NEAERA Interview (vorab aus FUZE.80)
NEAERA sind zurück! In meiner Timeline ging es ganz schön rund, als plötzlich klar war, dass NEAERA nicht nur wieder Shows spielen würden, sondern dass es auch noch ein Album in greifbarer Nähe gibt. Hier schon mal vorab für alle unser Interview mit Sänger Benni.
MUSIKNERDS UNTER SICH. Die Band aus Münster ist zurück und haut mit dem ersten Song „Torchbearer“ mächtig auf die Kacke. Was als Interview mit Sänger Benny geplant war, artet in ein eineinhalbstündiges Telefongespräch über Bands, Alben, Konzerte und Fansein an sich aus.
NEAERA sind zurück. Aus dem Nichts. Und der neue Song klingt fetter als alles Dagewesene. Die Release-Show in Münster war innerhalb eines Tages ausverkauft. Alles sehr gute Gründe, Sänger Benny zu kontaktieren und einen kleinen Lagebericht rund um mein heimliches Comeback des Jahres zu verfassen. Ich atme tief durch, wähle die Nummer. Freizeichen. Ich muss gestehen, ich bin etwas aufgeregt, da ich die Jungs seit ihren Anfängen sehr zu schätzen weiß. Benny nimmt ab und die Aufregung verfliegt. „Von wo rufst du eigentlich an?“ Als ich ihm sage, ich bin in der Nähe von Darmstadt, fällt ihm sofort der Gig im Steinbruch ein, den NEAERA einst spielten. „Gibt es den Laden eigentlich noch?“ Ich muss leider verneinen.
Eine Woche zuvor durfte ich mit Maik von HEAVEN SHALL BURN telefonieren. Ich richte Benny wie versprochen schöne Grüße aus. „Ach nein. Das ist ja was. Alter, das freut mich jetzt wirklich.“ Jedes Wort ist durch und durch ernst gemeint. Wir kommen auf die gemeinsame „Hell On Earth“-Tour 2005 mit HEAVEN SHALL BURN und NEAERA zu sprechen. Mit an Bord damals: AS I LAY DYING, EVERGREEN TERRACE, AGENTS OF MAN und END OF DAYS. „Alter, das war unsere erste richtige Tour und ich kann bis heute nicht fassen, dass es mit diesen Bands war. Ich werde nie vergessen, wie unser damaliger Tourmanager mich anrief und mir mitteilte, dass wir bei dieser Tour am Start wären. Er meinte, wir müssten uns dann aber den Bus mit HEAVEN SHALL BURN teilen. Ich war sprachlos. Ich meine – wie alt war ich damals? Zwanzig? Das war wirklich krass. Natürlich war ich sehr aufgeregt und dementsprechend die ganze Tour lang richtig überdreht.“ Wir kommen weiter ins Schwätzen und Benny holt ein wenig aus. „Es ist wirklich schade, weil man in der Zeit in der man nicht regelmäßig auf der Bühne steht, dann auch manche Leute etwas aus den Augen verliert. Die Musikszene ist ein Dorf und auf den ganzen Festivals zum Beispiel ist man dementsprechend immer am Connecten, sieht diesen und jenen dort. Jetzt nach der Pause muss ich gestehen, es ist schade, dass man manche lange nicht mehr gesehen hat. Ich freue mich wirklich sehr darauf, viele der Leute wiederzusehen.“ Dabei ist das Tourleben nun schon aus einem einschneidenden Grund nicht mehr so denkbar wie früher: „Seit Anfang letzten Jahres bin ich Familienvater. Da verschieben sich natürlich mächtig die Prioritäten. Drei, vier Wochen auf Tour zu sein, das könnte ich mir gerade überhaupt nicht vorstellen. Klar, das ist auch schön, jetzt noch mal so eine andere Form der Liebe kennen zu lernen. Das ist ein komplett neuer Lebensabschnitt.“ Und während wir so die Minuten verstreichen lassen mit Gesprächen über Bands, Konzerte und „die guten alten Zeiten“, schlafen Kind und Frau wahrscheinlich bereits. „Es fühlt sich manchmal echt komisch an, ich meine, ich habe zwar weniger Haare auf dem Kopf, aber ich bin immer noch derselbe Idiot wie früher.“ Ich verstehe genau, was er meint. Diese Nerdiness in Bezug auf eine ganz bestimmte Art von Musik ist schwer aus dem Herzen zu verbannen und auch durch nichts zu ersetzen. Man tritt vielleicht in eine neue Lebensphase ein, aber die Liebe zur Szene bleibt. Und das merkt dem neuen Album auch an. In den Riffs, in den Songs, in jedem Wort stecken so viel Leidenschaft wie schon im Debüt. „Logo, ich gehe nicht mehr auf so viele Shows wie früher, aber wenn ich dann mal eine geile Band sehe, holt es mich wieder genauso ab wie in den Anfangstagen. Eines dieser Konzerte war jetzt vor wenigen Tagen, BOYSETSFIRE. Ich kann dann auch bei diesen Bands nicht einfach nur lässig an der Seite stehen, ich gehe dann voll mit. Auch so eine Band sind PARKWAY DRIVE für mich. Auf dem Summer Breeze habe ich ein unvergessliches Konzert der Jungs gesehen.“
Foto: Benjamin Donath
Wir reden viel über BOYSETSFIRE und die Energie, die eine solche Band für manche Hörer ausstrahlen kann. Hier haben wir eine gemeinsame Ebene gefunden. „Ich meine, BOYSETSFIRE sind mir vor allem eines Umstands wegen all die Jahre so wichtig geblieben: Ich liebe nicht nur ihre Musik, ich habe das Gefühl, alles, was die Jungs sagen und machen und wofür sie stehen, ist sehr tief mit meiner eigenen Persönlichkeit verwurzelt.“ Benny weiß sofort, was ich meine und stimmt uneingeschränkt zu. Wir reden und reden und kommen von einem geilen Konzert auf das nächste, von einer geilen Platte auf die nächste und haben noch keine einzige Interviewfrage hinter uns gebracht.
„Weißt du, was auch so eine Platte für mich ist?“, fragt Benny. „‚The Tracy Chapter‘ von DESTINY, die ja dann THE DESTINY PROGRAMM hießen irgendwann. Fuck, das hat mich vom ersten Ton so sehr überzeugt.“ Wieder Zustimmung meinerseits. Wir kommen vom Hölzchen aufs Stöckchen und schwelgen in Erinnerungen an eine der fettesten Platten dieser Ära. „Da haben die Jungs einen der fettesten Mosher, die es gibt, auf die Platte gepackt. Sobald wir auflegen, werde ich die Platte hören. Die Nachbarn werden es mir danken.“
Dabei sind die Platten, die Konzerte, die Bands, über die wir reden, auch tief mit der Geschichte von Benny im Einzelnen und NEAERA im Ganzen verwurzelt: „Weißt du was für mich so ein Aha-Erlebnis war? Die Show von BOYSETSFIRE in Osnabrück. In dieser Intensität hatte ich noch kein anderes Konzert erlebt. Es hatten alle so ein Happy-Face, es gab eine Menge Finger-Pointing, Crowdsurfen und eine riesige Party und das alles mit einem unglaublich positiven Vibe. Da wusste ich, ich musste auch auf die Bühne! Kurz darauf gab es ein weiteres Konzert, an das ich mich sehr gerne erinnere und das eine ähnliche Wirkung auf mich hatte: CONVERGE in Wuppertal. POISON THE WELL in der Matrix in Bochum waren auch einfach nur fett. Ich muss so um die 18 gewesen sein bei diesen Konzerten und ich weiß noch, wie ich dachte: ‚Wenn ich es packe, auch nur annähernd so abzuliefern auf der Bühne, dann habe ich es geschafft.‘ Ich hake nach, ob es ein Konzert gab, bei dem er selbst auf der Bühne stand und diesen Vibe vom Publikum gefühlt habe. „Wir waren mit ‚Let The Tempest Come‘, unserer zweiten Platte, auf Tour und haben in einer kleinen Klitsche gespielt und die Leute haben den Laden buchstäblich auseinandergenommen. Mitten im Set haben sie die Styropordämmung an der Decke klein gekriegt und ich habe dann auch eine Ansage gemacht, wie fett ich das finde, und habe mich bedankt. Unser Mercher kam danach auf mich zu und meinte: ‚Was du da gesagt hast, klang verdammt ehrlich!‘ Und ja – das war es auch!“
(Öffnet in neuem Fenster)Ob die Release-Show auch so eine Sause wird, bleibt abzuwarten, ist aber aufgrund des schnellen Absatzes der Karten zu erwarten „Ich meinte noch zu meiner eigenen Family: ‚Ja, schaut einfach, dass ihr euch vor Weihnachten die Karten holt, damit ihr auf der sicheren Seite seid.‘ Und dachte noch: Uh, wenn ich mich mit der Aussage mal nicht übernommen habe ... Jetzt war die Show so unglaublich schnell ausverkauft und ich kann nicht mal mehr meinem eigenen Schwager eine Karte besorgen. Das war verrückt. Ich meine, ich war an den Tagen, als der Vorverkauf anfing im Schwarzwald und hatte miesen Empfang, habe also die Updates immer zeitversetzt bekommen und konnte es gar nicht glauben. Ich war richtig geflasht!“ Die Szene hat NEAERA auch nach fünfjähriger Pause nicht vergessen. Im Gegenteil, die Fan scheinen ausgehungert und freuen sich über die neue Single „Torchbearer“ genauso, wie sie sich über die Live-Termine freuen.
Ein bisschen packt mich der Stolz, als sich Benny dann mitten im Gespräch noch zum Fuze-Sympathisanten erklärt: „Ich habe ja lange in Berlin gelebt und habe das Fuze immer gerne im Coretex mitgenommen. Ich liebe Printmedien und fand das Fuze immer ziemlich fett. Gibt es noch die Kategorie in der die Bands das jeweilige Line-up der Tour gegenseitig kommentieren?“
Neben BOYSETSFIRE kommen wir immer wieder auf die 2005er Tour zu sprechen „Krass, dass das jetzt auch 15 Jahre her ist. Aber richtig cool, dass du damals da warst.“ Ich erinnere mich daran, damals breit grinsend nach AS I LAY DYING die Frankfurter Batschkapp verlassen zu haben. Die Nacht habe ich dann am Bahnhof verbracht, weil wir den letzten Zug verpasst haben. Memories made. Umso schöner zu sehen, dass eine Band wie NEAERA weiter und weiter wachsen konnte und die Akzeptanz und Anerkennung von Tag eins an genießen konnte, die dieses Riffmonster verdient. „Ich freue mich auch für so viele Bands immer so sehr, wenn ich sehe, dass sie immer größere Akzeptanz finden. HEAVEN SHALL BURN sind da so ein Fall. Ich habe jetzt über all die Jahre miterlebt, wie sehr diese Band gewachsen ist und jedes Mal erfüllt es mich mit Freude zu sehen, dass die Jungs vorankommen, denn wenn es eine Band verdient hat, dann HEAVEN SHALL BURN.“ Klar, dass sich Benny dumm und dusselig darüber freut, dass mich Maik von besagten HSB auf den neuen NEAERA-Song angesprochen hat im Interview in der Woche zuvor.
Nach eineinhalb Stunden müssen wir gezwungenermaßen das Gespräch beenden – ich muss arbeiten. Die nächsten Tage denke ich verdammt oft daran, wie glücklich es mich macht, dass mir diese Szene nun schon seit fast zwanzig Jahren die Werte vorlebt, die in meinem eigenen Leben immer zentral waren: Ehrlichkeit, Authentizität und die Freude am Wachstum der anderen. NEAERA haben eines der fettesten Alben der letzten Monate vorgelegt, aber was viel wichtiger ist: Wie auch BOYSETSFIRE, HEAVEN SHALL BURN und CONVERGE verkörpern NEAERA für mich ein Gefühl, das mich nun seit zwei Jahrzehnten begleitet: Teil einer Community zu sein, die eine einzige große Leidenschaft vereint – die Liebe zur Musik, zu den Konzerten, zu den Platten, zu den Magazinen und ja, auch zum Merch. Eine Szene, die vor Ehrlichkeit und handgemachter Musik strotzt und im ständigen Wachstum begriffen ist. Dass NEAERA mit offenen Armen empfangen werden, wenn sie ihr Comeback beschließen, heißt für mich vor allem eines: Das wofür ich nun seit zwei Jahrzehnten lebe, wächst, entwickelt sich weiter und bleibt bestehen. Es wird immer schweißtreibende Live-Shows und ehrliche Platten geben. NEAERA sind Beweis genug dafür.
Marvin Kolb