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3 Bücher, die dir dabei helfen, die Gesellschaft zu verstehen

Keine Sorge – es ist nicht 2012, ich bin nicht Buzzfeed und Listenartikel werden die Ausnahme bleiben. Trotzdem möchte ich euch heute drei Bücher empfehlen, die mir dabei geholfen haben, die gesellschaftspolitische Wirklichkeit besser zu verstehen. In allen drei Büchern geht es um Zugehörigkeit, um Gerechtigkeit und Gemeinschaft.

Yascha Mounk – Der Zerfall der Demokratie (2018)

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Das Vertrauen in Demokratie und demokratische Parteien könnte größer sein (Öffnet in neuem Fenster). Das betrifft auch die jüngere Generation. Neue Umfragen zeigen: In der Kohorte zwischen 18 und 30 Jahren misstrauen (Öffnet in neuem Fenster) knapp die Hälfte der Bundesregierung, der Europäischen Union hingegen vertrauen minimal mehr, 62 Prozent. Richtig gut ist das nicht.

Der Politologe Yascha Mounk hat sich schon vor ein paar Jahren Gedanken über den möglichen Zerfall der Demokratie und ihrer Institutionen gemacht – und vor allem den populistischen Einfluss daran unter die Lupe genommen. An Aktualität eingebüßt hat das Buch seit 2018 wenig. Wenn, dann ist die Lage schlimmer geworden mit der möglichen Rückkehr Trumps und dem Aufstieg der AfD (die, das gehört zum vollen Bild dazu, momentan einen merklichen Rückgang (Öffnet in neuem Fenster) verzeichnet; woran man übrigens sieht, dass die Proteste wirken (Öffnet in neuem Fenster)). Mounk bespricht, was die liberale Demokratie belastet und was die Gründe für die anhaltenden Krisen sind (von wirtschaftlichen Ängsten bis zu den sozialen Medien). Er schlägt auch Gegenmittel vor. So plädiert er, neben der Forderung, die Wirtschaft zu sanieren und Populisten so die Unzufriedenheitsgrundlage zu entziehen, auch dafür, „den Nationalismus zu zähmen“. Den ausgrenzenden Nationalismus à la Trump (oder AfD) lehnt er natürlich ab, nicht aber den Wunsch nach Gruppenzugehörigkeit an sich. Mounk argumentiert u.a. für einen „inklusiven Patriotismus“. Dem Deutschlandfunk sagte er (Öffnet in neuem Fenster) diesbezüglich:

„Deshalb glaube ich, dass es der viel bessere Ansatz ist, für einen inklusiven Patriotismus zu kämpfen, indem man sagt: Ja, es bedeutet etwas, Deutscher zu sein. Und wir verbinden damit etwas. Aber wir kämpfen darum, dass jeder da mit eingebunden sein kann, dass ein Schwarzer oder ein Muslim oder ein Hinduist oder ein Jude genauso Deutscher sein kann wie jemand, der weiß und christlich ist und dessen Ur-Ur-Ureltern schon in Deutschland gelebt haben. Das halte ich für die bessere Art, mit dem negativen Potenzial, mit dem gefährlichen Potenzial des Nationalismus umzugehen, als zu sagen, nein, wir überlassen den Nationalismus vollkommen den Rechten.“

Man muss nicht bei jedem Argument von Mounk mitgehen, aber „Der Zerfall der Demokratie“ ist auch ein paar Jahre nach Publikation nach wie vor ein gutes Buch, das uns in die Zukunft begleiten kann und den Blick schärft im Umgang mit Populisten und ihrem Wahlvolk.

Anderes Buch, ähnliches Thema:

Stephan Anpalagan - Kampf und Sehnsucht in der Mitte der Gesellschaft (2023)

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Die Brücke zwischen beiden Büchern ist weniger (Zerfall von) Demokratie und Rechtsstaat und vielmehr: Identität und Zugehörigkeit. Wie Yascha Mounk macht sich auch Stephan Anpalagan wertvolle Gedanken zu den Themen Gesellschaft und Gemeinschaft.

Zum Autor: Viele von euch dürften Stephan bereits aus dem Netz kennen (sei es von Twitter (Öffnet in neuem Fenster), Bluesky (Öffnet in neuem Fenster) oder Instagram (Öffnet in neuem Fenster)), wo der Publizist und Theologe seit Jahren regelmäßig so präzise den Finger in gesellschaftliche Wunden legt, dass die einen ihn feiern und die anderen ihn hassen (Öffnet in neuem Fenster). Kampf und Sehnsucht in der Mitte der Gesellschaft (2023) steht also in bester Anpalagan-Tradition – die einen werden es lieben und die anderen werden es ablehnen. 

Hinter dem, wie ich finde, etwas abschreckenden Titel verbirgt sich vor allem eines: ein richtig kluges Buch. Ein Buch vor allem, das beides hat – Substanz und Punchlines. Wer mich kennt (und liest), kann sich vorstellen, dass mir die ein oder andere Pointe beim Lesen nicht ganz unwichtig ist. Klar, man muss sich in seinen Themen auskennen, keine Frage; aber jede Expertise ist egal, wenn der Experte oder die Expertin stilistisch versagt (oder langweilt). Ganz anders das Buch von Anpalagan. Der Text springt mühelos zwischen Plauderton und Politikwissenschaft, zwischen Gesellschaftskritik und satirischem Blick. Selbst eigentlich auserzählte Themen wie die „Leitkultur“-Debatte bekommen durchs Stephans Blick einen Mehrwert und einen neuen Dreh. Hinter allem steht ein Versuch, nicht aufzugeben (daher auch der Titel); ein Versuch, die Gesellschaft, zu der man gehört, trotz aller Schwierigkeiten anzunehmen und in guten Momenten sogar: zu lieben. Insofern ist dieses „liebevolle“ Buch mit seinen Identitätssehnsüchten und seiner kritischen Kulturgeschichte der deutschen Gegenwartsgesellschaft ein wichtiger Baustein zum Verständnis, warum wir Deutschen sind, wie wir sind; und warum noch vieles ungerecht, aber längst nicht alles schlecht ist.

Aladin El-Mafaalani - Das Integrationsparadox. Warum eine gelungene Integration zu mehr Konflikten führt (2018; erweitert 2020)

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Die Themen Asyl, Migration und Integration sind zentrale Themen unserer Zeit. Während Rechtspopulisten sie als Reizthemen nutzen, als Anlass für Hass, Desinformation und Verschwörungstheorien, ist dem aufgeklärten Teil unserer Gesellschaft längst klar, dass Migration historische Normalität ist, Asyl ein humanitäres Gebot darstellt und Integration – in einem Land mit über 23 Millionen Menschen (Öffnet in neuem Fenster) mit Migrationshintergrund – schlichtweg gelebte Realität.

Der Soziologe Aladin El-Mafaalani hat mit „Das Integrationsparadox“ ein wichtiges Buch zum Thema vorgelegt. Wichtig ist das Buch insofern, als es einerseits mit populistischen Mythen aufräumt. Natürlich findet Integration nicht geräuschlos statt, als Komplettanpassung und Selbstaufgabe, quasi als Verleugnung der eigenen Identität oder der kulturellen Herkunft der eigenen Familie. Integration ist eben keine kritiklose Übernahme der lokalen Kultur. Im Gegenteil: Integration kann „laut“ werden und ist mitunter konfliktreich.

Diese Konflikte sind teils sozial, teils intrapersonell. Soziale Konflikte können sein: Diskriminierung, Rassismus, Exklusion. Von rassistischen Straftaten bis zum wohlmeinenden, aber subtil ausgrenzenden „Wo kommst du denn wirklich her?“. Intrapersonelle Konflikte können sein: Spannungen zwischen der bspw. türkischen oder arabischen Herkunft der eigenen Familie und der kartoffeldeutschen Mehrheitsgesellschaft – die „Gastarbeiter“ und ihre Kinder können davon ein Liedchen singen (vor allem darüber, dass sie keine Gäste waren, sondern von Beginn an neue Mitbürger).

Al-Mafaalani nutzt, um solche gesellschaftlichen Konflikte zu veranschaulichen, oft die Metapher des gemeinsam geteilten Tisches (Öffnet in neuem Fenster). Natürlich gibt es weniger Konflikte an einer Tafel, an der lediglich Ernst und Waltraud, Gisela und Gerhard, Thomas und Tina sitzen. Weil diese Menschen einen halbwegs homogenen, biografisch geteilten Hintergrund haben. Die anderen – zum Beispiel die „Gastarbeiter“ der 1950er und 1960er (Öffnet in neuem Fenster) – sind auch im selben gesellschaftlichen Raum; sie sitzen allerdings nicht am Tisch, sie sitzen auf dem Boden irgendwo, sie stehen in den Ecken; abseits, geächtet, ungehört.

In einer offenen, pluralistischen Gesellschaft, die wir sind und sein wollen, ändert sich die Situation. Immer mehr Menschen kommen an den Tisch, setzen sich, wollen mitbestimmen, wollen Gehör finden, sprechen, sich anerkannt und wertgeschätzt fühlen. Und Mitbestimmung, Anerkennung, Wertschätzung ist nun mal oft konfliktreich, spannungsgeladen und persönlich. Verdienst von El-Mafaalani ist es nicht nur, dass er seine eigene Perspektive und Geschichte immer wieder mit einbringt; darüber hinaus (er-)klärt er komplizierte soziologische Sachfragen anschaulich. Als Sachbuchautor-Kollege weiß ich, wie schwer es ist, soziale Konflikte herunterzubrechen, ohne sie zu sehr zu simplifizieren – daher freue ich mich immer, wenn dies bei anderen gelingt. „Das Integrationsparadox“ ist ein kurzweiliges Buch, das Integration schildert, als das, was sie ist: eine Herausforderung. Aber eine Herausforderung, die sich lohnt.

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