausgefunden, wurde das Verfahren von der Staatsanwaltschaft damals eingestellt. Er hat nun wenigstens den Namen des Vertreters der Anklagebehörde und auch den Namen des Richters parat.

Das kann ja alles nicht sein. So etwas kann doch nicht passieren, hier wird doch Unfug erzählt von diesen Komödianten. Die Anklägerin muss telefonieren, das kann ja unmöglich in ihrer Behörde untergegangen sein. Sicher war es die Amtsanwaltschaft, die da etwas versaubeutelt hat. Eine irgendwie geartete Misskommunikation. Während sie aus dem Saal geht um zu telefonieren, regt die konsternierte Strafrichterin die Vier an, doch „jetzt spontan eine Show zu machen“. Die Verhandlung wäre ja eh schon sehr unterhaltsam. Die Vier finden das auch alles skurril hier. Sie würden wohl gerne eine Aufzeichnung des Ganzen machen. Es wäre gute Comedy. Realität schlägt Fiktion. Leider, muss man in dem Fall sagen, sind Videoaufzeichnungen an deutschen Gerichten noch nicht erlaubt.

Etwas anderes als eine Einstellung des Verfahrens ist eigentlich nicht vorstellbar. Die Stimmung ist eigentlich die ganze Zeit allerbestens. Die Angeklagten sind höflich, stoisch. Sie mögen die Anwesenheit der vier lokalen Pressevertreter, den einzigen Zuschauern in dieser Verhandlung, für gute Publicity halten, egal, was bei der Berichterstattung herauskommt. Dass überhaupt jemand im Saal ist, ist möglicherweise dem Sommerloch, bei Justiz und Presse, geschuldet.

Es ist gut, dass es Beobachter des Verfahrens gibt, denn weitergedacht für schwerwiegende Anklagen, die vielleicht auch Haftstrafen nach sich ziehen, Existenzen vernichten können, ist eine Anklagebehörde, die salopp gesagt, ihren Laden nicht im Griff hat, deren Vertreter so einseitig und uneinsichtig agieren eine absolute Katastrophe für den Rechtsstaat. Hier geht es zum Glück nur um Banalitäten, aber Glück muss man auch erstmal haben. Andere Gemüter mag das „Damoklesschwert“, wie es einsichtige Richter nennen, eines laufenden, jahrelangen Verfahrens nachhaltig mitnehmen.

 Eine ironische Heiterkeit herrscht den ganzen Verhandlungstag im Saal, auch wenn die kleine Kammer peinlich berührt scheint. Die „Frau Staatsanwältin“ solle sich doch mal überlegen, „ob wir das hier nicht auch anders über die Bühne kriegen“, gibt ihr der Verteidiger für deren Telefongang mit. Die Kammer macht den Eindruck, als würde sie mit nichts anderem rechnen.

Dass eine junge Staatsanwältin dem alten Macho-Verteidiger schon aus emanzipatorischen Gründen nicht zustimmen kann überrascht in diesen Zeiten nicht. Auch im Gericht menschelt es trotz StPO.

Aber nein. Hier will sich eine Behörde partout nicht vertan haben. „Kommt nicht in Frage“, bescheidet die Einzige im Saal, die keine Miene verzog und Humor für eine Beleidigung zu halten scheint, nach ihrer Rückkehr in den Saal. Verblüffung allerseits, auch bei der Richterin.

Dann eben Antrag „auf Aussetzung des Verfahrens“, sagt der Verteidiger. Er telefoniert Ewigkeiten mit seinem Büro vor dem Publikum, wann er wieder Zeit habe. Auch er hat gelernt, dass Frauen es eventuell vorziehen, etwas respektvoller angesprochen zu werden und dass sein Old-Cowboy-Stil mittlerweile out ist. Er kommentiert deshalb sein gruß- und ansatzloses Datumsgebelle ins Telefon für den Saal: Heute schon zweimal mit der „Dame“, seiner Bürovorsteherin, gesprochen und sie bereits gegrüßt. Solle man nicht missverstehen, dass er nunmehr nur zackig rede. Alle der hier im Raum Anwesenden kennen den fleißigen Verteidiger, der an die 80 ist, aus dutzenden Verfahren und rollen die Augen - Frauen wie Männer. 

Die Strafrichterin konsultiert zeitgleich ihren Terminkalender, es wird schwierig, sich zusammenzufinden. Auch das ist eine schöne Szene, die zur Illustration geeignet ist, wie überflüssig dieses Verfahren ist. Die Staatsanwaltschaft kann und muss terminlich immer, irgendwer springt schon ein. Deren heutige Vertreterin schaut zusammengekniffen auf alle anderen. Geradezu schüchtern meldet sich Angeklagter Drei, als Termine Monate später in den Saal gerufen werden. Sie seien auf Deutschland-Tour, ahem, also ob sie da auch etwas bei der Terminplanung…? Sie seien ja durchaus willig, aber…

Nein, sie könnten da nichts mitbestimmen. „Dann fangen wir um 9.00 Uhr morgens an, damit sie das schaffen“, sagt die Vorsitzende, die den Eindruck erweckt, als fände sie eine Fortsetzung der Geschichte auch gänzlich absurd. Die Gerichte sind überlastet zum einen, aber hier liegt ja wohl ein Versagen der Ermittlungsbehörden vor und der sogenannte Fall ist ja längst erledigt. Zudem ist er wirklich eine Petitesse, die nur von Rechthaberei und gekränkter Eitelkeit erzählt und leider gar nicht von einem rechtsstaatlichen Verfahren berichtet.

Mit „Ahrrrg“ legt Angeklagter Eins seinen Kopf auf den Tisch nach dem schlussendlich gefundenen Termin. Er meint mit seinem lauten Seufzer die frühe Uhrzeit.

Es ist ein Glück für die Behörden in dem Land, dass sich so zahm gefügt wird.

Die Jungs scheinen es nach außen hin nicht krumm zu nehmen. Der Staatsanwaltschaft muss man es.

Diese Geschichte ist ausnahmsweise ohne Paywall. Finden Sie nicht, Autoren sollten unanständigerweise mit ihrer Arbeit Geld verdienen?

Dankeschön! (Öffnet in neuem Fenster)

Kategorie Vor Gericht

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