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Lass mich dir meine Gefühle gestehen 

Über meinem Bett hängt ein Poster mit der Aufschrift: Ja, ich bin in Sie verliebt, aber ich wüsste nicht, was Sie das angeht. Weise, denke ich, wenn ich es sehe und fast akribisch halte ich mich an diese Auffassung. Das Problem mit dem Gefühle-gestehen. Schön und schwierig, zumindest für jeden, der Gefühle besitzt und dann Angst davor hat, damit alleine zu bleiben.

Es ist Wochenende und dieses Mal muss ich nicht arbeiten, muss ich zu keinem Termin, muss ich im Prinzip gar nichts. Wo für die meisten der Luxus beginnt, beginnt für mich immer mal wieder das Drama. Genauer gesagt, das Sozialdrama. Denn dieses Wochenende wäre offensichtlich ideal dafür, was mit Freunden zu unternehmen oder sogar neue Freunde kennenzulernen, diese eine Party mal zuzusagen oder jemanden einfach mal für einen Kaffee zu treffen, ach und außerdem könnte ich eigentlich dringend Hilfe gebrauchen bei dieser einen Sache, die ich seit langem aufschiebe. Aber alle diese Handlungen implizieren eines: Fragen.

 Hier wird es kompliziert, denn solange ich noch nicht explizit gefragt wurde, traue ich mich im Gegenzug auch nicht immer, jemanden zu fragen und solange ich niemanden frage kann ja auch niemand Nein sagen und naja. Eine Formel dagegen ist es stets, sich die Wochen und Wochenenden vollzupacken, um gar nicht erst in die Position einer Bedürftigen zu fallen. So fühle ich mich oft, wenn ich frage, ob jemand Zeit hat, oder jemand mir bei etwas helfen kann: Bedürftig. Und enttarnt, denn in diesem Moment habe ich ihnen meine Gefühle ihnen gegenüber gestanden. Also füge ich standardmäßig jeglichen Texten, in denen ich meine Freunde was frage oder sie um etwas bitte, den Satz aber kein Stress wenns nicht klappt :) hinzu, der Klassiker, um einerseits ein bisschen mehr unantastbar und gleichzeitig ein bisschen weniger needy zu wirken. Ungeachtet dessen, dass es ja irgendwie schon ein kleiner Stress wäre, denn wären sie mir nicht wichtig, dann wäre ich ja gar nicht in dieser Lage.

 Das Sozialdrama besteht also im Kern aus Folgendem: Ich tausche Nähe, die ich bekomme, gegen Nähe, die ich selber gebe, wäre da nicht dieses kleine Risiko, seine Nähe zuerst offenzulegen um dann auf keine Gegenreaktion zu stoßen, um dann schweren Herzens mit dem Tauschgut alleine dazustehen, wie damals, als man beim Sportunterricht zuletzt gewählt wurde, und allen glaubhaft machen wollte, dass das voll okay sei, und schon gar nichts persönliches, ich bin halt schlecht im Fußball, aber sich unter dem selbstbewussten Lächeln eben doch eine kleine Verunsicherung regt, die normal ist und manchmal nur kurz und klein bleibt, und manchmal auch nicht.

 Doch das Sozialdrama ist hier noch nicht vorbei. In dem Moment, wo ich lieber schweige, als mich einer Unsicherheit auszusetzen, betrüge ich nicht nur mich selbst um die guten Gefühle, die mit dem Gefühle gestehen einhergehen, sondern auch noch meinen Gegenüber um ebendiese. Die Person, die sich vielleicht gefreut hätte, jetzt eine Nachricht auf dem Handy zu haben mit dem Wissen, dass jemand an sie denkt. Mit jedem nicht gestandenen Gefühl, betrügen wir uns also gegenseitig um die guten kleinen Gefühle, die wir haben und teilen könnten. Ein Betrugs-Schneeballsystem. Manchmal stelle ich mir vor, wie viele Betrüger, neben mir, um mich herum laufen. Wie viele Leuten es auf der Zunge liegt zu sagen, dass sie den Abend genossen haben, dass sie jemanden wieder sehen möchten, dass sie eine Person lieb haben, dass sie Hilfe brauchen, dass sie einsam sind und dann doch stumm bleiben.

 Ich öffne den Chat mit meiner besten Freundin und muss lachen, denn unser Chat besteht ironischerweise zu ca. 50% daraus, wie wir uns unsere Liebe gestehen und sagen, dass wir einander unbedingt brauchen. Wieso fällt es mir hier eigentlich so leicht meine Gefühle, ja sogar meine offensichtliche Abhängigkeit einzugestehen? Ich glaube es liegt an der Zeit, in der wir uns kennenlernten, kurz vor der Pubertät, als ich das Konzept von cool sein noch nicht kannte und nicht kennen wollte, als es mir leichter fiel, einfach zu sagen, was ist. Und ich glaube es liegt daran, dass wir es beide tun. Wir haben uns irgendwann mal unsere Gefühle gestanden und seitdem nicht mehr damit aufgehört. Es gibt kein Risiko mehr, wir haben es selbst ausgehebelt, es gibt keinerlei Fallhöhe, wenn wir uns gegenüberstehen. Vielleicht müssen wir also einfach alle anfangen, es zu tun, so wie die Kardashians, die sich in jedem Telefonat mit i love you verabschieden. Aber es müssen alle mitmachen, okay? Ich fange an. Also, vielleicht muss ich aufhören, mich selbst um diese guten Gefühle zu betrügen, damit ich andere nicht mehr darum betrüge, damit ich nicht mehr darum von anderen betrogen werde und andere darum nicht mehr von sich selbst: Ja, ich bin in Sie verliebt, und ich wüsste nicht, was Sie das angeht, aber ich möchte es Ihnen trotzdem sagen:

Kategorie #What I hated this week

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