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Kolumbus hat Amerika nicht entdeckt

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Für vorgeblichen Naturschutz werden immer wieder indigene Menschen vertrieben. Auch der 30-Prozent-Plan der UN versucht Natur und Menschen zu trennen. Woher kommt dieses Denken und wie kann es überwunden werden? Ein Anfang könnte sein, indigenes Wissen als einen entscheidenden Teil der Lösung zu anzuerkennen.

Foto von Helena Pfisterer (Öffnet in neuem Fenster) auf Unsplash (Öffnet in neuem Fenster)

Für die meisten weißen Menschen ist die Geschichte des Kolonialismus eine Nebensache und eine Sache der Vergangenheit. Aus der Schule werden sie in dem Glauben entlassen, die Eroberung des Planeten durch weiße Gesellschaften sei eine Geschichte des Erfolges.

Aber das stimmt nicht. Die Geschichte des Kapitalismus und der Moderne ist eine Geschichte, in der Menschen ausgebeutet, vertrieben, unterdrückt, versklavt und ermordet wurden und bis heute werden. Der Wohlstand westlicher Demokratien fußt auf der Ausbeutung (Öffnet in neuem Fenster) von Menschen und der Zerstörung von Natur vornehmlich in Ländern des globalen Südens.

Auch wenn es im 19. und 20. Jahrhundert zur Entkolonialisierung weiter Teile Lateinamerikas, Afrikas, Asiens und der Karibik kam, blieben viele der vom Kolonialismus aufgezwungenen Strukturen erhalten.

Diese "kolonialen Kontinuitäten" zeigen sich erstens darin, dass Reichtum und Besitz noch immer ungleich verteilt sind. Während weiße Menschen mehrheitlich in Wohlstand leben, kämpfen vor allem Indigene gegen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen und Identitäten. Zweitens besteht die ethnische und geschlechtliche Stigmatisierung und Abwertung weiter.

Der Kolonisierung Amerikas folgte eine Zweiteilung einer hochkomplexen Welt. Eine binäre Weltsicht breitete sich über weite Teile des Globus aus: Kolonialherren herrschten über Kolonisierte.

Diese Unterteilung kannte meist nur zwei Seiten: männlich und weiblich, weiß und nichtweiß, entwickelt und unterentwickelt, kultiviert und unkultiviert, rational und irrational, wertvoll und wertlos.

Während weiße Menschen, vor allem weiße Männer, auf der "wertvollen" Seite standen, galten nahezu allen anderen Menschen als minderwertig oder gar wertlos.

Entdecken und zerstören

Die Einteilung fand vor allem auf drei Ebenen statt. Erstens wurden Geschlechter einem binären Überbau untergeordnet. Jede Selbstdefinition von Geschlecht und Geschlechtsidentität wurde damit ausgelöscht. Während die Männer als rational galten, wurden Frauen als emotional kategorisiert.

Zweitens fand eine sogenannte Rassifizierung (Öffnet in neuem Fenster) der Menschen statt. Aufgrund äußerer Merkmale oder Zuschreibungen wurden Menschen in "weiß" und "nicht weiß" unterteilt. "Weiße" galten als überlegen, rational und zivilisiert, "Nichtweiße" hingegen als schwach, irrational und primitiv.

Drittens wurde eine Einteilung in wertvoll und wertlos zwischen den Menschen und der Natur vorgenommen. Die Natur wird dabei als kostenloses ökonomisches Gut betrachtet. Ökosysteme, Pflanzen und Tiere werden als etwas angesehen, das angeeignet, verbraucht und zerstört werden kann.

Dieser stark vereinfachte Blick in die Vergangenheit zeigt, wie über die letzten 500 Jahre ein ganzes Mosaik an Lebensformen und Individualitäten dem Patriarchat (Öffnet in neuem Fenster) als Herrschaft des weißen Mannes untergeordnet wurde und wie das bis heute unser Denken prägt.

Zwei Beispiele dafür sind die angebliche Entdeckung Amerikas durch weiße Europäer und die Produktion von Wissen darüber, was der Natur und uns Menschen guttut.

Die Kolonisierung des amerikanischen Doppelkontinents nahm ihren Anfang im Jahr 1492, als das erste Schiff aus Europa mit dem "Entdecker" Christoph Kolumbus (Öffnet in neuem Fenster) im heutigen Mittelamerika anlegte. Das war in gewisser Weise der Beginn der Zweiteilung der Welt. Dennoch gilt die Entdeckung Amerikas bis heute als eine Geschichte des Erfolges.

Im heutigen Amerika lebten jedoch schon lange vor Kolumbus Menschen. Die Erzählung von der Entdeckung ist also falsch und vom Eurozentrismus (Öffnet in neuem Fenster) geprägt, einer Perspektive, in der die Welt aus einer europäischen und weiß-privilegierten Sicht erklärt wird.

Zu verstehen, dass wir Menschen auch schon vor Kolumbus und anderen europäischen Eroberern in Amerika gelebt haben, kann helfen, diese Denkmuster ausfindig zu machen.

Naturschutz ohne Menschen

Die Vereinten Nationen und die Weltnaturschutzunion IUCN wollen im Rahmen der UN-Biodiversitätskonvention 30 Prozent (Öffnet in neuem Fenster) der gesamten Erdoberfläche – sowohl der Landflächen als auch der Meere – bis zum Jahr 2030 unter strengen Naturschutz stellen.

Dieser sogenannte "Global Deal for Nature and People" soll verhindern, dass die letzten noch vorhandenen intakten Ökosysteme der Zerstörung durch Menschen zum Opfer fallen. Er gilt als das größte Naturschutzprojekt, das je verwirklicht werden sollte.

Doch die Skepsis gegenüber dem Vorhaben ist groß, vor allem indigene Gemeinschaften üben deutlich Kritik daran. Diese fällt durchaus unterschiedlich aus und reicht von Forderungen nach vertraglich abgesicherten (Öffnet in neuem Fenster) Schutzgebieten unter ihrer Verwaltung bis zur generellen Ablehnung von Naturschutzvorhaben durch westliche oder staatliche Akteur:innen.

Im Naturschutz zeigt sich immer wieder: Wird nach Lösungen gesucht, sind es meist solche, die Menschen und Natur trennen. Im Namen des Naturschutzes wurden indigene Gemeinschaften von Beginn an ihrer Lebensgrundlagen beraubt.

Ein Beispiel ist der erste Nationalpark der Geschichte, der 1864 gegründete Yosemite-Nationalpark (Öffnet in neuem Fenster). Vor und während der Durchsetzung dieses Vorhabens wurden dort lebende First Americans vertrieben und ermordet (Öffnet in neuem Fenster). Die Gebiete wurden zu einem quasi menschenleeren Raum (Öffnet in neuem Fenster) erklärt, wo weiße Menschen jedoch unbeschränkt Gold abbauen konnten.

So geschieht es auch bei einigen Projekten der Naturschutzorganisation WWF. Ein aktuelles Beispiel ist das Schutzgebiet Messok Dja in der Republik Kongo.

Dort wurde ein vom WWF unterstütztes Schutzvorhaben ohne die nötige Zustimmung der ansässigen Gemeinschaften umgesetzt. Nach Angaben (Öffnet in neuem Fenster) von Menschenrechtsorganisationen kam es daraufhin zu "grausamer Gewalt und Missbrauch durch Ranger".

Weitere Beispiele in Indien oder Nepal lassen ein strukturelles Problem (Öffnet in neuem Fenster) beim WWF beziehungsweise bei Einrichtung und Management von Naturschutzgebieten erkennen.

Elementare Menschenrechte werden verletzt

Foto von Renaldo Matamoro (Öffnet in neuem Fenster) auf Unsplash (Öffnet in neuem Fenster)

Diese Vorgänge lassen sich in das Phänomen des Green Grabbing (Öffnet in neuem Fenster) einordnen. Es entstand zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit dem Aufkommen der Grünen Ökonomie (Öffnet in neuem Fenster).

Nach der Logik der Profitsteigerung werden dabei natürliche Ressourcen und Lebensräume in den Markt eingegliedert (Öffnet in neuem Fenster) und bekommen einen ökonomischen Wert. So dürfen Indigene in Schutzgebieten beispielsweise nicht mehr für ihren Lebensunterhalt jagen.

Doch die Trennung von der Natur gilt nicht für alle. Während indigene Gemeinschaften für Naturschutzprojekte aus ihren angestammten Gebieten vertrieben werden, wird der Ökotourismus gefördert. Menschen mit entsprechenden finanziellen Mitteln können sicher sein, zum Spaß auf Jagd gehen zu können.

Neben der Vertreibung kommt es häufig auch zu schlimmen Menschenrechtsverletzungen an indigenen Menschen. Misshandlungen, Gruppenvergewaltigungen und Mord sind Praktiken, die genannt werden müssen und die von Menschenrechtsorganisationen wie Survival International (Öffnet in neuem Fenster) seit Jahren dokumentiert werden.

Die Befürchtungen indigener Gemeinschaften sind danach mehr als berechtigt, wenn sie davor warnen, dass auch der "Global Deal for Nature and People" wieder zu dazu führen wird, dass sie ihre Lebensräume aufgeben müssen und dass ihre Menschenrechte verletzt werden.

Während sich die Debatten um Klimaerhitzung und Ökosystemzerstörung richtigerweise auf wissenschaftliche Erkenntnisse beziehen, bleibt indigenes Wissen meist außen vor. Sogenanntes Traditional Ecological Knowledge (Öffnet in neuem Fenster) findet in westlichen Diskursen zu wenig Beachtung (Öffnet in neuem Fenster).

Es sind Indigene, die die letzten verbliebenen intakten Ökosysteme der Erde aufrechterhalten. Zerstört werden diese Ökosysteme überall dort, wo Konzerne des globalen Nordens tätig werden.

Um nur einige Zahlen zu nennen: Zwischen 1970 und 2016 sind zwei Drittel der an Land lebenden Wirbeltierarten verschwunden (Öffnet in neuem Fenster), in den subtropischen Gebieten Nord- und Südamerikas schrumpfte die Wirbeltiermasse auf ganze sechs Prozent. In Deutschland ist die Biomasse fliegender Insekten zwischen 1989 und 2014 um drei Viertel zurückgegangen (Öffnet in neuem Fenster).

Indigenes Wissen und Landrechte anerkennen

Um diese Entwicklungen aufzuhalten und im besten Falle umzukehren, ist es unumgänglich, dem Wissen und den Praktiken indigener Gemeinschaften und Völker den Raum zu eröffnen und als Europäer:innen zurückzutreten, zuzuhören und zu lernen.

Schließlich befinden sich 80 Prozent aller noch existierenden Tier- und Pflanzenarten in indigenen Gebieten, obwohl diese Territorien (Öffnet in neuem Fenster) nur noch ein Viertel der Landfläche des Planeten ausmachen.

Wenn es uns damit ernst ist, die planetaren Lebensgrundlagen zu schützen und einen sozialen und ökologischen (Öffnet in neuem Fenster) Kollaps zu verhindern, müssen zuallererst die Staaten und Konzerne aus dem globalen Norden grundlegend umdenken. Das bedeutet jedoch nicht einfach nur, den indigenen Stimmen mehr Beachtung zu schenken.

Es bedeutet erstens, dass den indigenen Gemeinschaften der Erde die Federführung beim wohl größten Vorhaben der Menschengeschichte, der Bewältigung der Klimaerhitzung und des Massensterbens der Arten, übergeben werden muss (Öffnet in neuem Fenster). Zweitens muss unverzüglich die Anerkennung der Souveränität indigener Gemeinschaften und die Rückgabe ihrer geraubten Lebensräume erfolgen.

Die von indigenen Gemeinschaften getragenen Schutzgebiete, die sogenannten ICCAs (Öffnet in neuem Fenster), zeigen, dass auf diese Weise organisierter Naturschutz ein Schlüsselelement zur Erhaltung der biologischen Vielfalt ist.

Die Praktiken und das Wissen sind dabei so reichhaltig wie die Zahl indigener Völker auf der Erde. Die weltweit etwa 5.000 indigenen Völker (Öffnet in neuem Fenster) mit zusammen rund 450 Millionen Menschen sind alles andere als eine homogene Gruppe.

Um nur einige bekanntere zu nennen: die Aborigines (Öffnet in neuem Fenster) in Australien, die Native Americans und die Inuit (Öffnet in neuem Fenster) in Nordamerika, die Tuareg in den Sahara-Staaten, die Ainu in Japan, die Adivasi (Öffnet in neuem Fenster) in Indien, die Maori (Öffnet in neuem Fenster) in Neuseeland oder die vielen verschiedenen (Öffnet in neuem Fenster) indigenen Völker im Amazonasregenwald, wie die Kichwa (Öffnet in neuem Fenster).

"Naturschützer scheinen zu glauben, dass nur Außenstehende sich um die Natur kümmern wollen und sie effektiv schützen können", sagt Charles Jones Nsonkali von der Baka-Organisation Okani (Öffnet in neuem Fenster) in Kamerun. "Aber für mich ergibt das keinen Sinn."

Nsonkali fragt (Öffnet in neuem Fenster): "Wer wird sich mehr um die Natur kümmern als diejenigen, die sie ihr Zuhause nennen und für ihr Überleben auf sie angewiesen sind? Wer versteht besser, wie man sich um die Natur kümmert, als jemand, der jeden Tag seines Lebens durch den Wald läuft und jede Pflanze, jeden Baum und jedes Tier kennt?"

Foto von Zoshua Colah (Öffnet in neuem Fenster) auf Unsplash (Öffnet in neuem Fenster)

Ende

Mehr zum Thema Kolonialismus und Umweltzerstörung findest du in meinem Sammelband “Ökozid: Wie ein Gesetz schwere Umweltschäden bestrafen und Lebensgrundlagen besser schützen kann”.

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Kategorie Neokolonialismus

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