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Italienische Fragmente 4

„Do you speak english, or german maybe?“ fragte ich den Alten hinter dem Tresen des bei google maps als Baumarkt ausgewiesenen kleinen Ladens für Heimwerkerbedarf. Vier Tage lang drückte ich mich darum, die leere Gasflasche des Herrenhauses auszutauschen, weil ich durchaus ein bisschen Schiss hatte, so ganz ohne Kenntnisse der italienischen Sprache und ohne zu wissen, wo genau ich nun die Flasche mit Propan befüllen lassen könnte. Ich hatte keine Ahnung, wie das vonstatten geht und Stefans Hinweise waren eher kryptisch. „Im Dorf unten gibt es auf jeden Fall einen Laden, da kannst du das machen.“ „Der Eisenwarenladen unten auf der Via Roma in Porto Valtravese hat auf jeden Fall auch Samstags auf.“

Die Via Roma war lang und Porto Valtravese groß. Unter uns lag Muceno und das war nur ein Ortsteil der Gemeinde Valtravese. Google fand unter dem Stichwort „Eisenwarenhandel“ natürlich keine direkten Treffer. Stattdessen schlug mir die Suchmaschine „Stornelli Rocco Di F.Lii Martignoni S.N.C.“ vor. Was auch immer das war, nach einem Baumarkt sah das spitze Haus in irgendeiner engen Gasse nicht aus. Also verschob ich den Tausch der leeren, gegen eine volle Gasflasche von einem Tag auf den nächsten, aber an Tag 4 ohne richtige Dusche, ohne Kochen und aufwaschen, ohne Rasur und mit fettigen Haaren musste etwas geschehen. Und so beschlossen C. und ich, das nun endlich hinter uns zu bringen.

Ich tippte auf den Maps-Vorschlag und das Navi führte uns die Serpentinen hinab, vorbei an der Pizzeria, in der wir noch immer nicht waren, vorbei an der Kneipe, in der wir immer noch nicht waren, vorbei am Supermarkt, in dem wir am Samstag waren, der an einer kleinen Kreuzung lag. „Biegen sie links ab.“ sagte die freundliche Stimme, ich schaute kurz auf das Display und bog links ab. Kaum die kleine Anhöhe von vielleicht zwanzig Metern hinter uns gebracht, verengte sich die Straße und wurde zwischen alten, halb verfallenen, aber scheinbar noch bewohnten Häusern zu einer Gasse. Oder besser: einem Gässchen.

Das Pflaster war alt wie Häuser hier und zwischen ihren grauen, bröckeligen Fassaden und meinen Außenspiegeln hätte keine Kinderhand mehr gepasst. C. schloss die Augen und auch ich hätte das am liebsten getan, spielte aber den Coolen, obschon ich mindestens genau so viel Furcht um mein Auto hatte, wie meine Freundin. Aber es passte und mit zehn Kilometer pro Stunde bugsierte ich den Kombi durch die Gassen, in denen es tatsächlich auch noch Verkehrszeichen wie: „Vorfahrt gewähren“ oder „Achtung Gegenverkehr“ gab. Gegenverkehr … hier … Das hätte bedeutet, dass eins der beiden Autos rückwärts fahren müsste. In diesen Gässchen, eng und verwinkelt … Und so, wie ich die Fahrerinnen und Fahrer des Autos mit italienischem Kennzeichen hier in den letzten Tagen kennengelernt hatte, wären es nicht sie gewesen, die zurücksetzen. Es schient, als hätte hier niemand Zeit. An Geschwindigkeitsbegrenzungen hielten sich ausschließlich Fahrer der Autos mit deutschen Kennzeichen. Zebrastreifen waren weniger ein Gebot, als mehr eine Empfehlung. Und zwar für die Fußgänger, lieber drei mal zu schauen, ob nich doch noch einer der verrückten Italiener  vorbeigebrettert kommt. Auch das Drängeln war hier wahrscheinlich Fall von Nötigung. Stoßstange an Stoßstange, auch bei 70 Km/h war keine Seltenheit. In den Dreißgerzonen unten im Dorf, waren Erhebungen auf der Fahrbahn angebracht, wie man sie auch aus Deutschland kennt, um die Geschwindigkeitsbegrenzung zu verdeutlichen. An neuralgischen Punkten, vor Schulen etwa, oder dicht bewohnten Gebieten, oder da, wo die Touris sich am meisten tummelten, lagen die schwarz gelben Barrieren, die mich jedes mal zwangen, auf null runterzubremsen, um dann ganz langsam den Wagen quasi über die Schickanen zu heben. Die Italiener hier störten die Dinger nicht im geringsten. Die bretterten einfach drüber und ich fragte mich, wie oft so ein Fiat oder Einser Golf oder Smart oder Hyundai das wohl aushalten würde ohne einfach in der Mitte zu zerbrechen.

„Sie haben ihr Ziel erreicht.“ sagte die Stimme aber ich war bereits daran vorbei. Die Sache mit der Internetverbindung. Das war hier ein heikles Thema. Schon auf der Herfahrt brach die Navigation alles drei Minuten ab. „Route wird neu berechnet.“ Hätte ich eine Gitarre gehabt, ich hätte einen Song draus machen können, die Loopstation war ja schon an. Vor allem wenn es regnete, war das Netz so langsam, dass ich manchmal meinte, das Laden des 56K Modems zu hören.

„Verpasst.“ sagte ich und C. fragte: „Gibts da nich auch noch einen anderen Weg?“ Tatsächlich hatte Google den vorgeschlagen, den anderen Weg, die Gassen jedoch waren hier beinahe noch enger.

Der „Baumarkt“ war ein fast unscheinbarer kleiner Laden, im Parterre eines Hauses, dessen nördliche Ecke einen spitzen Winkel von gut 30 Grad darbot. Keine Chance, vor dem Laden zu halten, also bugsierte ich das Auto um diese scharfe Ecke und parkte, die Warnblinkanlage angeschaltet, zwischen einer Haustür und so etwas wie einem Lieferantenzugang zum Laden.

Drinnen stand ein älteres Paar, das wegen ein paar Schrauben und irgendeiner Schlauchverbindung mit dem kleinen, dürren Männchen mit der FSP2 Maske hinter dem Tresen diskutierte. Wenn Italiener sprechen, klingt das ja immer ein bisschen, als ob sie streiten. So war es auch hier. Der ältere aber durchaus sportliche Mann mit dem dunklen Teint redete energisch, wobei er sich verschiedene Schrauben betrachtete, sich dem Eisenwarenkrämer entgegenhielt und sich im Sprechen beinahe überschlug. Der Krämer selbst schlurfte nach jeden zweiten Satz seines aufgeregten Kunden mit einer Engelsgeduld nach hinten in sein Lager, zog hier eine Lade heraus, kramte dort in einem kleinen Kästchen, nahm, was er glaubte den Beschreibungen zu entsprechen, schlurfte wieder nach vorn und der Kunde lehnte wieder ab. Das Spiel wiederholte sich drei, vier mal und die Frau des aufgeregten Kunden, eine kleine rundliche, beinahe edel gekleidete Dame an die sechzig wurde immer ungeduldiger. Sie blickte zu C und mir, die wir direkt hinter ihnen standen, weil der Verkaufsraum so klein war, dass wir ihnen nicht das Gefühl geben konnten, sich Zeit zu lassen. Ihr Blick verriet ein unangenehmes Gefühl. Sicher sagte sie etwas wie „Jetzt scheiß doch drauf. Nimm die vermaledeite Schlauchverbindung und die blöden sechs Schrauben und raus jetzt, die Beiden hier warten schon seit einer viertel Stunde.“ zu ihrem Mann. Immer wieder sah sie zu uns herüber, während ihr Gatte sich nicht aus der Fassung, und der Krämer sich nicht aus der Ruhe bringen ließen. Sie sagte etwas, das ich nicht verstand, aber ihr Tonfall verriet, dass es so etwas war wie: „Entschuldigen Sie bitte.“ Ein Flehen lag in ihrem Blick. Ich lächelte und hob die Hände auf Hüfthöhe, um eine langsame Wellenbewegung zu machen. Die typische Geste für: „Kein Stress, lassen Sie sich Zeit.“ „Allora, allora…“ Immer wieder sagte sie „Allora“ und ich dachte, dass das soviel heißt wie „Los jetzt!“ Später sagte C. dass das nur ein Füllwort ist, ähnlcih dem deutschen „Nun“ oder „Also“ …

Nach zwanzig Minuten resignierte der aufgeregte Kunde, zahlte seine zwei, drei Sachen, die schon vor ihm lagen und die beiden verließen den „Baumarkt“. Nun waren wir an der Reihe. „Do you speak english, or german maybe?“ fragte ich in den stoischen Alten, mit der einst weißen FSP2 Maske, die vom Metallstaub, der sich auf jede Pore gelegt hatte, längst ergraut war. Auch auf den Gläsern seiner Brille, die auf der Hälfte seines Nasenbeins saß und über deren Ränder der schmale kleine Mann mit großen Augen lugte, lag der Staub. Sein grauer Arbeitskittel perfektionierte das Bild der Zeitreise in die Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts.

„A bit.“ sagte er und fügte dem einen Satz auf italienisch hinzu

„So“ (ich hätte auch allora sagen können) „we have a gasbottle and it is empty.“ sagte ich und zeigte auf eine kleine grüne Gasflasche, die ich neben dem Tresen stehen sah, als das Verkaufsgespräch noch lief und ich mir einige Sätze und Gesten zurecht legte, falls der Eisenwarenkrämer kein englisch sprechen sollte, was ja hier in Italien nicht ungewöhnlich war. „Like this.“ sagte ich „we have a bigger one and it is finnito.“

Finnito, alle, leer, nicht mehr da .. das lernte ich einen Tag zuvor, als wir an dem als „Kiosk“ bezeichneten Büdchen unten am Lago Maggiore ein Bier trinken wollten. Ein kleines Paradies fernab der touristischen Hotspots von Porto Valtravese, wo alle Hinweisschilder neben italienisch auch in deutscher Sprache zu finden waren. Was Kiosk heißt, stößt bei den Mercedes und Ferrari und BMW und Chrysler und Lamborgini fahrenden Touris eher auf Abwinken. „Wir fahren doch nicht nach Italien, um dann ein räudiges Bier an einem räudigen Kiosk zu trinken.“ Was für die Snobs Ablehnung war, war für uns genau richtig.

Wir parkten auf einem kleinen Platz vor einem auf hellbraun verputzen und mit Fresken bemalten dreistöckigen Kastenbau, der sicherlich eins der billigeren Hotels hier gewesen sein musste und liefen die dreißig Meter auf den Imbisswagen zu, dessen chaotische Rückseite tatsächlich wenig einladend aussah. Ein schmaler Steg führte daran vorbei und verlief sich in einem kleinen Paradies. Überall gemütliche Sitzecken, gebaut aus Europaletten auf denen Matratzen lagen, kleine hölzerne Tischchen davor, und an der Stirnseite, direkt am Ufer liegend, eine Art Tresen mit Barhockern und Blick auf den Lago Maggiore, die Berge die den See umsäumten, aus denen der Nebel stieg, die Dörfer und Städte auf der gegenüberliegenden Seite und die Promenade von Porto Valtravaglia.

An der Tafel war, neben „Birra Moretti – L’AUTENTICA“ Kozel ausgeschrieben und da ich nur bedingt ein Freund von Geschmacksexperimenten bin, bestellte ich das tschechische Bier, das ich zwar auch nur im Notfall trank, aber wenigstens wusste, dass es ein halbwegs annehmbares Bier ist.

„Kozel finito.“ sagte die junge Frau im Büdchen. Finito … gut, dass es immer wieder Worte gibt, die aus einer in eine andere Sprache Einzug halten. Finito. Das kannte ich schon… alle, leer, nicht mehr da … Also bestellte ich die 0,3er Flasche Bierra Moretti (das authentische) und einen Aperol Spritz für C., wir setzten uns unten an den Ausblick und genossen den Sonnenuntergang.

„You will change the bottles?“ fragte der Alte

„Exactly.“ antwortete ich

„Where is the bottle?“

„In the car outside.“

„Show me.“

Und so gingen wir nach draußen und ich zeigte ihm die Gasflasche auf dem Rücksitz.

„Ah.“ sagte der Alte, der mir hinterher geschlichen war wie eine Schildkröte. „What is about this one, is ist ok?“ fragte er und zeigte auf den Schlauch mit der Druckmesseinheit an der Flasche.

„Oh aye, this is ok. I don`t smell gas in the last days.“

„Yes because its empty.“ lachte der Schildkrötenmann und begann, den Schlauch abzuschrauben und die Dichtungen aus beiden Enden zu entfernen. „Imortanto! Very important.“ sagte er und wies uns an, ihm zurück in den Laden zu folgen. „You will pay now and than we change the things in the magazin.“ sagte er. C  und ich blickten uns an. Wie jetzt, hier bezahlen und wo anders austauschen? Welches Magazin? Und wie geht das dann vonstatten? Wir hatten beide Schwierigkeiten, den Eisenwarenkrämer zu verstehen und ich bereute ein wenig, den jungen Italiener, der eben draußen freundlich und vor allem auf deutsch gefragt hatte, ob wir alles verstehen, nicht doch zu bitten, als Übersetzer dazubleiben. Stattdessen sagte ich überfreundlich Danke und meinte, dass wir uns auf englisch recht gut verständigen könnten. Erst jetzt verstand ich sein Lächeln. Von wegen Englisch. Das Englisch des Schildkrötenmannes war ein mehr ein italenglisch, aus dem wir nur im Subtext heraushören konnten, was er meinte.

Wir bezahlten die 52 Euro und ich fragte den Alten, was fiftytwo auf italienisch hieße. Wenn ich nicht viel wusste davon, wie man sich in anderen Ländern verhält und keine ethnologische Blinse war, so hatte ich doch eins auf meinen wenigen Reisen ins Ausland gelernt: Wenn du dich für die Region in der du bist und für die Sprache interessierst, machst du nichts falsch. Und meine Frage war wie der Handschlag, der die Freundschaft beschloss. „Chentoduo“ sagte der Alte und freute sich über das Interesse. Ich wiederholte und er sagte: „Perfotto … Chento-Due!“

Nun kam er hinter seinem Tresen hervor, hielt uns die Ladentür auf und befestigte ein Schild daran auf dem wahrscheinlich so etwas wie „Komme gleich zurück“ stand.

„You will leave your car, I will leave my car.“ sagte er und ich dachte, er wolle nun laufen, also holte ich die Gasflasche aus dem Auto. „No no no no.“ sagte er „leave your car!“ Ja na klar, das habe ich verstanden, dachte ich. Ich lasse mein Auto hier. Und jetzt? „Ah, we will drive together with your car?“ fragte ich verwirrt.

„No no no no.“ I will leave my car and you will leave your car!“

Also doch zu Fuß? Aber wenn ich die Falsche nicht mitnehmen soll, wie wollen wir die dann tauschen? Freundlich und gelassen versuchte er nun, uns zu gestikulieren, was er meinte und C. begriff zuerst, dass „leave“ nicht etwa „zurücklassen“ hieß, sondern dass er sein und wir mein Auto benutzen, ich rückwärts hoch und mich hinter seinem Fiat platzieren sollte, um ihm schlussendlich in sein Magazin zu folgen.

Keine drei Minuten später hatten wir also eine neue Gasflasche im Auto. Wir bedankten uns mehrfach, und C. drückte dem Schildkrötenmann, der uns nun noch drei Dichtungen für den Schlauch übergab, einen Fünf-Euro-Schein in die Hand. Sein ohnehin freundlicher Blick, der auch während der Verständigungsprobleme nicht aus seinem Gesicht gewichen war, hellte sich noch mehr auf. „Ohhhhh grazie, grazie mille..“ wiederholte er drei, vier mal und verabschiedete sich mit einem Winken.

„So ein cooler Typ.“ sagte ich auf dem Weg zurück ins Herrenhaus zu C. „Mit dem hätte ich gern ein Bier getrunken, oder acht. Ich glaube, das hätte ihm auch gefallen.“

„Ganz bestimmt.“ sagte C lächelnd und ich nahm mir vor, ihm auf jeden Fall in den kommenden acht Tagen noch einmal einen Besuch abzustatten. …

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