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Räume und andere Befindlichkeiten

Ich sitze mit einer großen Gruppe Menschen in einem großen Raum. Wir sitzen an einem leicht zu großen Tisch, und trinken ein leicht zu großes Bier. Ich wurde von der Gastgeberin zu ihrem Geburtstag eingeladen. Nett, und sie ist auch die Einzige, die ich hier kenne. Ich schaue mich um. So viel Raum.

 Wir sitzen seit zwei Minuten am Tisch, da bemerke ich schon, wie strategisch ungünstig mein Sitzplatz ist. Ich habe sofort bei der Begrüßung analysiert, wer heute Abend die Gespräche und damit indirekt den Abend leiten wird. Welche Personen auffallen, ohne auffallen zu wollen, welche Personen diejenigen sind, bei denen andere sagen, der ganze Raum würde sich erhellen, wenn sie hineinkommen. Diese Personen, die einfach wirklich cool und lustig sind und die ich insgeheim beneide. Diese von mir vorab identifizierten Personen sitzen mir jetzt gegenüber. Die Gespräche laufen schon, es wird gelacht, sich kennengelernt, sich verbunden. Ich sitze gegenüber und lächle höflich. Mein Sitzplatz ist nah genug, um alles zu hören, doch zu weit weg, um mich zu beteiligen. Denn dazu müsste ich etwas lauter sein, reinrufen und vor allem den richtigen Zeitpunkt dafür finden. Und was würde ich dann sagen? Ich spreche oft nur, wenn ich angesprochen werde, weil sich alles andere, wie Aufdrängen anfühlt. Nach fünf Minuten aber ahne ich, dass ich heute keinen einzigen Satz sagen werde, wenn ich diesem Prinzip treu bleibe. Denn hier wird nicht viel gefragt. Hier werden Worte ausgetauscht, als wären es Ping-Pong-Bälle, und wer dabei sein will, ja, was eigentlich? Der muss es eigentlich einfach nur machen. Also das Dabeisein. Eine andere Regel gibt es nicht, und ich kann es nicht fassen, dass mir schon dieses schmale Regelwerk zu anspruchsvoll ist.

 Ich merke, dass ich ihn irgendwie verpasst habe, diesen Moment zum Dabeisein. Und jetzt weiß ich nicht, ob ich von Minute zu Minute mehr in die Überflüssigkeit abrutsche, oder ob ich schon mit ihr in Begleitung hergekommen bin. Ich versuche, mich davon zu überzeugen, dass ich irgendeine Qualität besitzen muss, die die Gastgeberin an mich denken ließ, als sie diese Gruppe aus Menschen zusammenstellte. Also praktisch eine Daseinsberechtigung. Aber falls sie existiert, ist sie vor lauter Schüchternheit derartig weit in mir versunken, dass ich sie nicht mehr greifen kann. Immerhin scheint niemand zu bemerken, wie furchtbar ich meine sozialen Fähigkeiten gerade in Szene setze und wie sehr ich mich dafür schäme, auch an diesem Tisch zu sitzen, so als wäre ich vom Kellner einfach falsch platziert worden. Das ist vielleicht das Gute an der Situation: Alle sind zu sehr miteinander beschäftigt, um mich zu sehen. Außerdem ist in diesem Raum sowieso kein Platz für Befindlichkeiten. Doch dann frage ich mich, wie groß ein Raum wohl sein müsste, um auch meine Gefühle darin platzieren zu können.

 Nach etwa einer Stunde, die ich in meiner Beobachterrolle verbringe und tapfer an meinem Bier nippe, wandelt sich meine Scham in Wut. Das passiert jedes Mal. Ständig ertappe ich mich dabei, wie ich antworten will, wie mir was Witziges einfällt, wie ich eine Frage stellen möchte und ich dann zu langsam bin. Ein Scheitern an Langsamkeit ist sehr frustrierend. Denn während ich noch überlege, wie ich meine Worte formulieren und geschickt aneinanderreihen will, hat schon jemand anderes geantwortet. Während alle lachen, spüre ich die Worte noch in meinem Körper, so als würden sie jetzt feststecken. Spüre fast, wie sie mir zurufen, dass sie endlich rauswollen, nicht, weil sie von ihrer Bedeutsamkeit überzeugt sind, sondern weil es schön ist, wenn dir sogar in exzessiver Belanglosigkeit einfach zugehört wird.

Ich merke, dass hier kein Raum ist, für leise Stimmen und schon gar keiner für Schlafmützen. Dies ist ein Raum der Schnellen und Lauten, derjenigen, den Zeitpunkt des Dabei-Seins nicht verpasst haben und mich seitdem nicht einmal mehr angeschaut haben. Ich möchte gerne sagen: „Ey, könnt ihr vielleicht etwas von eurem Raum abgeben?! Ihr habt doch schon so viel davon! Diese laute, schnelle Welt ist doch viel mehr eure als meine.“ Aber das wäre mir peinlich. Denn strenggenommen nehmen sie mir meinen Raum ja nicht weg. Es ist ja eher so, dass wir alle den gleichen Raum betreten haben. Nur dass ich wie gesagt diesen Moment am Anfang verpasst habe. Und alle anderen danach. Und so bleibt da eben oft diese kleine Wut übrig, die sich an niemanden so richtig richten lässt, aber immer für noch ein bisschen mehr Distanz statt Nähe sorgt. Oft wünsche ich mir eine metaphorische Hand, die mir gereicht wird. Jemand der daran glaubt, dass ich was zu sagen habe, ohne dass ich es vorher beweisen muss. Der mich einfach wieder ein bisschen anbindet, an das Außen. Aber gut, wir sind ja hier keine Sozialarbeiter*innen, sondern privat hier.

Ich glaube, ich fahre nach Hause. Bin die, die als Erste geht. Wenn mir das als langweilige Eigenschaft attestiert wird, würde ich manchmal gerne sagen: „Ich bin gar nicht müde! Das war gelogen. Ich bin einfach sehr überflüssig! Und großflächige Überflüssigkeit kann schon mal auf die Stimmung schlagen, kennst du das? Ich würde prinzipiell ja schon länger bleiben, aber die räumlichen Gegebenheiten sind dafür heute nicht ideal. Schwer zu erklären. Liegt mitunter an einer strategischen Fehlentscheidung direkt am Anfang des Abends“. Vielleicht nächstes Mal. Als ich dann im Bett liege, gucke ich mich um. Viel weniger Raum, aber endlich groß genug, um ihn einzunehmen und Gefühle in ihm zu platzieren. Es ist ein schöner Raum, bunt und gemütlich. Ich finde ihn sehr einladend und frage mich manchmal, wie man ihn übersehen kann.

 

Kategorie #What I hated this week

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