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Und täglich grüßt das Content-Tier

Seit wenigen Tagen sorgt eine Nachricht für Furore: Instagram und Threads sollen unpolitischer werden. Um dies zu erreichen, werde man zeitnah am Algorithmus drehen. Das sagt nicht irgendwer, das sagt Instagram-CEO Adam Mosseri (Öffnet in neuem Fenster). Mein Kommentar, warum das ein digitaler Holzweg ist.

Bei Instagram denkt man nicht als erstes an politische Inhalte. Millionen Menschen nutzen „Insta“ vor allem für Essensfotos, Urlaubsbildchen und Sonnenuntergänge. Und Katzen, natürlich. Allerdings gibt es auch dieses andere Instagram, das aus Reels besteht, die das Tagesgeschehen kommentieren; aus gesellschaftskritischen Textkacheln und politischen Memes. Jeder politische Podcast von Rang und Namen, jede politische Fernsehsendung hat eine Instagram-Repräsentanz. Rechnerisch gesehen haben Katzenfotos und Sonnenuntergänge eventuell die Überhand – zeitgleich nutzen unzählige Menschen die Fotoplattform als Politnetzwerk. Seit Jahren. Und manch User hat durch Gesellschaftskommentare durchaus Bekanntheit erlangt. Da wäre Jean-Philippe Kindler (Öffnet in neuem Fenster) zu nennen, den viele schätzen für seine pointierte Frontalrede; oder Sebastian Hotz a.k.a. El Hotzo, der einst auf Twitter anfing und später seine Tweets ins Quadratformat kopierte, wo sie schon länger ein Millionenpublikum erreichen.

Womit wir schon beim angrenzenden Thema wären – Twitter. Früher globale Pointenfabrik und Echtzeitbegleitung des weltweiten Tagesgeschehens, heute vor allem Echokammer (Öffnet in neuem Fenster) rechtsradikaler Verschwörungsspinner. Und Selbstaufwertungstherapie des reichsten Internettrolles der Welt, Elon Musk. Der – wenn er nicht gerade unlustige Memes teilt oder seine eigenen Firmen gnadenlos abfeiert – ebenfalls rechtsradikale Verschwörungserzählungen rausballert und so ziemlich alles unternimmt, um noch die aberwitzigste Desinformation als gesunden Menschenverstand zu maskieren.

Twitter-Flüchtlinge sind skeptisch

Und weil eben doch alles irgendwie mit allem zusammenhängt (da haben die Verschwörungstheoretiker offenbar recht), haben viele von uns ihre private Pointenfabrik von Twitter zu andere Anbietern verlegt, zu Instagram beispielsweise oder dem direkten Konkurrenten, Threads (Öffnet in neuem Fenster). Threads gehört, ebenso wie Instagram, zu Mark Zuckerbergs Meta, und konnte als neuer Kurznachrichtendienst vor allem jene ansprechen, die mit Elon-Twitter fremdeln seit der feindlichen Übernahme und dem damit verbundenen Drift ins Rechtsnationale.

Seit exakt zwei Monaten ist Threads auch in der EU zugänglich und hat seitdem – und überhaupt seit Gründung – ein stetiges Userwachstum (Öffnet in neuem Fenster). Während Konkurrenten wie Bluesky (Öffnet in neuem Fenster) eine gute, aber noch eher kleine Alternative darstellen (während ich diese Zeilen schreibe, hat Bluesky 4,8 Millionen User (Öffnet in neuem Fenster)), expandiert Threads imposant. Meta zufolge nutzen 130 Millionen Menschen Threads regelmäßig, insg. seien über 160 Millionen (Öffnet in neuem Fenster) registriert. Und da es mit Instagram verbunden ist, hält Threads einen Wachstumsrekord, den so kein anderes soziales Netzwerk für sich beanspruchen kann – die erste Million Nutzer und Nutzerinnen kamen innerhalb einer einzigen Stunde (Öffnet in neuem Fenster). Vieles deutet momentan darauf hin, dass Threads weiter expandiert und Twitter, trotz seiner numerisch hohen Nutzerzahlen (ebenfalls im dreistelligen Millionenbereich), weiter in der Bedeutungslosigkeit verschwindet.

Ob dies weiterhin geschieht, wird sich zeigen.

Denn: Die Threads- und Instagram-Algorithmen sollen zeitnah unpolitischer werden. Instagram CEO Adam Mosseri, der auch bei Threads mitwirkt, schreibt in einer Pressemitteilung (Öffnet in neuem Fenster) auf seinem Kurznachrichtendienst (wo sonst):

„Folgst du politischen Accounts auf Threads oder Instagram, wollen wir uns keineswegs zwischen dich und deren Inhalte stellen. Gleichwohl wollen wir keinen Inhalten proaktiv eine Bühne bieten, denen du nicht folgst.“

Anschließend kündigt Meta an, in den nächsten Wochen derart am Empfehlungsalgorithmus von Instagram und Threads zu schrauben, dass politische Accounts, denen man nicht folgt, weniger häufig angezeigt würden. Es gebe bald eine JA/NEIN-Option für die Drosselung politischer und gesellschaftlicher Inhalte. Und diese Drosselung sei – jetzt kommts – standardmäßig aktiviert (Öffnet in neuem Fenster). Die Timelines werden zukünftig unpolitischer, es sei denn, man entscheidet sich aktiv und bewusst für politische Inhalte. Politik nur per Click.

Mehr als Cat Content

Wichtig, aber nicht alles: Katzen!

Der Aufschrei der Community ließ nicht lang auf sich warten.

Nichts gegen Urlaubsfotos, Essen und Katzen, aber dutzende, wenn nicht hunderte Millionen Menschen nutzen Instagram und Threads als Instrument politischer Teilhabe. Und auch begrifflich bleibt es schwammig. Gavin Karlmeier kritisiert (Öffnet in neuem Fenster) zu Recht für WDR:

„In der gesamten Kommunikation umschifft der CEO die Antwort auf die Frage, welche Inhalte nach dieser Definition denn als „politisch“ gelten – und welche nicht.“

Zugegeben: Die Definition des Politikbegriffes ist nicht einfach. Toll ist die Aussicht allerdings nicht, nicht eindeutig zu wissen, was einem vorenthalten wird – und wieso.

Der Thread von Mosseri hat eine miserable „Ratio“, also kein gutes Likes-Kommentare-Verhältnis. Wenige Menschen liken seine Idee, die Plattformen zu Depolitisieren; und viele User haben Einspruch. Die Befürchtung: Durch voranschreitende Entpolitisierung drohen Instagram sowie Threads ihren Charakter zu verlieren. Wird das „politische Biotop“ nach und nach ausgetrocknet und zerstört, werden politisch interessierte und gesellschaftskritisch denkende Nutzer den Weg auf andere Communities finden (Bluesky ist da weiterhin eine Alternative; und ja, folgt mir auf Bluesky (Öffnet in neuem Fenster)😎). Zurück bleiben Monikas Urlaubsfotos und Herberts Pastagericht, vielleicht serviert mit einer kleinen politischen Beilage – sofern man vom Regler weiß und ihn rechtzeitig aktiviert. Attraktiv klingt das nicht.

Es sind politische Zeiten

Es ist richtig, dass soziale Netzwerke eine ethische wie politische Verantwortung tragen für die Inhalte, die auf ihnen verbreitet werden. Allerdings bezweifle ich – und nicht nur ich – dass eine allgemeine Depolitisierung sinnvoll ist in Zeiten multipler Krisen. In Zeiten des steigenden Rechtsnationalismus; in Zeiten eines Putins, dessen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine in vollem Gange ist und absehbar nicht aufhört; in Zeiten eines neuen Nahostkonfliktes; in Zeiten eines Donald Trumps, der erneut die Präsidentschaft anstrebt, aber diesmal mit offenen Rachegelüsten und seiner direkten Aufforderung an Putin, doch mal ein paar Länder anzugreifen und „einfach zu tun, was zur Hölle er will (Öffnet in neuem Fenster)“.

Manche Botschaften sind politischer als andere.

Es spricht nichts Grundsätzliches gegen Reichweitenverringerung und algorithmisches Eingreifen. Sinnvoll wäre es aber, jene Accounts in der Reichweite zu drosseln, die durch Verschwörungserzählungen, Hassrede und Desinformation auffallen. Und nicht standardmäßig erstmal alle.

Wie groß ein „Herumschrauben am Algorithmus“ sich auswirken kann, wissen viele von uns noch zu gut von Twitter. Nach der Machtübernahme von Musk hatte man plötzlich seine Tweets im Feed, ob man wollte oder nicht. Jeder noch so lahme Witz wurde global in die Timelines amplifiziert. Weil der Chef das so wollte. Was vorher unsichtbare Infrastruktur war, wurde plötzlich merklich reguliert und gesteuert – zum Schlechteren.

Dabei ist der Empfehlungsalgorithmus ein wesentliches Tool des Kennenlernens. Natürlich folgt man bestimmten Accounts, weil man sie mag; aber man kann logischerweise nur jenen Accounts folgen, die man kennt. Und das geschieht oft „zufällig“; wobei dieser Zufall nur scheinbar Zufall ist; in Wahrheit vernetzt ein guter Algorithmus Gleichgesinnte, die er über Konsumgewohnheiten erkennt.

Exakt das könnte für Polit-Accounts bald schwieriger werden.

Entsprechend alarmiert ist die Reaktion mancher Nutzerinnen und Nutzer. Man empfiehlt sich gegenseitig schnell seine liebsten politischen Accounts, aus Angst, der politische Content, den man wertschätzt, könnte bald aus den Timelines verschwunden sein (an dieser Stelle Gruß an meine vielen neuen Follower; schön, dass ihr da seid, aber schade, dass es auf diese Weise geschieht).

Unpolitisch gibt’s nicht

Zur Wahrheit gehört auch: Unpolitisch sein muss man sich leisten können. Migranten und Juden können schlecht unpolitisch sein in einem Deutschland, in dem rechtsextreme Straftaten einen Höchststand erreichen (Öffnet in neuem Fenster); und wenn in den Umfragen eine Partei zweitstärkste – oder im Osten stärkste – Kraft ist, deren Mitglieder Deportationspläne schmieden. Niemand kann unpolitisch sein in einer Zeit, in der Millionen Deutsche auf die Straßen gehen und Gesicht zeigen für ein offenes, demokratisches, an Menschenrechten orientiertes Deutschland, in wohl der größten Bürgerbewegung überhaupt. Niemand kann unpolitisch sein angesichts multipler Krisen. Wobei: Natürlich kann man unpolitisch sein. Sollte man aber nicht. Der Mensch, seit Aristoteles bekannt als politisches Wesen, ist ja gerade deshalb Mensch, weil wir alle gebundenen sind aneinander. Weil es Gemeinschaft gibt, Gesellschaft. Und natürlich das Bestreben, eine gute Gemeinschaft, eine gute Gesellschaft zu sein; gemeinsam zu gestalten im demokratischen Widerstreit der Ideen. Das Internet ist, da hatte Angela Merkel Recht, im Vergleich zu Jahrtausenden der Offline-Menschheitsgeschichte, kulturanthropologisches „Neuland“.

Wenn zwei der größten sozialen Plattformen der Welt sich also entscheiden, das Politische zu drosseln, geschieht das zur Unzeit. Und abermals sehen wir, dass die Netzwerke, die wir nutzen, keine neutrale öffentliche Infrastruktur sind, sondern der Lenkung einiger weniger unterliegen. Bei dieser Lenkung ist leider oft noch etwas Luft nach oben.

Täglich grüßt das Content-Tier.

Jan Skudlarek (Öffnet in neuem Fenster)

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