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Wir sehen uns am Speicherpunktbusch

Badeseife in einer fischförmigen Plastikflasche und eine Plüschkatze

Ich sage Fisch und Katze gute Nacht.

Ich glaube an das revolutionäre Potenzial von Spielen, Menschen zu verbinden. Bei einer Runde River Tails wird das Potential zuerst gehoben und dann eilig wieder verscharrt.

„Welchen Knopf hast du denn gedrückt?“

„Den Springen-Knopf!“

„Aber du bist nicht gesprungen.“

„Aber ich hab gedrückt!“

Ich glaube, River Tails: Stronger Together (Öffnet in neuem Fenster) wird ein gutes Spiel, wenn es fertig ist. Es ist im März in den Early Access gestartet und hatte einen Monat nach der Veröffentlichung genau sechzehn Reviews. Die Umrechnung von Rezensionen in Verkaufszahlen ist eine dunkle Kunst, aber bei einer so niedrigen Zahl müssen wir von einem Geheimtipp ausgehen.

An der Qualität liegt es eher nicht. Die Rezensionen sind fast alle positiv. River Tails hat mehr verdient! Entwicklungsstudio Kid Onion versucht sich an der Antwort auf die Frage, wie ein süßes, eng kooperatives Indie-Spiel aussehen könnte, wenn wir It Takes Two außen vor lassen. It Takes Two wurde weithin als Meilenstein für engen Koop gefeiert, aber ich mag es nicht. Es hat eine ambitionierte Geschichte, die dann aber schlecht geschrieben ist. So etwas halte ich nicht aus.

Wir brauchen kein Wortspiel mit Katzen und Fischen.

River Tails macht es besser. Die Geschichte hier ist ebenfalls schlecht erzählt, aber das Gegenteil von ambitioniert; sie weht unverbindlich vorbei, sie ist egal, sie passt in die große Tradition schlechter Jump’n’Run-Storys.

Kurz wundern muss ich mich trotzdem. Ein Katzenkind verlässt im tiefen Winter den sicheren Bau, rennt im Schnee davon, und hinterlässt Spuren, die vielleicht dazu führen werden, dass ein fies dreinschauender Fuchs zum Nest der anderen Katzenkinder schleichen und alle auffressen wird. Der letzte Teil wird nur angedeutet, aber sehr deutlich.

Das ist wirklich das Intro. Soll das eine Geschichte für Kinder sein? Ich als Mensch, der immer noch Alpträume beim Gedanken an Watership Down bekommt, würde das eher anzweifeln.

Wir können das Intro überspringen, dann funktioniert das Spiel genauso gut: Dann helfen wir einander durch ein 3D-Jump’n’Run mit einfachen Rätseln und Hindernissen. Wir sind ein süßes, grundlos optimistisches Katzenkind und ein zynischer, ängstlicher Fisch.

Das Spiel ist so farbenfroh, und die Tiere so gut gezeichnet, dass auch meine jüngere Tochter sich bereitwillig mit vor den Fernseher setzt. Sie ist in der ersten Klasse, hat solide Grundkenntnisse von Kirby bis Pikuniku und mag süße Spiele mit moderner Optik.

River Tails macht hinterm Intro alles richtig, es sieht bunt und einladend aus. Nervig ist höchstens, wie schnell sich jedes optische Element in der Natur wiederholt. Doch so etwas ist meiner Tochter egal. Und ich kann würdigen, dass die Spielwelt sich durch die Wiederholung leichter lesen lässt. Schon von weitem erkenne ich die Speicherpunktbüsche. Die Speicherpunktbüsche sind in diesem Spiel sehr wichtig.

Über Gebüsche denke ich in letzter Zeit oft nach.

Katze und Fisch sind immer im Bild zu sehen, es gibt keinen Splitscreen, niemand kontrolliert die Kamera. Meine Tochter und ich steuern jeweils ein Tier, wir können beide laufen, springen, oder eine Aktion ausführen – meistens etwas festhalten und dran ziehen, immer derselbe Knopf. Es gibt nur diese drei Handlungsmöglichkeiten. Die Erklärung ist komplizierter, als die Steuerung. Wir kommen beide gut zurecht.

Grundsätzlich müssen Katze und Fisch gemeinsam vorankommen. Es geht durch eine Teich-, Fluss- und Wiesenlandschaft, die Kamera hängt etwas tief und schubst uns sanft voran, alles wirkt supersimpel, bis ich als Katze einen Schritt zu weit auf das Ufer tue und das Bild mit einem Katzentotenschädel abgeblendet wird und wir am letzten Busch stehen.

Meine Tochter, die ja nicht gescheitert ist, wirkt zuerst irritiert. Wieso hat der Vater etwas falsch gemacht? Schnell hüpft sie aber auch mal mit dem Fisch aus Versehen aufs Land und dann gibt es genauso die blitzartige Abblende mit einem Fischtotenkopf.

Im Spiel verstehe ich das, ich finde es sogar gut: River Tails will den Frust des Scheiterns abwürgen, indem es mir kein langes Game Over zeigt, sondern mich direkt zum Speicherpunkt zurückschleudert, bevor ich meinen Fehler auch nur ganz begriffen habe. Das funktioniert anfangs, aber es birgt ein neues Frustpotential. Ich drehe mich zu meiner Tochter, um ihr etwas zu sagen, ich lenke sie damit ab, und als ich wieder zum Bildschirm schaue, stehen wir schon wieder am Speicherpunkt.

Ich habe nicht einmal gesehen, woran wir gescheitert sind.

Unbedingte Aufmerksamkeit

In vielen Spielen wird eher so nebeneinanderher kooperiert. Alle schießen halt auf dieselben Zombies. In River Tails geht es dagegen kein Gebüsch weit ohne gute Absprache. Von Baumstammbrücken wachsen dichtblättrige Sperren hinab ins Wasser. Meine Katze muss die Sperre vom Land aus packen und ziehen, dann kann der Fisch durchschwimmen.

Bald darauf muss der Fisch an Lianen im Wasser ziehen, um damit über eine Art Seilzug verknüpfte Baumstammstücke anzuheben, damit die Katze drüber laufen kann.

Wer hat diese absurde Welt erschaffen? Wir könnten das hinterfragen, aber in diesem magischen Jump’n’Run-Realismus wirkt es angemessen und folgerichtig. Wer Kirby kennt, stellt keine Fragen mehr.

Die Hindernisse reihen sich aneinander. Genau dieser verschränkte Fortschritt fühlt sich super an. Ich kann das Teambuilding spüren. Entweder ich helfe meiner Tochter, oder sie hilft mir. Wir müssen laufend miteinander reden, sonst passt immer wieder das Timing nicht und wir stehen wieder am letzten Busch. So gibt es nach kurzer Eingewöhnung ein laufendes Bitte und Danke, Bestellen und Abliefern.

Aber dann werden wir einmal, zweimal zu schnell. Immer wieder scheitern wir auf die banalste, die typischste Weise: Nicht bei der Kooperation, sondern weil sie oder ich uns bei Sprüngen verschätzen, weil die Kamera nicht schnell genug die richtige Perspektive findet, weil ein Knopf einen Sekundenbruchteil zu spät gedrückt wird.

River Tails leidet an dem klassischen, fundamental ungelösten Problem aller 3D-Jump’n’Runs: Die Tiefe lässt sich nicht so gut abschätzen. In welchem Winkel ich den Analogstick schräg nach vorn neigen muss, um nicht ins Wasser, sondern auf einen schmalen Stamm zu springen, bekomme ich kaum heraus. Meine Tochter hat die bessere virtuelle Tiefenwahrnehmung, aber dafür wird sie schneller hektisch und verbockt einfache Sprünge kurz vorm nächsten Speicherpunkt.

Das macht uns nicht kaputt. Das halten wir aus! Wir haben beide kolossalen Spaß. Wir werden besser. Unsere Absprachen werden informeller, wir klingen wie auf der Baustelle.

„Hopp!“

„Jetzt!“

„Frei!“

Bis die Piranhas kommen.

Piranhas sind schöne Fische. Meine Tochter liebt sie. Ich will hier gar nicht über ihre popkulturelle Verzerrung sprechen, über ihr Image als gefräßig blubbernder Tod im Swimming Pool des Superschurken. Hier geht es ja längst nicht mehr um die Realität; in diesem psychedelischen Naturtraum sehen Piranhas aus wie Wächter, sie sind bewaffnet, tragen Helme, und jeder Kontakt mit ihnen ist tödlich.

Aber mit den Piranhas kommt das allertypischste Problem vielversprechender Early-Access-Titel zum Tragen: Schlechte Balance. Für uns bedeuten sie einen Sprung im Schwierigkeitsgrad.

Sobald der Fisch den Piranhas nahekommt, stürmen sie auf ihn zu und haben ihn schon gefressen, Abblende, Totenschädel. Nur die dicht am Ufer stehende Katze kann Piranhas in einem kleinen Umkreis verscheuchen. Grundsätzlich kann sich der Fisch auch verstecken oder abhauen, aber mehrere Passagen lang müssen Fisch und Katze fast schon Pfote in Flosse am Ufer entlang schleichen. Keiner der beiden darf schneller oder langsamer werden. Und die Katze darf nicht aus Versehen das Wasser berühren, sonst Totenschädel, Gebüsch.

Die anhaltende Präsenz schnell zupackender Gegner wird schnell zu viel für meine Tochter. Sie ist nicht besonders ängstlich, aber hier eben doch. Das wirkt auf mich wie ein typisches Problem, dass ich bei vielen Kindern sehe: Sie bekommen Angst in Spielen in aller Regel nicht durch den Anblick schrecklicher Monster, sondern durch Bedrohungen und Handlungsdruck. Cthulhu in der Zwischensequenz ist safe, doch eine Kolonne heranmarschierender Goombas im Spiel löst Panik aus. Und hier marschiert die Kolonne. Sobald der Fisch einen Hauch zu weit schwimmt, wird er gefressen. Gebüsch, Gebüsch, Gebüsch.

Das wird frustrierend. Meine Tochter und ich tauschen. Jetzt ist sie die Katze. Aber auch mir fällt es schwer, als Fisch angemessen freundlich und verbindlich zu klingen, wenn es um Sekundenbruchteile geht, wenn sie ganz offensichtlich als Katze rollenspielend an den Blumen schnuppert, während ich gefressen werde.

„Zum Ufer!“

Das macht meine Tochter dann, sie eilt erschrocken herbei, und dabei tritt sie mit der Pfote ins Wasser und ertrinkt augenblicklich.

Der Zeit- und Handlungsdruck macht alles schlechter. Plötzlich können wir auch keine Sprungrichtungen mehr sauber einschätzen. Wir müssen voranstürmen, und dann springen wir halt wieder schief am Ziel vorbei, der Fisch hopst aufs Land, die Katze am Baum vorbei ins Wasser, und der Spaß braucht sich mit jedem Stopp am Speicherpunktbusch weiter auf.

Das ist ein paar Monate her, aber ich brauche meiner Tochter nicht mehr mit dem Spiel zu kommen. Sie ist für immer fertig damit. Dabei war das nur der absolute Anfang! Wir haben eine Stunde gespielt!

Ich glaube nicht, dass die Entwickler*innen von River Tails absichtlich eine hohe Piranhahürde errichten wollten. Die Schwierigkeit selbst gestalteter Level einzuschätzen, ist wahrscheinlich schwieriger als die Beurteilung der Lesbarkeit selbst geschriebener Texte. Für genau so etwas wäre der Early Access perfekt. Wenn es genug Spieler*innen gäbe.

Inzwischen ist River Tails bei 23 Rezensionen angekommen. Das Feedback hat gereicht. „We are actually working on an easier mode“, schreiben Kid Onion im Steam-Forum. Später im Jahr soll es fertig werden.

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