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Ein neuer Mitbewohner 

Geschenkpapier raschelt. Ein süßer Duft liegt in der Luft. Weihnachten! Scherz, heute ist natürlich nicht Weihnachten; wir schreiben August und über dreißig Grad. Für mich persönlich ist dieses Wochenende Weihnachten, Geburtstag und Ostern zusammen. Mein neues Buch ist da! Und dieses besondere Fest riecht auch nicht nach Zimt und Glühwein, sondern nach alter Turnhalle, nach Schweiß, verteilt über Jahre, nach erfolgreichem Abrackern. Mein Glück lässt sich schwer in Worte fassen, weil dieses Buch nun da ist, endlich da ist, und auch nicht mehr weggeht, bei uns bleibt, bei uns einzieht als neuer Mitbewohner quasi. Mit dem Schreiben ist das nämlich so eine Sache. Selbst als professioneller Autor gibt es unendlich Wege, einen langen Text zu verfassen, die redensartliche Qual der Wahl. Beim Sachbuch sind solche Fragen: Welche Themen sind mir wichtig? Welche sind gesellschaftlich relevant? In welcher Länge, welchem Stil und ja, verdammt nochmal und überhaupt: Wie mache ich das?

Vielleicht ein paar Worte zur Entstehungsgeschichte. Dieses Buch über Freiheit, das jetzt vor uns liegt, vor mir jedenfalls; dieses Buch, das einige von euch ebenso vor sich liegen und das ganz wenige von euch sogar schon komplett gelesen haben, dieses Buch über Freiheit war vor ein paar Jahren, als ich erstmals damit anfing, zunächst ein Manuskript über Moral. Über Moral und die Frage, warum diejenigen, die anderen „Moral“ vorwerfen, meist ein Zuviel davon als ein Zuwenig, warum diese Menschen sich dabei so schlau finden. Warum das ehemals so ehrenvolle Wort „Moral“ jenseits von Ethikseminaren irgendwie zum Schimpfwort verkommen schien. Diese Überlegungen stehen faktisch auch in "Wenn jeder an sich denkt, ist nicht an alle gedacht", das ja schon titeltechnisch andeutet, dass wir es mit einer gesellschaftspolitischen, eben auch moralischen Schrift zu tun haben. Vor allem aber – und das meine ich, wenn ich von der Ungewissheit des Schreibens schreibe, von einem Weltraum voller Möglichkeiten – ist es jetzt ein Buch über Freiheit geworden. Über Selbstbestimmung. Könnte auch damit zusammenhängen, dass wir eine Pandemie erlebt haben, die den Freiheitsbegriff unangenehm und unerwartet verkümmern ließ. Es kam zu einer Radikalschrumpfung mit der niemand gerechnet hat, auch ich nicht. Zeitgleich wurde die Klimakrise immer dominanter, nicht nur als Thema, sondern ganz wirklich als Ereignis, als Flammen (Öffnet in neuem Fenster), die durch Wälder und Häuser zogen oder, gefühlt etwas näher, als Wassermassen durchs Ahrtal oder, ganz aktuell diese Woche, als Unwetter durch halb Deutschland (Öffnet in neuem Fenster). So kam es also über die letzten Jahre hinweg, dass dieses Manuskript zur Moral (und Freiheit) sich immer mehr entwickelte zu einem Buch zur Freiheit (und Moral).

So einen Schreibprozess darf man sich ganz klischeeartig vorstellen. Der Schriftsteller, in diesem Fall meine Wenigkeit, sitzt an der Schreibmaschine, tippt ein paar Seiten, sagt ab und an Sachen wie "Ja" und "Oh" und "Nee!", legt getippte Seiten auf einen Stapel, andere reißt er wütend aus der Schreibmaschine heraus und zerknüllt sie direkt. Nur ist die Schreibmaschine heute natürlich der Laptop – und das Herausreißen und Zerknüllen das lautlose Verstummen jener Word-Dokumente, Kapitelfragmente und Ideenskizzen, die ich seit 2019 zwar anfing, aber dann doch nicht weiterführte und wieder vergaß, ignorierte oder absichtlich verwarf. Aus diesem Text über Moral und die Legitimität moralischer Regeln, den ich in großen, unfertigen Teilen wirklich schrieb (und mich dabei selbst irgendwie immer fertiger, unfertiger fühlte), wurde jetzt ein Buch über die Krise der Freiheit; über jene Pseudo-Freiheit, die in Wahrheit Egoismus ist – und natürlich über die Frage, wie wir damit umgehen sollten, mit dieser Verzwergung des Freiheitsbegriffs; mit Freiheit in der Krise, sei die Krise nun Corona oder Klima oder einfach nur die Krise, die man kriegt, wenn man als halbwegs denkender, fühlender Mensch existiert in dieser stressigen, gefühligen Gemeinschaft oft egoistischer Menschen. Und so ein Buch wurde das dann auch, selbst wenn ich dazu am Ende fast zwei Bücher schrieb, schreiben musste, und eins davon verwarf. Behalten habe ich davon das bessere; das Resultat liegt an diesem Wochenende offiziell vor uns. Es heißt "Wenn jeder an sich denkt, ist nicht an alle gedacht. Streitschrift für ein neues Wir" (Tropen Verlag) und ist nicht nur das bessere Buch verglichen mit dem anderen, das ich schließlich nicht (fertig) schrieb. Nein, mehr noch, als freier und komplett neutraler Beobachter nehme ich mir das Urteil heraus: Es ist das beste Buch, das ich jemals geschrieben habe. Und das sind ja jetzt auch schon immerhin vier.

Bestenfalls ist dieses Buch der Beginn einer Kettenreaktion. Einer Kettenreaktion, die bei euch, meinen Leserinnen und Lesern beginnt und im öffentlichen Raum weitergeht. Ich bin nämlich mal so frei zu behaupten, dass mein Buch über Freiheit, trifft es die richtigen Köpfe, zum Weiterdenken anregt. Das zumindest entnehme ich den ersten, ziemlich positiven (Öffnet in neuem Fenster) Rückmeldungen (Öffnet in neuem Fenster), die mich dieser Tage erreichen. Und so bleibt mir nichts anderes übrig als meiner Streitschrift alles Gute zu wünschen auf ihrem Weg, der wie Weihnachten ist, wie Geburtstag und wie der neue Mitbewohner, der einzieht in die Buchregale – und der zugleich auszieht, hinaus in die Welt. Hinaus zu euch.

 

* An alle, die über Steady ein signiertes Exemplar bestellt haben: Es ist unterwegs. :)

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