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Vive la France

Am Montagabend fand in der französischen Botschaft zu Berlin ein denkwürdiges Dîner statt. Der Botschafter François Delattre, rechts im Bild, hatte unter anderem den Preisträger des Prix de l Académie de Berlin 2024 Didier Éribon (Öffnet in neuem Fenster) eingeladen - das ist der fröhliche Herr auf dem Stuhl. Éribon reist gerne in Gesellschaft seines Partners Geoffroy de Lagasnerie (Öffnet in neuem Fenster), der junge Mann links im Bild und ihres gemeinsamen besten Freundes Édouard Louis (Öffnet in neuem Fenster), Bestsellerautor - der große Blonde in der Bildmitte. Anlass war die Herbsttagung der Académie de Berlin (Öffnet in neuem Fenster), die Éribon ihren Preis verliehen hatte.

Die drei Männer, die in der Botschaft so herzlich empfangen wurden, sind entschiedene Gegner des Präsidenten Macron. Es ging aber nur am Rande um Politik, obwohl die Lage der französischen Regierung brenzlig ist – schon bald könnte Premierminister Barnier in einer großen Koalition der Opposition gestürzt werden. Marine Le Pen sieht einer Verurteilung wegen Veruntreuung entgegen und könnte ihr passives Wahlrecht verlieren. In den letzten Jahren sind Richterinnen und Richter in Frankreich immer mit voller Härter gegen Politiker vorgegangen. Marine hat also keinen Grund zur Zurückhaltung. Zugleich sitzt ihr mit dem sehr populären Jordan Bardella ein Nachfolger im Nacken, dem ihre Verurteilung ganz gelegen käme. Er hat schon des Öfteren gesagt, dass die Familie, der Name Le Pen eine Belastung für die Partei ist. Bardella ist politisch mit allen und jedem kompatibel, solange es nur seinem Fortkommen nützt.

Didier Éribon hat das alles so kommen sehen: Macron bereitet den Weg für den Rassemblement National, das ist seit 2017 seine Meinung.

Mich beeindruckte aber etwas ganz anderes, nämlich die immense Belesenheit und Bildung der drei Freunde. Einmal ging es um das cineastische Werk von Ken Loach und den Gebrüdern Dardenne, um Vittorio de Sica und die Rezeption von Almodovar in Spanien. Kurz darauf referierte Édouard Louis über Heiner Müller und kannte sich wirklich gut aus. Sie sprangen über Epochen, Genres und Disziplinen wie übermütige Jungs über die Steine im Bach. Dann ging es um den Rotwein, der Louis suspekt vorkam. In der Tat war eine Flasche verkorkt. Doch auch die intakte Flasche fand keine Gnade, Louis musste über sich selbst lachen, weil er sich so wählerisch zeigte. Éribon rief ihn zur Ordnung Wirklich Édouard, eine verkorkte Flasche zu monieren ist das eine, aber die Weinauswahl des Botschafters zu kritisieren, das gehört sich nicht. Der Botschafter selbst lachte über die ganze Szene am meisten.

Édouard Louis erklärte dazu, dass er ja , wie seine Bücher es reflektieren, aus einem armen und bildungsfernen Milieu kommt. Er hat sich dann weitergebildet und kennt sich nun auch beim Wein aus.

Geoffroy de Lagasnerie zählt in Frankreich zu den Kritikern eines allzu eng verstandenen Familienbegriffs. Er möchte, dass auch solche besonderen Freundschaften wie die drei sie pflegen, sozial anerkannt werden. Louis hatte neulich das Angebot einer Gastprofessur und konnte selbstverständlich seinen Ehemann mitbringen. Aber den besten Freund mitbringen, das wollte die Uni nicht akzeptieren - warum diese Diskriminierung der Freundschaft? Über den Fall haben sich die drei dann spontan und heftig aufgeregt, als sei es gerade eben passiert.

Der Dienstagmorgen stand ihnen bevor wie ein großes Problem. Éribon würde in der Akademie der Künste den Preis entgegennehmen, Laudationes und Grußworte standen auf dem Programm. Natürlich wollten Geoffroy und Édouard da in der ersten Reihe sitzen. Das Problem war die frühe Uhrzeit: Vor 14 Uhr machen die beiden Pariser Intellektuellen keine Termine und die Preisverleihung begann um 11h. Sie schafften es dann knapp, Louis aber mit Sonnenbrille.

In zu vielen Ländern der Welt würden erbitterte Gegner des Präsidenten wie Éribon, Louis und de Lagasnerie verfolgt, sogar inhaftiert. In Berlin und Paris lädt man sie zu einem festlichen, offiziellen Dîner ein und der Botschafter hält eine herzliche, kenntnisreiche Lobrede. Das ist der Westen.

In seinem neuen Buch portraitiert der Wirtschaftsschriftsteller Michael Lewis eine rätselhafte Gestalt aus der Zwischenwelt der Kryptowährungen, nämlich Sam Bankman-Fried. Das Buch erschien zwar schon im letzten Jahr, ich habe es aber erst neulich für eine längere Zugfahrt gekauft. Interessant ist diese Geschichte wegen der Gutgläubigkeit der amerikanischen Finanzbranche und besseren kalifornischen Gesellschaft. Obwohl ziemlich schnell klar sein konnte, dass SBF ein Betrüger ist, wurde er von allen möglichen Eliten hofiert und umschwärmt. Sein Vermögen gab er nie ganz genau an, nur das, was er erreichen wollte nämlich den Kontostand Unendlich. Persönlich war er verstörend, nie pünktlich, unaufmerksam und ungepflegt – aber das galt nicht als Warnzeichen, sondern im Gegenteil als Ausweis seiner Genialität. Mit genug Kohle, oder einfach nur der Illusion von viel Geld, standen diesem Mann alle Türen offen. Irgendwie ist diese Figur auch ein Symbol dieser Zeit zwischen Gier, Naivität und digitalem Hokuspokus bzw Trickbetrug. Ich wäre nicht erstaunt, wenn eines Tages das Imperium eines Elon Musk auf ganz ähnliche Weise zusammenbrechen würde.

In einer Woche ist es soweit, nach fünf Jahren fiebriger Restaurierung wird die Kathedrale Notre-Dame wieder eröffnet. Gleich nach der Eröffnung der Olympischen Spiele ist es das zweite Großereignis in Paris, wo man gute Laune dringend benötigt.Derzeit überschlagen sich alle mit gewagten kulturgeschichtlichen Superlativen, die die dunklen Seiten des Katholizismus in Paris überstrahlen. Die Geschichte dieser Restaurierung ist schon ein Abenteuer von ganz besonderem Ausmaß: Allein die Erhöhung des Dachstuhls um 2 Meter im 13. Jahrhundert ist ein Krimi für sich. Und was würde der fromme Mensch aus dem 14. Jahrhundert wohl denken, wenn er sehen könnte, wie eine Truppe aus Männern und Frauen in Overalls und Helmen, vielleicht gar nicht alle gute Katholiken, sondern Sünderinnen und Sünder ihn aus seinem teuer bezahlten Grab hievt?

https://www.arte.tv/de/videos/RC-023448/notre-dame-die-jahrhundertbaustelle/ (Öffnet in neuem Fenster)

Die Zeiten sind nach Tradition und weniger nach Innovation, da hat Ottolenghi ganz recht. Aber ihm fällt immer so viel ein, dass er auch dann noch auf neue Ideen kommt, wenn er gar keine braucht.

https://www.theguardian.com/food/2024/nov/23/yotam-ottolenghi-thanksgiving-roast-spiced-duck-and-stuffing-biscuits-recipes (Öffnet in neuem Fenster)

Kopf hoch,

ihr

Nils Minkmar

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