Lesestoff für Regentage
Störche und ihr Nachwuchs sind (eher unfreiwillig, sie nisten halt da) fester Bestandteil der Landesgartenschau in Wangen im Allgäu. Foto: Jürgen Brand
Regentage sind perfekt, um ein bisschen zu schmökern. Deswegen hier und heute ein Lesetipp und ein bisschen Lesestoff.
Demokratie - leicht verständlich
Zum einen hat die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg Demokratie in einfacher Sprache erklärt: Alle wichtigen Begriffe und aktuelle Entwicklungen leicht verständlich, unbedingt lesenswert, gerade weil Demokratie in diesen Zeiten von unterschiedlichen Seiten immer wieder in Frage gestellt, wenn nicht sogar angegriffen wird:
https://www.lpb-bw.de/demokratie-leichte-sprache (Öffnet in neuem Fenster)Landesgartenschau in Wangen im Allgäu
Die Landesgartenschau in Wangen im Allgäu ist an diesem Samstag zwar wegen des Dauerregens und der Hochwassersituation geschlossen geblieben, aber schon am Sonntag, 2. Juni, wird wieder geöffnet. Hier ein paar Eindrücke in Wort und Bild (komplett allerdings nur für Unterstützer*innen):
Alte Spinnerei, neues Stadtviertel
Die Landesgartenschau 2024 in Wangen im Allgäu ist vor allem auch ein Stadtentwicklungsprojekt.
Ein neuer Aussichtsturm für Wangen, entwickelt in Stuttgart. Foto: Jürgen Brand
Wangen hat sich neu erfunden. Auf einer zwei Jahrzehnte lang verfallenden Industriebrache und darum herum sind Wohnungen für 1500 Menschen entstanden, oft in innovativer Holzbauweise, dazu 500 Arbeitsplätze, alles eingebettet in eine Parklandschaft entlang der renaturierten Oberen Argen.. Ein ziemlich spektakulärer Aussichtsturm aus Holz ist auch dazu gekommen. Alles zusammen ist noch bis Oktober Bühne und Kulisse für die Landesgartenschau 2024 - mit der ERBA als altem neuem Stadtquartier.
»»» Über weitere Unterstützer:innen für dieses Projekt “Gaisburger Marsch” freue ich mich! Wer die komplette Gartenschau-Geschichte mit weiteren Fotos und Links lesen will: Auf den Button hier unten klicken, dann werden die drei unterschiedlichen Unterstützungsmöglichkeiten angezeigt, mit denen dann dieser und viele andere Artikel komplett gelesen werden können. Gerne weitersagen! «««
Im Jahr 1863 gründeten zwei Schweizer in Wangen im Allgäu eine große Baumwollspinnerei. Ihr Problem: Es gab nicht genug Arbeitskräfte, also mussten “Fremde” angeworben werden. Für die zuziehenden Arbeiter wurden 1870 die ersten Arbeiterhäuser gebaut. 1874 kamen ein Wasch- und ein Backhaus dazu. Nach einer ersten Krise und einem Besitzerwechsel entwickelte sich dank großer Investitionen das Spinnereiviertel, ein Dorf vor der Stadt: Ein Spinnerei-Neubau kam dazu, eine Werkskantine mit Schlachterei, Bierkeller und Bäckerei, ein Heim für aus Italien angeworbene junge Frauen, ein Wöchnerinnenheim.
So sieht das Spinnerei-Areal heute aus: Der Schornstein steht noch, in den Spinnerei-Gebäuden wird heute gearbeitet und gewohnt. Im Vordergrund ein Teil des Gartenschau-Geländes. Foto: Jürgen Brand
Ab 1927 hieß das Unternehmen ERBA Baumwollindustrie AG, wobei ERBA aus dem Zusammenschluss mit Werken in ERlangen und BAmberg entstand. Weitere Gebäude wurden gebaut: ein Kinderheim, ein Altersheim mit Festsaal. Im Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg waren bei der ERBA in Wangen mehr als 1000 Arbeiter und Angestellte beschäftigt. In den 1970er Jahren begann der Niedergang, nach und nach wurden Teile des Areals verkauft. 1992 kam mit dem Konkurs das Aus.
Der Schornstein wurde gerettet
2009 kaufte die Stadt die ERBA, 2010 bekam Wangen den Zuschlag für die Landesgartenschau 2024. Damit rückte das Areal wieder in den Blick. Die Neuordnung begann, manches wurde abgerissen, anderes wie der weithin sichtbare Schornstein gerade noch gerettet. Heute ist aus dem Altersheim ein Hotel geworden, in den verbliebenen ehemaligen Arbeiterhäusern und einigen Neubauten werden neue Wohnformen gelebt, in den großen Spinnereigebäuden entstanden Firmenräume und in den Obergeschossen Wohnungen, hoch oben auf dem Schornstein ziehen Störche ihren Nachwuchs groß.
Helga Mayer in "ihrem" Spinnerei-Museum. Foto: Jürgen Brand
Für Helga Mayer ist das Spinnerei-Areal immer noch ein bisschen Zuhause. Ihr Vater war der letzte ERBA-Direktor, aufgewachsen ist sie im sogenannten Direktorenhaus. Sie besuchte den ERBA-Kindergarten, hat später dort auch als Ferienjobberin gearbeitet. Ihr Vater ging 1976 in Rente. Er war der letzte, der sich Direktor nennen durfte.
“Einfach toll, einfach super”
“Einfach toll, einfach super”, schwärmt sie vom neuen Quartier. “Wenn Sie gesehen hätten, was für eine Industriebrache das hier war, mit eingeworfenen Fenstern. Dort hinten in den Arbeiterhäusern sind die Bäume aus dem Dach rausgewachsen, die wollte man alle abreißen, weil alles so marode war. Auch den Kamin wollte man abreißen.” Zum Glück kam es anders. “Es ist Wahnsinn, was sich hier getan hat!”
Museumsstück: Webmuster per Lochstreifen. Foto: Jürgen Brand
Helga Mayer sorgt mit vielen anderen im Förderverein ERBA-Museum dafür, dass die Spinnerei-Geschichte nicht vergessen wird. Ziel des Vereins sei, “die Geschichte der Baumwollindustrie und die Lebenswelt der darin beschäftigten Menschen zu bewahren und zu präsentieren”. Das Museum mit vielen Informationen, Bildern und auch Gegenständen aus der Spinnerei ist in die alte Schlosserei eingezogen. Es ist während der Landesgartenschau täglich von 9 bis 19 Uhr geöffnet (www. erba-museum-wangen.de (Öffnet in neuem Fenster)).
Jeden Tag anders
Schräg gegenüber hat sich Steffi Schneider mit ihrer Steinmanufaktur eingerichtet. Sie hat fünf Jahre Baustelle hinter sich. 2019 hat sie das Kesselhaus gekauft, seitdem ist die Steinmetzmeisterin täglich zur Arbeit mitten in die Großbaustelle gefahren. “Ich war die Erste, die in so ein Gebäude hier eingezogen ist,” sagt sie. “Wir machen auch Dreck und es ist laut und es ist staubig in einer Steinmetzwerkstatt. Da war es nicht tragisch, dass ich hier in die absolute Baustelle gezogen bin.” Ohne Übertreibung kann sie sagen: “Das Leben hier hat sich oft täglich verändert, manchmal stündlich.” Die gebürtige Lindauerin, die das Areal vorher nicht kannte, ist vom Ergebnis des Großprojekts begeistert. “Ich finde es total schön, total harmonisch.”
Steinmetzkunst: Meisterin Steffi Schneider und Gesellin Conny Stark an einem ihrer klingenden Werke. Von Jürgen Brand
Eines finden sie und die Gesellin Conny Stark auch ein paar Wochen nach der Eröffnung der Landesgartenschau immer noch unglaublich: “Die Baustelle war von einem Tag auf den anderen vorbei. Da waren noch an jeder Ecke Baustellenfahrzeuge am Tag vorher, alle haben gesagt, das kann gar nicht fertig werden. Und am nächsten Tag war alles weg: Kein Bagger mehr, kein Laster mehr, kein Auto mehr, alles war asphaltiert.” Und: “Trotz des totalen Chaos sind alle nett geblieben. Und die Leute, die jetzt schon da waren, sind alle total begeistert.”
Wohnen im Kesselhaus
Während der Landesgartenschau können Besucher im Kesselhaus in die Steinmetz-Welt eintauchen, an Workshops aller Art teilnehmen, selbst mit Steinen arbeiten. Fast täglich kommen Schulklassen, Kinder und Jugendliche mit Sehbehinderung erfühlen die unterschiedlichen Materialien und bearbeiten sie. Im Kunstraum oben unterm Dach stellen während der Gartenschau nacheinander 15 Künstlergruppen aus. Und danach zieht die Steinmetzin vielleicht auch ganz ins Kesselhaus, aus dem Kunstraum Atelier sollen Wohnungen werden.
Der Gartenschau-Chef Karl-Eugen Ebertshäuser ist froh, dass der Kamin noch steht. Foto: Jürgen Brand
Bei Karl-Eugen Ebertshäuser sind in den vergangenen sieben Jahren alle Fäden des Wangener Landesgartenschau-Projekts zusammengelaufen. Der 66 Jahre alte gebürtige Bad Cannstatter gilt als einer der erfahrensten Landesgartenschau-Planer in Baden-Württemberg. Seine erste war in Plochingen im Jahr 1998, dort war damals noch ein ähnlich hoher Kamin wie in Wangen gesprengt worden. “Das tut mir heute noch weh”, sagt er. In Schwäbisch Gmünd war er 2014 verantwortlich, auch dort wurde die Stadt durch den neuen Einhorn-Tunnel gravierend verändert. Für die Gartenschau 2019 im Remstal koordinierte er die Interessen der vielen unterschiedlichen Kommunen dort.
“Das ist ein Quantensprung für Wangen”
“Es war toll, dass der Gemeinderat und der Oberbürgermeister hier den Mut gehabt haben, die Landesgartenschau als Gesamtprojekt anzugehen”, ist er voll des Lobes für die Wangener Verantwortlichen. “Das ist ein Quantensprung für Wangen.” Wenn die Gartenschau im Oktober zu Ende geht, ist sein Job noch lange nicht erledigt. Bis Ende 2025 wird es dauern, bis alles abgerechnet ist und die GmbH dann aufgelöst werden kann. Der Gartenschau-Chef wird also noch erleben, was der Stadt alles bleiben wird - und wie sehr sie davon profitiert.
Info Die Landesgartenschau in Wangen im Allgäu ist bis 6. Oktober täglich ab 9 Uhr geöffnet, Kassenschluss ist in der Regel um 19 Uhr, bei Abendveranstaltungen auch später. Das umfangreiche Programm mit Workshops, Führungen, Konzerten und mehr sowie viele weitere Informationen etwa zur Anreise oder zu den Eintrittspreisen sind auf der Webseite zu finden.
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