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Das Glück der Krise

Kaninchenbaue der Irrelevanz/Haruki Murakami/Komische Männer/Silke Maier-Witt/Küchentricks, vegan und anders

Wenn man mit einem Erkältungsvirus zuhause vor sich hin dämmert, entwickelt man ein anderes Verhältnis zur Welt. Auf Ibuprofen fragte ich mich, wie man in einem Ort mit dem schönen Namen Yorba Linda zur Welt kommen kann und dann doch zu Richard Nixon wird. Ich suchte auf Ebay nach einem Klemmbrett, wie ich es mal zu Beginn meines Studiums hatte und fand es irgendwann auch. Schien mir wichtig. Es war, als würde der Geist in Kaninchenbauen der Irrelevanz spazieren gehen, bis es wieder besser geht. Dann ging das Drama mit Merz los. Man konnte ihm dabei zusehen: Er krachte durch die Plattform eines Holzgestells, dass er sich selbst gezimmert hatte.

Dabei wäre es gut, über das Phänomen der globalen Migration frisch nachzudenken. Bislang sind wie nicht viel weiter als in meiner Kindheit in Dudweiler/Saar, als vor Italienern und Jugoslawen gewarnt wurde: Die haben immer Messer im Sack!

In der NYT beginnt eine vielversprechende Artikel-Reihe (Öffnet in neuem Fenster) zum Thema. Schon der Beginn liest sich anders als die heutigen Debatten, Vorgeschmack:“In this hyperpolarized environment and debate, many people have missed the big picture,” said Marco Tabellini, an economist who studies migration and political change at Harvard University. “Countries in the global north will have to really compete for migrants.”

Nachdenken also. Die meisten Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, haben eine Gemeinsamkeit: Ihr Fluchtgrund heißt Wladimir Putin. Das gilt für Hunderttausende Menschen aus Syrien und für über eine Million Ukrainerinnen und Ukrainer. Diesen für diese Menschen tragischen Umstand bekämpft man aber nicht mir der AfD - einer Partei, die wie keine andere den Standpunkt Putins verteidigt, den Mann verehrt und niemals etwas tut, was Moskau missfallen könnte. Ihnen liegt überhaupt nicht an der Entspannung der Lage, denn dann würde Putin verlieren und sie wären ihr einziges Thema los. Die radikale Rechte ist heuchlerisch: Verbrechen und Morde durch Ausländer sind kein Problem, wenn Russen sie in der Ukraine begehen. Deutschland wird in einer Koalition mit der AfD nicht sicherer, im Gegenteil. Rechte Gewalt bedroht den inneren Frieden und die Sicherheit der Juden hierzulande. Sie sind das Problem und nicht die Lösung.

Vorigen Sonntag hatte ich ja schon geschrieben, dass die wahre Adressatin der kühnen Merzschen Pirouette die Altkanzlerin ist. Im Laufe der Woche hat sich das bestätigt. Merz hat der AfD, die Merkel seit 2015 kontinuierlich bekämpft hat, im Wesentlichen recht gegeben. Es war, als hätte die SPD nach dem Rücktritt Willy Brandts erklärt, die Oder-Neiße-Grenze sei nicht in Stein gemeißelt und überhaupt die armen Vertriebenen. Ich vermute, Willy Brandt hätte dann auch mal angerufen.

Mir fiel bei Merz etwas auf: Er kann gut abliefern. Wenn er etwas sagt, klingt es flüssig, überzeugend und mit dem nötigen Wumms versehen. Er nennt Institutionen gern beim vollen Namen, baut Drama und Pathos auf. Aber er scheint selbst nie genau zu wissen, wo er mit dem Satz, den er gerade sagt, landen wird. Er beschleunigt, hebt ab – aber wo er nun hin soll, politisch, das weiß er nicht. Seine immense Ambition hat kein passendes Ziel.

Das macht ihn empfänglich für Einflüsterer aller Couleur. Der Merz dieser Tage klingt, als habe ihm jemand Disruption empfohlen und auch, mehr Elon Musk zu wagen. Man hat ihm Trump, Musk und Milei gezeigt: Die schreiben ihre eigenen Regeln und ziehen es durch! Statt auf den biederen rheinländischen Konservatismus der Kohl-CDU muss man nun auf neue Härte und alte Kälte setzen. Bildungsbürgertum, Erinnerungskultur, Rechtsstaat – alles verachtenswerter Elfenbeinturm. Kann weg. Wer jetzt noch heult, ist eben Shitbürgertum. SPD und Grüne sind nicht mehr demokratische Partner, sondern der linke Feind. Medien, Kirchen und Gewerkschaften – alles linke Vorfeldorganisationen, die in der neuen Zeit keiner mehr braucht. In dunklen Ecken der deutschen Publizistik ( Ich meine damit nicht Bild oder Welt insgesamt, sondern eine viel kleinere Truppe) gibt es diese Ansichten und ich vermute, Merz ist auf die reingefallen. Aber wenn er Kanzler werden möchte, braucht er eine Koalition. Vermutlich wird er das mit der AfD versuchen, diese Woche war die Testfahrt. Aber in Deutschland ist das nicht möglich. Wieder wird ihm die eigene Fraktion die Gefolgschaft verweigern. Dann folgen, wie in Frankreich, neue Neuwahlen. In denen heißt der Kandidat der Union Markus Söder. Also: Augen auf bei der Beraterwahl!

Den Stäben der Parteien ist zu raten, dass sie sich transnational organisieren, abstimmen und wo immer es geht, im Team mit politischen Partnern aus anderen Ländern auftreten. Die große, wegweisende Führungsfigur gibt es in keiner Familie und keinem Unternehmen mehr, überall schwört man auf ein Team. Nur in der Politik existiert diese Figur der kulturellen Folklore noch, die selbst dem Bundeskanzler suspekt zu sein scheint. Zeigt euch zusammen, als Équipe mit diversen Talenten, Neigungen und Dialekten.

Die nationalen Medien müssen ihre Formate öffnen: Sicherheit, Wachstum, Rente und eben auch Zuwanderung sind europäische Themen.

Das Elend der nationalen Bühne, etwa in Paris und Berlin, ist nicht vorübergehend. Nationalstaaten sind zu klein, um anstehenden Problemen effektiv zu begegnen. Stabilere Verhältnisse gibt es nur nach einem Umbau. Bald wird sich das Vereinigte Königreich wieder auf den Weg nach Europa machen und dann sollten die Briten eine Union vorfinden, die renoviert hat. Unsere politische Krise ist ganz schön heftig – was für eine Chance!

Es lohnt sich, aber es ist nicht einfach, Haruki Murakami zu interviewen. Wenn er überhaupt antwortet, dann nur in knappen Sätzen. Rückfragen haben keinen Sinn. Manchmal folgt dann eine ewig lange Überlegung. Aber das Ergebnis ist schön: Die Lektüre weitet den geistigen Horizont, inspiriert und trainiert die Vorstellungskraft.

https://www.newyorker.com/books/page-turner/haruki-murakami-on-rethinking-early-work?utm_campaign=falcon_FCzP&utm_medium=social&mbid=social_twitter&utm_source=twitter&utm_social-type=owned&utm_brand=tny (Öffnet in neuem Fenster)

Es ist bekanntlich nicht leicht, heutzutage ein Mann zu sein und noch dazu in Paris. Cool möchte man sein und charmant, lässig und wohlhabend, aber dann ist schon der Alttag so ein Krampf, von Job und Familie ganz zu schweigen. Es kommt der Moment, an dem man Probleme mit dem Vorschlaghammer regeln möchte, leider kommt in jenem Moment auch die Polizei. In dieser sehr albernen Komödie geht es um ein Quartett von Freunden, die sich nach Gerichtsbeschluss einer Gruppentherapie unterziehen sollen, um ihre toxische Männlichkeit zu dekonstruieren. Die Frauen sind dekonstruktionstechnisch allerdings auch nicht ohne! Gnadenlose Miniserie, logischerweise nicht jugendfrei!

https://www.netflix.com/watch/81697907?trackId=14277281&tctx=-97%2C-97%2C%2C%2C%2C%2C%2C%2C%2CVideo%3A81681073%2CdetailsPagePlayButton (Öffnet in neuem Fenster)

Das Thema des deutschen Linksterrorismus hat gerade keine Konjunktur, aber das ändert sich ja immer mal wieder. Viele Fragen sind noch ungelöst, insbesondere zur Rolle des Geheimdienste in der Zeit damals. Nun legt eine Zeitzeugin ihre Memoiren vor: Silke Maier-Witt gehörte nicht zur Führung der RAF und hat auch selbst niemanden erschossen, aber sie ging den Weg der Gewalt mit. Später wurde sie von der DDR aufgenommen und führte ein eigentümliches, bewegtes Leben. In diesem Buch beschreibt sie ihren Lebensweg mit viel Selbstkritik und schonungsloser Sorgfalt. Eine berührende Lektüre. Erscheint in 2 Wochen, heute schon vorzubestellen.

https://www.kiwi-verlag.de/buch/silke-maier-witt-ich-dachte-bis-dahin-bin-ich-tot-9783462312935 (Öffnet in neuem Fenster)

In diesen Videos von Mâchon pas les Mots erfährt man nicht nur viel über neue Rezepte, sondern lernt auch neue Tricks und Tipps. Beispielsweise über die beste Messerführung bei der Zubereitung dieser veganen Auberginenvorspeise.

https://www.youtube.com/watch?v=t_20YOvxf7g (Öffnet in neuem Fenster)

Sehr sehenswert auch sein Rezept für Poulet au Vinaigre, übrigens auch der Titel eines legendären Films von Claude Chabrol. Hier mit dem Hinweis, wie man eine Hähnchenkeule entbeint.

https://www.youtube.com/watch?v=ybDUXU-MpQI (Öffnet in neuem Fenster)

Kopf hoch,

ihr

Nils Minkmar

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