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Utopie mit U-Bahnanschluss

Auf dem Sofa mit Salman/ Die Rechten und die Umwelt/Eduard Zimmermann/ Statt Winterschlaf

Seit ich zur Buchmesse fahre – als Student ging das los – ist mein Leben immer besser geworden. Das ist zugegebenermaßen eine grobe Verwechslung von Korrelation und Kausalität, aber so empfinde ich es. Katholiken freuen sich auf Ostern, Kinder auf Weihnachten und ich mich auf die Buchmesse. Das Besondere sind für mich die ungeplanten Begegnungen mit einstigen Nachbarn, Kollegen oder bis eben noch unbekannten Personen. Ich fühle mich dort immer so sicher wie "in Abrahams Schoß", wie Günter Grass zu sagen pflegte. Die Grausamkeiten der Hamas verdüstern die Gegenwart. Diese Taten sind so hart, dass man noch nichtmal die Zusammenfassungen lesen kann und wer es tut, ist danach verstört und bedrückt. Aber man trifft auch Menschen wie den Hanser Chef Jo Lendle, der bemerkt, er könne sich an keine Messe erinnern, in der nicht dieses Gefühl des Weltuntergangs mitschwang. Aber dann geht es irgendwie: Arabische Stände, israelische Stände, alle Religionen, alle Kontinente haben hier zu tun.

In vielen großen Ländern der Welt wächst eine Mittelschicht, die selbst gern liest, die sich Bildung für ihre Kinder wünscht und an Kunst und Wissenschaft glaubt ist. Wenn man durch die langen Gänge mit den Büchern aus Asien, Amerika und Afrika schlendert, kann man es an den Buchcovern ablesen: Schulbücher, Kochbücher, Naturlexika - Grund zur Hoffnung. Bei allen Konflikten und Unterschieden gleichen sich die Themen der Bücher, die im kommenden Jahr erscheinen: Kinder lernen Märchen, Zahlen und was es für Tiere gibt. Wie richte ich es mir zu Hause gemütlich ein? Was macht mich und mein Leben besser? Was könnte ich lernen, dass ich noch nicht weiß? Das globale Bildungsbürgertum ist nicht überall in der Mehrheit, aber eine entscheidende Kraft und sie wird stärker. Dieser Wunsch nach Bildung, einer guten Zeit auf Erden und für die Kinder eint uns. Die Frankfurter Buchmesse wirkt heute schon als konkrete Utopie mit Würstchenständen und U-Bahnanschluss.

Und dann war da Sir Rushdie. Am Donnerstagabend gab es einen Empfang für ihn. Es herrschte, wie man im Saarland sagt ein großes Gehuddel, aber nach einigen Minuten stand ich hinter ihm. Heidrun Gebhardt, die ihn seit Jahren für den Verlag begleitet und dort die Öffentlichkeitsarbeit leitet, war plötzlich genervt von all den Leuten, die sich um ihren Autor drängelten und organisierte freundlich, aber bestimmt, dass Rushdie gemütlich aufs Sofa kommt. Er gehorchte erleichtert. "So und der Herr Minkmar setzt sich neben ihn!" Dann entstand dieses Foto:

Weil er ja nicht so auf Pathos steht, sparte ich mir das. Er war gut im Bilde. "Ach ja, Süddeutsche. Ihr habt ein Interview angefragt, aber das mach ich vielleicht nächstes Jahr." Ich sagte, dass ich schon so viele seiner Bücher rezensiert hätte und dass er also weiter Romane schreiben muss, sonst würden ich und die Kollegen ja arbeitslos. Dann gab es Wein und eine kleine Ansprache, kurz und eindringlich. Sein Fazit: I look forward to church on Sunday – not a phrase you hear me say very often! Seine Frau war an seiner Seite. Salman Rushdie verkörpert an jenem Abend den Sinnspruch Living well is the best revenge.

Ich frage mich immer, warum sich konservative Bewegungen nicht an die Spitze von Klima- und Umweltschutz stellen? Eigentlich ist es kein linkes Thema. Die Bewahrung der gewachsenen Natur passt viel besser in die politische Tradition von rechts. Aber heute ist daran nicht zu denken, besonders in den USA ist die Gegnerschaft zum Klimaschutz und zu erneuerbaren Energien ein irrationales politisches Glaubensbekenntnis, abseits von jeglicher Rationalität. Die Mehrheit der amerikanischen Bürgerinnen und Bürger stehen Maßnahmen des Umweltschutzes zwar positiv gegenüber, aber das politische Feld ist völlig verseucht. Warum kam das so? Schließlich war es Nixon, der mit Umweltschutz begann und selbst George W Bush nahm sich des Themas an. Diese Untersuchung der Historikerin Ella Müller geht dieses sehr aktuellen Frage nach. Ich bin erst am Anfang, aber es entwickelt sich zu einem echten Politthriller.

In meiner Zeit bei Roger Willemsen war auch einmal Eduard Zimmermann zu Gast. Er passte nicht so in unser übliches Gästeschema, aber es war dennoch sehr interessant mit ihm. Mich faszinierte seine Stimme. Dieser tiefe, eindringlich warnende Singsang aktivierte sofort in meine kindliche Erinnerungsschublade. Besonderer Moment war, als der ebenfalls in der Sendung auftretende ehemalige Bassist der Rolling Stones Bill Wyman mitrede ins Plaudern kam und beide eine Zigarre rauchten – damals waren die Stones die identitätspolitische Antithese und verkörperten das kriminogene Milieu. Die kulturgeschichtliche Dimension der Unsicherheitssendung hat Regina Schilling in einer Doku herausgearbeitet, die derzeit noch in der 3 Sat Mediathek zu sehen ist. Es ist auch ein Eintauchen in die alte Bundesrepublik mit vielen Ansätzen, um politisch und privat nachzudenken.

https://www.3sat.de/film/dokumentarfilm/diese-sendung-ist-kein-spiel-100.html (Öffnet in neuem Fenster)

Wenn ich morgens zu arbeiten beginne, gähnen mich die Katzen an und wenn ich abends etwas koche, schlafen sie selig. Irgendwann rappeln sie sich auf, um zu schauen, was es gibt, aber machen durch ihren ganzen Habitus klar, was sie von dieser Saison halten: Winterschlaf ist angesagt. Da das bei uns Menschen aus der Mode gekommen ist und ja jemand auch die Katzen füttern muss, brauchen wir saisonale Tricks, bis es wieder heller wird. Was die Küche angeht, hat der Figaro ganz gute Rezepte – politisch ist das Blatt aber weniger zu empfehlen.

https://madame.lefigaro.fr/cuisine/comfort-food-22-recettes-cocconing-qui-nous-rechauffent-211016-117431 (Öffnet in neuem Fenster)

Kopf hoch,

ihr

Nils Minkmar

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