Das Valentinstag-Massaker
Vance in München/Kapitelmans neuer Roman/Von Umzügen/Serie Papa
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Der vergangene Freitag ist jetzt schon ein Datum für die Geschichtsbücher. Die Regierung der USA wechselt die Seiten, tritt an die Seite von Putins Russland und wendet sich gegen Europa.
Die Rede des amerikanischen Vizepräsidenten JD Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz erinnert mich an meine allererste Lektüre über die Vereinigten Staaten, den Comic von “Tim in Amerika”. In einer Szene schnappt Tim einen Gangster, übergibt ihn der Polizei – doch das Revier ist in Wahrheit das Hauptquartier einer rivalisierenden Gangsterbande. Die Gangster usurpieren die Staatsgewalt. Wenn der Gangsterboss die Straße entlang flaniert, senken die Cops ehrfürchtig ihre Mützen.
Auch in München gab es so ein Schauspiel der verkehrten Welt: Die Feinde der offenen Gesellschaft geben sich als ihre Verteidiger aus und jene, die am 6. Januar 2021 das Kapitol stürmen ließen, um die Zertifizierung der Präsidentschaftswahl mit Gewalt zu verhindern, geben Lehrstunden zum Thema Demokratie. Vance besucht die Gedenkstätte Dachau und ruft dann zur Wahl einer Partei auf, deren Flügel solches Andenken als Schuldkult diffamieren, deren Kanzlerkandidatin bei dem Thema genervt mit den Augen rollt.
Dieses Wechselspiel ist längst ein fester Topos der amerikanischen Populärkultur: Schon in Martin Scorseses Meisterwerk The Departed von 2006 geht es um die Unterwanderung der Regierung von Massachusetts durch das organisierte Verbrechen. Diese moderne Form eines Theaters des Schreckens ist das Kennzeichen der zweiten Amtszeit von Donald Trump. Sie bezieht ihre Wirkung aus diesem wohlbekannten kulturellen Repertoire, zu dem auch die Madman-Theorie von Nixon gehört und die Taktik von good cop/bad cop aus den Krimiserien. Es ist eine Spekulation auf Einschüchterung. Trump und Putin geben den Thanos, den Bösewicht der Avengers-Reihe, dem es gelingt, die Riege der Helden auszuschalten und alle fünf Infinity Steine in seine Gewalt zu bekommen. Wie alle Ideologen stellen sie ihren Sieg als ein Phänomen dar, das einer historischen Notwendigkeit gehorcht und so unabänderlich kommt wie Jahreszeiten oder Ebbe und Flut.
Naja. Die konsequenten Reaktionen von Kanada und Mexiko in der Frage der Zölle haben aller Welt gezeigt, wie viel dahinter steckt. Weder hat die Trump Regierung im großen Stil Migranten abgeschoben, noch wurde die Inflation bekämpft. Es ist auch kein Plan in Sicht. Täglich werden neue Horroreffekte eingeführt, es ist der Frühjahr der Trumpschen Geisterbahn. Sie lenkt davon ab, dass er, wie der konservative Publizist Andrew Sullivan notiert, nichts auf die Reihe (Öffnet in neuem Fenster) bekommt. Zu ähnlichen Schlüssen kommt der ideologisch völlig konträre französische Ökonom Thomas Piketty in einem neuen Kommentar für Le Monde (Öffnet in neuem Fenster).
Ich erinnere mich an einen amerikanischen Vizepräsidenten, der wirklich versucht hat, die Welt nach seinem Willen zu formen: Dick Cheney. Er forcierte den Zweiten Irakkrieg und die Neugestaltung des Nahen Ostens. Beides wurden schreckliche Katastrophen. Ich finde, dafür hätte er vor Gericht gehört, aber darum geht es mir jetzt gar nicht. Cheney jedenfalls hatte die Mittel, die Entschlossenheit – aber er hielt keine Reden zum Thema. Er brauchte keine Medienpräsenz und duldete keinen Musk neben sich. Wahre Fürsten der Finsternis schlagen einfach los.
Ist Trump nicht so mächtig, wie der gerade tut? Die Kräfte gegen ihn sind stärker, als sie es selbst vermuten. Da sind die Bundesstaaten, die Zivilgesellschaft, viele Medien und Unternehmen, die Welt der Wissenschaft und der Hochschulen sowie internationale Institutionen und Regierungen. Europa ist nicht nur bevölkerungsreicher als die USA, es ist eben auch der wichtigste Absatzmarkt der Welt. In puncto Gesundheit und Lebenserwartung liegt Europa weit vor den Vereinigten Staaten.
Die Welt gehört nicht Trump und Putin. Ihre Zeit läuft ab. Viele, auch das gehört zur Wahrheit, haben all das schon lange gesehen und davor gewarnt. Man hätte in der Ampel-Regierung und mit Joe Biden schon dahingehend arbeiten können. Europa partnerschaftlicher aufstellen, gemeinsame Rüstungsausgaben tätigen und gemeinsam auf erneuerbare Energien setzen. Gute Jahre wurden nur unzureichend genutzt.
Der Valentinstag ändert alles. Niemand außer den Parteigängern der radikalen Rechten pflichtet Vance bei. Doch die sind eine Minderheit. Der bisherige Bundestagswahlkampf erscheint bereits wie ferne Folklore. Die Themen, die Fragen, die Organisationsformen und die Kandidaten, sie wirken aus der Zeit gefallen.
Seht hin: Amerikanische Horrorclowns spuken herum und tun so, als seien sie die vom Olymp herab gestiegenen Götter. Das wollen wir doch mal sehen.
Lange habe ich mich auf das neue Buch von Dmitrij Kapitelman gefreut. Es ist die perfekte Lektüre in diesen bewegten Tagen. Es geht um das große Weltgeschehen aus der Perspektive eines familiengeführten Ladens mit ukrainischen Spezialitäten in Leipzig. Wie kommt die jüdische Familie durch die von Propaganda und Ressentiment geprägten Zeiten ? Die Mutter sieht im Regime von Kyjiw nur neofaschistische Marionetten, der Sohn hingegen unterstützt den ukrainischen Freiheitskampf, möchte aber auch keinen Bruch in der Familie riskieren. Kapitelman beschreibt diesen minimalistischen Alltag mit enormem Einfallsreichtum, Humor und einer echten poetischen Zuneigung zum Objekt der Beschreibung. Es finden sich auch inspirierende Überlegungen zum Wesen einer Sprache, die eine Kindheit und Jugend lang für Literatur und Poesie stand, plötzlich aber von den Gaunern im Kreml okkupiert wird. Besonders gelungen sind die Porträts der freundlichen, skurrilen und unvergesslichen Zeitgenossen, die im Laden ein und aus gehen.
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Ich bin früher sehr oft umgezogen. Noch öfter habe ich bei Umzügen von Freunden mitgeholfen. Es ist immer sehr interessant. Fast alle haben irgendein Monster in der Ecke schlafen, aber am Umzugstag muss es eben ans Licht: Zum Beispiel die deckenhohe Sammlung alter Eierkartons, gestapelte Jahrgänge des “Spiegels”, die historische Waschmaschine mit den Anti-Rüttel-Platten aus dem schwersten Material der Welt oder der prächtige alte Eichenschrank von den Großeltern, nicht zerlegbar. Später gibt es Bier und Pizza, es ist ein Festtag und auch eine existentielle Prüfung. Über die politische Dimension der Sache habe ich mir aber keine Gedanken gemacht. Doch dieser Essay von Yoni Appelbaum im Atlantic (frei zu lesen, wenn man den Newsletter bestellt, aber ein Abo lohnt sich auch!) entwickelt das Thema auf überzeugende Weise: Umziehen ist eine sinnvolle, von Optimismus beseelte Handlung, die gut zu den Werten des Westens passt. Doch in den USA wird immer weniger umgezogen. Und jene, die ihr Leben lang an einem Fleck bleiben, sind eher frustriert und wählen entsprechend. Man kann aber einiges dafür tun, dass am letzten Samstag des Monats wieder mehr Möbelwagen in den Straßen parken.
https://www.theatlantic.com/magazine/archive/2025/03/american-geographic-social-mobility/681439/ (Öffnet in neuem Fenster)Vor lauter Nebel und Regen kann man nichts erkennen. Der Protagonist ist Lehrer, trägt eine ulkige Brille und hat so gar nichts von einem Helden. Die Autos sind winzig, die Kulissen von betörender Schönheit und alle flüstern etwas von Machenschaften um eine Mine. Die Gesellschaft der kleinen Stadt wird zur Kippfigur: Mal sieht man eine provinzielle Idylle in der jeder jeden kennt und deren natürliche Schätze gemeinsamer Besitz sind, mal ein Labyrinth aus Intrigen, Verschwörungen und Ressentiments. Die Serie Rapa spielt im spanischen Galizien, bricht mit den Codes des Genres und bietet beste, literarisch inspirierte Serienspannung.
https://www.arte.tv/de/videos/RC-026068/rapa/ (Öffnet in neuem Fenster)Selten erreichten mich so viele Nachfragen wie zum Thema unseres neuen Airfryers. Es ist ein ganz gewöhnliches, schwarzes Philips - Gerät, bei dem man nichts falsch machen kann. Gerade im Winter gehen mir manchmal gemüsetechnisch die Ideen aus, also schneide ich alles, was so herumliegt in Stücke und lasse fryen. Petersilienwurzeln, Topinambur und Co werden plötzlich sehr vorteilhaft in Szene gesetzt. Unser Sohn legt Bacon in Streifen rein und isst sie dann mit der Hand, also man hat da schon eine gewisse Bandbreite.
Wenn mal mehr Zeit ist, freue ich mich über Rezepte, die schon Sonne, Farben und eine leichtere Schwerkraft ankündigen, etwa jenes:
https://www.theguardian.com/food/2025/feb/15/braised-coconut-chicken-hispi-beans-pork-pineapple-braise-recipes-ravinder-bhogal (Öffnet in neuem Fenster)Kopf hoch,
ihr
Nils Minkmar
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