Genug Internet für diese Woche
Hi, hier schreibt Laura. Und ich hoffe, ihr bemerkt es nicht beim Lesen, aber manchmal fällt mir das hier richtig schwer. Welche Themen soll ich auswählen, wie sehr gehe ich in die Tiefe? Welcher Tonfall ist angemessen? Ich möchte euch informieren, aber auch unterhalten. Also entscheide ich mich meistens für einen ironisch-lustigen manchmal zynischen Stil. Abhaten übers Patriarchat mit Augenzwinkern. Sonst ist das ja auch alles so schwer zu ertragen, oder?
Manchmal, so wie heute, frage ich mich aber auch, ob das überhaupt richtig so ist. Ob ich mich nicht mehr aufregen sollte. Wütender sein müsste. Ernster sein müsste. Nur so kann sich doch wirklich etwas ändern, oder?
Früher habe ich eine Zeit lang einen monatlichen Frauenabend organisiert. Wir kamen zusammen und haben über alles gesprochen, was uns als Frauen im Patriarchat bewegt und beschäftigt. Ich habe mich danach meistens gut gefühlt. Irgendwie kampflustig und bestärkt. Nicht mehr so hilflos. Andere haben mir zurückgemeldet, dass die Femi-Abende, wie wir sie genannt haben, sie eher runtergezogen haben. Ob wir nicht öfter mal über etwas Positives sprechen könnten?
Wir wissen seit einer Weile schon (Öffnet in neuem Fenster), dass schlechte Nachrichten uns auf Dauer krank machen können. Perspective Daily (Öffnet in neuem Fenster) war 2015 eines der ersten News Outlets, die mit konstruktivem Journalismus dagegenhalten wollten – und es bis heute tun. Inzwischen gibt es viele weitere Formate mit einem Fokus auf guten Nachrichten. Und auch große Medienmarken bieten ihrem Publikum mittlerweile erlesene gute Nachrichten an, z.B.:
Auch wir bei hauseins, der Produktionsfirma, die hinter dem Lila Podcast steckt, haben einen Podcast, der sich nur mit guten Nachrichten beschäftigt. Hopeful News (Öffnet in neuem Fenster) heißt er, moderiert von Nicole Diekmann. Acht Folgen gibt es schon, jeden Sonntag kommt eine neue.
Lasst mich doch gerne mal wissen, was ihr euch wünscht. Rund 400 Menschen lesen diesen Newsletter mittlerweile. Seid ihr Team Rant oder Team “Gimme the good stuff”?
Ich hab heute jedenfalls auch ein paar Aufreger dabei.
Schon gewusst? Markus Söder ruft Eltern dazu auf, gendernde Lehrkräfte anzuschwärzen
Zum Hintergrund: Die Bayerische Staatsregierung hat kürzlich ein “Genderverbot” für den dienstlichen Schriftverkehr in Verwaltung, Schulen und Hochschulen beschlossen – gültig ab 1. April. Wer also künftig etwa in Elternbriefen mit Binnen-I, Genderstern, Doppelpunkt oder Unterstrich “gendert”, dem drohen dienstrechtliche Konsequenzen. (Nicht verboten sind offenbar das generische Femininum sowie sämtliche andere Sonderzeichen, die die Tastatur hergibt. Just saying.) Und jetzt ruft Söder auch noch dazu auf, Lehrkräfte anzuschwärzen?
To be fair: Diese Nachricht stimmt so nicht ganz. Tatsächlich wurde Bayerns Ministerpräsident im “BILD-Talk” gefragt, an wen Eltern sich mit Beschwerden über gendernde Lehrkräfte wenden können. (Beim BR (Öffnet in neuem Fenster) könnt ihr das alles nachlesen.) Ein “Aufruf” ist technically also was anderes. Dennoch: Söder empfiehlt u.a., sich an die Schulleitung oder gleich an das Kultusministerium zu wenden.
Das ist auf so vielen Eben absurd. Ich sage nur: “Sprachpolizei” oder “Verbotspartei”. Was in Bezug auf geschlechter- bzw. diskriminierungssensible Sprache, wie “Gendern” eigentlich heißen müsste, auch immer wieder zu hören ist:“Haben wir denn keine anderen Probleme!?” Und, nun ja, was soll ich sagen? JA, VERDAMMT! Es gibt wichtigere Probleme im Kontext Schule und Bildung, als Lehrkräfte, die möglicherweise in einem Elternbrief dem Fakt Rechnung tragen, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, und die sich deshalb bemühen, sich inklusiv auszudrücken. Welche drängenden Probleme das unter anderem sind, kann man z.B. in dem Bildungspodcast “Die Schule brennt” (Öffnet in neuem Fenster) mit dem Lehrer Bob Blume hören.
Schon gewusst? Behindertenfeindlichkeit ist wieder salonfähig.
Den Eindruck konnte man zumindest in den letzten Tagen im Internet bekommen.
Beispiel 1: Auf Instagram ging ein Video des Comedians und Podcasters Felix Lobrecht herum, in dem er sich auf der Bühne extrem ableistisch äußert. Ich bin durch die Creatatorin Alana (@rollingalana) darauf aufmerksam geworden, die in einem Reaction Video eingeordnet hat, was an den Aussagen problematisch ist. Auch Luisa L’Audace (@luisalaudace) hat etwas dazu gemacht. Beide erleben in den Kommentaren unter ihren Inhalten nun massive behindertenfeindliche Gewalt und Täter-Opfer-Umkehr. Wenn ihr könnt und mögt, folgt diesen und weiteren aufklärenden Accounts und lasst vielleicht sogar einen Kommentar da.
Beispiel 2: Mit Heike Heubach sitzt seit gut einer Woche die erste gehörlose Abgeordnete im Bundesparlament (Öffnet in neuem Fenster). Das ist an sich eine großartige Nachricht. Aber irgendwie auch nicht. Ich frage mich: Wieso denn erst jetzt? Sollte das nicht eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein? Längst gängige Praxis? Das scheinen nicht alle so zu sehen. Zumindest im Internet. “Steuergeldverschwendung” und “zu identitätspolitisch” sind da noch die harmlosesten unter den Kommentaren. Ich will auch hier wieder nicht zu sehr ins Detail gehen, aber sagen wir es mal so: Das war der Moment, in dem ich beschlossen hab: Genug Internet für diese Woche. (Ich schreibe nur noch diesen Newsletter zu Ende und dann bin ich offline.) Ich hab in diesem Zusammenhang noch eine Empfehlung: “Hand drauf”, ein Format von funk. Bei denen habe ich diese Woche gelernt, warum der Begriff “Gebärdendolmetscher*in” diskriminierend ist. Besser ist: “Gebärdensprachdolmetscher*in”, da es sich um eine Sprache handelt.
Wenn ihr mit Luisa L’Audace ein bisschen tiefer in die Thematik Feminismus und Ableismus eintauchen wollt, dann hört doch unsere Folge vom Mai 2022 (Öffnet in neuem Fenster).
Zum Schluss möchte ich euch noch einen Kommentar von Friedrich Küppersbusch (Öffnet in neuem Fenster) bei Radioeins empfehlen. Fußball-Deutschland wurde in den letzten Tagen ja ganz schön was zugemutet. (Das ist Ironie.) Erst das pinke Trikot (Öffnet in neuem Fenster) und jetzt gibt es auch noch einen neuen Ausstatter. Nike statt Adidas. “Unpatriotisch” findet das CDU-Chef Friedrich Merz. Aber auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hätte sich “ein Stück mehr Standortpatriotismus” gewünscht. Den unterbezahlten Näherinnen in Südostasien dürfte es egal sein, welche Farbe das Trikot hat und welches Marken-Label drauf ist.
Bis bald im Podcast oder im Postfach!
eure Laura
Foto: Unsplash/Ben Wicks