Tagesschau ohne „Damen und Herren“: Der Sturm im Social-Media-Glas
Vier fehlende Worte, und die Kommentarspalten explodieren. Willkommen in der Empörungsmaschine 2024.
Die Tagesschau sagt jetzt nur noch „Guten Abend“. Kein „meine Damen und Herren“ mehr. Was wie eine harmlose Anpassung klingt, ist in den sozialen Medien der neue Aufreger des Monats – ein Paradebeispiel dafür, wie Social Media jedes Thema zur Scheindebatte aufbläst.
„Meine Damen und Herren“ ist Geschichte (Öffnet in neuem Fenster). Seit dem 21. November begrüßt die Tagesschau ihre Zuschauerinnen schlicht mit
„Guten Abend, ich begrüße Sie zur Tagesschau.“
Warum? Der NDR erklärte, dass die neue Ansprache zugänglicher und moderner wirken soll, basierend auf Feedback der Zuschauerinnen. Eine einfache, logische Änderung – wenn man nicht die sozialen Medien fragt. Dort wurde aus dieser kleinen Anpassung ein „Angriff auf Tradition“, ein „woker Wahnsinn“ und sogar der „Beginn des kulturellen Verfalls“.
Social Media: Die perfekte Bühne für künstliche Empörung
Im Jahr 2024 scheint es ein Naturgesetz zu sein: Irgendein unbedeutendes Thema wird aufgegriffen – etwas, das die meisten Menschen maximal mit einem Schulterzucken quittieren würden – und schon läuft die Empörungsmaschine heiß. Willkommen im Zeitalter der digitalen Empörungskultur, in dem Algorithmen, Filterblasen und der Hang zum Drama eine toxische Symbiose eingehen.
Die neuen Begrüßungsworte der Tagesschau? Perfekter Stoff für diese Maschinerie. Es braucht nur wenige Zutaten: Eine handvoll wütende User*innen, die ihre Empörung lautstark in die Kommentarspalten posaunen. Dazu ein paar gezielte Schlagworte wie „woke“, „Zwangsgebühren“ oder „DDR 2.0“, die sofort bei den Richtigen triggern. Und voilà – schon brodelt die Empörungs-Echokammer. Aus einer kleinen Änderung wird ein riesiger Aufreger, während sich der Algorithmus die Hände reibt: Kontroverse Inhalte bedeuten Klicks, Klicks bedeuten Reichweite, und Reichweite bedeutet – richtig geraten – noch mehr Empörung.
Doch wie genau wird diese Dynamik befeuert?
Die typischen Muster: Der Algorithmus liebt Wiederholungen
Was besonders auffällt: Die Empörung auf Social Media folgt immer demselben Drehbuch. Es ist, als hätte jemand ein Handbuch geschrieben, wie man mit den immer gleichen Phrasen maximalen Unmut generieren kann. Ein Blick in die Kommentarspalten zur neuen Begrüßung der Tagesschau fühlt sich an wie ein Déjà-vu – weil es tatsächlich immer dieselben Schlagworte und Narrative sind, die den Diskurs dominieren:
„Woke Ideologie zerstört alles!“
Die Allzweckwaffe der Empörten. Ob Gendersternchen, Regenbogenflaggen oder drei gestrichene Worte in der Tagesschau: Alles wird unter „woke Ideologie“ subsumiert. Der Untergang der Gesellschaft wird prognostiziert, während der eigentliche Kontext völlig ignoriert wird.„Manipulation wie in der DDR!“
Ein Klassiker, wenn es darum geht, eine kleine Modernisierung als Teil eines finsteren, totalitären Plans darzustellen. Die ARD passt ihre Sprache an – logisch, dass das jetzt als Zeichen von „Staatspropaganda“ gedeutet wird. Weil ja nichts besser zeigt, wie unfrei wir sind, als eine neutralere Begrüßung im Staatsfernsehen. 🙄„Grüne Ideologien!“
Kein Social-Media-Aufreger ohne Schuldzuweisungen an „die Grünen“. Die Grünen sind mittlerweile der universelle Sündenbock, auch wenn sie mit einer Entscheidung absolut nichts zu tun haben. Man könnte fast meinen, manche Kommentatoren haben ihre Posts schon fertig getippt und ändern nur das Thema.„Guten Abend, liebe Zwangsgebührenzahler!“
Und natürlich darf der Klassiker nicht fehlen: Die GEZ. Sobald die Öffentlich-Rechtlichen irgendetwas tun – sei es eine Programmanpassung oder eine sprachliche Änderung – wird reflexartig auf die „Zwangsgebühren“ verwiesen. Dass diese Gebühren nach wie vor zur Finanzierung einer unabhängigen Berichterstattung dienen, spielt dabei keine Rolle.
Der Unterschied zwischen Realität und Kommentarspalten
Die Kommentarspalten toben, die Empörung scheint grenzenlos, und doch: Im echten Leben zucken die meisten Menschen vermutlich nur mit den Schultern. Während in den sozialen Medien jeder Klick, jeder Kommentar und jede Schlagzeile die vermeintliche Tragweite der neuen Tagesschau-Begrüßung aufbauscht, herrscht außerhalb der digitalen Welt weitgehend Gelassenheit.
Die Wahrheit ist: Für die meisten Zuschauer*innen spielt es schlicht keine Rolle, ob „meine Damen und Herren“ weiterhin gesagt wird oder nicht. Viele dürften die Änderung nicht einmal bemerkt haben. Diejenigen, die sie wahrgenommen haben, denken sich vielleicht: „Okay, und was gibt’s Neues?“ Weil genau darum geht es – um die Nachrichten, nicht um die Begrüßung.
Social Media: Die Empörungsverstärker
Doch warum wirkt es in den sozialen Medien oft anders? Weil dort eine kleine, aber extrem laute Minderheit jede Gelegenheit nutzt, um ihre Wut auf „die da oben“, den „woken Zeitgeist“ oder generell auf Veränderungen loszuwerden. Diese Menschen sehen in jeder Neuerung einen Angriff auf ihre Werte oder Traditionen – egal, wie banal die Änderung tatsächlich ist.
Für diese Empörten geht es nicht um die Begrüßung der Tagesschau. Es geht um ein Gefühl des Kontrollverlustes, um die Vorstellung, dass sich „alles ändert“ und die Welt „nicht mehr so ist, wie sie mal war“. Die Tagesschau wird so zum Symbol für einen kulturellen Wandel, den sie nicht verstehen oder akzeptieren wollen. Und so werden drei gestrichene Worte plötzlich zur Projektionsfläche für Ängste, Frustrationen und eine diffuse Sehnsucht nach einer vermeintlich besseren Vergangenheit.
Fazit: Social Media macht aus einer Mücke einen Elefanten
Drei Worte weniger – und das Internet läuft heiß. Doch die Realität sieht anders aus: Für die meisten Menschen ist die neue Begrüßung der Tagesschau irrelevant. Der Sturm tobt nur in der kleinen, verzerrten Welt der sozialen Medien, wo sich jede Mücke in einen Elefanten verwandeln lässt.
Vielleicht sollten wir uns fragen, ob drei Worte weniger in der Tagesschau wirklich das größte Problem in unserem Leben sein sollten. Oder ob diese Empörungsenergie besser für echte Themen genutzt werden könnte.
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