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Prehistoric Planet, oder auch: die perfekte Doku

Hallihallo,

nachdem ich letztes Wochenende krank war und es ja keine Ausgabe gab, gibt es dieses Mal dafür eine etwas Längere. Los geht's:

Ende Mai lief bei Apple TV+ die Dokureihe Prehistoric Planet (Öffnet in neuem Fenster) (Deutsch: Ein Planet vor unserer Zeit), und keine Sorge, man kann die Serie aktuell immer noch abrufen. In der letzten Maiwoche gab es von Montag bis Freitag jeden Tag eine neue Episode dieses bildgewaltigen und von David Attenborough erzählten Wunderwerks der Computereffekte.

Jede Folge deckt einen Lebensraum ab: Wir Zuschauenden starten bei den Küsten, dann folgt das andere Extrem, die Wüste; anschließend bewegen wir uns durch Süßwasserlebensräume, durch Eiswelten und landen in der letzten Folge im prähistorischen Wald.

Vor über 20 Jahren gab es eine BBC-Serie namens Dinosaurier – Im Reich der Giganten, passend dazu gab es eine interaktive und wirklich schön gemachte Webseite, wo man sich per Point-and-Click durch einen Urwald klicken konnte. Wenn man überlegt, wie alt diese 1999 veröffentlichte Serie ist, sind der Look und die Qualität der ganzen Produktion schon sehr beeindruckend. Das sah damals so aus:

https://www.youtube.com/watch?v=leEOhqBGTYY (Öffnet in neuem Fenster)

Wissenschaftliche Exzellenz

Ich war total besessen von dieser Serie, habe sie immer und immer wieder geschaut und hing auch täglich auf der Webseite herum. So lange, bis ich jeden Dinosaurier, jede Epoche und jede Pflanze kannte, die dort vorkam.

Seitdem hat sich viel getan, sowohl wissenschaftlich, als auch bei den Computereffekten. In Prehistoric Planet werden wir Zuschauenden mit den aktuellsten Erkenntnissen der Paläowissenschaften versorgt, die sich auch in der Optik zeigen:

Die Dinosaurier sind nicht mehr alle mit glatter, schuppiger Haut überzogen, nein. Wir sehen Gefieder, Haarbüschel, bunte Farben, und auch das Sozialverhalten der Dickhäuter wirkt sehr anders auf uns als noch in Jurassic Park und Co.

Heutzutage geht man davon aus, dass Saurier ein blühendes und komplexes Sozialleben hatten, dass sie sich sehr häufig in Gruppen zusammenschlossen und wie andere, heute lebende Tiere auf Kommunikation und Kooperation setzten. Wir wissen, dass viele Arten Brutpflege betrieben und sich aufopfernd um ihren Nachwuchs kümmerten, dass Saurier nichts mit diesen eiskalten, wenig entwickelten Echsen zu tun hatten, als die man sie vor allem im 19. Jahrhundert ansah. 

Um diese Erkenntnisse einfließen zu lassen, hat sich die Produktion namhafte Wissenschaftler:innen ins Team geholt, z.B. Dr. Darren Naish, dessen Dino-Twitterfeed (Öffnet in neuem Fenster) und Bücher ich schon seit ein paar Jahren sehr liebe. Ebenfalls dazugeholt haben sie sich die BBC Studios Natural History Unit, die unter anderem die Dokureihe Planet Erde produziert hat. Und genau hier biegen wir jetzt ab, denn das hier wird keine Rezension, sondern ich möchte zu euch über einen Punkt sprechen, über den ich schon länger nachdenke.

Perfekte prähistorische Welt

Beim Schauen der einzelnen Folgen dieser Dino-Doku drängte sich mir eine Sache auf: Alle Bilder haben perfekt zum Erzählstrang gepasst, es sind immer genau die richtigen Sachen passiert, um eine Folge entspannt und ohne Komplikationen bestmöglich durchzuerzählen. Der Grund liegt auf der Hand: Weil hier nichts echt ist.

Man kann sich das T. rex-Paar im genau richtigen Moment an einer malerisch schönen Stelle treffen lassen, man kann die Paarung dann auch so darstellen, dass zufällig gerade ein Baumstamm oder ein Gebüsch vorhanden ist, sodass man in dieser familienfreundlichen Serie nicht etwa einen Penis sieht, wo kämen wir denn da hin? Die jungen Flugsaurier sitzen nicht gelangweilt herum, sondern brechen in genau in dem Moment auf, in dem uns David Attenborough ein paar Fakten zu ihnen durchgibt. Und natürlich kommt genau in diesem Moment eine Gruppe anderer Flugsaurier spannungssteigernd dazu, die die Kleinen als Snack sieht, und wir Zuschauenden kauen gespannt auf unseren Nägeln und hoffen, dass es dieser eine, ganz besonders süße Babysaurier sicher an den Strand schafft – was er natürlich auch tut.

Die Natur ist unberührt, es passiert immer genau das Richtige im genau richtigen, hübschen Setting.

Und das alles verfolgen wir jetzt nicht etwa aus der Ferne, nein. Wir rasen in Close-Ups mitten im Schwarm mit, und nicht nur dort sind wir hautnah dabei: Wir wandeln zwischen den Füßen gewaltiger Langhälse umher, deren Beine mit einem heftigen Donnern auf dem Boden aufsetzen, wir schwimmen direkt neben einem Tuarangisaurus-Weibchen und seinem Jungtier durchs Meer und beobachten eine Geburt, wir blicken in das Auge eines Triceratops. Das Geschlechterverhältnis ist ausgewogen, vor allem Weibchen nehmen viel Raum ein; die Natur ist unberührt, es passiert immer genau das Richtige im genau richtigen, hübschen Setting.

Vielleicht liegt es daran, dass mich die Serie trotz Attenboroughs nachdrücklicher Erzählweise und des aufwändig komponierten Soundtracks nicht catchen kann. Die Bilder sind fantastisch, doch über die Episoden hinweg wird es teilweise redundant, inhaltlich und von den Fakten her finde ich sie wenig dicht und ein bisschen zerfasert. Es tauchen immer wieder dieselben paar Arten mit hier und da einer Ergänzung auf, das, was man beobachtet, ist irgendwie immer das Gleiche, nur eben in einem anderen, hehe, Federkleid. Ist ja auch klar, die Tiere entspringen nur der CGI-Technik, und das zu animieren, ist aufwändig und teuer. Und wenn man dann schon ein paar von ihnen hat, na ja.

Aber noch etwas stößt mir unangenehm auf: Diese Dokureihe erinnert mich ziemlich stark an diese bildgewaltigen Mega-Dokus, die man bei Netflix und Co. ansehen kann. Das macht auch Sinn, denn hinter der Dino-Doku stecken Produktionsstudios, die auch diese ganzen anderen Hochglanzdokus produzieren.

https://www.youtube.com/watch?v=c8aFcHFu8QM (Öffnet in neuem Fenster)

Eine wunderschöne Lüge

Es ist eine wunderschöne Welt, die wir in diesen kinowürdigen Dokumentationen sehen. Diese Welt ist faszinierend, verlockend, süchtigmachend – und falsch.

Also natürlich existiert das, was wir dort sehen. Die Tiere und Pflanzen und Pilze und Mikroben sind keine Computeranimationen, und dennoch bilden diese Szenen nicht die Welt ab, in der wir leben, sondern eine kleine, wunderschön zusammengeschnittene Parallelwelt, die schon sehr nah an reiner Fantasie dran ist.

Heutzutage werden diese faszinierenden Close-Ups und diese Zeitlupenaufnahmen, die uns so an den Bildschirm fesseln, mit gewaltigen Zoomobjektiven gemacht. Was bedeutet, dass das Geräusch, wenn der Löwe sein Maul in die Gazelle schlägt, das Knistern, wenn die Larve aus dem Kokon steigt, das Platschen des ins Wasser springenden Pinguins oft nicht echt ist. Bedeutet: Nachträglich hinzugefügt, z.B. aus anderen Aufnahmen, oder sogar durch Sounddesign künstlich erzeugt. Nicht immer, aber sehr, sehr oft. Vorausgesetzt natürlich, wir hören überhaupt diese Geräusche. Es kann auch sein, dass unsere Ohren gerade einer Orchester-Partitur folgen, die uns in solchen Momenten vorgibt, was wir zu fühlen haben, mit welchem Tier wir gerade mitleiden, über welches wir jetzt lachen.

Ich finde das tatsächlich zunehmend anstrengend und vermisse ein wenig die Dokus aus meiner Kindheit: Wo eben nicht immer alles klappte.

Die in diesen Werken wirklich sehr intensive Filmmusik untermalt die Bilder nicht nur, sie steuert das ganze Erleben mit und bringt uns unbewusst dazu, Szenen auf eine bestimmte Art und Weise zu bewerten: Wer ist in dieser Räuber-Beute-Interaktion der “Held”, mit wem fiebern wir mit, wer ist das “Böse”, wer ist der “Gute”, dieser kleine Schelm, der gerade noch rechtzeitig entkommt, sodass wir erleichtert aufatmen?

Statt authentischen Geräuschen des Dschungels oder der Wiese lauschen wir Geigen, dem Klavier und der Erzählstimme. Ich finde das tatsächlich zunehmend anstrengend und vermisse ein wenig die Dokus aus meiner Kindheit: Wo eben nicht immer alles klappte, wo die Filmenden mit ihren Objektiven ranzoomten, wie ein Gepard eine Gazelle jagt und man noch leise die aufgeregten Stimmen des Kamerateams hören konnte; Dokus, bei denen ein Erzähler vor einem Gewässer steht, von Mücken belästigt wird und sich auf den Arm und Nacken schlagend auf ein Nilpferd wartet, das nur mal eben eine Sekunde mit den Augen rausguckt und dann wieder abtaucht, das war es.

Realität vs. Fantasie

Das bedeutet nicht, dass ich diese neuen Dokus schlecht finde, nein. Es sind schöne, bildgewaltige Zeitvertreibe, die jedoch gemessen an dem, was man in der echten Natur beobachten kann, Fantasy sind. Diese “Wildnis”, die wir in jenen Dokus sehen, gibt es nicht. Diese leeren Strände, Wälder und Steppen sind nicht real. Drum herum sind überall menschliche Siedlungen, Zufahrtswege der Kamerateams, tonnenweise technisches Equipment, Straßen, Telefonmasten. Wieso wir sie nicht sehen? Weil sie rausgecropped werden, weil sie diesen rauschhaften Eindruck eines Übermaßes an Natur stören würden.

Dieser ganze Fokus auf einer angeblichen “Wildnis” vernachlässigt einen sehr wichtigen Punkt: Dass wir eigentlich vor allem jene Orte bewahren und fördern müssen, in denen Mensch und Natur aufeinanderprallen.

Diese Dokus suggerieren, dass es auf unserer Welt noch viele dieser bezaubernden Orte gebe, diese unberührte, frische Wildnis – doch das ist falsch. Und beim Schauen von Prehistoric Planet dachte ich mir: Das ist eigentlich das, was viele Leute beim modernen Dokumentarfilm wollen: Eine Natur, die nicht dadurch stört, Natur zu sein – also voller Zufall und Unberechenbarkeiten – sondern komplett frei arrangiert werden kann, wie es passt. Eine Wildnis, die einfach am Rechner und im Schnittprogramm erzeugt werden kann.

Dieser ganze Fokus auf einer angeblichen “Wildnis” vernachlässigt einen sehr wichtigen Punkt: Dass wir eigentlich vor allem jene Orte bewahren und fördern müssen, in denen Mensch und Natur aufeinanderprallen, was nun einmal tatsächlich die meisten Orte ausmacht. Biodiversitätsschutz z.B. nur auf Schutzgebiete zu beschränken, ist einerseits bequem, andererseits fatal. Denn wir müssen vielmehr lernen, wie wir in Siedlungen leben und diese durch Transportmittel miteinander verbinden, wie wir Rohstoffe fördern und verwenden können – und zwar mit der Natur um uns herum.

Versteht mich nicht falsch: Schaut euch gern diese Filme an, ich mache es auch, sie sind technisch hervorragend und wirklich sehr interessant. Aber denkt dran, dass ihr sozusagen durch ein Mikroskop schaut, das euch etwas zeigt, das auf einem Deckglas präpariert und arrangiert wurde. Diese Natur in jenen Filmen gibt es so nicht. Und das ist total okay, dass es draußen nicht wie in diesen geilen Kinobildern aussieht, denn ich muss solche Filme gar nicht sehen, um was zu fühlen. Ich brauche kein Orchester, das mir vorgibt, an dieser Stelle jetzt traurig zu sein. Ich kann einfach rausgehen und Fantasyfilme Fantasy sein lassen und über das tote Vogelbaby weinen, das in der Nacht vom Sturm geholt und auf den Boden geschleudert wurde. Ich sehe nicht jede Federfaser in Ultra-HD, habe den Sturz nicht gesehen, habe kein Orchester gehört – und das ist total okay.

Und sonst so?

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Alles Liebe und bis zum nächsten Mal

Jasmin

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Dino-Fotos: (c ) Apple

Kategorie Essay & Meinung

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