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100 Ausgaben FUZE - COMEBACK KID aus FUZE.02

2007 erschien mit "Broadcasting" ein neues Album von den Kanadiern COMEBACK KID, die zuvor Zeitpunkt gerade einen ziemlichen Erfolg mit "Wake The Dead" feiern konnten - bis heute wohl DIE Hymne der Band und ein moderner Hardcore-Klassiker. Dann geschah etwas, was der Todesstoß für die Band hätte sein können: Sänger Scott Wade stieg aus. Doch der Gitarrist der Band übernahm kurzerhand das Mikrofon, und seitdem kennen wir Andrew Neufeld als Sänger der Band. In unserem Interview aus FUZE.02 erzählt er über die Situation und gibt ein ein paar Statements über die Medienlandschaft ab, die heute wohl genauso zutreffen, auch wenn man sie mit mehr vorsicht äußern müsste. Hier auch der kurze Hinweis auf den Podcast, den wir zu COMEBACK KID exklusiv für Steady produziert haben. (Öffnet in neuem Fenster) 

https://steadyhq.com/de/fuzemagazine/posts/9326e688-c921-4b23-bd1f-a8ae6333a706 (Öffnet in neuem Fenster)

Ich erinnere mich damals für Ausgabe.02 zwei Texte verfasst zu haben - zum einen war ich damals Teil der TASTE OF CHAOS-Tour mit meiner Band FIRE IN THE ATTIC, über die ich ein Tourtagebuch für das Heft geführt habe. Bei der Gelegenheit führte ich damals auch mein erstes Interview überhaupt mit SAOSIN, ebenfalls in im FUZE.02 nachzulesen.

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Dennis

DIE THERAPIE IST DIE BOTSCHAFT. „Scheiß drauf. Ich schmeiß doch nicht unsere Setlist um, nur weil ein paar Medienfritzen das gerne so hätten.“ Der Tourmanager und Überbringer der Nachricht versucht, Andrew Neufeld zu beschwichtigen. Dem Kamerateam, das die heutige Show mitschneiden wolle, käme es doch lediglich darauf an, dass drei Songs des letzten Albums „Wake The Dead“ am Stück gespielt würden. Schließlich lenkt der Sänger zähneknirschend ein und wendet sich wieder dem Interview zu. „Siehst du, das ist genau das, worüber wir gerade geredet haben und woraus sich auch der Titel unseres neuen Albums ‚Broadcasting‘ erklärt. Ständig versuchen die Medien, jemanden von irgendetwas zu überzeugen.“ Dann beginnt er zu lachen. Denn das ist genau das Gegenteil von dem, was COMEBACK KID wollen.

Musik war schon immer eine konstante Größe in Andrew Neufelds Leben. Schon als kleines Kind spielte er Klavier. Mit zwölf Jahren bekam er von seinen Eltern die erste Gitarre geschenkt. „Ich wusste noch nicht einmal, wie man auf dem Ding spielt, da habe ich damit bereits Lieder geschrieben“, erinnert er sich. „Ich muss das, was in mir vorgeht, einfach zum Ausdruck bringen, sonst würde ich verrückt werden. Und mir gelingt das nun einmal am besten mit Hilfe der Musik. Sie ist meine Therapie.“ Dementsprechend schwer fällt ihm das Schreiben in Phasen seines Lebens, in denen er glücklich ist. Er ist eben einfach kreativer, wenn ihn etwas traurig oder wütend macht. Trotzdem ist Neufeld kein unverbesserlicher Schwarzseher – dafür lacht er einfach viel zu gerne.

COMEBACK KID auf dem Cover der zweiten Ausgabe des FUZE.

Ein Thema, das Neufeld in letzter Zeit umgetrieben hat, ist die manipulative Macht der Medien. „In den Nachrichten scheint es nur noch darum zu gehen, der Öffentlichkeit Angst einzujagen. Es ist ziemlich offensichtlich, dass die Medien damit ein bestimmtes Ziel verfolgen, denn gleichzeitig werden wir mit Informationen gefüttert, die perfekt auf die Bedürfnisse der politischen Kräfte und der großen Konzerne zugeschnitten sind, die in unserem Land das Sagen haben. Die Medien wollen, dass wir uns blind der Führung dieser Leute anvertrauen, damit wir uns nicht zu viele eigene Gedanken machen.“ Was im ersten Augenblick nach dumpfer Verschwörungstheorie klingt, ist abzüglich der (von Neufeld ohnehin nicht intendierten) politischen Dimension lediglich Ausdruck des Ohnmachtsgefühls des Einzelnen in einer immer komplexer werdenden Mediengesellschaft. Denn der Sänger erhebt gar keinen Anspruch darauf, stichhaltige Antworten auf die Fragen unserer Zeit zu kennen und weicht konkreten Nachfragen zu diesem Thema aus – auch weil der bekennende PROPAGANDHI-Fan um die Schwierigkeiten der Vermittlung einer fundierten politischen Botschaft weiß. „Was das betrifft, habe ich Chris Hannah und seine Band immer bewundert. Er ist einer der besten Texter der Gegenwart und ein wahres Genie“, schwärmt der Kanadier über seinen Landsmann.

Anders als PROPAGANDHI geht es Neufeld in erster Linie darum, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. COMEBACK KID verstehen sich eben nicht als politische Band – zumindest nicht vordergründig. „Es ging uns nie darum, den Leuten vorzuschreiben, was sie zu tun oder zu denken haben. Natürlich ist es cool, wenn sich irgendjemand irgendetwas aus meinen Texten ziehen kann. Sollte das allerdings nicht der Fall sein, könnte mir das gar nicht gleichgültiger sein.“ Zudem kennt sich Neufeld im politischen Tagesgeschehen auch gar nicht gut genug aus, um dieses kommentieren zu können – was er auch ganz offen zugibt. Doch die Band kann auch deshalb nicht nach außen als Meinungsmacher auftreten, weil bei vielen Themen innerhalb ihrer Mitglieder kein Konsens herrscht. Dazu sind die Bandmitglieder einfach zu unterschiedlich: „Bei COMEBACK KID gibt es nicht die eine Meinung, auf die sich alle einigen können und für welche die Band steht. Jeder hat seine eigenen Ansichten.“ 

https://youtu.be/-lD0SY9PfSU (Öffnet in neuem Fenster)

Als Beispiel führt er seine ständigen Diskussionen mit Gitarrist Jeremy Hiebert an, der im Gegensatz zu Neufeld Vegetarier ist und sich beispielsweise multinationalen Konzernen wie Wal-Mart oder McDonald’s verweigert. Zwar ist auch der Sänger im Grunde nicht damit einverstanden, Fleisch zu essen und noch viel weniger damit, wie es produziert wird, trotzdem verzichtet er nicht auf dessen Konsum. „Es ist sehr einfach, Dinge zu tun, von denen man weiß, dass sie eigentlich nicht in Ordnung sind. Ich mache mich diesbezüglich genau so schuldig, wie die meisten von uns.“ In „Market demands“, einem der Songs des neuen Albums, thematisiert Neufeld genau diese ihm alltägliche Erfahrung. „Wahrscheinlich sollte ich mich deswegen schlecht fühlen. Aber ich tue es nicht. Trotzdem weiß ich, dass es nicht richtig ist. Es ist in unserer Gesellschaft eben verdammt leicht, so nachsichtig mit sich selbst zu sein.“ Und es gibt noch ein weiteres Thema, bei dem Neufeld und Hiebert unterschiedliche Ansichten vertreten. Denn obwohl Letztgenannter Christ ist, legt der Sänger Wert auf die Feststellung, dass COMEBACK KID keinesfalls eine christliche Band sind – auch wenn das erste Album auf der dafür bekannten Plattenfirma Facedown Records erschienen ist: „Genau das war ja einer der Gründe, weshalb wir dieses Label damals verlassen haben. Wir wollten als Band nicht mehr in diese Schublade gesteckt werden. Gleichwohl sprechen die Leute das Thema bis zum heutigen Tag immer wieder an. Hardcore ist besessen davon, alles und jeden abzustempeln. Aber wir sind keine christliche Band – und waren es auch niemals.“

Dafür ist man in manchen Ländern der Meinung, COMEBACK KID seien Teil der Straight-Edge-Szene. Die Tatsache, dass die Band schnellen, melodischen Hardcore spielt, reicht den Leuten zum Beweis für diese Unterstellung. „Die Menschen sehen immer das in dir, was ihnen am besten in den Kram passt. Dabei sind wir kein Teil von irgendeiner der genannten Gruppen“, ächzt Neufeld, der sich deswegen aber nicht beklagen möchte. Den Verantwortlichen bei Facedown ist er beispielsweise immer noch dankbar. Schließlich waren diese die Einzigen, die der Band damals eine Chance geben und eine Platte veröffentlichen wollten. Was aber auch daran gelegen haben mag, dass das Label bereits mit FIGURE FOUR, Andrew Neufelds alter Band, zusammengearbeitet hatte.

Auf seine musikalische Vergangenheit angesprochen, reagiert der Sänger allerdings etwas kleinlaut und fast ein wenig zerknirscht. Denn wo COMEBACK KID bewusst auf jeden wie auch immer gearteten missionarischen Eifer verzichten, waren FIGURE FOUR eine unmissverständlich christliche Band. Und Neufeld war ihr Sänger. „Ich habe diese Band mit 16 Jahren gegründet“, verteidigt sich der heute 25-Jährige. „Ich bin im christlichen Glauben erzogen worden, aber mit dem Erwachsenwerden begann ich, die Dinge anders zu sehen. Trotzdem erwarten die Leute, dass ich immer noch genau so denke wie damals. Es ist nicht einfach, eine Platte aufgenommen zu haben, auf der man bestimmte Dinge sagt, zu denen man heute eine ganz andere Meinung hat. Aber damit muss ich eben fertig werden. Das ist schon in Ordnung.“

Der Erfolg der ursprünglich als Nebenprojekt ins Leben gerufenen COMEBACK KID markierte dann das Ende von FIGURE FOUR, die sich allerdings nie offiziell aufgelöst haben. Interessanterweise gründete Neufeld damals eine neue Band, weil er das Singen satt hatte und endlich wieder – wie damals mit zwölf Jahren – Gitarre spielen wollte. Doch nach dem Ausstieg des Sängers steht er jetzt doch wieder am Mikrofon. COMEBACK KID waren gerade mitten in einer dreimonatigen Tour, als Scott Wade von einem Tag auf den anderen nach Hause fuhr. Er hätte den oft zitierten harten Touralltag einfach keine Sekunde länger ertragen. Neufeld ist überzeugt davon, dass er ein Teil der Band geblieben wäre, hätte er ihr nicht seine gesamte Zeit opfern müssen. Die Entscheidung, bereits am nächsten Abend seine Gitarre in den Ecke zu stellen, fiel ihm genau so schwer, wie sie ihm logisch erschien – schließlich hatte er Wade schon früher vertreten. Viel Zeit zum Nachdenken blieb ohnehin nicht: „Wir mussten eine schnelle Entscheidung treffen. Ich wollte, dass es mit COMEBACK KID weiterging und kannte niemanden, der sich für den Job am Mikro eignen würden. Es ist eben leichter, einen guten Gitarristen zu finden. Einem neuen Sänger würde ich wahrscheinlich die Hölle heiß machen. In dieser Beziehung bin ich echt ein Arsch“, ist Neufeld ganz ehrlich.

Doch der Ausstieg des Sängers ist nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Er ist nachdenklicher geworden und hat erkannt, wie verwundbar und zerbrechlich der Traum ist, den er gerade leben darf. „Auf dem Level, auf dem wir uns gerade bewegen, bleibt keine Zeit für irgendetwas anderes als die Band. Das kann einem manchmal ganz schön zu schaffen machen.“ Vor allem aber lässt ein Leben, das nahezu jeden Tag an einem anderen Ort stattfindet, kaum Platz für Beziehungen mit Menschen außerhalb dieser unsteten Welt. „Meine Freundin lebt in Australien. Manchmal will ich alles für ein Jahr hinschmeißen und mit ihr den ganzen Tag am Strand abhängen. Aber ich werde eben auch nicht jünger. Ich muss diese Gelegenheit nützen. Die meisten coolen Dinge, die ich bisher erlebt habe, verdanke ich der Band.“

Und selbst wenn Andrew Neufeld eines Tages beschließen sollte, sein derzeitiges Leben aufzugeben, wird er wohl niemals aufhören, sich mit Hilfe der Musik auszudrücken. Mit einer Gitarre an einem einsamen Strand in Australien zu sitzen, hat ja auch durchaus seine Reize. Es sollte dort zumindest niemanden geben, der einem vorschreiben möchte, in welcher Reihenfolge man Lieder spielen soll, die man ohnehin nur für sich selbst geschrieben hat.

Thomas Renz

Lest auch: CONVERGE aus FUZE.01!  (Öffnet in neuem Fenster)

https://steadyhq.com/de/fuzemagazine/posts/bf8ada8b-49fe-4454-87b2-89697839ab4c (Öffnet in neuem Fenster)

Kategorie Interviews

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