Im Sommer und im Winter: Döbeln (Teil 1)
Die sächsische Provinz verloren? Alternative Lebensweisen und antifaschistische Widerstandskultur nur in den Großstädten? Wer das behauptet, kennt sich mit der rebellischen Realität in Sachsen nicht aus.
In zahlreichen kleineren Städten trotzen Engagierte allen Widrigkeiten, zahlreiche Locations bieten Freiräume. Zum Beispiel in Döbeln.
Ein Rückblick auf den CSD in Döbeln 2024 im Sommer (Teil 1). Und einen Treibhaus-Punkrockabend mit den Klabusterbären im Winter (Teil 2).
Im Schatten des CSD Bautzen: Was passiert in Döbeln?
Es ist der 21.September 2024. Spätsommer, kurz vor dem Herbstanfang. Nicht nur der Sommer neigt sich dem Ende, auch die CSD-Saison. Dabei setzte sich in Sachsen ein Trend der vergangenen Jahre fort: CSDs und Queer Prides beschränken sich nicht auf Großstädte, sie etablieren sich auch in der sächsischen Provinz. Weißwasser, Bautzen, Radebeul, (Öffnet in neuem Fenster) Limbach-Oberfrohna: Vielerorts gehen Menschen für gesellschaftliche Vielfalt auf die Straße.
Diese Entwicklung gibt es seit einigen Jahren, im Sommer 2024 erreicht sie aber bundesweite Aufmerksamkeit: Das ist weniger dem öffentlichen Interesse an zivilgesellschaftlichem Engagement in sächsischen Kleinstädten zu verdanken, sondern vielmehr Folge rechter Gegenmobilisierung. Hunderte Nazis, die beim CSD in Bautzen ein Bedrohungsszenario schaffen: Diese Bilder gehen um die Welt.
Medien berichten, User*innen in sozialen Netzwerken teilen die Fotos und Videos massenweise. Ihr Impetus: über die rechte Gefahr im Osten aufklären. Das Resultat: Das eigentliche Anliegen der CSD-Organisationen und Demonstrierenden geht unter, von einer Mischung aus organisierten Nazis und erlebnisorientierten Rechten an den Rand gedrängt. Das Recherchekollektiv ART Dresden kritisiert die Berichterstattung später in einem ausführlichen Artikel über die „Elblandrevolte“. (Öffnet in neuem Fenster) Tenor: Diese massive Aufmerksamkeit hat der in der Region aktiven „Elblandrevolte“ und anderen Nazis mehr genutzt als geschadet.
„Die wohl wichtigste Starthilfe bekam die „Elblandrevolte“ jedoch nicht von älteren Nazis, sondern von den klassischen Medien: Ausführliche Berichterstattung durch Spiegel TV oder Sachsen Fernsehen im Zuge der CSDs lieferten hochaufgelöstes Material zur eigenen Inszenierung und sorgte für den nötigen Aufmerksamkeitsschub, der zur (bundesweiten) Popularität beigetragen hat.“
Vor diesem Hintergrund lädt das CSD-Kollektiv in Döbeln zur Demo ein. Ein Dresdner Zusammenhang organisiert eine gemeinsame Zuganreise, ich werbe im persönlichen Umfeld und in sozialen Medien dafür. Vielfach der Hinweis, wie gefährlich das ist. Die Aufregung über den CSD in Bautzen trägt Früchte, Angst macht sich breit.
Was viele nicht wissen: Eine gewisse Gefahr besteht in Döbeln seit Jahren, Beteiligte sahen sich schon mit Steinwürfen konfrontiert. Auch vor Bautzen empfahl sich bei einem Besuch des CSD Döbeln ein Mindestmaß an Vorsicht. Dazu braucht es keine zehntausendfach geteilten Bilder von Parolen brüllenden Nazis.
Zugleich: So wichtig Vorsicht ist, Angst ist ein schlechter Ratgeber. Was ist kluge Sensibilisierung für Gefahren? Was ist Panikmache im Sinne der Nazis?
CSD in Döbeln in der deutlichen Mehrzahl
Am Platz der Auftaktkundgebung nahe des Döbelner Bahnhofs empfängt uns ein stechender Geruch: Buttersäure. Zugleich macht die Information die Runde, dass der Anmelder der Nazi-Gegendemo nicht vor Ort sein kann. Offenbar, so die vage Information, habe er am Vorabend Stress mit der Polizei bekommen. Einige Tage später stellt sich der Grund heraus. Stefan Trautmann, der für die Freie Sachsen im Stadtrat von Döbeln sitzt, geriet mit seinem Fahrzeug in eine Polizeikontrolle. (Öffnet in neuem Fenster) Dabei nahmen die Cops Buttersäuregeruch wahr …
Rund 40 Menschen haben sich der gemeinsamen Anreise aus Dresden angeschlossen. Nun stehen wir auf der Kundgebungsfläche, blicken immer wieder zur Nazi-Versammlung. Die Rechten zeigen in unmittelbarer Nähe Präsenz, nur durch einen weitläufigen Kreisverkehr getrennt. Eine Folge der Bautzen-Berichterstattung: viel Polizei dazwischen und am Rande.
Eines ist jetzt schon klar: Der CSD mobilisiert deutlich besser als die Nazi-Seite. Das liegt insbesondere an einer hervorragenden Mobilisierung aus Leipzig. Ebenfalls eindeutig, mit Blick auf die andere Seite des Kreisverkehrs: Die Rechten sind weit davon entfernt, an den vermeintlichen Erfolg von Bautzen anzuknüpfen.
Ein sich wiederholendes Ärgernis: Rechte Streamer mischen sich unter die CSD-Versammlung. Habe ich das letzte Mal hautnah beim CSD in Wurzen miterlebt, in diesem Fall sorgte Weichreite für ständige Unruhe. Ob Wurzen oder Döbeln: Cops sind der Meinung, dass das Abgefilme mit Handykamera unter Journalismus fällt …
„Queeres Leben Döbeln“: Einblicke in den Alltag
Ocean (Öffnet in neuem Fenster) und Josie von „Queeres Leben Döbeln“ ergreifen das Wort: Sie schildern eindrücklich die Herausforderungen für queere Sichtbarkeit in der Provinz. Der ergreifendste Redebeitrag des Tages. Sie blicken auf die bisherigen CSDs zurück: zwei Mal mit Gegendemos, zwei Mal Buttersäureanschläge, ein Mal Steinwürfe. Bedrohung von rechter Seite: in Döbeln nichts Neues.
Diese Bedrohungslage beschränkt sich nicht auf das unmittelbare Umfeld von CSDs. Ocean und Josie berichten von Morddrohungen im Briefkasten, von Böllerwürfen aus einem Auto heraus, von einer Verfolgung bis zur Haustüre. Und Menschen aus Großstädten ängstigen sich, wie in Sozialen Medien vielfach nachzulesen, für wenige Stunden zum CSD nach Döbeln zu reisen?
Apropos Großstädte: Ocean und Josie beklagen die zu geringe Unterstützung aus den sächsischen Metropolen. Sie verweisen auf die Demokratiedemos in Döbeln und Waldheim, bei denen sie sich mehr Support erwünscht hätten. Zugleich sprechen sie von stabilen regionalen Netzwerken und gemeinsame Projekte mit den Bunten Perlen Waldheim und dem Jugendhaus Roßwein.
Ocean und Josie erwähnen aber auch die positiven Facetten: Den knapp 20 Aktiven in Döbeln sei es gelungen, sich dauerhaft zu etablieren und vielfältige Aktivitäten zu entfalten. Der jährliche CSD ist nur das sichtbare Highlight, viele weitere Aktionen wie der regelmäßig stattfindende „Queeroffene Barabend“ im Café Courage (Treibhaus Döbeln) kommen hinzu.
CSD in der Provinz: Progressive Parteiprominenz unterstützt
Während viele Linke in Großstädten Abstand zu Mitte-Links-Parteien und namentlich zu SPD und Grünen halten, sieht das in der sächsischen Provinz anders aus. Einen Tag nach dem CSD in Bautzen sprach der Vize-Ministerpräsident Martin Dulig (SPD) auf der Queer Pride in Radebeul, in Döbeln hält die Noch-Justizministerin Katja Meier (Grüne) eine Rede, unter den Zuhörenden befindet sich der in Döbeln wohnende SPD-Landesparteichef Henning Homann. Ein Orga-Mitglied lobt sogar explizit die Arbeit der progressiven Parteien SPD, Grüne und Linke – im ländlichen Raum Sachsens offenbar unverzichtbare Ansprech- und Bündnispartner.
Ansprech- und Bündnispartner, die wiederum selbst marginalisiert sind. Bei der Landtagswahl drei Wochen zuvor erhielt die SPD in Döbeln 7 % der Zweitstimmen, es folgten Linke mit 2,7 % und Grüne mit 1,3 %. Ein Desaster.
https://flic.kr/p/2qicApw (Öffnet in neuem Fenster)Katja Meier prangert die „viel zu vielen Stimmen für Populismus und Hass“ an, betont zugleich:
Gleichberechtigung lässt sich nicht aufhalten.
Rede von Katja Meier in Döbeln
Und nimmt die künftige Staatsregierung in die Pflicht: Sie solle sich Queerfeindlichkeit entgegenstellen anstatt sie zu fördern. Sie erwähnt aber auch das Positive und bezeichnet es als „extrem ermutigend“, dass es so viele CSDs wie noch nie gebe. Hoffnung, doch.
Fröhlicher CSD-Zug durch Döbeln: Nazis nur Randerscheinung
Der CSD-Zug stellt sich auf, passiert den Kreisverkehr und geht in unmittelbarer Nähe an der Nazi-Gegenkundgebung vorbei. Die Kräfteverhältnisse sind eindeutig: Rund 650 Menschen beim CSD, etwa 200 bei der rechten Versammlung.
Für Aufregung sorgte im Vorfeld eine Entscheidung der Ordnungsbehörde: Ähnlich wie in Bautzen dürfen die Rechten mit geringem Abstand dem CSD auf der gesamten Route folgen. Was sich bedrohlich anhört, erweist sich in der Praxis als Randerscheinung: Innerhalb des CSD-Zugs bekommen die Teilnehmer*innen nichts von den Nazis dahinter mit. Die Musik ist zu laut, die Nazis sind zu leise.
An Fenstern und Hauseingängen mehrere aufgeschlossene Bewohner*innen: In den meisten Fällen handelt es sich um Migrant*innen, aber auch Omis zeigen sich freundlich. Eine Teilnehmerin winkt einem mittelalten, am Fenster sitzenden Mann zu. Dieser reagiert unwirsch, die Teilnehmerin wechselt konsequenterweise vom Winken zum Zeigen des Mittelfingers. Unfreundliche Reaktionen bleiben an diesem Tag aber Einzelfälle.
Wir erreichen den Obermarkt – Zwischenkundgebung mit mehreren Redner*innen. Ines von den Omas gegen Rechts Döbeln liest die Erfurter Abschlusserklärung vor, Ergebnis des ersten bundesweiten Treffens der Omas gegen Rechts. Ein flammendes Plädoyer für die Demokratie:
Es ist unsere Aufgabe als OMAS GEGEN RECHTS, nachfolgenden Generationen von unseren Erfahrungen zu erzählen und ihnen zu vermitteln, dass es für ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit und Vielfalt keine Alternative zur Demokratie gibt.
Erfurter Abschlusserklärung der Omas gegen Rechts (Öffnet in neuem Fenster)
Auch eine Vertreterin des Landesschülerrats Sachsen spricht zu den Versammelten. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf die Situation queerer Schüler*innen. Berichtet von Mobbing und Gewalt, auch von queerfeindlichen Sprüchen durch Lehrkräfte. Fordert, dass Schulen die Sicherheit von queeren Schüler*innen garantieren.
https://flic.kr/p/2qiap3D (Öffnet in neuem Fenster)Die Demo zieht weiter, im Wettinpark mündet sie in ein Fest. Zahlreiche Organisationen haben Infostände aufgebaut, unter anderem der RAA Sachsen, Fridays for Future, Jusos, Grüne und der Lesben- und Schwulenverband. Es gibt vegane KüFa, Kuchen, Getränke. Live-Musik und weitere Reden.
Wenige Meter weiter befindet sich das Café Courage, der Veranstaltungsort des Treibhaus Döbeln e.V. Ich besuche die großräumige Location, trinke ein alkoholfreies Bier – nicht wissend, dass ich dort im Winter die Klabusterbären erleben werde.
Turbulente Rückfahrt: jammernde Nazis und klischeebestätigende Provinz-Dynamos
Wieder im Park: Eine Person aus dem Orga-Team rät eindrücklich davon ab, alleine abzureisen. Nicht alle halten sich daran. Die meisten aber schon: Um 18 Uhr sammeln sich mehrere Hundert zur gemeinsamen Abreise Richtung Bahnhof, im Gänsemarsch und mit zahlreichen nebenherfahrenden Mannschaftsbussen der Polizei bewegen wir uns über Gehsteige. Ein CFC-Fan mit Fanschal und Bierdose kommt uns entgegen, seinen Unmut über die bunten Entgegenkommenden kann er sich nicht verkneifen.
Am Bahnhof großes Polizeiaufgebot: Eingekesselt stehen rund 50 Nazis seitlich am Bahnhofsgebäude, zwischen den Bahnsteigen. Eine kleine Gruppe mit Bierkasten marschiert jenseits der Gleise. Die Emotionen kochen hoch, auf beiden Seiten Sprechchöre, Beleidigungen, unfreundliche Gesten.
Die meisten CSD-Teilnehmer*innen warten auf den Zug nach Leipzig, die Dresdner*innen bewegen sich zu Gleis 3. Viel Polizei am Bahnsteig, keine im Zug. Eine achtköpfige Gruppe Nazis mit im Zug nach Riesa, allerdings in einem anderen Waggon.
Dank Bautätigkeit der Deutschen Bahn wird es aber schnell spannend. Ersatzverkehr ab Ostrau mit Bus. Und nur ein Bus im Einsatz. Die Antifa-Gruppe voraus vom Bahnsteig zur Bushaltestelle, die kleine Gruppe mit Nazis inklusive Bierkasten hinterher. Die CSD-Teilnehmer*innen bereits im Bus, einer davon blockiert die vordere Tür: „Ihr kommt hier nicht rein“, so seine Ansage gegenüber den Nazis.
„Wir sind doch alle Menschen!“, jammert einer der Ausgeschlossenen. Die Neonazis werden ihrer Optik gerecht, in allen Belangen die Klischees von 90er-Nazis erfüllend: strunzdumme Jammerlappen.
Der Busfahrer sagt zu dieser Szene nichts. Lässt es geschehen. Schließt die Tür und lässt die Nazis stehen. Der nächste Ersatzbus fährt eine Stunde später.
Am Riesaer Bahnhof angekommen, der RE50 nach Dresden hat erhebliche Verspätung. Wir lassen uns auf dem Bahnsteig nieder, einige Minuten später fährt der RE50 aus Dresden ein. Mit einer kleiner Gruppe Dynamo-Fans, verspätet vom Heimspiel zurückfahrend. Und alle Klischees von Provinz-Dynamos bestätigend.
Der Kleinste von ihnen, rund 40 bis 45 Jahre alt, sieht den bunten Haufen und mutiert sofort zum Wutbürger. Will wissen, wer wir sind, wo wir herkommen. „Alles Grüne!“, stellt er fest, seine Wut wächst ins Unermessliche.
Hin und her, die Stimmung aufgeladen. Nun sitzt keiner der CSD-Teilnehmer*innen mehr auf dem Boden. Manche entfernen sich, andere bewegen sich ins Zentrum des verbalen Tumults. Ein Teil der Dynamo-Gruppe hat währenddessen den Bahnsteig verlassen, befinden sich schon jenseits des Gleis 1, kehrt aber wieder um. Homophobe Sprüche. Kurz vor einer Schlägerei. Einem der Dynamos scheint das aber irgendwie zu doof, zieht den kleinen Wutbürger zurück, die beiden bekommen sich in die Wolle und versuchen sich alkoholgeschwängert gegenseitig auf die Fresse zu hauen. Der bunte Haufen entfernt sich nun kollektiv von dieser Szenerie, kann die positive Wendung kaum fassen.
Endlich fährt der RE50 ein.
Abschied am Bahnhof Neustadt. Das war er, der CSD in Döbeln 2024.