„Es kann morgen alles vorbei sein"
Stella Assange macht bei der #FreeAssange-Tour Station in Münster
Es sollte ein besonderer Abend werden, der Abend vor dem 2.ten Advent im kleinen Programmkino Cinema an der Warendorfer Strasse. Dort machte mal für ein paar für ein paar Stunden die große Weltpolitik Station. Dafür sorgte ein Trio mit Stella Assange an der Spitze, Frau und Anwältin von Julian Assange, dem wohl berühmtesten politischen Gefangenen der Welt, dem Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks. Sie lernte ihn 2011 in London kennen und später auch lieben, als sie seinem internationalen Anwaltsteam beitrat. Sie haben zwei gemeinsame Kinder (geboren 2017 und 2019). Stella und Julian heirateten im März 2022 im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh im Südosten von London.
An ihrer Seite Niels Ladefoge, Journalist. Er hat als Kameramann an dem Dokumentarfilm „Ithaka" mitgewirkt, der an dem Abend im Cinema gezeigt wird und hat John Shipton, der Vater von Julian Assange, zwei Jahre lang begleitet.
Der dritte im Bunde: Craig Murray, ein bodenständiger Schotte mit Humor, Journalist und Ex-Diplomat. Der es gelassen hin nimmt, wenn ihm zweimal kurz hintereinander der Laptop abhanden kommt. „Es kann ja auch Zufall gewesen sein", antwortet er unter großem Gelächter in Saal auf die Frage, ob die Drei als Unterstützer-Trio ebenfalls mit Repressionen und Nachstellungen rechnen müssten, und sogar Angst haben müssten, von den Geheimdiensten und anderen finsteren Mächten. Murray war von 2002 bis 2004 britischer Botschafter in Usbekistan, bis er als Whistleblower die Anwendung von Folter aufgedeckt hatte. Murray gilt mit seiner umfangreichen Berichterstattung über die Gerichtsverfahren Assanges als einer der wichtigsten Unterstützer. Er macht an dem Abend von Anfang an unmißverständlich klar, dass da kein fairer Prozeß stattfindet. „Das geht gar, nicht wie da die eine Seite, die Anwälte der anderen komplett ausspionieren kann".
Bild: Stella Assange macht Station in Münster auf ihrer bundesweiten Aktionstour #FreeAssange (Öffnet in neuem Fenster) und Promo-Tour für den Dokumentarfilm „Ithaka", in dessen Mittelpunkt der Vater von Julian Assange, John Shipton. Foto: Frank Biermann
Als der Film „Ithaka" anläuft kommt schnell eine bedrückende Stille im Saal auf. Die Zuschauer erleben, wie Stella ihnen ein Fenster ins das Privatleben mit Julian öffnet. Der Film zeigt Bilder der Überwachungskameras der CIA ( die in der Wohnung von Wikileaks-Gründer Julian Assange in einer Wohnung in der ecuadorianischen Botschaft in London angebracht waren). Sie zeigen ihre Versuche mit dem Handy und Handyvideos eine Beziehung zwischen den Kindern und ihrem isolierten Vater aufzubauen. Die Tage in der ecuadorianischen Botschaft zählten noch zu den besseren. Am 11. April 2019 wurde Assange aufgrund eines US-amerikanischen Haftbefehls in London festgenommen. Er sitzt seit rund dreieinhalb Jahren in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis, in dem ansonsten Terroristen oder Mitglieder des organisierten Verbrechens eingesperrt werden
Der Held wider Willen des Films heißt John Shipton, er ist der Vater von Julian Assange ein pensionierte Bauunternehmer, ein kluger Kopf der Aristoteles und die griechische Mythologie mag. Das Motiv für den 76jährigen, der in Melbourne lebt und mit 75 noch einmal Vater geworden ist, ist klar: „Julian sitzt in der Scheiße und ich will ihn da rausholen". Stella ist verwundert, wie sehr sich die Erzählweise von ihrem Schwiegervater und ihrem Mann ähneln. Ruhig, reflektierend, nicht auf billige Effekte abzielend. Er mag die Medien eigentlich nicht. Aber wenn er mit seinen Interviews seinem Sohn helfen kann, tut er das. „Julian kann nicht mehr für sich selbst sprechen, deswegen muss ich für ihn und seine Familie und seine Freunde sprechen". Wie zum Beispiel beim Anhörungsverfahren, wo es um die von der US-Regierung beantragte zum Ausweisung von Julian an die USA geht, als eine Entscheidung verkündet wird. Die geht im September 2002 zwar zugunsten Julian aus. Die Begründung der Richterin: Assange leide an mittleren bis schweren Depressionen, er gilt als suizidgefährdet. Das macht John, zornig und wütend: „Es ist schon furchtbar und es wird noch furchtbarer werden. Julian ist jetzt schon 49". Vielen Zuschauern stehen wie dem leidenden Vater die Tränen in den Augen. Brian Eno hat die Musik für den Film gemacht. Der Preis den Julian Assange und alle die ihm nahestehen zahlen müssen, für ihren Kampf für die Pressefreiheit, ist hoch.
Bild: Zum Team Assange, das mit Stella in Deutschland unterwegs ist, gehören auch der Journalist und Ex-Diplomat Craig Murry (rechts) und der Journalist und Dokumentarfilm, Niels Ladevoge, der als Kamermann zwei Jahre bei „Ithaka" dabei war. Foto: Frank Biermann
Im Anschluß an den Film gibt es noch eine von Liza Lauer von der Hochschulgruppe von Amnesty International moderierte Diskussion. „An meinem Mann soll ein Exempel statuiert werden, er soll keine Nachahmer finden", sagt Stella. Es sei doch ein völlig ungleicher Kampf zwischen der Weltmacht USA und Assange und einem Team. Abseits aller juristischen Frage bleibe das ganze ein politisches Verfahren. Und das könne nur politisch gelöst werden. „Es könnte morgen vorbei sein". Sie begrüßt es sehr, dass die fünf Medien »New York Times«, »Guardian«, »Le Monde«, SPIEGEL und »El País« die vor ziemlich genau zwölf Jahren in Zusammenarbeit mit Wikileaks Enthüllungsgeschichten veröffentlicht haben, die weltweit Schlagzeilen machten, nun einen offenen Brief mit dem Titel „Journalismus ist kein Verbrechen" publiziert haben. Darin fordern sie, dass die US-Regierung die Verfolgung von Julian Assange wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente einstellen sollte. *
Da mit der Einstellung des Verfahrens realistisch kaum zu rechnen ist, werden Stella, Craig und Niels mit dem Dokumentarfilm weiter auf bundesweite Aktionstour gehen, wohlwissend, dass nicht alle Kinosäle so gut gefüllt sein werden, wie der in Münster.
Frank Biermann