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Kompassnadeln

Vergangene Woche habe ich in der Bahn eine alte Frau gesehen. Sie hatte einen Stoffbeutel dabei, gefüllt mit einem kleinen Einkauf, und hat den Henkel fest in ihrer Hand gehalten. Einer Hand, die mit durchscheinender Haut umspannt war. Ein bisschen knochig. Ein bisschen blass und bläulich mit den Adern, die darunter zu sehen waren.

Ich weiß noch, wie sich der Geburtstagshändedruck meiner Oma anfühlt, aber nicht mehr ob die Adern unter ihrer Haut bläulich oder grünlich waren.

Vor Jahren habe ich in einer anderen Bahn, oder vielleicht auch der gleichen, einen alten Mann gesehen, der einem Fahrgast lang und breit, aber vor allem stolz von seinem Berufsleben erzählt hat. Mit ausschweifenden Gesten und stark betonten Silben.

Ich weiß noch, wie mein Opa gesprochen hat, aber ich bin mir nicht mehr sicher worüber.

Jedes Mal, wenn ich an diesem einen Baum vorbeigehe, denke ich an diese eine Nacht und wie seine kahlen Zweige im Gegenlicht des Sonnenuntergangs aussehen. Wir haben so viel gelacht und getanzt und es war irgendwie egal, dass wir nur zu zweit waren, weil in meinem Herz alles warm war und gut.

Ich weiß noch, worüber wir geredet haben damals, aber leider auch worüber nicht.

Und ich erinnere mich an den Sommer, als ich so völlig anders war als zuvor, mich frei gefühlt hab und okay. Dieser Sommer, als ich das Gefühl hatte, mir selbst so nah wie nie zuvor zu sein, obwohl ich doch so weit weg war von zuhause und dem Zuhause in mir drin.

Ich weiß noch, wie ich geweint hab, weil diese Version von mir meine Sommerliebe war, aber der Sommer irgendwann vorbei.

Jetzt ist es Herbst.

Schon wieder.

Und es gibt fast keinen Tag, an dem ich nicht an dich denke.

Und an dich.

An dich.

Und dich.

Und wenn ich Polyesterstoffbeutel sehe und raue Hände und kahle Bäume und italienische Fensterläden, bin ich doch nicht mehr so weit von all dem entfernt, was ich für immer verloren geglaubt hab.

Weil Verbindungen zwischen Leben sich nicht auflösen.

Weil, auch wenn die Welt diese unbedeutenden Momente längst verwaschen hat, sie die Nadel meines eigenen Kompasses sind.

https://open.spotify.com/intl-de/track/6r67nRIHbqaqSQbRixEkRZ?si=96e462570f5f48f7 (Öffnet in neuem Fenster)

Weil sich das Musik-Aussuchen zu einem aufwendigeren Teil dieses Projekts entwickelt hat, habe ich gedacht, kann ich auch ein paar Worte dazu sagen.

Zu jedem Text suche ich nach einem passenden Song aus meinen Spotify-Playlisten und weil ich mich nicht entscheiden kann, dauert das eine gewisse Zeit (eine Ewigkeit).

"Crawl" von Kina Grannis ist kein Lied, das ich jemals rauf und runter gehört hätte, aber es ist einer der Songs, die mich immer anziehen, wenn es einen speziellen und zumeist emotionalen Anlass gibt. Eben was für besondere Augenblicke, die nur für mich allein bedeutsam sind. Und weil ich Kinas Musik seit über zehn Jahren verfolge, zwischendurch aus den Augen verloren und erst vor kurzer Zeit wiederentdeckt habe, fühlt sich ihre Stimme gleichzeitig wie nach Hause kommen, verloren sein auf einem weiten Ozean und der Hoffnung, dass alles irgendwie gut werden kann, an.

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