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Schlechte Vorbilder: Wie schütze ich mein Kind?

Dear Single Parents,

eine Mutter hat mich kürzlich auf Instagram gefragt: “Wie soll ich meinen Sohn vor all den traditionellen Männern in unserer Umgebung schützen?” - eine wichtige Frage, die ich mir auch gestellt hatte, als mein Kind noch kleiner war. Mittlerweile weiß ich aber, dass ich uns durch altbackene Ansichten navigieren kann. Denn der Punkt ist: Schützen wird wohl kaum gehen - es sei denn, wir wollen unsere Kinder nie wieder vor die Tür lassen, Handys und Fernseher zum Fenster herauswerfen. Schließlich sind wir umgeben von ‘diesen’ Männern. Und wenn wir ehrlich mit uns wären, müssten wir uns eingestehen, dass wir selber manchmal ‘diese’ Männer sind - wir wurden alle sexistisch, rassistisch, homophob, ableistisch sozialisiert. Diskriminierung ist das Resulat einer patriarchalen Gesellschaft. Ergo: Wir können davor nicht weglaufen.

Die Strategie ist, sich in Mitgefühl zu üben - mit anderen, aber zuerst mit sich selbst. Dabei geht es vor allem darum, den eigenen Gefühlen und Gedanken freundlich zu begegnen und uns klarzumachen, dass nicht nur wir, sondern “alle Menschen leiden” aka. wir lassen uns nicht von unserer Angst (vor dem Einfluss schlechter Vorbilder) leiten, sondern kümmern uns mütterlich um die Angst und sprechen mit ihr wie mit unserem eigenen Kind, das wir ja sehr lieben. Und wenn wir es wirklich gut mit ihm meinen, dann würden wir es nie im Selbstmitleid versinken lassen über die böse Welt da draußen, ihm Grenzen setzen und darauf achten, dass es gut zu sich ist und dabei trotzdem den Herausforderungen des Lebens begegnet. Das ist Mitgefühl in aller Kürze - für weitere Recherchen hierzu empfehle ich die US-Psychologin Kristin Neff als Pionierin der Selbstmitgefühlsforschung.

Was ich jedenfalls dabei herausgefunden habe:
1. Ich brauche Menschen in meinem Leben, erst recht die unperfekten.
2. Ich kann und will diese Menschen nicht ‘bekehren’.
3. Ich will mich darauf vorbereiten, unangenehme Dinge zu hören.
4. Ich kann lernen, mich von den normativen Erwartungen abzugrenzen.
5. Ich kann widersprechen, wenn ich mich sicher dabei fühle und die Kraft habe.

Mögliche Reaktionen vorbereiten

Ein Beispiel: Mein Sohn hat lange Haare, weshalb er oft für ein Mädchen gehalten wird - und sicher auch, weil er große Augen und lange Wimpern hat. Ich habe ihm natürlich erklärt, warum die Menschen glauben, dass Jungen ‘so’ und Mädchen ‘so’ aussehen müssten und wir haben darüber diskutiert, wie unsinnig diese Regeln sind, wo überall auf der Welt sie nicht gelten und welche coolen Rockstars (und andere Menschen) das Gegenteil beweisen.

Das erste Mal habe ich mit ihm darüber gesprochen, als wir zu einer Familienfeier nach Thüringen gefahren sind. Ich hatte schon geahnt, dass komische Kommentare fallen würden und habe ihm erklärt, dass unsere Familienmitglieder vermutlich fast nie Menschen sehen, die diese willkürlichen Regeln brechen und wir haben überlegt, wie er reagieren könnte. Am Ende waren die Haare gar kein Thema, weil die ganze Familie schon den Cousin meiner Mutter kannte, der gegen Mitternacht gerne seinen Zopf löst und Headbangend auf der Tanzfläche abgeht - daran hatte ich gar nicht gedacht.

Humor hilft gegen schlechte Laune

Vor ein paar Tagen sagte mein Sohn, dass er froh sei, mit seinen langen Haaren auch andere Jungen in seinem Freundeskreis dazu ermutigt zu haben, sich die Haare langwachsen zu lassen - er sieht sich mittlerweile sogar als Vorbild. Und wenn ihn jemand als Mädchen anspricht, dann grinsen wir uns wissend an und korrigieren, wenn wir Lust haben – wie kürzlich im Buchladen an der Kasse, da war er „die Püppi“.

Einmal hat ein Kioskverkäufer ihn als „hübsche Maus“ bezeichnet und ihm grinsend und zwinkernd einen Lutscher geschenkt, da habe ich nur zu gerne darauf hingewiesen, dass er ein Junge ist – das war dem Mann sehr peinlich,  mein Sohn und ich haben vor der Tür gelacht. Er weiß, dass nicht er das Problem ist. Und Humor hilft uns dabei, die gute Laune nicht zu verlieren.

Widersprechen: Dem Kind ein Vorbild sein

Aber nicht immer ist es mit Humor getan. Etwa, als ein männliches Familienmitglied meiner Mutter am Esstisch den Mund verbieten wollte und sagte: “Du hältst jetzt den Mund, das hier ist mein Haus und jetzt rede ich”. Auch mein Sohn und ich saßen mit am Tisch und natürlich sah ich kurz rüber zu ihm; Er hatte alles mitbekommen und blickte mit großen Augen zu unserem Familienmitglied.

Klar, da hatte ich das Gefühl, einschreiten zu müssen und sagte: “Du kannst ihr den Mund nicht verbieten” - Er: “Du hältst auch den Mund, solange du deine Füße unter meinen Tisch packst” - Ich: “Du kannst auch mir den Mund nicht verbieten”. Da rannte er wütend raus - was okay war, denn er war offensichtlich überfordert mit der Situation und wegzugehen ist ein legitimes Mittel, um sich zu beruhigen. Hauptsache, dachte ich, mein Sohn sieht, dass kein Mann einer Frau den Mund verbieten kann.

Medien-Debatten besprechen

Und ja, manchmal gehe ich auch proaktiv auf meinen Sohn zu; Sicher hast du die News um den Comedian (oder sollte ich besser Bully sagen?) Luke Mockridge mitbekommen, der im Die Deutschen-Podcast mit den Hosts Nizar Akremi und Shayan Garcia menschenfeindliche Aussagen über die Paralympics-Sportler*innen machte. Auch da dachte ich mir wieder: Wenn wir schon seit Jahrzehnten nach männlichen Vorbildern suchen und kaum welche finden, dann nutze ich zur Aufklärung und Sensibilisierung meines Kindes zumindest die Negativ-Beispiele, um wichtige Gespräche anzustoßen.

Die Strategie war: Auf die Couch setzen und die Zusammenfassungen der Paralympics auf YouTube sehen - denn leider hatte ich die Olympischen Spiele kaum verfolgt. Und natürlich, wenn irgendwo ein Display eingeschaltet wird, werden Kinder angezogen wie die Fliegen - mein Kind setzte sich also dazu und wir sahen uns gemeinsam die Leistungen der Sportler*innen an. Danach habe ich die Mockridge-Sache angesprochen und ihm Ausschnitte gezeigt. Da fielen so Aussagen wie: „Bei den Paralympics würdest du auch rasieren“ – „Ja, ich mache bei allen Sportarten mit und gewinne, weil da sind ja nur so Leute, die solche Hände haben [hält seine Handgelenke an den Brustkorb]“. Mein Sohn sagte sofort: “Als ob! Nie im Leben würden die da mithalten können - haben die überhaupt eine Ahnung, wie krass schnell und stark die sind?”. Wir waren uns einig.

Zu verbissen? Wie wir selbst nicht zum schlechten Vorbild werden

Aber: Müssen sich Eltern und Kinder immer einig sein? Ganz klares Nein von meiner Seite. Ich war beispielsweise mal bei einem Panel, auf dem mich eine Mutter fragte, wie sie ihrem vierjährigen Sohn denn nur beibringen könne, dass Pink nicht nur für Mädchen ist. Sie bespreche das Thema ausführlich mit ihm, aber er wolle einfach nicht von seiner Meinung abrücken und daher suche sie nach Tipps, um ihn doch noch zu überzeugen. Da habe ich ihr gesagt, dass sie ihn überhaupt nicht überzeugen muss, sondern dass sie sich vielleicht zuerst um ihre eigene Angst kümmern könnte; Denn sie hatte offenbar befürchtet, dass ihr Sohn in eine ‘schlechte Richtung’ abdrifte. “Mit so einer engagierten, modernen Mutter?”, sagte ich und lachte. Der Punkt ist auch:

Was für Vorbilder sind wir unseren Kindern, wenn wir ihnen nicht erlauben, eine eigene Meinung zu haben?

Wie ich schon in früheren Newslettern geschrieben habe: Gerade kleinere Kinder halten oft meisterhaft fest an starren Geschlechtsnormen - sie dienen ihnen als erste Orientierung für die eigene Identität und werden mit den Jahren in den Hintergrund treten, wenn wir sie gemeinsam mit ihnen hinterfragen.

Aber auch, wenn unsere Kinder bereits älter sind, müssen wir ihnen zeigen, dass Menschlichkeit an erster Stelle steht, dass sie bedingungslos geliebt werden - und ganz sicher nicht das Patriarchat abschaffen müssen, sondern auch unter den Strukturen leiden. Damit zeigen wir ihnen Mitgefühl. Wir müssen also verstehen: Oft ist es für unsere Kinder wichtiger, angenommen zu werden statt ihre Einzigartigkeit zu feiern. Kinder brauchen Sicherheit und Eltern, die ihre Entwicklung als Prozess betrachten. Wo standen wir denn, als wir vier Jahre alt waren? Was haben wir mit 16 Jahren geglaubt? Na? Eben.

Und apropos Prozess: Es gibt tausende solcher Beispiele, auch in unserem Leben - ich spreche mit meinem Kind über Gerechtigkeitsthemen seit er schon ganz klein war, er ist es quasi gewohnt. Und ich glaube, das wird auch nie aufhören. Aber wichtig ist: Er wird dadurch stärker, er wird mit der Welt da draußen umgehen können und nicht plötzlich schockiert und verunsichert sein, wenn er alleine loszieht. Daher: Bitte nicht fernhalten, sondern in geschütztem (!) Rahmen kompetent machen und sensibiliseren.

Solltest du Bedrohungen ausgesetzt sein und/oder Diskriminierung erfahren und Hilfe benötigen, dann kannst du dich im Kontext Schule an Vertrauenslehrer*innen, Elternsprecher*innen oder Sozialpädagog*innen oder in anderen Kontexten an Gleichstellungsbeauftragte, an den Betriebsrat oder an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (Öffnet in neuem Fenster) wenden.

Und bevor wir zum Interview, News, Terminen und Tipps kommen, noch ein kleiner Hinweis: Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann zeige es mir doch gerne, indem du mich supportest <3 Teile den Newsletter mit anderen (Option ganz unten) oder schließe eine Mitgliedschaft ab.

Ich durfte dieses Jahr Teil der niellA (Öffnet in neuem Fenster)-Jury sein - ein Unternehmenspreis, der Alleinerziehend-freundliche Unternehmen würdigt. Glückwunsch an die ODS – Office Data Service GmbH (Öffnet in neuem Fenster) und ihrem Engagement, Arbeitsbedingungen für Alleinerziehende familienfreundlicher zu gestalten!

https://alleinerziehend-in-fk.de/bewerbung-2024/ (Öffnet in neuem Fenster)

Die frühkindliche Betreuung in Deutschland steht unter großem Druck: Zu wenig Personal und hoher Stress machen es nicht nur für die Erzieher*innen schwer, sondern wirken sich auch auf die Kinder aus. In diesem offenen Brief (Öffnet in neuem Fenster)machen 300 Wissenschaftler*innen auf “Überlastung, Stress und Erschöpfung in vielen Kitas” aufmerksam.

https://www.zeit.de/2024/38/kitas-kinderbetreuung-erzieher-psychologie-entwicklung (Öffnet in neuem Fenster)

Inspiration im Oktober mit: Milena Glimbovski (Öffnet in neuem Fenster)

Ich stelle drei Fragen, Allein- bzw. Getrennterziehende geben inspirierende, ermutigende Antworten.

Die meiste Zeit war ich getrennt erziehend. Nur jetzt bin ich alleinerziehend, weil mein Sohn und ich ausgewandert sind und sein Vater erst später nachkommt. Irgendwie haben wir das auch als getrenntes Elternpaar hinbekommen. Aber ich musste dafür meine Flexibilität aufgeben. Früher konnte ich mich spontan und schnell mit meinem Ex-Partner absprechen und relativ flexibel geschäftlich verreisen, Freundinnen treffen, ausgehen. Das erfordert jetzt mehr Planung. Entweder brauche ich eine Babysitterin oder das Kind geht zu Freunden. Selbst wenn der Vater zu Besuch kommt und die Betreuung übernimmt, geht das nur, weil wir das Lange im Voraus geplant haben. 

Das bedeutet vor allem einen kompletten Neustart, sowohl beruflich als auch privat. Wir hatten am Anfang kein Netzwerk von guten Freundschaften, die emotional und auch zeitlich für uns da wären. Das Kind und ich lernen eine neue Sprache, die aber zugegebenermaßen dem Deutschen sehr ähnlich ist. Alles ist neu. Die Schule, die Kultur, die Freizeitgestaltung. Aber bisher hatten wir Glück mit den Nachbarn und auch mit neuen Freundschaften. Wir haben auch gemerkt, dass es hier viele Deutsche gibt und insgesamt die Einstellung auf dem Land sehr willkommen ist. 

Beruflich bin ich nach wie vor stark mit Deutschland verbunden. Ich arbeite im Homeoffice und gebe Existenzgründungs- und Businesscoachings, baue mir aber parallel ein Netzwerk in Schweden auf und arbeite an einer neuen Gründungsidee. Ich glaube, das alles ist nur möglich, weil die Kinderbetreuung hier so gut ist. Mein Sohn ist bis 14 Uhr in der Schule und bis 16 oder 17 Uhr im Hort. Es gibt keine Ausfälle und keine Notbetreuung. Also ganz das Gegenteil von dem, was wir bisher aus Brandenburg kannten. 

Lifehack: Geld und Privilegien. Nein, aber im Ernst. Beziehungen. Ehrliche, aufrichtige Beziehungen zu anderen Menschen, anderen Eltern, Nachbarn und so weiter.

Milena ist Unternehmensgründerin (wie dem Verlag Ein guter Plan und dem Supermarkt Original Unverpackt), Speakerin, Autorin und ist als Single Mom nach Schweden ausgewandert.

Danke, Milena!

Dann mal ab zu den Terminen und meinen Quick-Tipps!

Heute, am 03.10., ist es endlich soweit: Die 3. Staffeln von Heartstopper - einer meiner liebsten Liebesserien zur Zeit - kommt raus! Ich habe ehrlich schon die Tage gezählt, weil ich Charlie und Nick vergöttere. Die erste Staffel habe ich mit meinem Sohn gesehen - ich bin unsicher, ob die zweite Staffel schon etwas für ihn wäre. Ab wann würdet ihr sie mit eurem Kind schauen? Jedenfalls: Die erste Staffel hat ihm sehr gut gefallen - apropos schlechte Vorbilder; Es gibt ja auch so viele gute!

Dann noch ein heißer Serien-Tipp: Pörni ist eine alleinerziehende Mutter, die beim Jugendamt arbeitet und sich um alle kümmert, nur manchmal ein bisschen zu wenig um sich selbst. Dabei ist sie taff, lustig, authentisch, kurz: Ich liebe sie. Schaut euch die Welt von Pörni an!

Das war’s schon wieder von meiner Seite. Wenn dir der Newsletter gefällt, dann sag’s gerne weiter! Und schreib mir bei Anmerkungen/Tipps/Terminen/Fragen gerne eine Mail assistenz@annedittmann.de (Öffnet in neuem Fenster) oder auf Insta.

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Wir lesen uns Ende Oktober wieder!

Deine Anne

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