Die gute Nachricht zuerst: Am Montag setze ich meine Lesetour fort, mit einer Lesung im Münchener Literaturhaus, und dank der Lockerungen können jetzt 120 Plätze belegt werden, anstatt der geplanten 30. Wer Lust hat, zu kommen, hier der Link zu den Reservierungen (Öffnet in neuem Fenster). Wer nicht in München lebt, kann per Streaming teilnehmen! Hier auch noch die demnächst anstehenden Lesetermine (Öffnet in neuem Fenster).
Und die zweite gute Nachricht ist, dass sich jetzt endlich auch italienische Medien für die Geschäfte, besser die Interessenkonflikte, unseres Bürgermeisters interessieren: Vorgestern erschien die Tageszeitung Domani mit dieser Titelseite:
Übersetzt heißt die Schlagzeile: „Die Hände auf die Lagune von Venedig. Report. Brugnaros wirtschaftliches Imperium profitiert im großen Stil von den Aktivitäten des Bürgermeisters Brugnaro. Und jetzt leitet ein Plan der Stadt die Touristen auf Grundstücke des Bürgermeisters um – ein Millionengeschäft.“
Der Satz „Le mani sulla laguna di Venezia” ist natürlich eine Anspielung auf den legendären Filmtitel von Francesco Rosi, „Le mani sulla città“, der in den Sechzigerjahren die Bauspekulation in Neapel beschreibt – und damit auf dem Filmfest 1963 mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde. Ich wünschte, es gäbe solche
Filme auch heute. Immerhin sind wir schon mal froh, dass endlich mal jemand in Italien darüber schreibt, wie Brugnaro sich an der Stadt bereichert – in ganz Venedig war die Zeitung schon morgens ausverkauft.
Leser meines Buches konnten sich ja bereits eine Meinung über ihn bilden. Zuletzt habe ich seine Interessenkonflikte in Folio (Öffnet in neuem Fenster), der Beilage der Neuen Zürcher Zeitung erwähnt:
„ … der Bürgermeister selbst, der sein Amt als Besitzer eines vierzig Hektaren großen Grundstücks in Porto Marghera antrat, das er dem italienischen Staat für 5 Millionen Euro abgekauft hat – einen Spottpreis für das zwar mit Giftmüll belastete, aber strategisch gut gelegene Areal. Vor allem, wenn dort demnächst die Kreuzfahrtschiffe anlegen.“
In dem Artikel habe ich beschrieben, dass sich nach Corona für Venedig nichts ändert, jedenfalls nicht zum Besten.
Auf jeden Fall hat der Domani-Artikel über Brugnaro eine parlamentarische Anfrage ausgelöst. Die dann gestern auf der Titelseite von „Domani“ prangte. Brugnaro hat natürlich angekündigt, „Domani“ zu verklagen, wie auch anders. Aber ich sehe da wenig Erfolgsaussichten für ihn.
Mich erinnert das an den Sturm im venezianischen Wasserglas, den mein FAZ-Artikel über Venedig letztes Jahr im Sommer auslöste – als sich Brugnaro nicht entblödete, einen Leserbrief zu schreiben: „Ich werde immer dafür kämpfen, die Meinungsfreiheit zu garantieren, aber mit gleicher Entschlossenheit werde ich jeden bekämpfen, der dem Ruf Venedigs schaden will, so wie es im Beitrag ‚Kämpferische Töne im Ort‘ von Petra Reski (F.A.Z.-Reiseblatt vom 16. Juli) geschehen ist“, schrieb er in seinem Leserbrief (Öffnet in neuem Fenster) vom 7.8.2020 an die FAZ. Nun, dass der Bürgermeister eine etwas eigenwillige Auffassung von Presse- oder Redefreiheit hat, ist in Venedig schon lange bekannt: “Wir haben alles aufgeschrieben, Namen und Nachnamen. Seid Euch bewusst, dass wir Tag für Tag verfolgen, was geschrieben wird (…) Wir werden darauf zurückkommen“ (Öffnet in neuem Fenster), drohte er im April 2020, was auf Twitter den Hashtag #segnatiancheilmionome (#SchreibauchmeinenNamenauf) hervorgebrachte und den Staatssekretär des Ministerrats nötigte, den Bürgermeister zur Ordnung zu rufen: Brugnaro solle aufhören, Bürger einzuschüchtern und ihnen das Recht auf Kritik abzusprechen, erüberschreite die Grenzen seines Amts. Da Brugnaro den in meinem Artikel aufgezählten Fakten nicht widersprechen konnte, versuchte er meine Arbeit ohne jeden Beleg mit dem Vorwurf zu diffamieren, „unwahre Geschichten“ zu erzählen. Ich hätte gerne gewusst, was denn „unwahr“ daran ist, dass er den Ausverkauf Venedigs im Vergleich zu seinen Vorgängern noch verschärft vorangetrieben und dabei eigene Interessen verfolgt hat: den Kauf der Insel Poveglia, die gewinnträchtigen Events in seiner Scuola della Misericordia und nicht zuletzt den Verkauf seines 40 Hektar großen Areals in Marghera. Und all das ist nur die Spitze des Eisbergs.
Und weil wir schon mal bei schmutzigen Geschäften sind: Fall Sie interessiert, wie sich die Mafia in Italien in der letzten Zeit entwickelt hat, können Sie das in meinem Artikel (Öffnet in neuem Fenster) nachlesen, den ich für das Special • 5/2021 “Schattenhandel” der Internationalen Politik (Öffnet in neuem Fenster) veröffentlicht habe.
Wenn das Licht anfängt, mürbe zu werden, und der Filmfestblase langsam die Luft entweicht, denke ich immer an den Moment, als ich zum ersten Mal nach Venedig kam - gefühlt vorgestern, tatsächlich aber im September 1989. Ich kam, um ein Interview mit der Regisseurin Lina Wertmüller zu führen, das nie zustande kam, stattdessen lernte ich den Venezianer kennen. Für mich geht das Filmfest schon heute zu Ende, weil ich mich bereit mache für meine Lesung in München. Das Ende des Filmfests ist auch gleichzeitig das Ende der Badesaison am Lido, was mich jedes Mal etwas melancholisch stimmt. Aber einige Gewissheiten bleiben: Die Quallen am Lido werden immer mehr. Und: Es wird ein Film gewinnen, den ich entweder nicht gesehen habe oder den ich schrecklich fand. Denn ich bin ein Orakel (Öffnet in neuem Fenster).
Bei diesem Festival mochte ich den Film „Les Promesses“ (Öffnet in neuem Fenster) mit Isabelle Huppert (kein Wettbewerbsfilm), ich mochte auch den Almodovarfilm, „Madres Paralelas“ (Öffnet in neuem Fenster), Sorrentinos „È stata la mano di Dio“ (Öffnet in neuem Fenster) war so halb gut, in dem Dokumentarfilm „Hallelujah“ (Öffnet in neuem Fenster) über Leonard Cohe habe ich drei Brillenputztücher habe ich vollgeheult, „The Card Counter“ (Öffnet in neuem Fenster) war auch ein guter Film (obwohl ich Kartenspiele hasse), Spencer (Öffnet in neuem Fenster), der Film über Diana, war nicht mein Fall, weil sich der Regisseur meiner Meinung derart auf Dianas Seite geschlagen hat, dass man sie nehmen, schütteln und ihr sagen möchte, dass sie sich verdammt noch mal zusammenreißen soll. Der Film von Jane Campion „The Power of the Dog“ (Öffnet in neuem Fenster) ist großartig, und das sagt eine, die Western hasst.
Und bei der Erinnerung an die vielen Filme, die ich geliebt habe und die nichts gewonnen haben (Öffnet in neuem Fenster), fällt mir auch wieder der Film „The Master“ ein (ja, Silberner Löwe, hätte damals aber den Goldenen verdient) und bei dieser Szene (Öffnet in neuem Fenster), habe ich so geheult, dass ich fast Schluckauf bekommen hätte.) Allein dieser Dialog:
I recalled you and I working together in Paris. We were members of the pigeon post during a four-and-a-half month siege of the city by Prussian forces. We worked in raid balloons, delivered mail and secret messages across the communications blockade set up by the Prussians. We sent 65 unguided mail balloons and only two went missing. In the worst winter on record. Two.
If you leave me now, in the next life you will be my sworn enemy. And I will show you no mercy.
I love to get you on a slow boat to China.
Jetzt aber Schluss mit den Sentimentalitäten. Herzlichst grüßt Sie aus Venedig, Ihre Petra Reski