Interview: Heilsame Kraft des Schreibens
Entspannung wirkt hilft dir, Entspannung in deinen Alltag einzubauen und deine mentale und körperliche Gesundheit besser zu verstehen. Diese Woche: Schreiben.
Die heilende Kraft der Sprache ist bekannt. Schon in früheren Zeiten wurden Gesang, Gebet und Dicht von Schamanen und Medizinern als Heilmittel eingesetzt, sagt Adelheid Liepelt, die mit der Biblio- und der Poesietherapie arbeitet.
Frau Liepelt, Sie bieten Schreibwerkstätten an, in denen es um Bibliotherapie geht. Was genau ist die Bibliotherapie?
Ich würde als Antwort die erste Strophe eines Gedichts von Erich Fried zitieren. Sie lautet:
Ich gehe an meinen Bücherschrank // und suche // das Buch // das ich lesen will // Es kann mich trösten // Das weiß ich.
Bücher spenden also Trost, sie lenken ab und zerstreuen. Mit dieser Heilkraft des Lesens arbeite ich als Bibliotherapeutin. Auch in Krankenhäusern gibt es Bibliothekare, die mit den Patienten absprechen, was sie während ihres Aufenthalts aus der hauseigenen Bibliothek lesen möchten. Vielleicht, wenn jemand sehr krank war oder eine Operation überstanden hat, hat man nur einen Comic empfohlen. Etwas Leichtes, um möglicherweise einen Schmerz oder eine Befürchtung zu überwinden.
Sie bieten auch Kurse für Menschen an, die an Krebs erkrankt waren oder sind. Wie hilft diesen Menschen die Bibliotherapie?
Gedichte vermögen Menschen zu erreichen, wenn andere Zugänge verschüttet sind. Ein Gedicht, das vorgelesen wird, kann eine Brücke sein. Menschen, die an Krebs erkrankt sind, treten vielleicht in einen inneren Dialog mit dem Autor. In den Worten des Dichters können sich Menschen in ihrem Erleben verstanden und gewürdigt fühlen In einer Gruppe mit mehreren Menschen muss ich aber zunächst auf die Stimmung eingehen. Herrschen dort Traurigkeit, Angst, Zorn oder Schmerzen vor? Wichtig ist dann, die passende Lektüre als Schreibanregung auszuwählen, denn ich möchte Menschen ermutigen, Worte für ihre Gefühle zu finden und in künstlerisch-gestalteter Sprache zum Ausdruck zu bringen.
Worauf achten Sie dabei? Zum Beispiel bei einer depressiven Verstimmungen, die sicher auch oft in der Folge einer Krebserkrankung auftritt.
Es ist gut, den Menschen dort abzuholen, wo er steht. Entsprechend würde ich einem Menschen in einer depressiven Verstimmung kein lustiges Gedicht empfehlen oder vorlesen, sondern etwas, das die traurige Stimmung widerspiegelt - aber es sollte nicht traurig enden – sondern Hoffnung und Mut vermitteln. Es gibt da ganz wunderschöne Gedichte in dieser Hinsicht!
In Ihren Kursen arbeiten Sie nicht nur mit der Bibliotherapie, sondern auch mit der Poesietherapie. Worum geht es dabei?
Wir sprechen immer von der Heilkraft der Worte, und einige fragen vielleicht: Wie soll das denn gehen? Aber vermutlich haben wir alle schon einmal erfahren, wie sehr Worte verletzen können. Da ist es logisch, dass Worte auch heilen können. Liebevolle, freundliche Worte, die ich an jemanden richte. Worte berühren, sie berühren uns wie eine körperliche Berührung.
Wie kombinieren Sie Biblio- und Poesietherapie?
Ich lese eine Schreibanregung vor, das können Gedichte oder Szenen aus Romanen sein (Das ist der bibliotherapeutische Aspekt meiner Arbeit). Manchmal ist es der Text, die Atmosphäre des Textes, eine Zeile oder nur ein Wort, was die Teilnehmer/innen anspricht. Das ist wie ein Abenteuer. Man weiß nicht, was genau geschieht, wenn man beispielsweise die Technik des automatischen Schreibens anwendet, bei der man zunächst unkontrolliert und ohne viel nachzudenken schreibt. Da bahnt sich das Unbewusste seinen Weg. Viele Schreibende sind überrascht, welche Gedanken, welche Assoziationen sich ihnen dabei mitteilen. Anschließend lesen wir die Rohtexte vor, und die Zuhörenden können darauf eine Resonanz geben, z. B. „Dein Text hat mich berührt“ oder „Die Erfahrung teile ich mit Dir“. Das Vorgelesene wird aber nie kritisiert.
Der Austausch mit anderen ist wichtig?
Ja. Weil die Vorleser/innen eine Resonanz auf ihren Text bekommen und in Kontakt mit anderen sind. Wenn jemand seinen Text nicht vortragen möchte, weil er ihm zu persönlich ist, dann ist es auch in Ordnung. Als Kursleiterin würde ich da niemanden drängen. Aber ich bitte die Person, vielleicht nur eine oder zwei Zeilen vorzulesen. Dann macht sie die Erfahrung, auch nur mit diesen Zeilen gehört zu werden und bleibt in Kontakt mit der Gruppe. Bei fortlaufenden Schreibwerkstätten, die einmal die Woche stattfinden, hat eine der Teilnehmer/innen die Gelegenheit, zur nächsten Woche ihren Rohtext zu überarbeiten und vorzulesen. Vergleichen und verändern von Texten fällt leichter in einer Schreibwerkstatt, in der alle Teilnehmer/innen mit gleichem Interesse über das Schreiben diskutieren.
Was geschieht beim Überarbeiten?
Das Überarbeiten des Textes ist ein wichtiger Schritt im therapeutischen Prozess, und zwar weil ich mich nochmals mit dem Geschriebenen auseinandersetze und gleichzeitig vom Geschehen distanziere. Dadurch kann ein Prozess, der zu dem Text geführt hat, abgeschlossen werden, und das ist auch das Heilsame.
Kann auch das Schreiben eines Tagebuchs heilsam sein? Tagebücher überarbeitet man meistens nicht mehr und liest sie auch nicht vor.
Ja, auf jeden Fall. Man setzt sich mit sich selbst auseinander, mit einem Konflikt oder Problem, und hier kann das Tagebuch Klarheit bringen. Aber bei der Poesietherapie, und das beinhaltet bereits der Begriff, geht es um das künstlerisch gestaltete Worte. Die Theorie geht davon aus, dass erst ein gestalteter Text heilsame Wirkung entfaltet.
Adelheid Liepelt (Öffnet in neuem Fenster)
kam durch eine Schreibblockade nach dem Studium der Sozialwissenschaften zur Poesie- und Bibliotherapie.
Eine Freundin hatte mir zwei Bücher zur Poesie- und Schreibtherapie geschenkt, und das war eine Offenbarung für mich. Ich habe mich nach dem Lesen sogleich zur Fortbildung am Institut für Kreatives Schreiben (Öffnet in neuem Fenster)in Berlin angemeldet und danach am Fritz-Perls-Institut (Öffnet in neuem Fenster) für eine weitere Fort- und Weiterbildung in Poesie- und Bibliotherapie.
Seitdem gibt Adelheid Liepelt Schreibwerkstätten und arbeitet mit Menschen zusammen, die an Krebs erkrankt sind. Sie ist Mitglied in der Deutschsprachigen Gesellschaft für Poesie- und Bibliotherapie (Öffnet in neuem Fenster), Kreatives Schreiben und Biographiearbeit e.V..