Positive Beziehungen in der Natur
Gemeinsam ist man stark
Gemeinsam ist man stark â das ist ein Satz, den wir schon von klein auf hören. Was soll ich sagen: Er stimmt! Und das weiĂ man auch in der Natur, weshalb es wirklich erstaunliche ZusammenschlĂŒsse von Organismen gibt, die ich dir in der ersten Newsletterfolge vorstellen möchte. Es geht heute also um positive Beziehungen in der Natur. Eine positive Beziehung kann zwischen zwei und mehreren Arten bestehen. Ein klassisches Beispiel fĂŒr so eine Beziehung, beziehungsweise Symbiose, ist die zwischen Pflanze und BestĂ€uber. Es geht heute also auch um Baumsex. War ja gerade Valentinstag, nicht?
Jetzt wird's romantisch ... und ein bisschen sexy
Im FrĂŒhjahr, das ja jetzt endlich an die TĂŒr klopft, ist die Luft erfĂŒllt von Bienen, BlĂŒtenduft & ... naja ... technisch gesehen Baumsperma. Denn der Samen der mĂ€nnlichen BĂ€ume, der durch die Luft schwirrt, hat genau diese Funktion. Einige von uns leiden in dieser Zeit unter den Orgien von Birke und Co., quĂ€len sich mit laufenden Nasen und geröteten Augen. Wir bezeichnen diesen Zustand dann als "Heuschnupfen", weil das besser klingt als "Sperma in der Nase".
In diesem Bild halte ich mehrere Geschlechtsteile einer Felsenkirsche in der Hand. Klingt komisch, ist aber so. Dieser Baumfreund von mir ist "einhĂ€usig" und zwittrig. Das bedeutet, dass es bei diesen Kirschen keine weiblichen und mĂ€nnlichen Exemplare gibt, sondern beide Geschlechtsmerkmale auf einem Baum vorkommen (=einhĂ€usig), und dass diese sogar in der gleichen BlĂŒte sitzen (=Zwitter).
Der Griffel in der BlĂŒte ist hier das weibliche Geschlechtsmerkmal, in ihm sitzt die Eizelle. Die StaubblĂ€tter sind mĂ€nnlich und sondern das Sperma ab, das dann als Pollen durch die Luft schwirrt. Hier habe ich das mal eingezeichnet:
Baum-Sex funktioniert gut ĂŒber WindbestĂ€ubung, dabei sind die BĂ€ume also ganz unabhĂ€ngig von Helferlein. Aber da es hier um Symbiosen geht und ich das als Beispiel anfĂŒhre, merkst du sicher: Das war es noch nicht.Â
BĂ€ume sind im Thema Liebesspiel sehr offen und haben nichts gegen SpielgefĂ€hrten. Denn WindbestĂ€ubung ist schön und gut, aber nicht sehr spezifisch. Wenn man sich nun jedoch ein Helferlein mit ins "Bett" holt, steigt die Chance, den Samen recht weit verbreiten zu können, ganz unabhĂ€ngig von Windrichtung oder Wetter. So ein Helferlein sind klassischerweise Insekten, zum Beispiel eine Hummel oder eine Fliege. Es können aber auch andere Tiere bei der Fortpflanzung unterstĂŒtzen, zum Beispiel Vögel oder FledermĂ€use. Pflanzen sind da meist nicht sehr wĂ€hlerisch, alles, das irgendwie fliegen kann, wird rekrutiert, und manchmal spezialisieren sie sich sogar auf einen einzigen BestĂ€uber. Das ist natĂŒrlich ein Risiko, denn was ist, wenn dieser BestĂ€uber auf einmal verschwindet?Â
Bei uns in Europa sind vor allem Insekten fĂŒr die BestĂ€ubung von BlĂŒtenpflanzen zustĂ€ndig, doch auch wir haben eine Pflanze, die sich von Vögeln bestĂ€uben lĂ€sst: Die Kanaren-Glockenblume, die auch die kanarische Nationalblume ist. Dort ist der WeidenlaubsĂ€nger (Phylloscopus collybita canariensis) dafĂŒr zustĂ€ndig, dass sich die Pflanze fortpflanzen kann.Â
Aber kehren wir zurĂŒck zu unserer Kirsche und den Insekten, die sie bestĂ€uben.
 (Sidenote: das hier ist eine andere Kirsche als die obige Felsenkirsche)
Wie lĂ€uft das also ab? Die StaubblĂ€tter unserer Kirsche von eben ejakulieren fröhlich, was das Zeug hĂ€lt und hoffen, dass der Wind die kleinen Pollen auf den sexy Nachbarbaum trĂ€gt, mit dem man schon seit Monaten heftig flirtet. đ Um zum Beispiel eine Hummel zu motivieren, zur BlĂŒte zu kommen und den Pollenstaub mitzunehmen, bietet der Baum ihr eine kleine StĂ€rkung in Form von Nektar an. Beide Lebewesen ziehen groĂen Gewinn aus der Beziehung: Die Kirsche bekommt ihre Pollen verteilt, die Hummel bekommt Nahrung fĂŒr sich und den Nachwuchs. Das ist diese Win-Win-Situation, die symbiotische Beziehungen auszeichnet.
Die Pollen landen nun also durch Wind und Insekten auf den BlĂŒten des anderen Baums und dort in den BlĂŒten auf der sogenannten "Narbe".  Schauen wir uns an, was nun in der frisch bestĂ€ubten BlĂŒte passiert.
(Ja, ich weiĂ, schön ist das nicht :D. NĂ€chstes Mal mache ich das hĂŒbscher!)
Die Narbe öffnet sich ein bisschen, und der Pollen, der oben auf ihr liegt, hat dadurch Zugang ins Innere. Der Pollen wĂ€chst nun als Samenschlauch durch die kleine Ăffnung an der Narbe in den Griffel hinab & kommt unten im Fruchtknoten an, wo schon die Eizelle wartet. Du kannst es dir als sehr kleinen Strohhalm vorstellen, der jetzt durch den Griffel zur Eizelle geschoben wurde. Durch diesen neu gewachsenen Samenschlauch, der an der Eizelle angedockt ist, wandert nun eine Samenzelle hinab und verschmilzt mit der Eizelle â Scotty, wir haben einen Embryo, wir haben einen Embryo!
Vielleicht wunderst du dich gerade: Huch, Pflanzen haben Embryos? Ja! Diesen leckeren Apfel, den du heute morgen vielleicht in dein MĂŒsli geschnippelt hast, ist ein Apfelbaumembryo. Das Fruchtfleisch an Ăpfeln, Himbeeren, Kirschen und Co., das so lecker schmeckt, ist dafĂŒr da, dass sich der Samen besser verbreitet. Ein Vogel kann zum Beispiel eine Kirsche essen, fliegt woanders hin und macht dort dann ein HĂ€ufchen. Der Samen hat die Passage durch den Vogeldarm unbeschadet ĂŒberstanden und kann dann weit weg vom Mutterbaum wachsen. Praktisch, oder?Â
Das Kamasutra der Pflanzen
Das Spektrum an Reproduktionsmöglichkeiten unter Pflanzen ist sehr breit. Es gibt Samenpflanzen, die nie wirklich aus der PubertĂ€t rauskommen und sich die ganze Zeit selbst befummeln, das bedeutet: sich selbst bestĂ€uben. Yes, I am looking at you, Kartoffeln und Erbsen, es ist uns allen schon unangenehm. HĂ€nde ĂŒber die Erde, da wo ich sie sehen kann! đ§ Es gibt viele verschiedene Arten der Baumvermehrung, das eben beschriebene Beispiel ist nur eine. BĂ€ume sind sexuell genau so vielfĂ€ltig aufgestellt wie wir, allerdings nicht so verurteilend. Wenn ein Baum nur mit sich selbst Sex haben will oder mit 28 anderen, stört das niemanden. Alle wissen, dass Karolina Kirsche es gern mit 76 BĂ€umen und 2736 Hummeln parallel treibt und dass sie sich als Mann und Frau identifiziert. Aber sie ist dennoch ein hoch angesehenes Mitglied der Baumcommunity, da BĂ€ume nicht solche Fieslinge wie wir Menschen (manchmal) sind.Â
Symbiosen sind ĂŒberall um uns herum
Wenn wir uns auf der Welt umschauen, werden wir feststellen, dass die meisten Systeme auf diesem Planeten eine symbiotische Grundlage haben. Pflanzen sind auf BestĂ€uber angewiesen, Korallen leben in Symbiose mit Algen (Ăffnet in neuem Fenster), Flechten sind eine ganze Organismengruppe, die nur aus Symbiosen zwischen Algen und Pilzen besteht, und auch wir Menschen leben in einer positiven Gemeinschaft mit Bakterien, Viren und Pilzen: Die kleinen Helfer im Darm sorgen dafĂŒr, dass wir unsere Nahrung effizient verdauen können und an alle NĂ€hrstoffe kommen, die wir brauchen. Die Mikroorganismen selbst haben den Vorteil, durch uns immer an leckeres Essen zu kommen. Und auch auf unserer Haut befindet sich ein Mikrobiom, das eine schĂŒtzende Schicht bildet und Krankheitserreger zuverlĂ€ssig abwehrt.
(Auf diesem Foto siehst du verschiedene Flechtenarten auf einem Ast.)
Vielleicht sollte ich noch erwĂ€hnen, dass wir das Wort Symbiose hier in Deutschland anders nutzen, als zum Beispiel die Amerikaner. WĂ€hrend wir die positiven Wechselbeziehung zwischen zwei oder mehreren Organismen meinen und negative Beziehungen davon trennen und unter Parasitismus zusammenfassen, bezeichnet man in den USA mit dem Begriff Symbiose alle Beziehungen zwischen Organismen â auch die negativen.
Symbiosen sind toll. Wenn sich in unserer Gesellschaft alle wieder streiten, hilft es mir, den Blick in die Natur zu richten und mich dadurch zu versichern, dass nicht alles dĂŒster ist. Dass Kooperation und Zusammenhalt wichtige Faktoren sind, um gut durchs Leben zu kommen. Ich kann also sagen: Symbiosen, ich bin Fan!
Lorenz und ich haben in unserem Podcast Bugtales ĂŒbrigens eine Kinderfolge zum Thema Symbiose aufgezeichnet. Wenn ihr möchtet, könnt ihr sie hier anhören:Â
https://bugtales.fm/2022/01/12/ep55-kinderfolge-freundschaften-zwischen-molchen-und-algen/ (Ăffnet in neuem Fenster)Und sonst so?
Ansonsten möchte ich euch noch ein wenig mit schönen Lesetipps oder Videos versorgen, die mir diese Woche begegnet sind.
Und dieser Comic (Ăffnet in neuem Fenster) hat mich sehr glĂŒcklich gemacht:
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Alles Liebe,
Jasmin (hier mit einer Gruppe Pilze namens "Judasohr" an einem Baumstamm, den sie vorgestern entdeckt hat.)