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Die überraschende Geheimwaffe eines Pioniers der deutschen Online-Kultur

Thierry Chervel, Gründer des Online-Magazins Perlentaucher, im Interview mit Steady

Mehr als nur ein alter Hase − ein Pionier: Seit Anfang der 2000er lebt Thierry Chervel von seinem Online-Kulturmagazin Perlentaucher. Was sich in mehr als zwei Jahrzehnten Online-Publishing verändert hat und warum Newsletter (Öffnet in neuem Fenster) nach wie vor seine Geheimwaffe sind, erzählt er im Interview mit Steady-Mitarbeiter Manuel Krohnenberg.

Dieses Interview war Teil des digitalen Steady Growth Day, einer Serie von Gesprächen mit unabhängigen Medienmacher:innen, die du kostenlos und in voller Länge überall findest, wo es Podcasts gibt.

Falls du das Interview lieber hören möchtest, findest du es als Podcast-Folge hier bei Podigee (Öffnet in neuem Fenster).

Willkommen, Thierry Chervel von Perlentaucher: Du bist Journalist. Du hast als Kulturredakteur schon für verschiedene Zeitungen gearbeitet. Lange für die taz und auch die SZ und hast dann dein eigenes Kultur- und Literaturmagazin gegründet mit Perlentaucher. Das war, ich glaube, im Jahr 2000 – pünktlich zur Jahrtausendwende. Und da wart ihr ziemlich früh dran damit, alles online zu machen und Kulturjournalismus, sehr nischig, als Online-Angebot zu schaffen. Würdest du sagen, ihr wart da vielleicht sogar ein bisschen zu früh dran?

Na ja, ich meine, unser Gründungsdatum ist der 15. März 2000. Das war genau die Woche, in der der "Neue Markt" – ich weiß nicht, ob sich da jemand noch dran erinnert – zusammengebrochen ist. Das war der Moment, ganz genau der Moment, wo zum Beispiel die Telekom-Aktie ihren absoluten Höchststand hatte und dann wie eine Rakete abgestürzt ist, wie der gesamte "Neue Markt" dann ja auch. Also das heißt, eigentlich haben wir uns in dem Moment gegründet, wo die allererste Internet-Euphorie gerade brach.

Damals war ja viel von, wie hieß das damals, diesen Neuen Medien die Rede, oder von dieser New Economy, das war das Schlagwort. Und das war damals noch gar nicht so richtig sortiert, wenn ihr euch daran erinnert. Da zählten sich die Medien selber auch noch zur New Economy. Das heißt, die klassischen Medien, die platzten damals vor Anzeigen der Start-ups, der Spiegel hatte manchmal 400 Seiten. Auch die FAZ hatte samstags 120 Seiten oder so was. Einfach wegen all dieser vielen Anzeigen. Und diese ganze Euphorie, auch diese Illusion, die mit dieser ersten Internetblase verbunden war, die platzte gerade in dem Moment, als wir uns gründeten.

Die Pionierzeit des Online-Publishings

Als einer der ersten verstand Thierry Chervel, was das Internet für eine Revolution bedeutete. Pünktlich zum Zusammenbruch des "Neuen Markts", im März 2000, gründete er das Kultur- und Literaturmagazin Perlentaucher

So war es eigentlich ein bisschen schlechtes Timing.

Nö, das war kein schlechtes Timing, weil wir hatten eigentlich im Grunde den richtigen Riecher.

Wir haben uns ja als kleines Familienunternehmen im Grunde gegründet. Wir haben uns ein bisschen Geld zusammen geliehen, um eine GmbH zu gründen – das ist auch längst abbezahlt – und wir sind im Grunde so eine Art Currywurst-Bude. Also wir haben immer von Anfang an versucht, von unseren Einnahmen zu leben. Wir hatten dann anfangs zum Beispiel Arrangements mit BOL (Öffnet in neuem Fenster). Vielleicht erinnert ihr euch? Das war der Online-Buchladen, den Middelhoff als Alternative zu Amazon gegründet hatte. Und die haben uns für richtig viel Geld damals einige Inhalte abgekauft, die sie übrigens nie auf ihrer Seite publiziert haben. Aber damals dachte man das, dass man zum Beispiel vom Verkauf von Inhalten, vom Kuratieren von Inhalten oder vom Weiterverkauf von Inhalten leben könnte. Man musste diese ganzen Phasen mit durchmachen.

Wo lagen denn die Probleme für euch? Ihr musstet euch ja auch selbst finanzieren.

Ja, natürlich war das anfangs so, dass uns BOL für diesen Kauf dieser Inhalte Preise bezahlte, die heute als vollkommen gagaesk gelten würden, weil die viel zu hoch waren. Es ging in die Tausende. Ich kann mich auch erinnern, als wir uns gegründet haben: In dem Jahr hat die Süddeutsche Zeitung ein kleines Banner bei uns geschaltet und dafür 16.000 Mark bezahlt. Das sind alles heute natürlich absolute Traumpreise. Der Markt kannte sich noch nicht. Das war wirklich Pionierzeit. Und wir haben also eigentlich auch von den Illusionen der größeren Unternehmen profitiert, die da anfangs mit uns zusammenarbeiten wollten. Aber nach und nach ließ das natürlich nach und wir mussten realistische Einnahmequellen versuchen zu entwickeln.

Hat euch das denn so ein gewisses Standbein geboten, von dem ihr dann auch zehren konntet, nachdem die Anfangszeit sich vielleicht ein bisschen gelegt hat und die Anzeigeneinnahmen dann auch zurückgegangen sind?

Also es gab nie eine Zeit, wo wir nicht von unseren Einnahmen gelebt haben. Wir hatten ja nie Kredite oder Startkapital oder sonst irgendwas, sondern wir mussten immer uns von dem refinanzieren, was wir eingenommen haben. Ich war damals allerdings zuerst noch bei der Süddeutschen Zeitung. Ich habe dann erst im Laufe des ersten Jahres gekündigt und das war natürlich alles ganz, ganz prekär.

Was waren dabei deine Erwartungen? Wieso hast du dich überhaupt entschieden, Perlentaucher zu gründen?

Na ja, aus einem Wunsch nach Unabhängigkeit und auch aus Aufregung über dieses neue Medium. Ich fand das total interessant. Aufregend. Ich hatte mich in meinem Studium ein bisschen mit Buchdruck beschäftigt und das war vielleicht auch einer der Gründe, warum wir früh mit verstanden haben, was für eine tiefgreifende Revolution das Internet bedeutete. Das war wirklich eine Neuordnung. Eine Neuorganisation all dessen, was Inhalt ist in der Welt und so ähnlich, wie es der Buchdruck mal war.

Ich hatte mich in meinem Studium ein bisschen mit Buchdruck beschäftigt und das war vielleicht auch einer der Gründe, warum wir früh mit verstanden haben, was für eine tiefgreifende Revolution das Internet bedeutete. Das war wirklich eine Neuordnung. Eine Neuorganisation all dessen, was Inhalt ist in der Welt − so ähnlich, wie es der Buchdruck mal war.

Und es gab da ein berühmtes Buch über den Buchdruck. Nicht von Marshall McLuhan, sondern von Elizabeth Eisenstein: "The Printing Press as an Agent of Change". Da hat sie beschrieben, was sich alles veränderte durch die Tatsache, dass es einen Buchdruck gab als Technologie, bis hin − also zum Beispiel, dass man Karten drucken konnte, die man eben vervielfältigen konnte, und jede Karte war dann gleich, weil sie nicht mehr von Hand gemalt waren. Und so weiter.

Das sind eben ganz viele Sachen und ähnliche Dinge, die ja im Internet auch passiert sind. Und das war uns irgendwie von Anfang an klar. Wir hatten das Gefühl, wir müssen sozusagen gleich in diesem Pionierland Claims abstecken, gewissermaßen. Nach einer gewissen Zeit haben wir dann festgestellt, dass wir ganz allein waren in Kalifornien.

Neue, nachhaltige Geschäftsmodelle

https://steadyhq.com/de/perlentaucher/about (Öffnet in neuem Fenster)

Mehr als 2000 Mitglieder unterstützen Perlentaucher inzwischen über Steady (Öffnet in neuem Fenster).

Musstet ihr euer Geschäftsmodell dann irgendwann in Frage stellen? Und was habt ihr dann gemacht?

Wir mussten uns auf realistische Beine stellen. Also diese Kooperation mit BOL, das hörte halt irgendwann auf. Wir haben auch mit Amazon später kooperiert und so. Das hat alles aufgehört, weil die ja alle ihre eigenen Sachen neu entwickelt haben und ganz, ganz andere Sachen gemacht haben. Wir mussten also uns tatsächlich konzentrieren auf die Nische, in der wir uns bewegten – also den Kulturjournalismus, die kulturelle Öffentlichkeit, das Feuilleton-Publikum, für das wir gewissermaßen ein Satellit im Internet waren. Und das heißt, wir haben versucht, Formate zu entwickeln, die vor allem für die Buchverlage als Werbeformate im Internet interessant waren.

Das funktioniert bis heute. Die Werbung ist nach wie vor – also neben Steady – unsere wichtigste Einnahmequelle. Und wir haben eben auch einige Formate entwickelt für Buchwerbung im Internet, die von den Verlagen sehr gerne angenommen werden. Und dadurch gibt es ja auch bei uns ein Werbeumfeld oder andere Anzeigen, die zu unseren Inhalten gut passen.

Du hast es eben schon angesprochen: Euer Steady-Projekt kam dann im November 2018 dazu. Das ist jetzt also auch schon mehr als drei Jahre her. Kannst du da kurz was zu sagen? Wie kam es zu der Entscheidung und wie war das damals für euch? War das auch vielleicht ein schwieriger Schritt? Und was musstet ihr für Hürden überwinden?

Wir haben [Steady-Mitgründer] Sebastian Esser über einen gemeinsamen Freund kennengelernt und haben uns dann unterhalten. Eigentlich waren die Gespräche dann sehr schnell sehr konstruktiv. Nachdem wir sehr zögerlich waren anfangs, haben wir uns dann doch drauf eingelassen. Mit [Steady-Mitgründer] Gabriel [Yoran] haben wir auch viel gesprochen. Dann haben wir das instituiert und mussten ganz schnell sehen, dass diese Organisation dieses Zustroms durch Steady einfach unheimlich professionell gemacht war.

Wir hatten uns selber schon auch an unser Publikum gewandt – denn der Perlentaucher hatte immer eine sehr prekäre Existenz – und es gab auch schon Leute, die regelmäßig einfach freiwillig ein bisschen was an uns überwiesen haben. Das war aber eben ganz unprofessionell organisiert. Das hat Steady auf eine ganz andere Ebene gehoben und dann hat es sich schnell entwickelt. Wir fingen vielleicht mit zwei- oder dreitausend Euro im Monat an und stehen jetzt ungefähr bei neuntausend Euro im Monat. Wir machen die Zahlen ja auch öffentlich.

Diese Steady-Einnahmen sind für uns eigentlich in doppelter Hinsicht absolut essenziell. Erstens haben sie uns wirklich abgesichert. Denn gerade bei so einer kleinen Struktur, wie es der Perlentaucher ist, sind regelmäßige Einnahmen das Wichtigste überhaupt. Es ist ja schön, wenn man mal irgendwie von irgendeiner Media-Agentur ein Banner kriegt für 10.000 Euro. Das passiert vielleicht einmal im Jahr oder so. Aber das ist es nicht, sondern regelmäßige Einnahmen, das ist das Wichtige.

Und das Zweite, was Steady für uns verändert hat, war, dass man schon ein anderes Gefühl eines Publikums als Gegenüber hat. Also man arbeitet nicht so ins Leere hinein. Man hat das Gefühl, es gibt doch so eine Art Community – oder wie auch immer man es nennen will – mit der man auch im Austausch steht, die einem gegenüber sitzt. Das sind sozusagen die beiden neuen Qualitäten, die Steady uns gebracht hat.

Also hat das eure Arbeit nachhaltig verändert?

Absolut. Es hat uns, würde ich sagen, im letzten Jahr gerettet, weil die beginnende Corona-Krise, die Verlage – also unsere wichtigsten Werbekunden – teilweise sehr verunsichert hat. Die sind teilweise wirklich von einem Moment auf den anderen abgesprungen, obwohl es manchmal jahrelange Arrangements gab mit uns. Also mir nichts, dir nichts. Auch ohne jede Kommunikation darüber. Und da haben uns diese regelmäßigen Einnahmen extrem gestützt.

So gesehen hat Steady schon sehr, sehr viel verändert. Und zweitens hat es uns immer erlaubt, uns weiterzuentwickeln, denn es kam ja schließlich als Einnahmen hinzu. Wir waren zwar vorher prekär in unserem Status, aber existierten ja. Das heißt, wir waren flüssiger da und konnten dann zum Beispiel dadurch unseren Internet-Buchladen Eichendorff 21 entwickeln. Konnten also ein bisschen investieren in den Grafiker, der uns das gestaltet hat. Und das hat dann als weitere Einnahmequelle für uns tatsächlich auch uns weiter abgestützt. Also für uns war Steady wirklich ein Segen – ganz klarer Fall.

Gleich eine Frage zu eurem Buchladen, Eichendorff 21. Konntet ihr den mit Steady verknüpfen?

Ja, weil wir haben ja Steady-Abonnenten – etwa 2000. Was wir gemacht haben, ist, allen, die uns bei Steady unterstützen, einen Bonus anzubieten, dass alle ihre Bestellungen bei unserem Buchladen kostenfrei sind. Normalerweise sind Bestellungen in unserem Buchladen bis 30 Euro kostenpflichtig, also versandkostenpflichtig. Da muss man dann 3 oder 5 Euro oder sowas zahlen für den Versand. Aber für Steady-Kunden ist jede Bestellung kostenfrei.

Und das ist sozusagen ein kleines Dankeschön einerseits – eben auch der Versuch, was zurückzugeben. Ich glaube ja wirklich, dass man versuchen sollte – ich denke da auch immer wieder drüber nach – Formen zu finden sozusagen, wo man die Steady-Abonnenten oder die Mitglieder, wie auch immer man es nennen will, irgendwie einbinden kann und ihnen irgendwas zurückgeben kann. Gerade weil wir ja auch keine Inhalte hinter eine Paywall stellen oder so. Also bei uns schließt man keine Inhalte auf, in dem man uns abonniert, sondern das ist wirklich eine freiwillige Leistung. Deswegen ist der Buchladen auch deshalb wichtig, dass eben Steady-Leute wissen, sie können bei uns in dieser Amazon-Alternative versandkostenfrei bestellen.

Kannst du dazu noch ein bisschen mehr sagen? Ich habe hier eure Steady-Seite offen und da sieht man ja dann die vier Pakete mit den unterschiedlichen Preisen, wie man euch unterstützen kann. Wie habt ihr das aufgestellt?

Ja, Das war ganz stark geprägt von der Beratung von Sebastian Esser. Der hat uns da einfach gesagt, man solle monatliche Abo-Möglichkeiten anbieten, aber eben auch jahresweise, was dann ein bisschen preiswerter ist. Und drei verschiedene Größen gewissermaßen. Also einfach der kleine Obulus bis hin zur – wenn sich jemand das leisten kann – der wirklichen, etwas größeren Unterstützung. Das muss ich sagen, da habe ich mich auch voll und ganz auf Sebastian verlassen und das Modell hat funktioniert.

Geheimwaffe Newsletter

https://eichendorff21.de/ (Öffnet in neuem Fenster)

Mit Eichendorff 21 (Öffnet in neuem Fenster) hat das Team von Perlentaucher eine unabhängige Amazon-Alternative gegründet. Steady-Mitglieder (Öffnet in neuem Fenster) bestellen versandkostenfrei.

Du hast vorhin schon angesprochen: die prekäre Situation 2020, als die Krise kam und viele Anzeigenkund:innen einfach wortlos abgesprungen sind. Du hast gesagt, ihr hattet dann das Glück, dass ihr durch Steady-Mitgliedschaften dann einfach schon so ein bisschen abgefedert war. Aber habt ihr auch was aktiv gemacht? Habt ihr Leute direkt gebeten, euch weiter zu unterstützen?

Also wir möchten die Leute jetzt auch nicht zu viel belämmern, aber natürlich, Weihnachten machen wir natürlich wie alle dieses Mailing – das haben wir ja von Jimmy Wales [Gründer von Wikipedia und berühmt-berüchtigt für seine effektiven Spendenappelle] gewissermaßen gelernt – wo wir unsere Kunden, unsere Nutzer ansprechen. Ihnen erstens noch mal danken für die Unterstützung, zweitens dann noch mal erklären, welche Möglichkeiten der Unterstützung es gibt. Und das heißt, wir sprechen die Steady-Unterstützer bisher vielleicht so zweimal im Jahr an. Häufiger wollen wir es nicht machen.

Unsere Situation ist ja anders als bei Krautreporter (Öffnet in neuem Fenster) oder so, die Steady-Unterstützer schalten ja bei uns keine Inhalte frei, sondern das ist wirklich eine freiwillige Unterstützung, eine Spende. Und das erfordert dann eben auch eine gewisse Höflichkeit von uns. Wir müssen versuchen, Neues zu entwickeln und zu verbessern und das unseren Unterstützern mitzuteilen. Aber wir haben natürlich nicht so ein – wie soll man sagen – Kundschaftsverhältnis, wie das zum Beispiel die Krautreporter zu ihren Abonnenten haben.

Also schickt ihr so ein- bis zweimal im Jahr ein Mailing raus, in dem es um Steady geht. Wie sieht das genau aus? Und kannst du da ein bisschen was sagen, wie gut das funktioniert?

Also wir schicken das praktisch an alle E-Mail-Adressen, die wir haben. Das ist auch etwas, was ich jedem empfehlen würde, der neu anfängt mit irgendeinem Internet Medium: "Entwickelt einen Newsletter, legt sehr großen Wert auf den Newsletter." Für uns ist der Newsletter gewissermaßen das Instrument gewesen, das uns ermöglicht hat, Steady auch zu integrieren. Weil über den Newsletter – wir haben jetzt in unserem täglichen Newsletter 22.000 Abonnenten – habe ich natürlich ein wahnsinniges Potenzial, Leute anzusprechen. Denn die Newsletter sind sozusagen unsere engere Leserschaft.

Da der Perlentaucher auf den sozialen Medien gar nicht so präsent ist, gibt es zwei Dimensionen, über die man den Perlentaucher erreicht. Das eine ist Google. Man findet den Perlentaucher sehr häufig, wenn man ein Buch oder einen Autor sucht oder ähnliches. Das andere sind Stammkunden, die unseren Newsletter beziehen und die gewissermaßen unser Kernpublikum sind. Und die Leute kann man eben permanent ansprechen, jederzeit. Was nicht heißt, dass man das jederzeit tun sollte, sondern ab und an mal.

Jedem, der neu etwas gründet, würde ich immer sagen: "Es ist ganz, ganz wichtig, außer den Aktivitäten in den Social Media, die heute unumgänglich sind, auch einen Newsletter zu entwickeln." Denn da hat man die Leute eins zu eins ansprechbar. Da sind keine Algorithmen dazwischen, keine Interessen eines Dritten. So kann man die Leute auch direkt ansprechen, zum Beispiel wenn man eine Steady-Anbindung oder ähnliches plant.

Jedem, der neu etwas gründet, würde ich immer sagen: "Es ist ganz, ganz wichtig, außer den Aktivitäten in den Social Media, die heute unumgänglich sind, auch einen Newsletter zu entwickeln." Denn da hat man die Leute eins zu eins ansprechbar. Da sind keine Algorithmen dazwischen, keine Interessen eines Dritten.

Das finden wir auch super wichtig und haben genau dafür ein Newsletter-Tool (Öffnet in neuem Fenster) gelauncht. So kann man als Steady-Creator den Newsletter ganz einfach in sein Projekt integrieren, Kontakte sammeln und dann eben genau das, was du gerade beschrieben hast, einfach umsetzen.

"Nische" als Zielgruppe denken, nicht als Beschränkung

https://www.perlentaucher.de/ (Öffnet in neuem Fenster)

Das Perlentaucher-Magazin (Öffnet in neuem Fenster) wendet sich an das breite Kulturpublikum.

Man sagt ja immer ganz gerne, dass alles, was mit Kultur zu tun hat und noch mehr was mit Literatur zu tun hat, ein Nischenprodukt ist. Musikern zum Beispiel werden immer wieder gefragt, ob sie nicht für die Erfahrung auftreten wollen, ohne Honorar. Wie seht ihr das? Habt ihr vor allem, als ihr angefangen habt, das Gefühl gehabt, eine Nischenpublikum zu bedienen? Und wie ist es heute?

Na ja, ich meine, wir machen ja viel Presseschau. Wir beziehen uns also eigentlich auf die Feuilletons der überregionalen Zeitungen. Natürlich werten wir inzwischen auch viele andere Medien aus, auch internationale Medien und natürlich auch Internetmedien. Kann man sagen, dass es ein Nischenpublikum ist? Ich finde, Nische ist ein bisschen zu klein als Assoziation.

Wenn wir uns die großen Zeitungen angucken, die behaupten ja alle immer, sie hätten 1 Million Leser oder sowas. Sagen wir mal die Süddeutsche und die FAZ. Das ist natürlich meiner Meinung nach illusorisch. Aber wenn man jetzt guckt, früher hatten sie so 300.000 Auflage. Wie viele von den Käufern haben dann das Feuilleton gelesen? Vielleicht 1/5 von denen. Das war doch ein bisschen mehr als eine Nische. Und wenn jetzt sagen würde, 60.000 bei so einer Zeitung wie der FAZ oder der Süddeutschen, die wirklich aktiv und mit Interesse das Feuilleton verfolgen − ich glaube, das kann man sagen. Vielleicht sind es sogar ein bisschen mehr.

Man muss ja überlegen, wer liest denn Feuilleton? Ich schätze mal, ein ganz großes Reservoir als Leserschaft sind zum Beispiel Lehrer oder so. Das ist ja doch eine große Menge an Leuten, die eben auch kulturell interessiert sind. Und ich sehe zum Beispiel − also, unsere beiden Newsletter haben 22.000 Abonnenten, unser Bücherbrief hat über 30.000 Abonnenten, 32.000 Abonnenten. Wir sind jetzt ja nur ein kleines Medium. Also würde ich sagen, das potenzielle Publikum sind doch schon so, na ja, also ich würde schon sagen, 500.000 oder so in Deutschland, die sich dafür interessieren könnten. Die Leute, die ARTE gucken, und so weiter. Und das ist ungefähr die Bezugsgröße, auf die ich mich beziehen würde. Das allgemeine breite Kulturpublikum, ich meine, die Leute gehen ja auch in die Oper oder in ein Jazz-Konzert oder sowas – das ist mehr als eine Nische.

Zu Beginn, als ihr 2018 gestartet habt, hattet ihr nach zwei Monaten schon direkt über 1000 Mitglieder. Wie habt ihr das gemacht? Sicher hattet ihr ja schon eine große Leserschaft, damit das so klappt.

Genau, das ist eben genau das, was ich auch glaube. Der Perlentaucher war schon lange da. Wir hatten ein großes Stammpublikum und Steady bot eben den Leuten eine Möglichkeit, auf eine einfache Art gewissermaßen unsere Arbeit zu honorieren. Und das war sozusagen der geniale Coup an der Sache. Dass es so organisch, so einfach funktioniert. Ich glaube, viele Leute hatten schon darüber nachgedacht: "Eigentlich müsste man dem Perlentaucher auch ein bisschen was geben. Sie spielen eine bestimmte Rolle in der Öffentlichkeit." Aber wie man halt immer so ist. Man denkt, man müsste eigentlich etwas tun, aber bevor man etwas wirklich tut, was man eigentlich tun sollte, vergeht doch immer auch viel Zeit.

Wenn man den Anfangswiderstand gering macht – und das hat Steady gemacht – dann macht es das eben einfacher. Und ich glaube, das hat eben gezeigt, dass wir ein gewisses Potenzial haben. Aber ich kann nur wiederholen, das bedeutet eben auch für jeden, der neu anfangen will, er muss sich sein Publikum wirklich kontinuierlich aufbauen. Er muss einen gewissen langen Atem haben und er sollte unbedingt eben tatsächlich auf den eins zu eins, also auf diesen direkten Kontakt setzen, den die E-Mail, den die Newsletter bieten und nicht nur auf die Social Media.

Jeder, der neu anfangen will, muss sich sein Publikum kontinuierlich aufbauen. Er muss einen langen Atem haben und sollte unbedingt auf den direkten Kontakt setzen, den E-Mail, den Newsletter bieten − und nicht nur auf die Social Media.

Mit 22 Jahren Perlentaucher und 3 Jahren erfolgreicher Mitgliedschaften: Gibt es Lehren oder Ratschläge, die du geben kannst für Leute, die was Ähnliches machen wollen? Oder was hat nicht geklappt, was ist unerwartet schiefgegangen?

Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man sich auf sein Bauchgefühl verlässt. Also klar, es ist jetzt nicht jeder ein Jeff Bezos oder so was, aber letztlich hat er ja auch nur gewissermaßen aus einer Intuition heraus seine Garage da aufgemacht. Und was immer man jetzt von diesem Konzern hält, die Idee war schon richtig. Das ist auch genau das, was zum Internet damals eingeleuchtet hat.

Ich habe 1994 oder '95, kann ich mich erinnern, einen Artikel in der ZEIT gelesen über Amazon. Das war wahrscheinlich der erste Artikel, der jemals in Deutschland über Amazon geschrieben wurde. Und diese Idee gewissermaßen das VLB (Öffnet in neuem Fenster) – ich weiß nicht, ob ihr euch noch daran erinnern könnt – das Verzeichnis Lieferbarer Bücher − da wart ihr noch nicht geboren. Das waren vier so dicke Bände, so dick. Und wenn man jetzt ein Buch suchte, ob es lieferbar ist, ob es überhaupt existiert, musste man in den Buchladen gehen oder in die Bibliothek. Und dieses Verzeichnis der lieferbaren Bücher – das VLB – durchblättern und dann eben gucken, ob man das in den Buchladen bestellen konnte oder in der Bibliothek fand. Dass man das in den Computer reinholt und universell verfügbar macht – das war natürlich eine super geniale Idee, die auch das Potenzial des Internets sofort erschlossen hat, was der Bezos dann gemacht hat.

Mit anderen Worten: Ja, man sollte sozusagen an seine Idee glauben, einerseits, und andererseits sich nicht unbedingt von diesen Hypes, die seit das Internet existiert, immer wieder so durchs Dorf gejagt werden, so beeinflussen lassen. 2007 war zum Beispiel Second Life das ganz große Ding. Und die Leute dachten, jeder braucht seine Präsenz in Second Life! Manche dieser Hypes haben funktioniert, aber manche haben nicht funktioniert. Welcher funktioniert und welcher nicht, das kann man nicht so sagen. Facebook hat funktioniert, Second Life meiner Meinung nach letztlich nicht. Das heißt, man muss auch immer ein bisschen in so einer Umgebung, die sich permanent verändert, auf Sicht steuern und sich auf sich selber verlassen.

Das finde ich ein sehr schönes Schlusswort. Vielen Dank, Thierry, für den spannenden Input.

Thierry Chervel kannst du auf Twitter (Öffnet in neuem Fenster) folgen oder dich hier für den Perlentaucher-Newsletter (Öffnet in neuem Fenster) anmelden.

Hast du aus diesem Interview Ideen für deine eigene Arbeit mitgenommen? Wenn du mit einem Projekt durchstarten willst, egal ob Youtube-Show, Newsletter, Podcast oder Blog, stehen wir von Steady dir bei jedem Schritt zur Seite. Ein Projekt zu starten ist einfach und kostenlos. Bei Fragen wende dich gern jederzeit an support@steadyhq.com. 

Das Interview wurde redaktionell bearbeitet und gekürzt. Die vollständige Aufnahme findest du auf Podigee (Öffnet in neuem Fenster), Spotify (Öffnet in neuem Fenster), Apple Podcasts (Öffnet in neuem Fenster) und überall, wo es Podcasts gibt. 

Kategorie Wachsen & Monetarisieren