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Mein Opa Wilhelm

Opa Wilhelm wohnte noch immer dort, wo er immer gelebt hatte. Interessanterweise wurde die Straße irgendwann umbenannt – und hieß dann so wie die Straße, in der ich heute wohne. Und das noch mit derselben Hausnummer. Sachen gibt’s.

Er starb 1981, da war ich 15 Jahre alt. Traurig war ich nicht, denn es gab keinerlei emotionalen Bezug zu Opa Wilhelm. Wir waren meist zweimal im Jahr dort – zu Neujahr und zu seinem Geburtstag. Bei einem seiner Geburtstage durften wir das Fußballspiel Deutschland-Österreich schauen. Und irgendwann mal wurden wir an Neujahr ins Wohnzimmer geschickt, warum, weiß ich nicht. Die Erwachsenen, also die Kinder von Opa Wilhelm, sagten, wir sollten ja nichts anfassen. Die bleiben in der Küche und diskutierten irgendwas.

Von Opa Wilhelm gab es bei jedem Besuch 5 Mark und mehr auch nicht. Keine Umarmung, keine Nachfragen, nichts. Seine Frau, die Wilhelmine, war ja nicht die richtige Oma, sondern angeheiratet, weil seine erste Frau, meine richtige Oma, ja schon früh gestorben war. Wilhelmine war aber die Mutter von meinem Onkel Walter, der Mann von Tante Hilde. Das war ganz schön verwirrend. Und die war genauso teilnahmslos.

Schön war an diesem Neujahrstag immer, dass wir erst bei Opa Wilhelm waren, da haben wir auch Cousins und Cousinen getroffen und die Restbestände an Böllern verballert. Das hat immer viel Spaß gemacht. Danach ging es zu Onkel Peter, der mit seiner Frau, der Friedel, nicht weit entfernt lebte und da gab es noch die Cousine Susanne, die Unmengen an „Brädle“ buk und von deren Beständen wir nie genug bekommen konnten. Weil sie Sachen gebacken hatte, die wir von daheim nicht kannten. Jedes Jahr freute ich mich – und wir durften immer was mit nach Hause nehmen. Und solange die „Hausfrau“ noch lebte – also die ehemalige Haushaltshilfe – von der ich bis heute nicht weiß, wie sie wirklich hieß – gingen wir auch noch zu der. Alle waren warmherzig – bis auf die Großeltern.

Opa Wilhelm war streng und das hing unausgesprochen in der Luft. Die Stimmung war atembar, fühlbar, greifbar. Von meiner Mutter wusste ich, dass er in der SS war, dass es nach dem Krieg wenig zu Essen gab –„wir mussten Kartoffelschalen essen“ – und sie viel geschlagen wurde, von ihm, von der Stiefoma, von ihren Brüdern. Von allen, bis auf einen, ihren Lieblingsbruder. Ich wusste auch, dass der Opa wohl auch gejagt hatte und wenn er Hasen geschossen hatte, hat er die in der Küche abgezogen – was dazu geführt hat, dass meine Mutter kein Hasenfleisch essen mochte. Sie hatte einen ausgesprochenen Ekel davor – und den hab ich auch. Übertragung. Einfach so. So massiv war dieser Ekel.

Jedenfalls hat mein Vater, als er meine Mutter kennen gelernt hatte, dem Opa Wilhelm gesagt, dass sie heiraten würden. Obwohl meine Mutter erst 19 war und das nicht ohne seine Einverständnis möglich war. Und da mein Vater wusste, dass der Opa ungern seine Hilfe im Haushalt in Form seiner Tochter verlieren wollte – hat er ihm gesagt, dass sie sonst schwanger würde und dann müsste der Opa. Also haben sie geheiratet. Auf diese Geschichte von meinen Eltern war ich immer sehr stolz.

Also, Opa Wilhelm war ein Ekel, die Stimmung bei ihm nichts für Enkel – aber man ging halt hin. Trotz all dieser Verletzungen. So wie man auf die Geburtstage der Brüder ging. Die ja am Ende auch nur Opfer waren. Aber die Gewalt hat meine Mutter nie vergessen.

Bild von Myriams-Fotos auf Pixabay
Kategorie Großfamilie