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Introvert Adventures 1: Von Brustobsessionen, Schachzügen bis Normal People

Es ist soweit. Mein erster Newsletter. Im Ersten Teil von Introvert Adventures reisen wir nach Japan, Ghana, Irland und in die USA. Und das alles schön vom Sofa aus - eben genau richtig für einen Drinnie wie mich. Kommt mit und viel Spaß!

Ausgelesen und Divers gelesen

Brustobsessionen und ermordete Commendatoren

Im Januar habe ich, nach fast vier (!) Jahren endlich Band zwei "Die Ermordung des Commendatore - Eine Metapher wandelt sich" gelesen. Von Haruki Murakami, im Dumont Verlag (Öffnet in neuem Fenster) 2018 erschienen und übersetzt von Ursula Gräfe.

Ich weiß, ich fand Band eins faszinierend verwirrend und irgendwie gut, aber nicht so gut wie das vorher gelesene Kafka am Stand (und dann hörts auf an bisher Gelesenem von Murakami bei mir). Klar war, ich will Band zwei lesen. Aber, was soll ich sagen, war dann wohl doch nicht so dringend. 

Hätte auch nicht unbedingt sein müssen. Aber gut unterhalten wurde ich dennoch. Aber von vorne! In Die Ermordung des Commendatore ist ein namenloser Maler unser Hauptprotagonist. In Band eins starten wir mit seiner persönlichen und kreativen Krise: Frisch getrennt und malt nur noch einfallslose Porträts, die ihm ein Einkommen sichern. Nach der Trennung fährt er erstmal einige Wochen ziellos durch Japan, bis ein Freund ihm das Angebot macht, ins Haus seines kranken Vaters zu ziehen. Dabei handelt es sich um das Haus von Tomohiko Amada, der als einer der großartigsten Künstler des japanischen Nihonga-Stils gilt. Durch einen Auftrag des mysteriösen neuen Nachbarn, Menshiki, findet er zu einem eigenen, neuen Malstil. Begeistert vom Ergebnis bittet Menshiki ihn auch von der dreizehnjährigen Marie ein Porträt zu malen. Und hier endete Band eins.

Band zwei setzt nun exakt hier ein. Unser Protagonist malt nun in sonntäglichen Sitzungen das Porträt von Marie, einer Nachbarin. Er versucht die eher stille dreizehnjährige aus der Reserve zu locken, um ihr wahres Ich hervorzuholen. Dabei schaut er aber verflucht oft auf den Pullover, auf dem sich eventuell langsam aber auch noch nicht so richtig eine Doppelschwellung bemerkbar macht. Abgesehen davon, dass ich es doch sehr befremdlich finde, dass ein erwachsener Mann sich in Bezug auf einer dreizehnjährige solche Gedanken macht, scheint der noch nicht vorhandene Busen das ausgewählte "Makel" Maries zu sein, dass sie selbst ebenfalls dauerhaft beschäftigt, wie nachfolgende Stellen immer wieder betonen:

Marie nickte. Ich muss ein mutiges, kluges Mädchen sein. "Gehabt Euch wohl", sage der Commendatore in aufmunterndem Ton. Dann fiel ihm offenbar noch etwas ein. "Seid unbesorgt. Eure Busen wird bald viel größer werden", fügte er noch hinzu. (Seite 440)

Sie war nur ein in einem heranwachsenden Körper gefangenes, durch die Grenzen von Raum und Zeit in seiner Bewegungsfreiheit stark eingeschräntkes, ungelenkes Wesen. Sie hatte ja nicht einmal einen Busen. Ein misslungeer Pfannkuchen, der nicht aufgegangen war, das war sie. (Seite 446)

I mean - ihr seht das auch oder? Und das waren nur zwei von zahlreichen solcher Stellen. Sie ist 13! Wirklich. Das hat mir alles in allem das Lesevergnügen doch ordentlich verhagelt. Ebenso wie die ominöse "eventuell hat er im Traum mit seiner Frau geschlafen und ist in sie eingedrungen, während sie schlief und vielleicht war das ja gar kein Traum aber eigentlich doch" Szene. Schade eigentlich, denn ansonsten haben mich die Atmosphäre und die mystisch-verwirrend-skurillen Geschehnisse und Entwicklungen wieder absolut abgeholt, in diesem Buch von Ideen und Metaphern und Doppelmethapern und Ausflügen in die Unterwelt. Murakami schafft es wieder perfekt eine Spannung zwischen Realismus und Phantastik aufrecht zu erhalten. Warum dann diese Brustobsession, obwohl das Mädchen keinerlei sexuelle Rolle einnimmt (wenigstens das) und der namenlose Protagonist auch nicht in diese Richtung denkt, geht es immer und immer wieder darum. Tja nun, das Kind ist in den Brunnen gefallen - oder vielmehr in die Grube mit den Glöckchen. 

Typisch Murakami-Style atmosphärisch-skurill aber mit bitterem Beigeschmack.

Das Erbe der Sklaverei - wie Vergangenheit und Gegenwart zusammenhängen

Ein ernsteres und unfassbar wichtiges Thema wird von Yaa Gyasi im Buch 'Heimkehren' erzählt. Übersetzt von Anette Grube, im Jahr 2017 im Dumont (Öffnet in neuem Fenster)Verlag erschienen. Unfassbar, dass es so lange gedauert hat, bis ich endlich zu diesem überwältigenden Buch gegriffen habe.

Es geht um die Schwestern Esi und Effia, die bei ihrer Geburt getrennt wurden und sich nie kennenlernen. Yaa Gyasi nimmt uns mit auf zwei verschiedene Lebenswege mit selber Wurzel, über sechs Generationen hinweg, vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Eine wird an einen wohlhabenden Sklavenhändler verheiratet, die andere nach Amerika verkauft. Ein Buch, dass mir noch mal so viel mehr über den Sklavenhandel beibrachte und die Auswirkungen, die diese Erfahrungen bis in die Gegenwart über Generationen hinweg haben. Es geht um das Erbe der Skalverei, weshalb das Buch in der Gegenwart endet. 250 Jahre, 6 Generationen, liegen zwischen der nach Amerika verschleppten Esi und den Amerikaner*Innen in Gyasis Alter (33). In einem Interview sagt sie zum Buch:

„Für mich war es wichtig, dass mein Buch in der Gegenwart endet, ich wollte, dass es um das Erbe der Sklaverei geht, nicht um Sklaverei an sich. Die hat uns etwas hinterlassen, das ist nicht nur passiert und war dann vorbei. Es beeinflusst alles, was danach kam. Der Zeitrahmen von  ‚Heimkehren‘ erlaubt mir, hoffe ich, auf besondere Weise über Sklaverei zu sprechen und zu zeigen: Wir sind noch mittendrin in diesem Befreiungskampf.“ (Quelle: Deutschlandfunk (Öffnet in neuem Fenster))


Mit ihrer Sprachgewalt und den eindrücklichen Bildern, die von Anette Grube so großartig übersetzt sind, hat Yaa Gyasi mit diesem wichtigen Buch bereits ein Top des Jahres für mich beschert. Ein Buch, das unterhält, wundervoll zu lesen ist, trotz des schrecklichen-brutallen Themas, und eines, dass einem ein Stück Geschichte, von der zumindest ich noch nichts wusste, beibringt. Respekt, wie großartig Yaa Gyasi diese Brücke geschlagen hat. 

Was ist schon Normal?

Mein erstes Buch von Sally Rooney und das nächste wird jetzt nicht so bald folgen. Normal People, hier in der englischen Version, erschienen 2019 bei Faber & Faber (Öffnet in neuem Fenster), findet ihr als deutsche Ausgabe bei Luchterhand (Öffnet in neuem Fenster), übersetzt von Zoë Beck unter dem Titel "Normale Menschen". 

Connell und Marianne wachsen in einer Kleinstadt im Westen von Irland auf und besuchen dieselbe Schule. Connells Mutter Loraine putzt das Haus von Mariannes Familie. Connell ist beliebt, Marianne Einzelgängerin, die in ihrer Mittagspause lieber alleine bleibt um zu lesen. Außer Connell redet sonst keiner mit Marianne. Doch eines Tages öffnet Marianne Connell die Tür und dieser Moment ändert alles. 

I know you probably hate me, but you're the only person who actually talks to me.
I never said I hated you, he says.
[...] When he talks to Marianne he has a sense of total privacy between them. He could tell her anything bout himself, even weird things, and she would never repeat them, he knows that. Being alone with her is like opening a door away from normal life and then closing it behind him. He's not frightend of her, acutally she's a pretty relaxed person, but he fears being around her, because of the confusing way he finds himself behaving, the things he says, that he would never ordinarily say.

(P. 7)

Langsam beginnt sich eine innige Beziehung zwischen den beiden aufzubauen, die anfangs auf der Highschool vor allem von Connell geheimgehalten wird, denn was könnten die anderen sagen! Als beide aufs College gehen, verschiebt sich die Lage und Marianne wird die Beliebte, während Connell sich nicht zugehörig fühlt. Wir begleiten dieses ständige zwiegespaltene Leben, die ständige Disharmonie, während die beiden aufs Trinity College in Dublin gehen. 

Sally Rooney fährt dabei allerlei gewichtige Themen auf, wie Freundschaft, Macht, Sex, Erwachsen werden, Selbstfindung, Traumata, psychische Probleme, soziale Gefälle, arm/reich, beliebt/unbeliebt.

Über vier Jahre hinweg erleben wir deren beiden ständiges On-Off, geprägt von Missverständnissen mangels vernünftiger Kommunikation, von Heimtlichtuerei, sozialem Gefälle und einer ordentlichen Schippe psychischen Ballast bei beiden und toxischer Familie und daraus resultierendem toxischen Verhalten seitens Marianne. 

Alles in allem zu viel Wiederholungen, wenig Spannung und haufenweise Klischee und mir zu konstruiert wirkende Missverständnisse und Geschehnisse mit einem Plot, der wirklich nicht neu ist und einem Ende, das mir doch recht einfallslos erscheint. Zudem wirkte der Schreibstil zwanghaft darauf ausgelegt, hoffentlich für eine Verfilmung zu taugen. Sally Rooney wird für mich also eher keine "Must-Read" Autorin. 

Und was war sonst noch los?

Abgesehen von diesen drei Büchern, gab es noch einige weitere beendete in den letzten Wochen. Unter anderem:

  • Nüchtern von Daniel Schreiber (Suhrkamp (Öffnet in neuem Fenster)): Ich hätte nie gedacht, dass ich dieses Buch zur Hand nehmen kann, nachdem mein Vater 2019 an den Folgen seines Alkoholismus gestorben ist. Aber nun ist es doch passiert, und es hat richtig gutgetan, dieses großartige Buch zu lesen. Danke Daniel Schreiber, habe ich noch so viel zum Thema gelernt und ein Stück mehr Abschluss gefunden. Mehr zu Nüchtern gibt es in einem anderen Beitrag, erst möchte ich noch die beiden anderen (Zuhause und Allein) lesen.

  • F̶r̶a̶u̶e̶n̶Literatur von Nicole Seifert (KiWi (Öffnet in neuem Fenster)): Ich glaube, zu diesem wichtigen, großartigen Buch muss ich nicht mehr viel sagen. Nicole Seifert von nachtundtag.blog (Öffnet in neuem Fenster) beschreibt darin, warum Literatische Werke von Frauen noch immer seltener verlegt werden, Preise erhalten oder besprochen werden. Must-Read für alle!

Binge Potential?

Im Januar habe ich trotz vieler gelesener Bücher auch neue Serien probiert. Richtig Binge Potenzial haben/hatten dabei drei Stück:

  • Dexter. New Blood: (Öffnet in neuem Fenster) Die letzte Staffel endete äußerst unbefriedigend. Ein riesen Aufschrei ging durch die Dexter-Anhängerschaft. Nun erschien Dexter New Blood, bei uns mit Syk Ticket streambar. Wir begegnen Dexter etwa 10 Jahre nach seinem angeblichen Tod. Unter neuem Namen hat er sich in einer beschaulichen, scheinbar harmlosen Kleinstadt ein neues Leben aufgebaut. Doch einige überraschende Ereignisse drohen seinen dunklen Gefährten wieder hervorzubringen. Alles in allem war die Staffel wirklich großartig! Aber das Ende erneut absolut versaut. Es ist zum Mäusemelken. Und wehe, wehe mit Harrison, dessen Schauspieler auch nicht die beste Leistung zeigte, kommt ein Spin off. Bitte nicht!

  • The Queens Gamit/Das Damengambit: (Öffnet in neuem Fenster)Ok. Wieso in aller Welt habe ich solange darauf gewartet, diese hervorragende Serie anzuschauen? Und warum hab ich noch immer nicht das Buch gelesen?! Ihr seht, The Queens Gambit, streambar auf Netflix, hat mich restlos überzeugt - enttäuschend allerdings: NUR EINE STAFFEL. Ok, aber in mehreren Staffeln würde die Story auch nicht so gut funktionieren. Elisabeth, Beth, Harmon wächst in den 50er-Jahren in der Ära des Kalten Krieges auf. Mit etwa neun Jahren kommt sie in ein Mädchenwaisenhaus. Dort bekommen die Kinder täglich "Vitamine", Beruhingspillen, um sie still und fügsam zu halten. Der Grundstein für Beths spätere Tabletten- und Alkoholabhängigkeit. Eines Tages soll sie im Keller den Tafelschwamm ausklopfen, da sie ihre Aufgaben so schnell erledigt hat. Dort sitz der Hausmeister Mr. Shaibel und spielt Schach. Von nun an bringt er ihr das Spiel bei. Und die scharfsinnige, hochintelligente Beth ist schon bald nahezu unschlagbar in diesem Spiel. Mit etwas dreizehn wird sie adoptiert und fängt an, bei Schachmeisterschaften zu spielen. Eine bis dahin von Männer dominierte Domäne. Mit 16 tritt sie bei den US Championships an. Auf ihrem Weg hat sie jedoch mit ihrer Einsamkeit und ihrem Suchtproblem zu kämpfen. Vollste Empfehlung von mir und Anya Taylor-Joy ist einfach großartig. Ebenso, haltet euch fest, der Schauspieler von Dudley Dursley, der hier den Harry spielt. Mindblown ich sags euch!

  • Queer Eye: (Öffnet in neuem Fenster) Noch so eine Show, die ich viel zu lange auf der Watchlist habe liegen lassen. Als ich am Donnerstag mit The Queens Gambit fertig war, stand die Frage im Raum, was als Nächstes passt. Die liebe Sarah hat noch mal betont, wie großartig wholesome Queer Eye ist. Also dachte ich, schauste halt mal rein. Was soll ich sagen, mittlerweile bin ich bei Staffel 4 von 6, so was von Binge-Potenzial! Ich liebe die Fab 5, so großartige Menschen. Die Fab 5 bestehen aus dem "Food/Wine" Spezalisten Antoni Porowski, dem Innendesigner Bobby Berk, Pflegeexperte/Haar/Make-up Jonathan Van Ness, Modeexperte Tan France und dem Kultur/Self-Image Experten Karamo Brown. Die fünf helfen Menschen in festgefahrenen, schwierigen Situationen, wieder in den Tritt zu kommen. Es geht dabei um viel mehr als das reine Makeover von Person und Haus/Wohnung. Taschentuchalarm, aber auf schöne Weise!

Das waren sie, meine Introvert Adventures Teil eins. Ich hoffet, ihr hatte so viel Spaß beim Lesen wie ich beim Schreiben und freut euch schon mit mir auf die zweiten Introvert Adventures. Wann immer ich genug gesehen/gelesen/gehört habe, um ausreichend Newsletter/Post Material zu haben, wird es einen neuen geben. Dem heutigen Ausmaß nach wohl zweiwöchtentlich, ggfs. mal Sonderthemen zwischen durch!. Bei Fragen, Feedback oder Anmerkungen meldet euch jederzeit.