Burnout wegen Sauerteig
„Setz dir einen Sauerteig an“, haben Sie gesagt. „Sauerteig ist das beste! Und so unkompliziert! Wenn du Sauerteig hast, hast du für immer ausgesorgt!“ Haha! Was für eine Lüge. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen: „Seit ich Sauerteig habe, weiß ich zum ersten Mal so richtig, was Sorgen sind!“ Aber von vorne.
Als Corona losging, kam es bekanntlich schnell zu Hefe- und Mehl-Engpässen. Warum, weiß heute keiner mehr so genau, eigentlich wusste es schon damals keiner, denn wenn es irgendwas gab, das während all der Lockdowns verlässlich IMMER auf hatte, dann waren‘s ja wohl die Bäcker. Während wir also alle wie die Geisteskranken durch die Stadt rannten, Frischhefe bunkerten, Trockenhefe-Päckchen wie Kokstütchen tauschten und uns gegenseitig zuriefen „Dinkelvollkornmehl! Bei Aldi! Noch drei Packungen! Go, Go, Go!!!“ standen Deutschlands Bäcker etwas ratlos neben uns, ihre Ware in der Hand und sagten schüchtern: „Äh: Brot, irgendjemand? Brötchen? Is’ alles da!“
Meine Mutter, die Sauerteig-Afficionada
Auch ich hatte mich von dieser Hysterie erfassen lassen und irgendwann beschlossen: Ab jetzt wird alles selbst gebacken. Meine Mutter empfahl mir dann, einen Sauerteig anzusetzen, „weil das das Einfachste ist!“ Sie selbst ist schon lange Sauerteig-Afficionada und hat seit Jahren keine Bäckerei mehr von innen gesehen. Als sie das letzte Mal in einer Bäckerei war, gab’s da noch keine Amerikaner, weil Amerika noch gar nicht entdeckt war.
Ich habe also meinen ersten Sauerteig angesetzt. 5 Tage lang gärte und blubberte Mehl und Wasser auf meiner Heizung vor sich hin, immer unter der strengen Beobachtung meines eher fermentationsskeptischen Mannes.
„Was wird‘n das?“, fragte er.
„Sauerteig!“, sagte ich.
„Das blubbert“, sagte er.
„Gutes Zeichen!“, sagte ich.
„Und stinkt!“, sagte er.
„Noch besseres Zeichen!“, sagte ich.
„Bleibt das jetzt so?“ fragte er.
„Natürlich nicht“, sagte ich. „Spätestens morgen sollte da ein kleines Alien raushüpfen und eine Roggenvollkornmehlspur hinter sich herziehend durch unser Wohnzimmer robben!“
Er sagte nichts mehr.
Als der Sauerteig dann fertig war wurde mir allerdings bewusst: Fuck, jetzt muss ich ja wohl auch was damit backen! Und ab hier wird‘s stressig.
Man braucht ja fast nix!
Erstens: Thema Equipment. Laut Internet braucht man nämlich „eigentlich gar nix“, um ein gutes Brot zu backen. „Eigentlich gar nix“ bedeutet in diesem Fall: eine Küchenmaschine, eine Teigkarte, eine Löffelwaage, ein Gärkörbchen, Bäckerleinen, einen gusseisernen Topf und ein Abkühlgitter. Was man halt so zuhause hat. Von dem Geld, das ich fürs Sauerteigbrotbacken schon ausgegeben habe, hätte ich locker drei Kamps-Filialen samt Inhalt und Personal erwerben können.
Zweitens: Zutaten. Bis vor kurzem war Mehl eben Mehl, weiß und pudrig und aus Weizen.
Haha! Ich Dummerchen!
Wussten Sie, dass es Weizenmehl Type 450, 550 und 1050 gibt? Und Roggenmehl Type 1150? Und dass es Dinkelmehl auch als Type 1050 gibt, aber eben nicht auch als Type 550 sondern nur als Type 630? Und dass die ganz unterschiedliche Backeigenschaften haben und man sie nicht einfach untereinander austauschen kann? Ich auch nicht. Also, zumindest nicht bis zum ersten komplett verhunzten Brot, das auch nach 24 Stunden Gehzeit und einer Stunde Backzeit noch aussah, wie etwas, das die Katze ausgewöllt hat.
Ich habe also aufgestockt und mir sämtliche Mehltypen besorgt. Wirklich: alle! In meinem Küchenschrank stehen jetzt mehr seltsame Typen, als auf einer Querdenker-Demo.
Dann, Stichwort Zubereitungszeit: Auch das war mir nicht bewusst, aber Sauerteig muss gehen. Bis zu 24 Stunden steht so ein angerührter Brotteig in der Gegend rum. Ich weiß gar nicht: Kann man das noch gehen nennen, oder ist das schon schleichen? Jeder, der hungrige Kinder oder, noch schlimmer, einen hungrigen Mann zuhause hat, weiß: Nichts lässt deren Augen freudiger strahlen, als wenn man sagt: „Du hast Hunger? Kein Problem, setz sich einfach 24 Stunden hier hin, ich misch uns schnell ein Brot zusammen!“
Egal ich habe mich an alle Regeln gehalten und was soll ich sagen: Mein zweites Brot war ein voller Erfolg. Perfektes Verhältnis zwischen Kruste und Krume, poröse Innenstruktur, knuspriges Äußeres, saftig-knätschig und auch nach 5 Tagen noch immer frisch. Ein Traum.
Bäckerglück (Symbolbild)
Aber dann ging der Stress los: Was mache ich mit dem restlichen Sauerteig? Ich wollte ja nicht ab jetzt jeden Tag neues Brot backen.
„Stell ihn in den Kühlschrank.“, sagte meine Mutter. „Aber nicht den Deckel zudrehen, das explodiert sonst.“ Na toll. Da hab ich Corona überlebt, den Hefe-Engpass überstanden und dann wache ich irgendwann mit einem explodierten Kühlschrank und einer Flasche Heinz-Ketchup in der Stirn auf. Ein schöner Gedanke.
Ich füllte die zickige Gär-Mamsell also in ein Glas und verfrachtete das Ganze in den Kühlschrank. Nach sieben Tagen rief meine Mutter wieder an: „Hast du denn schon deinen Sauerteig gefüttert?“
„Wie, ich muss den füttern? Der soll MICH füttern!“
„Du musst jede Woche 10 Gramm davon abnehmen, mit Wasser und Mehl verlängern und dann nochmal gehen lassen.“
„Das heißt ich habe dann nächste Woche zwei Gläser da stehen? Und übernachste vier? Und dann ... kennst du die Geschichte mit dem Schachbrett und dem Reis?“
Vor meinem inneren Auge sah ich schon meinen Mann, der mit leicht angehobener Augenbraue auf 256 gleichmäßig im Wohnzimmer verteilte Gläser Sauerteig schaut und noch ein kleines bisschen fermentationsskeptischer wird.
Sauerteig-Fetisch im Netz
Meine Mutter winkte ab: „Unsinn. Den Rest verschenkst du einfach. Gibt Tauschbörsen im Internet!“
Es gibt Tauschbörsen für vergorenes Mehl? Und ich dachte, meninpettycoats.com wäre das absurdeste, was ich je im Netz gesehen hätte!
Nee, dachte ich mir, nix gibt‘s. Hier wird weder gefüttert noch verschenkt - dann back ich eben weiter! Als Bühnenkünstler hat man ja gerade recht viel Tagesfreizeit. Also ging's los: Roggenbrot, Weizenbrot, Roggenbrötchen, Dinkelseelen, Weizenmischbrot, Körnerbrot, Schusterjungen, Dinkelhinkel, Kartoffelbrot, Möhrenbrot - Ich will nicht sagen, dass das Ganze etwas außer Kontrolle geraten ist, aber nach zwei Wochen mussten sich Besucher meiner Wohnung wie bei Hänsel und Gretel erst durch mehrere Schichten Gebäck beißen, um mich zu sehen.
Ich war fertig.
Zum Glück fiel mir dann ein, dass mein Nachbar kürzlich den Wunsch geäußert hatte, ins Bäcker-Game einzusteigen. Ich schenkte ihm meinen gesamten Sauerteig - und seine ehrliche Freude trieb mir Tränen der Rührung in die Augen.
Zwei Wochen später klingelte es an meiner Tür. Mein Nachbar stand davor mit einem frischen Roggenmischbrot.
„Hier, für euch!“ sagte er, „Und nochmal danke für Rudi!“
„Rudi?“, fragte ich.
„Der Sauerteig! Rudi Roggen! Echte Sauerteig-Fans geben ihrem Kleinen doch nen Namen! Wie heißt deiner eigentlich?“
„Lasse“, sage ich. „Lasse wie „Lass mich in Ruhe!“