Stille Tage im Élysée
In einer Woche findet in Frankreich der erste Wahlgang der Parlamentswahlen statt. Aber schon heute hat sich das Land verändert: Das politische System hat den Geist aufgegeben. Es ist, wie wenn der Kühlschrank aufgibt: Immer am heißesten Tag des Jahres und kurz vor einem Fest, das Haus voller Besuch. Ignorieren kann man es nicht.
Frankreich ist ein anarchisches Land. Im Südwesten, wo ich jedes Jahr im Sommer einige Wochen verbringe, ist Paris weit weg. Würde ich die Nachbarn wecken und nach dem Namen des Präsidenten fragen, würden die meisten François Mitterrand raten. Die in Paris machen ihr Ding und jeder in der Provinz macht seins, das ist ungefähr der Deal. Schämen will man sich für die politische Klasse oder den Präsidenten zwar nicht, aber ansonsten halten sich die Erwartungen in Grenzen. Das höchste Ideal ist das gute Leben, den Anteil der Politik in Paris dabei unterschätzt man gern. Dass ein Arztbesuch nichts kostet, die Schulen und Hochschulen gratis sind und die Lebensqualität die weltweit beste – das gehört zu Frankreich dazu wie Pyrenäen und Atlantik. Wenn Studierende vermehrt in seelische Krisen geraten, durch Corona und andere Stressfaktoren, reagiert der Staat mit Gutscheinen für Stunden beim Therapeuten. Das ist gut und richtig so - aber es wird eben hingenommen nach dem Motto: Wäre ja auch noch schöner, wir sind schließlich in Frankreich.
Besondere Zuneigung erwirken sich PolitikerInnen nicht. Sie gelten als Menschen, mit denen etwas nicht stimmt, denn ein gutes Leben kann man in der Politik heutzutage nicht führen. Niemand möchte tauschen. Der Staat soll schnurren und wenn etwas aus dem Lot gerät, wird demonstriert. So wie man ein Haushaltsgerät wieder zum Laufen bringt: mit einem ordentlichen Fußtritt.
Die meisten Freunde und Nachbarn führen ein kompliziertes Leben mit vielen Kindern, wechselnden Karrieren, Haustieren und Hobbies - die meisten haben gar keine Zeit, auch keinen Nerv für Politik. Besonders attraktiv ist die Branche nicht: Schauplatz der Innenpolitik sind Dutzende von Panel Sendungen, in denen Studio-Insassen auf die Außenwelt reagieren. Die kommen nie raus, die meisten Menschen dafür nicht hinein in so ein Studio, da toben immer dieselben Figuren.
Seit 2017 hat Emmanuel Macron die Dinge geregelt, hat die Extreme im Fernsehstudio belassen und die langweiligen Details der europäischen Verhandlungen übernommen. Jetzt hat auch ihn die Krise erwischt, denn die Verfassung der Fünften Republik, von Charles de Gaulle ersonnen, überfordert alle Männer irgendwann. Es erinnert an die These von Joseph Schumpeter über die vielen verrückten römischen Kaiser: Der Posten war dermaßen ambivalent - einerseits Herrscher über Leben und Tod, andererseits angewiesen auf das Wohlwollen des Senats - dass man im Amt leicht den Verstand verlor. Sarkozy, Hollande und nun auch Macron – sie kommen vernünftig ins Amt und gehen unter allgemeinem Kopfschütteln.
Nun beginnt in Frankreich eine neue Zeit. Eine Regierung unter Führung der extremen Rechten ist die wahrscheinlichste Option, dann käme es allerdings auch zu heftigen Protesten. Oder, auch möglich, die drei Blöcke enden gleich stark und es geht mehr oder weniger so weiter wie bisher. Regierung, Proteste, Anwendung des 49.3, also Verabschiedung eines Gesetz ohne Mehrheit, Sturz der Regierung und so weiter bis zur nächsten Präsidentschaftswahl.
Mit der Ruhe ist es erstmal vorbei. Das erzürnt erst recht: Im Herbst hätte man sich den ganzen Zirkus bereitwilliger angetan, dann sind die Tage kürzer, es regnet und man kann sich all die Polittalkshows im Büro ansehen.
Selten so geirrt: Gleich nach ihrem Start schaute ich in die Miniserie über Karl Lagerfeld und schaltete auch gleich wieder aus, denn diese Figur ähnelte so gar nicht dem Karl, den ich aus zahllosen Interviews und Talkshows kannte. Einige Zeit später versuchte ich es erneut – für unseren Podcast Was bisher geschah, studierte ich ein ganz verwandtes Sujet, die Folge kommt aber erst noch.Und blieb dran, nun habe ich die Miniserie schon zwei Mal gesehen.
Nach und nach erkannte ich den faszinierenden Versuch, Karl Lagerfeld einmal ganz anders darzustellen. Als einen Mann, der Mühe hat, sich zu seinen Emotionen zu verhalten. Der arbeitet wie ein Irrer, um anderen Fragen in seinem Leben auszuweichen. Wie so viele Männer, die in der Nazizeit geboren wurden.
Aber auch die anderen Charaktere sind herausragend gestaltet, etwa der völlig verlorene Yves Saint -Laurent oder Marlene Dietrich. Unbedingte Empfehlung.
https://www.youtube.com/watch?v=DvQJaL4pXa0 (Öffnet in neuem Fenster)Manchmal ist ein Name so berühmt, das Bild der Person so präsent, dass der Mensch dahinter ganz verschwindet. Weil man annimmt, schon alles zu wissen. Dabei schaut jede Zeit ganz neu auf die Menschen in der Geschichte und kommt zu anderen Urteilen und findet andere Aspekte wichtig. Darum lohnt sich diese neue Biografie von Clara Schumann. Christine Eichel bemüht sich um eine gegenwärtige Sprache, um eine Beschreibung ihrer Kindheit, später ihrer Ehe nach heutigen Kriterien zu formulieren. Erst liest sich das etwas ungewohnt, aber bald schon ist man ganz drin in dieser einzigartigen Geschichte in der deutschen Romantik.
Aus den Asterix-Heften ist bekannt, dass die alten Gallier besonders gern Widschweine zubereitet haben. Heute gibt es zwar jede Menge Wildschweine, aber ihre Zubereitung ist ein wenig aus der Mode gekommen. Die legendäre Köchin Maité zeigt, dass auch die heimische Küche dazu geeignet ist.
https://www.youtube.com/watch?v=04tG82waTCk (Öffnet in neuem Fenster)Etwas ziviler ist diese Synthese aus Blanquette - normalerweise mit Kalbfleisch zubereitet - und Huhn.Da dürften keine Klagen aufkommen.
https://madame.lefigaro.fr/recettes/bressanette-blanquette-de-poulet-270912-289952 (Öffnet in neuem Fenster)Kopf hoch,
ihr
Nils Minkmar
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