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Vorab aus FUZE.97

SIE SPEIEN GIFT UND MELANCHOLIE. Endlich sind sie zurück – das neue FJØRT-Album „nichts“ erscheint im November und damit ganze fünf Jahre nach seinem Vorgänger. Sänger/Gitarrist Chris Hell und Bassist David Schreier berichten vom waghalsigen Vorhaben der „Alle Alben an einem Tag-Shows und von der Waage, in der sich saures Aufstoßen und Melancholie auf dem neuen Album halten.

Von euch hat man in den ganzen letzten Jahren wirklich gar nichts gehört. Wie ist es euch ergangen?
Chris:
Also erst mal kann man sagen: gut. Ich glaube, wir können uns nicht beschweren, dass es uns irgendwie schlecht ging inzwischen. Grundsätzlich hatten wir viel Zeit da reingesteckt, nachdem wir 2019 das letzte Mal Konzerte gespielt haben, haben wir richtig viel Energie gesteckt in das Schreiben von Songs. Das war auch super cool und hat echt viel Spaß gemacht. Und danach war es eigentlich so wie immer, dass man dachte: Jo, wir haben jetzt hier so ein paar Songs, die nehmen wir mal auf. Und dann gibt es halt so Termine, wo man eigentlich fertig sein möchte, und diese ganzen Termine, die man dann so hatte, wurden so ein bisschen über den Haufen geschmissen 2020. Man weiß weswegen. Und dann saßen wir da, hatten alle Songs aufgenommen, die wir aufnehmen wollten, und auf einmal waren wir in der Situation, dass wir ganz viel Zeit hatten. Die Songs waren im Prinzip fertig, aber als wir dann zu Hause noch ein bisschen rumgesessen haben auf den Songs, haben wir gemerkt, dass wir bei ganz vielen Ecken und Enden irgendwie weitere Ideen hatten und noch Bock, das noch mal aufzubrechen. Und hier und da noch mal was Neues zu machen, was hinzuzufügen, vielleicht noch mal eine Zeile umzudrehen. Und dadurch, dass wir dann diese Zeit hatten, haben wir uns dann auch die Zeit genommen, das zu machen. Dann haben wir, was wir noch nie gemacht haben, als das eigentlich schon aufgenommen war, noch mal richtig viel dran rumgeschraubt. Da haben wir unfassbar viel Zeit investiert, noch eine Millionen Details umzudrehen. Und hatten auch noch nach dem Studio so gefühlt dreißig Prozent der Platte fertiggestellt. Das war für uns super ungewöhnlich, weil wir sonst immer die Deadlines schon haben. Also letzten Endes haben wir extrem viel Zeit mit Musik verbracht, die ganze Zeit, wo wir nichts gepostet haben. Es gab auch nix zu posten. Live war auch nichts geplant. Wir wollten auch auf keinen Fall digitale Bildschirmkonzerte spielen oder so was. Weil das auch überhaupt nicht zu uns passt und das auch gar nicht das ist, worauf wir Bock haben. Wir haben so fünf Sekunden überlegt, ob wir das ins Auge fassen wollen, und waren uns aber schnell einig, dass das nichts für uns ist. Also wenn, dann soll das mit Leuten stattfinden, dann warten wir eben ab. Und das war auch cool so.
David: Wie du schon gesagt hast, uns ging es während der Pandemie schon echt gut. Und FJØRT sind so ’ne Band, wir versuchen das Internet möglichst leer zu lassen, wenn es nicht irgendwas Nennenswertes gibt. Wir haben echt das Privileg als Band, nur das tun zu können, was wir wollen. Also wir müssen nicht für Kohle oder für Promo was machen, das uns gegen den Strich geht. Das ist auch schwierig für unser Label oder für unsere Booking-Agentur, weil wir auf ziemlich wenig Bock haben und das einfach auch nicht machen. Aber wir fühlen uns mit allem, was wir machen, relativ wohl. Und deshalb halten wir einfach, wenn wir Songs schreiben oder irgendwas anderes machen, halten wir lieber unsere Fressen, weil wir denken: Wen interessiert das? Aber wenn wir irgendwas haben, was wir cool finden und das wir Leuten zeigen wollen, dann nutzen wir das Internet. Als wir 2018/19 mit dem Songwriting angefangen haben, sollte es eben erst mal wieder stiller werden, damit wir uns darauf fokussieren können. Das sollte 2020 eigentlich wieder vorbei sein. Und dann ging es aber in die pandemische Phase, wo es viel Wichtigeres gab als Konzerte spielen. Und als es wieder so ein bisschen losgehen konnte, war uns halt klar: Wir machen so was nicht. Wie Chris schon gesagt hat, so Videoshows ... oder ich fand ja die Autokino-Shows immer sagenhaft. Ich habe immer gedacht, das ist so wie bei dem Pixar-Film „Cars“. Wo oben die Autos spielen, also die Autos spielen Gitarre und Bass und unten hupen die Autos und gehen so hoch. Alle sind total glücklich, die Autos springen rum. No offense gegen Leute, die das durchgezogen haben. Aber wenn ich da oben hoch gegangen wäre, ich hätte Chris und Frank angeguckt, wir hätten uns kaputtgelacht ... Ich glaube, wir hätten wieder von der Bühne gehen müssen. Ja und dadurch hatten wir viel Zeit und sind im Nachhinein sehr happy, dass wir die hatten.

Foto: quintenquist.com

Ihr habt in diesem Jahr plötzlich Konzerte angekündigt, ohne vorher etwas veröffentlicht zu haben. Die Vermutung lag nahe, dass das eher ein Abschied wäre. Wie sind die Shows gelaufen? Weil vier Konzerte an einem Tag und das an zwei Tagen hintereinander, das war ja schon ein wildes Vorhaben.
Chris:
Wild ist gar kein Ausdruck. Ich glaube, wir hatten sehr viele Sorgen im Vorhinein, dass unsere Stimmen versagen. Wir dachten, wir müssten gucken, dass wir irgendwas mit unseren Stimmen machen, weil wir dachten, das wäre der Knackpunkt. War es aber irgendwie gar nicht. Bei uns war es hauptsächlich das Ding, dass wir 41 Songs spielen wollten und es gibt ein paar, die haben schon mal den einen oder anderen gleichen Akkord. Und das irgendwie alles im Kopf auseinanderzudividieren, das hat sich am Ende als schwierig herausgestellt. Und wir haben uns wirklich den Arsch abgeprobt. Unfassbar intensiv und lang geprobt. Am Ende hatten wir immer noch nicht das Gefühl, dass wir das jetzt gut können. Dazu musst du auch ein bisschen dein Mindset managen, von wegen: Wir haben das jetzt echt gut geübt und das wird irgendwie Bock machen. Und schließlich haben wir das irgendwie gewuppt. Ich glaube, wir haben das selbst noch nicht ganz verstanden, das ist so vorbeigezogen. Das ist wie jedes Konzert, du gehst auf die Bühne, Adrenalin – und eine Minute später gehst du von der Bühne und fragst dich: Was habe ich gerade gemacht? Und das einfach achtmal in drei Tagen. Das war insgesamt auf jeden Fall unfassbar krass. Auch wie die Leute jeden verdammten Text kannten, das lässt sich gar nicht verpacken irgendwie. Wenn uns jetzt jemand Fotos oder Videos von den Tagen zeigt, dann denken wir noch: Ach krass, das haben wir gemacht? Es war auf jeden Fall irre in jeder Hinsicht.
David: Die Idee war halt auch: Lasst uns einfach mal freidrehen mit den Leuten. Wir haben immer gedacht, wenn eine Lieblingsband von uns das machen würde, wir würden dahin fahren und das mitnehmen. Voll Bock drauf, die alten Platten zu hören, und noch abzuhängen mit Freunden und uns da dumm zu saufen an dem Tag. Und das war der Punkt, wo wir gesagt haben: Das ist ’ne coole Sache und wenn wir wieder was ins Internet stellen, dann das. Und dass das so viele Leute angenommen haben, ist natürlich wunderschön. Muss man sich mal vorstellen: Wir haben da in Venues gespielt, die doppelt so groß waren wie die auf der letzten Releasetour. Wir haben das Gloria in Köln dicht gemacht, wo wir nie im Leben gedacht hätten, dass wir mit der Band und dem Sound so was hinkriegen. Und als wir gemerkt haben, dass da viele Leute drauf anspringen, die Shows sind in den ersten Tagen ausverkauft, hat Frank im Proberaum gefragt: Wir machen das wirklich, ne? Dann haben wir angefangen zu proben und teilweise kamst du nach Hause und dachtest: Ach, du Scheiße! Wir haben sehr viel Spaß im Proberaum gehabt, die Songs noch mal neu zu entdecken. Aber ich glaube, es ist jedem klar, dass nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen war. Also es geht gar nicht darum, dass wir uns groß gezofft haben. Aber wenn du sechs Stunden Probe hast und denkst dir: Boah, jetzt müssen wir wieder diese vier Sets spielen ... Man weiß, warum man’s tut, und es macht auch Spaß. Aber nicht fünfmal die Woche. Du weißt, warum du’s tust, aber es ist nicht bei jeder Probe Passion. Und dann entlädt sich auch mal der Unmut von dem einen oder anderen im Proberaum. Das war für uns als Band schon eine sehr intensive Zeit, uns auch persönlich in einer extremen Belastungssituation besser kennen zu lernen. Jetzt können wir wirklich mit Sicherheit sagen: So schnell auflösen werden wir uns nicht, weil so tief steckten wir noch nie zusammen.

Wenn man sich euer Booklet zum Album anschaut, habt ihr zu jedem Songtitel eine kurze Beschreibung. Es geht von „nichts“ bis zu „was alles zusammenhält. Ist das eine Art Konzept oder Entwicklung von Song zu Song?
David:
Das ist eher Zufall. „lod“ war so ein Song, der nirgendwo anders hin konnte, als an das Ende.Wenn man eine Platte schreibt, da merkt man ja, welcher Song wohin passt. Und es war unumstößlich, dass dieser Song aufgrund der Härte und der Thematik so eine Platte schließen sollte. Aber wir fanden das mit dem Booklet dieses Mal ganz nett ... Es hat mir mal jemand eine Interpretation von „Bastion“ vorgelegt und hat gefragt, ob der Song so gemeint gewesen wäre. Und das war voll am Thema vorbei. Aber ich dachte irgendwie auch: Ja, das kann schon in die Richtung gehen. Deshalb fanden wir es dieses Mal auch für uns ganz wichtig, weil wir textlich schon so arbeiten, dass sich machmal mehrere Gedankenstränge miteinander verbinden, einfach mal zu sagen: Das ist für uns die Zusammenfassung des Gefühls des Songs. Und so haben wir das dann transportiert. Die Tracks wurden aber nicht nach einer Steigerung des Ganzen sortiert.

https://youtu.be/suxKzKFIYbA (Öffnet in neuem Fenster)

FJØRT-Lyrics sind ja meistens eher kryptisch und man kann viel interpretieren, wie du ja schon sagst. Ihr hattet aber auch immer ein paar Songs, die sehr deutlich in ihrer Sprache waren, gerade bei politischen Ansichten. Auf „nichts“ wirkt es für mich so, als würdet ihr in den Songtexten wesentlich deutlichere Worte finden.
David:
Ich glaube, dass man das nicht so steuern kann. An der Deutlichkeit kann man schon manchmal ablesen, wer von uns beiden der ursprüngliche Urheber ist. Texte kommen und gehen, wir könnten uns jetzt eine Stunde drüber unterhalten, wie solche Ideen entstehen. Letzten Endes ist es wieder gut, dass wir bei FJØRT auf relativ wenig achten müssen. Im Pop-Bereich musst du, glaube ich, viel genauer darauf achten, welches Wort du benutzt und was du sagen darfst. Das müssen wir bei FJØRT nicht und das schöpfen wir zu hundert Prozent aus. Das heißt, wenn ein Thema oder ein Akkord danach schreit, dann findet das seinen Weg in die Lyrics. Wenn bei uns die Akkorde besonders edgy und hart sind, dann fordert die Musik keine poetische Ausschmückung. Und so kommt es in gewissen Nummern dazu, dass man mit dem Song eine gewisse Härte spürt. Das ist krass passiert auf der „Kontakt“-LP bei „Paroli“. Das war das erste Mal, dass wir beim Schreiben die Bilder von PEGIDA im Kopf hatten und was da alles passiert ist. So eine Art von Menschen hat überhaupt gar keine sprachliche Ausschmückung verdient. Und es wurde auf einmal sehr, sehr direkt. Aber wir haben das künstlerisch so laufen lassen, weil das hat der Song verdient. Auf der neuen Platte ist das bei manchen Sachen auch so gewesen. Bei so einem Song wie „schrot“, wo es zu einem Sperrfeuer an üblem Aufstoßen, an Wut gekommen ist und wo wir uns ausgekotzt haben nach allen Regeln der Kunst ... Das zu nehmen und noch mal textlich zu phrasieren, hätte sich für uns bei manchen Songs einfach komplett falsch angefühlt. Insofern sind diese ganz rohen Lyrics passend. Und andere Songs haben wiederum einen anderen Vibe.
Chris: Manchmal braucht es eben mehr Gift und manchmal braucht es mehr Melancholie oder Bildermalen. Das entscheidet sich, wenn man hört, wie das erste Songkonstrukt ist. Dann entscheidet sich, ob es speien muss oder ob man es auf eine andere Weise ausdrücken will.

Ihr habt dieses Mal auch ein singendes Kind und Gesang von Chris. Was ist da passiert?
David:
Ja, das war krass. Wir wollten, dass es so wie ein Kind klingt, und haben im Studio versucht, das mit Kopfstimmen zu singen. Aber wir haben uns so dermaßen kaputtgelacht, dass uns klar war: Wir müssen den Umweg gehen und wen finden, der das geil performt. Das war wieder so der Klassiker, da haben FJØRT gedacht: Komm, wir machen mal was mit Kopfstimmen, das können doch andere auch ... Und das hat sich so unglaublich unglaubwürdig angehört, das war so richtig scheiße. Deswegen: Schuster bleib bei deinem Leisten, du kannst nichts musikalisch machen, wo du nicht hinter stehst. Also lass es besser. Und Gesang, ja der Chris hat einfach singen gelernt, voll geil! Applaus dafür! Danke von meiner Seite.
Chris: Ja, total gerne geschehen! Ich habe auch in der Retrospektive festgestellt, dass es auf der Platte mehr Gesang und auch cleanen Gesang gibt. Gesang gab es ja eigentlich schon immer bei uns. Ich singe auch total gerne, muss ich sagen. Das ist ’ne super geile Sache. Aber das erfordert sehr viel mehr Expertise und sehr viel mehr Talent. Das Schreien haben wir jetzt zehn Jahre lang richtig gut geübt, das können wir jetzt. Aber das Singen ist noch mal ein anderes Level des sich Trauens. Wir haben schon oft gedacht: Hier ist ein Part, wo Gesang passt. Aber das muss sich eben auch richtig anfühlen. Auf dieser Platte waren einige Songs, wie zum Beispiel „fernost“, wo ich einfach dasaß und alleine so Lagerfeuer-mäßig das Riff vor mich hin gedudelt und die Melodie gesungen habe und dachte: Hey, das ist gar nicht mal so schlecht, das kann ich den Jungs ja mal zeigen. Und deswegen haben wir das auch gemacht. Weil wir machen immer das, was uns ein gutes Bauchgefühl gibt und Spaß macht. Im Endeffekt war das jetzt die richtige Idee zur richtigen Zeit. Und genug Mut, um so was zu machen. Mut von mir persönlich. Im Bandkontext können wir auch eine Triangel einbauen oder ein Flötensolo, da können wir machen, worauf wir Lust haben. Aber für mich persönlich macht mir genau das jetzt Freude.
Britt Meißner

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https://steadyhq.com/de/fuzemagazine/posts/d273da40-9e07-496f-b1c9-dfe83999e28a (Öffnet in neuem Fenster)

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