#eXit – Rückblick und Reaktionen
Anfang Dezember haben Max Czollek und ich mit über 60 Gleichgesinnten (Öffnet in neuem Fenster) den Dienst quittiert, jedenfalls den Kurznachrichtendienst formerly known as Twitter. Nach dem Motto “besser spät als nie” sind viele von uns final übergewandert zur besseren, blaueren, vor allem elon-musk-freien Alternative (Öffnet in neuem Fenster).
Heute möchte ich ein wenig darüber nachdenken, wie die #eXit-Aktion (Öffnet in neuem Fenster) rückblickend gelaufen ist, ebenso ein paar Reaktionen aufzeigen, sowohl von der Unterstützern wie von den Hatern. Das vielleicht vorweg: Nicht alle waren begeistert, aber die Unterstützung hat ganz eindeutig überwogen. Und obwohl der #eXit zum Glück weitergeht (Öffnet in neuem Fenster) und nach wie vor auch international viele Menschen die musksche Misere verlassen (teils ist die Rede von 60.000 Menschen täglich (Öffnet in neuem Fenster), die X entfliehen), werde ich mich der Übersichtlichkeit wegen vor allem auf Rückblick und Reaktionen zu unserer #eXit-Aktion vom 2. Dezember konzentrieren, denn allein davon gab es reichlich.
Abstimmung mit den Füßen
Um uns direkt in die Karten gucken zu lassen: Exakt das war das Ziel. Max und ich (und alle, die mit uns den gemeinsamen Abschiedsbrief unterschrieben) wollten eine große Welle machen und wollten mediale Reaktionen lostreten, um viele weitere Menschen zu motivieren, es uns gleichzutun und Musks rechtslibertäres Drecksloch endlich hinter sich zu lassen. Wie Mitunterzeichnerin Eva Marburg im Freitag (Öffnet in neuem Fenster) kommentiert:
“Nun, natürlich hatte der Aufruf das Ziel, möglichst viele Accounts zu einem Verlassen von X aus genannten Gründen zu bewegen. Da hätte es wenig Sinn gemacht, den Brief zu verheimlichen oder stumm und vereinzelt zu gehen.”
Natürlich häuften sich ebenso Stimmen, die unseren lauten, trommelnden, medial ziemlich wirksamen Abgang übertrieben, unnötig oder unverhältnismäßig fanden. Diese Perspektive macht nur Sinn, klammert man mit aller Kraft aus, worum es uns eigentlich geht und ging: Um eine öffentliche Kritik an der menschenfeindlichen Stimmung auf X und um eine nach außen offene Einladung, mit uns – gerne unter Nutzung des Hashtags #eXit – diesen hässlichen Teil der Online-Welt kraftvoll und kollektiv zu verlassen. Wer also das Laute und das Öffentliche kritisiert, verkennt komplett den Sinn und die Absicht (und somit: den Kern) der ganzen Aktion. Wie ich gegenüber Lars Wienand (Öffnet in neuem Fenster) von T-Online sage:
"Wir wollen den Relevanzverlust weiter vorantreiben. Bislang war das Netzwerk sich selbst erhaltend: Leute wollten erst gehen, wenn es nicht mehr relevant ist, und relevant ist es, solange alle bleiben."
Und, trotz punktueller Kritik: Diese Intention ist auch von den allermeisten verstanden und unterstützt worden. Besonders gefreut hat es mich, wenn Mitunterzeichnende selbst aktiv geworden sind und ihr jeweils eigenes Verständnis der Aktion und ihren persönlichen Blick auf X dargelegt haben. So zum Beispiel Rechts- und Politikwissenschaftler Maximilian Pichl (Öffnet in neuem Fenster), der im Gespräch mit HR/Tagesschau (Öffnet in neuem Fenster) u.a. feststellt:
“Mittlerweile ist Twitter besetzt von Rassisten, Rechtspopulisten und Faschisten.”
Ebenso berichtet er, wie Twitterlinge den Schritt in die Offline-Welt nicht scheuen und ihm schon wütende Briefe an seine Büroadresse schickten.
Aber was ist mit Gegenwehr?
Sollte man sich den Verschwörungstheoretikern, den Rassisten und den Antisemiten nicht genau dort stellen, wo sie sind, nämlich vor allem auf Twitter?
Nein, findet #eXit-Mit-Initiator Max Czollek (Öffnet in neuem Fenster):
“Mein Eindruck und der Eindruck der Menschen, die jetzt unseren Brief mitunterschrieben haben, ist, dass Twitters Strukturen sich durch den neuen Besitzer Musk so sehr verändert haben, dass sich diese Art von Gegenwehr nicht mehr lohnt.”
Keinen Bock auf Nazi-Kneipe
Twitter ist, den Eindruck von Max teile ich vollkommen, “eine Art Nazi-Kneipe” (Öffnet in neuem Fenster) geworden. Und mit Nazis diskutiert man nicht, erst recht nicht in deren Kneipen; erst recht nicht, wenn der Kneipenbesitzer selbst ein Rechtsextremist ist. Viel besser, effektiver auch klüger für das eigene Wohlergehen: Man sucht sich eine neue Kneipe und belässt die Vollhonks unter sich. Journalistin Caro Wißing sieht es ähnlich und schreibt im WDR (Öffnet in neuem Fenster):
“Lassen wir doch die Hetzer und Verschwörungsgläubigen ihren Blödsinn unter sich verbreiten. Wenn alle Vernünftigen und an respektvollem Diskurs Interessierten gehen, dann haben die Schwurbler und Hasser hier zumindest keine Angriffsfläche mehr. Ja, sie verstärken sich vielleicht gegenseitig. Aber das tun sie auch auf anderen Plattformen schon - in Foren, im Darknet. Ein weiter Dagegenhalten der aufrichtigen User ist fast unmöglich.”
Ein spätes Erfolgserlebnis der Neuen Rechten
Ähnlich sieht das auch Mitunterzeichner und Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky (Öffnet in neuem Fenster). In meiner Podcastfolge “#eXit, Extremismus & Neues aus dem Elfenbeinturm” (Öffnet in neuem Fenster) spricht er u.a. darüber, wie sehr es ihn ärgert, wenn “Zweifel ohne Ahnung daherkommt”, und stellt fest:
“Die Entwicklung des Diskurses auf Twitter ist eigentlich ein spätes Erfolgserlebnis der Neuen Rechten (Öffnet in neuem Fenster). Nicht nur wegen Elon Musk, sondern weil dieses Eindringen in den vorpolitischen Raum ein ganz wesentliches Merkmal der Neuen Rechten war seit den 1970ern; Twitter spielt da eine große Rolle im Etablieren von Begriffen, die Freund-Feind-Denken anschlussfähig machen über die extreme Rechte hinaus. […] Da sickern Positionen in den Mainstream ein, die man lange Zeit eher in der radikalen Rechten vermutet hat.”
Und genau aus diesem Grund haben, Marcel, Max, Eva und mit uns über 60 weitere, zum Teil sehr reichweitenstarke Accounts wie Dunja Hayali (Öffnet in neuem Fenster), die Plattform X verlassen.
Um uns zu zeigen, wie recht wir mit unserer Kritik an Musk und X haben, blieb der Shitstorm nicht aus. “Trottel”, “Vollpfosten” und “Wichser” waren Reaktionen, die sich – pun intended – X-fach fanden. Vom CDUler über rechtslibertäre Kreise bis hin zu klar rechtsextremistischen Influencern spuckte so ziemlich jeder Widerling, der in der Twittersphäre Rang und Namen hat, ein wenig Gift auf unsere #eXit-Aktion. Alles in allem war das ein schönes QED (Öffnet in neuem Fenster).
Das AfD-nahe Umfeld hat reagiert wie erwartet (und wie immer): Mit Hass. Recherche von “Die Insider. (Öffnet in neuem Fenster)”
Auch auf Bluesky gabs ein wenig Kritik. Die einen klopften sich moralisierend gegenseitig auf die Schulter, Twitter schon vor Jahren, wenn nicht bereits vor Jahrzehnten und Jahrhunderten verlassen zu haben, und nicht erst jetzt, wie diese spätaussiedelnden #eXit-ler. Andere schrieben sinngemäß, dass ihr eigener Twitter-Abschied sehr öffentlichkeitsarm und unbemerkt, ja geradezu verstohlen, bescheiden und klammheimlich vonstatten gegangen sei (und dass dies quasi der einzig korrekte, der allein selig machende, der einzig TÜV geprüfte Twitter-Abschied sei).
Viele jedoch fanden unsere Aussteiger-Aktion gut und ja, es trat auch genau das ein, was wir uns von der Aktion erhofft hatten: Menschen machten mit, User taten es uns gleich, nahmen die Aktion als kleinen Schubser, als Anlass, um den meist über Jahre aufgebauten (Ex-Twitter-)X-Account final in Rente zu schicken oder gleich zu löschen.
World Wide Weitermachen
Insofern bleibt mir nur zu sagen: Danke an alle, die mitgemacht haben! Die Aktion war ein voller Erfolg. Trotzdem müssen wir weitermachen. Weitermachen damit, X die restliche Relevanz zu entziehen, die es noch innehat. Wer seinen Account also noch nicht gelöscht oder stillgelegt hat, sollte es tun; allen voran deutsche Wissenschaftlerinnen (Öffnet in neuem Fenster) und Wissenschaftsinstitutionen (Öffnet in neuem Fenster), ebenso alle Politiker und Politikerinnen, die ihrem moralischen Kompass noch nicht vollends verlegt haben. Journalisten und Journalistinnen natürlich auch. Wer es mit “Nie wieder!” ernst meint, sollte es dem Haus der Wanssee-Konferenz gleichtun (Öffnet in neuem Fenster), und keine Plattform unterstützen, die dem Wiedererstarken des Rechtsextremismus dient. Eigentlich schon jetzt, aber spätestens nach dem Wahlkampf gibt es keine glaubwürdige Ausrede mehr, Musks menschenfeindliche, antidemokratische Machenschaften durch Teilnahme zu unterstützen.
Weitermachen heißt ebenso, dass wir uns alternative, faschistenfreie Online-Begegnungsorte aufbauen. Mein liebster ist, neben Instagram (Öffnet in neuem Fenster), Bluesky (Öffnet in neuem Fenster) (habe ich eventuell bereits 73 Mal erwähnt 🙃). Wäre schön, wenn wir dort voneinander hören!
Euch allen eine schöne Vorweihnachtszeit & viele Grüße,
Du brauchst noch ein Geschenk? Man kann Steady-Abos auch verschenken! Jedes Abo hilft mir dabei, meine Arbeit auch 2025 fortzuführen.
https://steadyhq.com/de/janskudlarek/gift_plans (Öffnet in neuem Fenster)PS: Unseren Brief und die komplette Unterschriftenliste findet ihr hier (Öffnet in neuem Fenster).
PPS: Unser #eXit-Kollektiv hat ein Starter Pack, d.h. man kann uns bequem direkt allen folgen:
https://bsky.app/starter-pack/fabianeberhard.com/3lcctzcofxv2w (Öffnet in neuem Fenster)PPPS: Über den #eXit sprach ich auch u.a. mit Tommy Krappweis (Öffnet in neuem Fenster), der ebenfalls unterzeichnete hat, im #nachsitzen-Podcast. Eigentlich ging es um Menschenrechte und es ist trotz des schweren Themas ein kurzweiliger Abend geworden. Wer reinschauen möchte, unser Gespräch ist auf YouTube zu finden als Video (und in Kürze dann im Podcast von Hoaxilla (Öffnet in neuem Fenster)):
https://youtu.be/LOg0n44seMc?t=1262 (Öffnet in neuem Fenster)P⁴S: Ich war kurz im TV, in einem WDR-Beitrag zum Thema Musk komme ich knapp zu Wort:
https://bsky.app/profile/janskudlarek.bsky.social/post/3ld4ugvk33c2b (Öffnet in neuem Fenster)