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Sophie Scholl und das falsche Zitat: Eine peinliche Instrumentalisierung

Wenn historische Fakten egal sind: Das Märchen von der „schweigenden Mehrheit“

Das Internet ist mal wieder in Flammen: Erika Steinbach, berüchtigt für ihre unermüdliche Jagd auf Aufmerksamkeit, hat ein angebliches Zitat von Sophie Scholl geteilt. „Der größte Schaden entsteht durch die schweigende Mehrheit, die nur überleben will, sich fügt und alles mitmacht“, soll die Widerstandskämpferin gesagt haben.

Klingt dramatisch, passt perfekt ins Narrativ der „Ich bin so mutig, weil ich mir bei Telegram Mut zusprechen lasse“-Fraktion. Blöd nur: Sophie Scholl hat das nie gesagt. Punkt.

Was ist hier eigentlich los?

Fangen wir mit den harten Fakten an. Weder Sophie Scholl noch irgendein Mitglied der Weißen Rose hat diesen Satz jemals geäußert. Es gibt schlicht keinen Beweis dafür. Und das sagen nicht nur wir, sondern auch die Weiße Rose Stiftung und diverse Historiker*innen. Warum? Ganz einfach:

  1. Das Zitat ist nirgends belegt. Briefe? Flugblätter? Irgendwas? Fehlanzeige. Nirgendwo taucht diese Aussage auf.

  2. Der Begriff „schweigende Mehrheit“ war zur NS-Zeit nicht gebräuchlich. Den prägte Richard Nixon erst 1969 – also gute 25 Jahre nach Sophie Scholls Tod.

  3. Das Muster ist bekannt. Historiker*innen nennen solche Fakes „Kuckuckszitate“. Sie werden erfunden und dann berühmten Persönlichkeiten untergeschoben, um den Unsinn glaubwürdig erscheinen zu lassen. Spoiler: Es klappt nicht.

Wer profitiert von diesem Unsinn?

Die üblichen Verdächtigen. Besonders in Kreisen der Querdenker und AfD wird Sophie Scholl zum Symbol des „Widerstands“ gegen eine angebliche Unterdrückung gemacht. Dass das die historische Wahrheit komplett verdreht, ist dabei Nebensache.

Dass Erika Steinbach, die gern mal tief ins rechte Narrativ greift, dieses erfundene Zitat teilt, überrascht nicht. Mit ihrem Tweet vom 27.12.2024 schreibt sie sich endgültig in die Hall of Fame der geschichtlichen Peinlichkeiten ein. Die Tatsache, dass sie Sophie Scholl als „Vorbild“ bezeichnet, während sie gleichzeitig deren Andenken missbraucht, ist eine Dreistigkeit sondergleichen. Was folgt? Kritik natürlich, und zwar zu Recht.

„Wenn es eine Hölle gibt…“

Besonders deutlich wurde der Meteorologe Jörg Kachelmann. Sein Kommentar zu Steinbachs Aktion ließ keinen Raum für Interpretation: „Mehr ekelhafte und abseitige Aneignung ist eigentlich kaum möglich (…) Wenn es eine Hölle gibt, wird Frau Steinbach sie kennenlernen, wie ich zumindest hoffen darf.“ Autsch. Das saß.

Sein scharfer Ton ist allerdings nur die Spitze des Eisbergs. Auch viele andere Nutzer*innen und Prominente kritisierten den Versuch, Sophie Scholl für politische Zwecke zu vereinnahmen. Zu Recht: Wer ihr Vermächtnis derart missbraucht, zeigt nicht nur Geschichtsvergessenheit, sondern auch eine eiskalte Gleichgültigkeit gegenüber dem, wofür die Weiße Rose wirklich stand.

Warum das wichtig ist

Solche Falschzitate sind nicht harmlos. Sie verzerren die Geschichte und nutzen das Andenken an mutige Menschen wie Sophie Scholl, um heutige politische Narrative zu stützen. Besonders perfide ist, dass diese Instrumentalisierung oft von Gruppierungen kommt, die den demokratischen Werten, für die Sophie Scholl gestorben ist, keinen Respekt entgegenbringen. Wer die Widerstandskämpferin der NS-Zeit für Corona-Verschwörungen oder rechte Hetze missbraucht, handelt nicht nur geschmacklos, sondern verantwortungslos.

Fazit: Wahrheit bleibt Wahrheit

Sophie Scholl hat das Zitat nicht gesagt. Ende der Diskussion. Wenn Sie das nächste Mal auf solche „historischen Weisheiten“ stoßen, fragen Sie sich: Wo ist die Quelle? Bei falschen Zitaten wie diesem bleibt nur eines zu sagen: Stoppt die Vereinnahmung von Sophie Scholl und anderen historischen Persönlichkeiten durch geschichtsvergessene Schwurbler. Und an Frau Steinbach: Vielleicht einfach mal ein Geschichtsbuch aufschlagen.

Rechtlicher Hinweis: Dieser Artikel dient der kritischen Auseinandersetzung mit aktuellen Themen und stellt keine rechtlich bindenden Aussagen dar. Die dargestellten Ansichten dienen ausschließlich der Information und Diskussion. Die verwendeten Informationen basieren auf öffentlich zugänglichen Quellen. Trotz sorgfältiger Prüfung wird keine Gewähr für die Richtigkeit und Vollständigkeit übernommen. Der Artikel erhebt keinen Anspruch auf die alleinige Wahrheit und ist im Sinne der Meinungs- und Informationsfreiheit zu verstehen.

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