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Vielleicht war gestern der Anfang vom Ende von Alzheimer

Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie, die du kennen solltest. Heute: über die Zulassung eines neuen Alzheimer-Medikaments.

Gestern Abend schrieb mir eine gute Freundin eine Nachricht auf Whatsapp. Wir haben zusammen studiert, mittlerweile forscht sie zu Alzheimer. Ihre Nachricht bestand aus einem Wort: „Boom!“

Anschließend schickte sie mir einen Link zur EMA (Öffnet in neuem Fenster), der European Medicines Agency. Die EMA empfiehlt, welche Medikamente zur Behandlung welcher Krankheiten in Europa zugelassen werden sollten. Du kennst sie noch aus Corona-Zeiten. Ihre Entscheidung von gestern könnte ein großer Schritt sein in ein Leben, in dem Alzheimer behandelbar ist. Denn die Europäische Arzneimittelagentur hat nun erstmals ein Medikament zur Zulassung empfohlen, das sich gegen die Hauptursachen von Alzheimer richtet – und nicht nur die Symptome bekämpft. Und das über zwei Jahrzehnte, nachdem der Schwede Lars Lannfelt an der Universität Uppsala mit Kolleg:innen begonnen hatte, am Medikament „Leqembi“ zu arbeiten.

Dem vorausgegangen war ein Auf und Ab. Die Behörde hatte erst gezögert und sich noch im Juli gegen eine Zulassung ausgesprochen, obwohl es in den USA bereits zugelassen ist. Auf Antrag des Herstellers und nach einer erneuten Beratung hat die EMA nun ihre Entscheidung geändert. Genau: Boom!

Deshalb: Lasst und heute anschauen, was dieses Medikament so besonders macht und wie es wirkt. Wie immer: So erklärt, dass du heute beim Abendessen deiner Familie oder deinen Freund:innen davon erzählen kannst.

Klumpen zwischen den Nervenzellen

Damit wir verstehen, was das neue Medikament (und andere Medikamente seiner Art) so besonders macht, nochmal ein kurzer Blick auf das, was im Gehirn von Alzheimer-Patient:innen schief läuft. Zwei der wichtigsten „Schurken“ bei Alzheimer sind Amyloid-beta Plaques und Tau-Fibrillen.

Amyloid-beta ist eigentlich ein Nebenprodukt eines größeren Proteins, das als Amyloid-Vorläuferprotein (APP) bezeichnet wird. APP befindet sich in den Zellmembranen von Nervenzellen und hat dort eine wichtige Funktion, die nicht ganz verstanden ist, aber mit dem Wachstum und der Reparatur von Nervenzellen zusammenhängen könnte.

Normalerweise wird APP durch Enzyme in kleinere Stücke geschnitten, was ein normaler und gesunder Prozess im Gehirn ist. Und eines dieser Stücke ist eben das Amyloid-beta-Protein. Im Gehirn gesunder Menschen wird ständig Amyloid-beta-Protein produziert und abgebaut, ohne Probleme zu verursachen. Amyloid-beta-Proteine gelangen ständig in den synaptischen Spalt zwischen Nervenzellen und werden dort von Glia-Zellen (stell dir diese als Hausmeister im Gehirn vor) abgeräumt.

Bei Alzheimer-Patient:innen funktioniert dieser Abbau jedoch nicht richtig. Das Amyloid-beta-Protein beginnt sich zu verklumpen und bildet Plaques zwischen den Nervenzellen. Diese Plaques sind wie klebrige Ablagerungen, die sich in der grauen Substanz des Gehirns ansammeln.

Das Problem mit diesen Plaques ist, dass sie die Kommunikation zwischen den Neuronen stören. Wenn Amyloid-beta-Plaques die Synapsen blockieren, können die Nervenzellen nicht mehr richtig miteinander sprechen. Dies ist einer der Hauptgründe (Öffnet in neuem Fenster), warum Alzheimer-Patient:innen Schwierigkeiten mit dem Gedächtnis und der Verarbeitung von Informationen haben.

Verwirrte Straßen im Inneren der Zellen

Kommen wir zum zweiten Schurken: Tau-Proteine. Die haben in gesunden Gehirnen eine wichtige Aufgabe: Sie stabilisieren das Zellskelett in den Neuronen. Man kann sich das wie kleine Schienen vorstellen, die dafür sorgen, dass wichtige Nährstoffe und Moleküle innerhalb der Nervenzelle sicher transportiert werden.

Bei Alzheimer-Patient:innen verändert sich jedoch die Struktur dieser Tau-Proteine, und sie beginnen sich zu verklumpen. Das führt dazu, dass sich die stabilen Schienen auflösen und die Zellen ihren inneren Transport nicht mehr ordnungsgemäß aufrechterhalten können. Diese verklumpten Tau-Proteine bilden (Öffnet in neuem Fenster) sogenannte Neurofibrilläre Tangles, oder einfach Tau-Fibrillen, die sich im Inneren der Zellen ansammeln und die Zellen schließlich absterben lassen.

Das Zusammenspiel dieser beiden Schurken – Amyloid-beta Plaques und Tau-Fibrillen – schädigt das Gehirn nachhaltig: Zuerst blockieren die Amyloid-Plaques die Kommunikation zwischen den Nervenzellen, und dann führen die Tau-Fibrillen zum Absterben der Zellen selbst.

Wie das neue Medikament funktioniert

Das neue Medikament basiert auf dem Antikörper Lecanemab, das genau an die molekuläre Struktur von Beta-Amyloid angepasst ist. Das Medikament funktioniert wie die diagonalen Linien, mit denen Förster die Bäume im Wald markieren, die gefällt werden können. Sie haften an die Plaques-Klumpen und signalisieren so den Glia-Zellen: Das kann weg! So sollen Nervenzellen gerettet werden.

Anfang 2023 befanden (Öffnet in neuem Fenster) sich 111 Medikamente in der klinischen Erprobung, die auf die Ursachen von Alzheimer zielen. Bereits sechs (Öffnet in neuem Fenster) Antikörpertherapien, die wie Lecanemab beim Amyloid ansetzen, befinden sich in der dritten, entscheidenden Phase klinischer Tests.

Die rund 1.600 Probanden in der Leqembi-Zulassungsstudie bekamen 18 Monate alle zwei Wochen eine Infusion. Eine Hälfte erhielt den Wirkstoff, die andere Hälfte ein Placebo (Kochsalzlösung). Bei denen, die das Mittel bekamen, zögerten sich die Alzheimersymptome im Schnitt um fünf Monate hinaus, also fast ein halbes Jahr.

Es gibt eine Einschränkung bei diesen Antikörper-Medikamenten: Sie richten sich nur gegen die Plaques, nicht gegen den zweiten Schurken, die Tau-Proteine innerhalb der Zellen. Das Tau wiederum soll sich auf andere Zellen ansteckend weiterverbreiten. Bei Zeit Online haben sie einen treffenden Vergleich gefunden: „Die Plaques aus Beta-Amyloid gleichen Brandstiftern, doch das eigentliche Feuer sind die Tau-Proteine. Die Antikörpertherapien stoppen zumindest vorübergehend die Brandstifter. Sie löschen aber nicht die vielen Glutnester, in Form der Tau-Proteine, die sich langsam durch das Gehirn brennen.“

Für wen kommt das Medikament überhaupt infrage? Und welche Nebenwirkungen gibt es?

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