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Was ich von Draghis Rücktritt halte, wissen Sie als hochgeschätzter Leser von Reskis Republik. Ein nicht ganz unwichtiger Kommentator (Öffnet in neuem Fenster) der New York Times (Öffnet in neuem Fenster)sieht in Draghis Rücktritt sogar einen Triumph der Demokratie: 

Aber die Rolle von Herrn Draghi als Symbol der Demokratie hat etwas Seltsames an sich: Kein Wähler hat jemals für ihn gestimmt. Er wurde Anfang 2021 auf Wunsch von Präsident Sergio Mattarella, der selbst nicht direkt gewählt ist, eingesetzt, um eine politische Sackgasse zu durchbrechen. So ehrenhaft und fähig Herr Draghi auch sein mag, sein Rücktritt ist ein Triumph der Demokratie, zumindest so, wie das Wort Demokratie traditionell verstanden wird.

 Und weiter erklärt er das, was ich bereits gebetsmühlenartig klarzumachen versucht habe: Das Problem Italiens sind die Italiener. Die, wenn man die Vorgaben von Banken (und das sind die Vorgaben der EU) ernst nimmt, auf der Strecke bleiben. Müssen.  

Italiens Problem ist, dass seine Regierungen jetzt zwei Herren dienen: den Wählern und den globalen Finanzmärkten. Vielleicht gilt das für alle Länder in der Weltwirtschaft. Aber so sollte Demokratie nicht funktionieren, und Italien befindet sich in einer besonderen Zwickmühle. Mit einer Staatsverschuldung von über 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, einer sinkenden Bevölkerungszahl und steigenden Zinssätzen ist Italien in einer gemeinsamen europäischen Währung gefangen, die es nicht abwerten kann.

Und auch diesen letzten Satz sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen: 

Ihr könnt das Geld zur Rettung eures Landes haben, wenn Herr Draghi euer Premierminister ist, wurde den Italienern im Wesentlichen gesagt, aber ansonsten nicht. Unter diesen Umständen ist es weder "populistisch" noch Putin-verliebt oder unvernünftig, sich um die Folgen für die Demokratie zu sorgen.

Und weil das deutsche Interesse an Italien plötzlich schlagartig wieder erwacht ist, hat mich die Redaktion von Focus gebeten, darüber zu schreiben. Nachzulesen im aktuellen Heft.

Und in der ZEIT habe ich über das italienische Wetter geschrieben: 

https://www.zeit.de/2022/31/trockenheit-venedig-italien-duerre-hitze (Öffnet in neuem Fenster)

Und es hört nicht auf: Weitere Reski-Reportagen lauern Ihnen auch in dem aktuellen Heft von Mare auf, etwa die Geschichte über die Burano Speed Boys und

die über die Petrochemieanlage von Siracusa.

In Venedig, wo seit letztem Jahr Kreuzfahrtschiffe über 25 000 Bruttoregistertonnen über den Kanal für Erdöltanker in den Industriehafen von Marghera einfahren müssen, hat sich etwas ereignet, was uns vorführt, wie die großen Kreuzfahrtunternehmen langfristig beabsichtigen, die Verbote zu umgehen: Weil es nicht so toll ist, neben einer Petrochemieanlage mit Blick auf Öltanks und Rauchschlote anzulegen, hat die Norwegian Gem, das fast 300 Meter lange Flaggschiff der skandinavischen Reederei Norwegian Cruise,  an einer Reede vor dem Lido angelegt. Und die Passagiere durch Umladen auf Motorboote nach Venedig gebracht. Eine "Blitzreise" für 1.500 Passagiere. 

Ermöglicht wurde die Umgehung des Verbots dank der freundlichen Unterstützung des Hafenamts  und des Kreuzfahrthafenbetreibers VTP. (Bei Venezia Terminal Passeggeri sind die Kreuzfahrtgesellschaften Mehrheitseigner. Von ihnen nachhaltigen, umweltfreundlichen Tourismus zu erhoffen, ist, als würde man vom Islamischen Staat einen Friedensmarsch erwarten.) VTP stellte der Norwegian Cruise die notwendigen Ausflugsboote zur Verfügung : drei mit je 150 Sitzplätzen pendelten zwischen dem Schiff auf der Reede und der Riva Sette Martiri. Eine Lösung für Kreuzfahrten. Und eine Katastrophe für die venezianische Lagune. 

Und in der italienischen Verfassung ist seit gestern festgestellt worden, dass Venedig eine Insel ist. Kein Witz, sondern eine Spitzfindigkeit des Artikels 119 der italienischen Verfassung in der vom Parlament  geänderten Fassung,  die - seit gestern - besagt: "Die Republik erkennt die Besonderheiten der Inseln an und fördert die erforderlichen Maßnahmen zur Beseitigung der Nachteile, die sich aus der Insellage ergeben". 

Wichtig ist der Satz "Besonderheiten der Inseln": Es gibt in Italien zweihundert bewohnte Inseln. Aber die Nachteile, die sich aus dem Leben auf einer Insel ergeben, wurden bislang nur für Sizilien und Sardinien anerkannt. Seit gestern ist das anders. Die Leser von "Als ich einmal in den Canal Grande fiel" (Öffnet in neuem Fenster) wissen, dass die faktische Leugnung der Insellage von Venedig (in der Zwangsehe mit dem Festland) durch die venezianischen Politiker ein wesentlicher Grund für die Zerstörung Venedigs ist. Ohne die Zwangsehe mit Venedig versiegen die Gelder der Spezialgesetzes, die das Regieren auf dem Festland bislang so leicht machen: Gelder, die für Venedigs Erhalt gedacht sind und in Bürgersteigen in Mestre enden. 

Um nur ein Beispiel zu nennen: Europa hätte Anreize für Murano gewährt, um höhere Kosten auszugleichen - wenn die Stadtverwaltung von Venedig den Unterschied zwischen Venedig und den Inseln der Lagune und dem Festland anerkannt hätte. Die Stadtverwaltung unter Cacciari indes weigerte sich, die Besonderheit der Glasbläser von Murano zu bescheinigen, da sie diese von den Glasbläsern in Mestre hätte unterscheiden müssen. Heute sind viele Muranoglasfabriken bankrott gegangen und zu Hotels geworden. Es war das Festhalten an der Zwangsvereinigung zwischen dem Festland und Venedig, das die alte Kunst der Muranoglases auslöschte.

Die Verfassungsänderung wird sich auch auf die Schulen auf den Inseln (Öffnet in neuem Fenster) auswirken. Das Schulamt wird sich nicht länger weigern können, anzuerkennen, dass das Leben auf den Inseln anders ist, als auf dem Festland.

Sofort keimte bei uns in Venedig wieder Hoffnung auf. Denn eigentlich muss das auch eine Auswirkung auf unser Referendum für die Unabhängigkeit von Venedig haben. La speranza è l'ultima a morire!

In diesem Sinne grüßt Sie aus Venedig, Ihre Petra Reski 

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