Zum Hauptinhalt springen

Lektorat: Lernen aus den eigenen Fehlern

Wir Autorinnen und Autoren sprechen häufig davon, dass das Verfassen eines Manuskripts ein langer, eher einsamer Weg sein kann. Wochen, Monate und manchmal vielleicht sogar Jahre verbringen wir allein mit unserem Text. Aber sind wir wirklich ganz allein?

Nein. Nicht immer. Nicht, wenn wir es nicht wollen.

Es gibt eine ganze Reihe von Personen, die an der Ausarbeitung und Weiterentwicklung eines Textes beteiligt sein können: Am Anfang dieser Feedback-Kette stehen häufig Testleser*innen, die uns ihren ersten Eindruck zur Geschichte zurückmelden. Behandeln wir in einer Geschichte komplexe Themen wie bspw. Rassismus, Queerness oder (psychische) Erkrankungen nehmen wir vielleicht die professionelle und authentische Expertise eines Sensitivity Readings in Anspruch, um eventuell diskriminierende Darstellungen zu vermeiden. Im Korrektorat werden Grammatik- und Rechtschreibfehler ausgemerzt, die Beta-Leser*innen im allerletzten Durchgang vor der Veröffentlichung noch einmal überprüfen. Aber vor ihnen gibt es noch eine ganz entscheidende Station: Das Lektorat.

Aber was passiert da eigentlich?

Ein Lektor oder eine Lektorin hat die Aufgabe ein Manuskript inhaltlich und stilistisch zu prüfen. Hat eine Geschichte Handlungslücken (sogenannte “Plot Holes”), keine stabile Spannungssteigerung oder schlüssige Auflösung, wird es spätestens im Lektorat bemerkt werden. Lektor*innen betrachten eine Geschichte nicht nur als Unterhaltung, sondern reflektieren sie schon während des Lesens. Sie sind Profis im Lesen, wenn man so will, und können auch konkret artikulieren und begründen welche Probleme sie an welcher Stelle des Textes sehen. Ein paar Kostproben gefällig?

Begraben unter Informationen

Ein häufiger Störenfried in Erzählungen ist der sogenannte “Info Dump”, zu Deutsch: Informationsabladung. Hast du dich schon einmal regelrecht erschlagen von einer Flut an Erklärungen gefühlt? Seitenlange Beschreibungen einer Fantasywelt, der Familiengeschichte oder der Wohnungseinrichtung einer Romanfigur gelesen? Ist dir dabei die Lust auf die Geschichte flöten gegangen? Nicht alle Menschen empfinden Info-Dumping als störend, aber viele Leser*innen finden es ermüdend. Lektor*innen wissen das und werden die Schreibenden, mit denen sie zusammenarbeiten, darauf hinweisen. Informationen sollten den Lesenden immer parallel zur Handlung, sozusagen in Häppchen vermittelt werden. Ein paar erklärende Sätze sind natürlich erlaubt, aber man kann Informationen auch über Dialoge oder über etwas, das der*die Protagonist*in erlebt vermitteln. Und das führt schon direkt zum nächsten beliebten Patzer …

Zeigen statt beschreiben

Manchmal machen wir Autor*innen es uns eben auch gerne einfach. Wie simpel ist es schließlich zu schreiben “Ich schaue weg und schäme mich.” anstatt auszuführen “Ich weiche seinem Blick aus, versuche überall hinzusehen außer in sein Gesicht. Ein Prickeln breitet sich auf meiner Haut aus und ich spüre wie meine Wangen wärmer werden. Sie glühen regelrecht.”! Aber welche Formulierung ist mitreißender? Mit welcher Darstellung kann sich der Leser oder die Leserin wohl mehr identifizieren und in die Figur hineinversetzen? Ein Lektor oder eine Lektorin wird eine entsprechende Passage mit dem Hinweis “Show, don't tell” versehen, um uns daran zu erinnern.

Meine Lieblingsfehler: Wiederholungen und Wortneuschöpfung

Ich habe gerade das Lektorat zu meinem sechsten Buch “Die Nähe, die wir suchen” abgeschlossen und kann sagen, dass ich auch nach mehreren Jahren als Autorin und fünfmaliger Zusammenarbeit mit meinem Lektor Marcel Weyers (Öffnet in neuem Fenster) ein paar wiederkehrende Fehler mache. Zum Beispiel ernenne ich immer unbewusst ein Lieblingsverb, dass ich dann bei jeder sich bietenden Gelegenheit einbaue. In “Invalidum - Trügerische Sicherheit (Öffnet in neuem Fenster)” habe ich meine Figuren so oft seufzen lassen wie wohl niemand zuvor - aber zum Glück ist Marcel aufgefallen wie oft meine Heldinnen Trübsal blasen! :D In “Das Licht, in dem wir glänzen (Öffnet in neuem Fenster)” habe ich ein komplett neues Wort erfunden. Ich wäre im Leben nicht darauf gekommen, dass “raspelig” im Deutschen gar nicht existiert, weil ich in englischsprachigen Romanzen so oft von einer “raspy voice” gelesen hatte und meinem Rockstar Sam auch unbedingt so eine sexy Stimme verpassen wollte. Aber meine größte Schwäche ist wohl …

Der Mut zur Lücke

Nicht falschverstehen: Ich traue mich Lücken zu lassen. Ich bin sogar richtig gut im Lückenlassen. Ich bin ein Fan davon, Leser*innen Räume zu geben, die sie mit ihrer eigenen Fantasie füllen können. Ausschweifende Beschreibungen gibt es bei mir nicht, weil ich mich im Zweifel immer für “knapp und präzise” entscheide und Abschnitte sogar aktiv nach dem Wort zuviel durchsuche. Die Notwendigkeit für Kürzungen ergibt sich bei mir also eher nicht und angesichts von populären Fehlern wie den oben beschriebenen Info-Dumps erscheint es vielleicht erst einmal wie eine Stärke, dass ich nach dem Motto “weniger ist mehr” arbeite. Aber es kann auch zu Problemen führen!

Ich glaube, die häufigsten Anmerkungen, die ich von Marcel bekomme lauten in etwa so: “Kannst du das noch weiter ausführen?” , “In welchem Tonfall sagt sie das?” oder “Wie fühlt sie sich hier?”. Ich vergesse auch manchmal ganz gerne, dass Szenen nicht nur aus Dialogen bestehen, sondern dass Leser*innen auch wissen möchten, wo sich die Figuren gerade befinden, wie es dort aussieht oder riecht, wie das Wetter ist, an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit sich das Ganze ereignet, usw. … Wenn Marcel der Handlung an irgendeiner Stelle nicht folgen kann, Emotionen oder die Atmosphäre vermisst, weiß ich, dass ich dort noch einmal ansetzen muss.

Lob und Kritik

Eine der wichtigsten und ersten Lektionen, die man als Autor*in lernen muss, ist, dass Kritik, insbesondere im Lektorat, keine Abwertung sondern Unterstützung ist. Ich nehme Marcels Kritik sehr gerne an, denn mir ist zu jeder Zeit bewusst, dass mein Lektor mein Partner ist. Ich beauftrage ihn, damit er mich darin unterstützt aus meiner Geschichte das Beste herauszuholen - nicht damit er mich lobt. Was nicht heißen soll, dass es im Lektorat keine lobenden Worte gäbe! Marcel merkt bei mir durchaus an, wenn er eine Textpassage als besonders gelungen empfindet, aber äußert eben auch Unverständnis an anderen Stellen oder fordert mich auf eine Formulierung zu überdenken. Das gehört zum Lektorat dazu!

Als Selfpublisherin habe ich natürlich theoretisch immer das letzte Wort und kann Änderungsvorschläge auch einmal ablehnen, wenn ich sie nicht als sinnig erachte. Grundsätzlich nehme ich die Anmerkungen meines Lektors aber sehr ernst und investiere die nötige Zeit, um sie bestmöglich umzusetzen. Ist es besonders knifflig erarbeite ich verschiedene Versionen und stimme mich nochmals mit ihm für die endgültige Lösung ab. Ich merke immer, dass ich mich dadurch weiterentwickle und dass ich manche Fehler tatsächlich kein zweites Mal mache. Es kann Spaß machen die eigenen Schwächen zu erkennen und darüber hinauszuwachsen. :)

Insofern bin ich jetzt gerade, nachdem wieder ein produktives Lektorat hinter mir liegt, so zufrieden wie selten sonst mit meinem letzten Werk. Ich kann es ehrlich gesagt kaum erwarten “Die Nähe, die wir suchen” im Juni zu veröffentlichen und mit dir zu teilen. Hast du das Cover (Öffnet in neuem Fenster) meiner nächsten Geschichte schon gesehen und dich mit den Hauptfiguren Fiona und Tomme (Öffnet in neuem Fenster) vertraut gemacht? Schau doch mal in meine letzten Beiträge auf dem Blog (Öffnet in neuem Fenster)!

Bis bald,

Phillippa

0 Kommentare

Möchtest du den ersten Kommentar schreiben?
Werde Mitglied von Phillippa Penn und starte die Unterhaltung.
Mitglied werden