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Filmothek: „Eyes Wide Shut“ (1999) – Kritik

Als  seine Frau Alice ihm im Zuge eines Disputs eine einstige Fantasie eines  Seitensprungs eröffnet, nagt dies sehr an Bill Harford. Von Ängsten  geplagt und von der Eifersucht zerfressen, begibt sich der treusorgende  Ehemann und Vater auf eine lustvolle Odyssee. Diese bringt nicht nur  seine Beziehung gehörig ins Wanken, sondern gewährt ihm einen Blick in  geheimnisvolle Machenschaften einer ihm bis dato unzugänglichen  Gesellschaft.

von Cliff Brockerhoff

„Eyes wide  shut“ ist der letzte vollendete Film von Starregisseur Stanley Kubrick  und basiert auf der 1925 publizierten „Traumnovelle“ des  österreichischen Dramatikers Arthur Schnitzler. Die filmische Umsetzung  wurde im Juli 1999 in den USA veröffentlicht und feierte rund zwei  Monate später auf den Filmfestspielen in Venedig seine Europapremiere.

Entgegen  seiner vorangegangen Visionen einer Verfilmung im historischen oder gar  ironisch-komödiantischen Stil entschied sich Kubrick letztlich für eine  ernsthafte Herangehensweise, die nur selten dem Humoristischen verfällt  und größtenteils einen sehr nüchternen und sterilen Blick in das  Beziehungsleben von Alice und Bill Harford wagt. Anders als bei  Beziehungsdramen mit vergleichbaren Eckpfeilern fokussiert Kubrick sich  weniger auf das Miteinander der Akteure und seziert stattdessen die  Gedanken und Gefühle im Einzelnen, insbesondere die von Bill, der nach  dem Geständnis seiner Frau die Bilder im Kopf nicht mehr loswerden kann  und nach einer Kompensation sucht.

Verkörpert  werden die Hauptakteure von Nicole Kidman und Tom Cruise, die ihrerseits  während der Dreharbeiten tatsächlich verheiratet waren. Ein bewusster  Schachzug des Perfektionisten Kubrick, der so, zusätzlich zum  schauspielerischen Talent der beiden, bereits eine Grundintimität  gewährleisten konnte, welche dem Film besonders am Anfang anzumerken  ist. Speziell eine Szene, in der Alice ihrem Mann ihr Geheimnis gesteht,  gehört durch seine Emotionalität und der damit einhergehenden  Glaubwürdigkeit zu den besten Momenten des Films und womöglich auch zu  den besten Leistungen, die Cruise und Kidman je auf die Leinwand  gebracht haben.

Als Meister  seines Metiers hat Kubrick aber nicht nur die Auswahl seiner Charaktere  genau durchdacht, sondern wartet auch in seinem letzten Werk mit einer  Vielzahl von Finessen auf, die das Erzählte visuell und besonders  akustisch gekonnt in Szene setzen. Prägnante Farbgebungen, dezente  Lichtquellen und der wiederkehrende Einsatz von eindringlichen  Musikstücken sorgen immer wieder für intensive Momente, die den Film  durch seine monumentale Laufzeit von über 2 ½ Stunden transportieren,  ohne dass er während dieser an Faszination einbüßen würde. Vor allem die  Verwendung eines rückwärts abgespielten rumänischen Mönchgesangs sorgt  für unfassbare Gänsehaut und lässt jeden Horrorsoundtrack blass  aussehen. Generell entbehrt das Werk nicht einem gewissen Quantum  Düsternis. Die angeschnittenen (aber nie offen kommunizierten) Themen  widmen sich anonymisierten Gesellschaften, die durch ihre Macht die  Gesetze der Moral außer Kraft setzen und fernab der Augen des Großteils  der Menschheit agieren. Auch wenn es sich um eine nahezu exakte Adaption  der Vorlage handelt, vermuten nicht wenige hier einen Fingerzeig  Kubricks, der kurz nach der ersten inoffiziellen Vorführung (und 666  Tage vor dem Beginn des Jahres 2001) einem bis dato unbekannten  Herzleiden erlag.

Fazit:

„Eyes wide shut“ bietet dem Zuschauer, der sich aufmerksam auf Stanley  Kubricks letzte Reise begibt, einen hochinteressanten und künstlerischen  Blick in das Seelenleben eines Paares, dass seine Augen fest vor der  Realität und seinen Problemen verschlossen hat und fortan ganz  individuell mit ihnen umzugehen versucht. Abseits der gängigen  Herangehensweise versucht der Film nicht, die Auseinandersetzung der  Liebenden zu porträtieren, sondern arbeitet die unterschiedlichen  Facetten heraus, die das Individuum Mensch definieren. Erotisch, düster  und doch nicht ohne jede Hoffnung; „Eyes wide shut“ fesselt den  Zuschauer von der ersten Sekunde und ist deutlich mehr als „eine  Geschichte über sexuelle Eifersucht und Obsession“, als die das Werk  einst angekündigt wurde.

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