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Who you gonna call?

Ghost Banishers!

Banishers: Ghosts of New Eden ist die Geschichte eines Geisterjäger-Paares, Red und Antea, das sich dem Schrecken der neuen Welt stellt. Vor dem Schauplatz des puritanischen Amerikas werden Geister gebannt und Geschichten über das Überleben erzählt. Die Geister sind Fiktion, die Geschichten (fast) real.

(Banishers: Ghosts of New Eden)

Über das Zusammenspiel von Fiktion und Geschichte, dem besten Feature des Spiels, habe ich schon bei Lost Levels (Öffnet in neuem Fenster) gesprochen.

Die Kurzfassung: das Übernatürliches und der fiktive Überbau, den die Story liefert, geben Spieler:innen eine sichere Umgebung, um eine Haltung zu “echten” Problemen zu formen. Thematiken werden abstrahiert und hinter Geistergeschichten und Detektivmechanik versteckt, sodass eine Auseinandersetzung mit ihnen weniger einschüchternd wirkt.

Ein Kontinent wird besetzt

Das Setting des Spiels ist Amerika im 17. Jahrhundert mit all seinen kolonialistischen und religiösen Untertönen. Die dazugehörigen rassistischen und misogynen Stereotypen des Settings machen auch vor Banishers keinen Halt, wie könnten sie auch?! Native Americans als Wilde, Frauen als Hexen und damit beide jeweils als Antagonist:innen oder Opfer. Diese Stereotypen wurden bis in die Unendlichkeit reproduziert, es gibt sie gratis dazu, wenn man exakt dieses Setting möchte.

Zum Glück ist Banishers kein Imperialisten-Freudenfest und thematisiert immer wieder die Leiden, die die sogenannte neue Welt mit sich bringt. Neu ist die Welt natürlich nur aus eurozentrischer Perspektive, den Kontinent gab es ja schon eine Weile, bevor Europäer beschlossen ihn zu besetzen.

Jane erklärt den Protagonisten, dass das Volk der Wabanaki schon längst die Gegend verlassen habe

(Banishers: Ghosts of New Eden)

Direkt im ersten Lager treffen die Protagonisten auf Jane. “Do you want to claim more land that isn’t yours”, stellt sie einen NPC zur Rede, der eine Karte der Gegend bei ihr kaufen möchte.

Bis es wahr wird

Solche Dialoge sind aus folgendem Grund wichtig: Repräsentation, Wahrnehmung und Konventionen formen einen Kreislauf.

Konventionen machen es leicht einen Inhalt zu verstehen, weil wir ihre Muster kennen und somit schon Informationen haben, mit denen wir Lücken füllen können. Sie helfen uns schneller zu begreifen, worum es geht. Sehen wir in einem Spiel einen dunklen Korridor und hören ein Streichquartett, vermuten wir, dass es sich um ein Horrorspiel (Öffnet in neuem Fenster) handelt.

Wir formen eine entsprechende Erwartungshaltung, die wiederum dafür sorgt, dass wir sonst banale Dinge als gruselig(er) empfinden. Ein klingelndes Telefon, zum Beispiel. Konventionen sind also erstmal nichts schlimmes und helfen dem Spiel dabei Emotionen und Informationen möglichst effizient zu vermitteln.

(Banishers: Ghosts of New Eden)

Eine Konvention des Settings von Banishers ist die diskriminierende und eindimensionale Darstellung von Native Americans. Das wäre im Einzelfall schon schlimm, aber die Krux an Konventionen ist ja, dass sie wiederholt werden.

Immer wieder diskriminierende Bilder zu zeigen, führt irgendwann dazu, dass wir sie als authentisch, als wahr wahrnehmen. Man sieht sie ja überall. Durch die ständigen Wiederholungen verinnerlichen wir die Verbindung zwischen dem, was wir sehen und wie das Spiel es wertet.

Das ist ein normaler und unbewusster Prozess, ähnlich wie (wiederkehrende) Sprache unsere Realität formt. Nutzen wir in unserem Alltag immer wieder Begriffe wie “Schulterschluss”, “Fronten schließen”, “schwere Geschütze auffahren”, “wie eine Bombe einschlagen”, beeinflusst das unser Miteinander. Aus Kooperation wird Krieg. Im Kopf, von ganz allein.

(Banishers: Ghosts of New Eden)

Reproduziert ein Spiel einen Stereotypen und folgt damit einer Konvention, gilt das gleichzeitig als weiterer Beweis für die Authentizität. Die Konvention legitimiert sich selbst.

Daher ist es einerseits wichtig reflektiert zu konsumieren. Andererseits ist es Aufgabe der Entwickler:innen diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Sie haben die Deutungshoheit und können beeinflussen, wie wir Charaktere wahrnehmen, wie wir die Welt im Spiel wahrnehmen und letztendlich auch unsere eigene Welt.

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Ich habe mein erstes Video Essay… erstellt, gesprochen, geschnitten…? Es ist jedenfalls dieses hier und ich bin sehr stolz:

https://www.youtube.com/watch?v=bcH3us9eDL0 (Öffnet in neuem Fenster)

Den Text habe ich für Bonus-Mitglieder hier (Öffnet in neuem Fenster) gepostet. Eine Bonus-Mitgliedschaft ist einer der zwei Wege meine Arbeit, wie diesen Newsletter oder das Video, finanziell zu unterstützen. Also eine Option, aber kein Muss, um beides weiterhin konsumieren zu können.

Die bessere Bibel

Banishers ist, wie gesagt, ganz gut darin solche Konventionen zu durchbrechen. Das Spiel macht es natürlich auch aus Eigennutz, denn was macht einen Plottwist effektiver als Subversion?!

Red und Antea blicken über das wolkenbehangene Tal

(Banishers: Ghosts of New Eden)

Wie der Mittelpunkt des Geschehens, New Eden. Der Name der fiktiven Stadt ist programmatisch: Paradies auf Erden, ein neues Reich für die Menschen in der neuen Welt, in dem das Christentum als einzig “richtige” Religion ausgeübt wird, eine endgültige Trennung von Europa. Blöd, dass man dann von einem rachsüchtigen Geist heimgesucht wird, aber auch hier folgt das Spiel einer amerikanischen Tradition (Öffnet in neuem Fenster).

In Wirklichkeit hätten die Puritaner:innen ihre Siedlung niemals New Eden genannt, das wäre Blasphemie. Sie waren europäische Anglikaner:innen (das gehört zum Christentum), denen die Reformation der Kirche von England (die Henry VIII. in Gang brachte, nachdem er sich nicht von seiner Frau scheiden lassen durfte, ihr wisst, der König, der sechs Frauen hatte und zwei davon hat hinrichten lassen (Öffnet in neuem Fenster), wobei die Geschichte der Kirche von England noch viel komplizierter ist) nicht weit genug ging. Sie wollten sich noch weiter vom Katholizismus entfernen und fanden überwiegend in Massachusetts an der Ostküste Amerikas eine neue Heimat. Eine ihrer bekanntesten Städte wurde Boston und Massachusetts eine der ersten 13 Kolonien (Öffnet in neuem Fenster) Amerikas.

(Banishers: Ghosts of New Eden)

Bosten taucht auch in Banishers immer wieder auf, genau wie die 1611 veröffentlichte King James Bible. Sie ist eine überarbeitete englische Version der Bibel und nur eines von vielen Beispielen, wie Banishers die amerikanische Kulturgeschichte referenziert.

Der Teufel steckt im Detail

Zur Legendenbildung Amerikas trugen über die Zeit viele Ereignisse bei. Das Land der Freiheit, der grenzenlosen Möglichkeiten hat scheinbar einen soft spot für Übernatürliches, das seine gefühlte Übermachtstellung in Frage stellt. Anspielungen darauf finden sich in Banishers überall. Dazu zählen:

Nicht weit von Boston und damit New Eden liegt Salem, das vor allem durch seine Hexenprozesse 1692/93 berühmt wurde. Eine Mischung aus Fremdenhass, Frauenhass, religiösem Extremismus und den Folgen eines Krieges führten zum Tod von 20 Personen und der Verurteilung von über 200.

Eine weißhaarige Hexe, die den Protagonisten erklärt, dass es sich bei einer hingerichteten Frau nicht um eine Hexe handelte

(Banishers: Ghosts of New Eden)

  • Wendigo

Man findet ihn in Until Dawn, Friedhof der Kuscheltiere, Witcher 3 oder Supernatural. Eine anthropomorphe Gestalt, die Menschen frisst, ihren Ursprung in Geschichten einiger Native American-Kulturen hat und oft als Synonym für den Verlust des Verstands genutzt wird.

“[Margaret] Atwood distinguishes three different ways of presenting the monster in relation to human characters: in the first kind of story, Wendigos can be considered spirits of places. In the second kind, the creature is somewhat connected with the human character so that if that character gets eaten, it will be his/her fault … The third type of story has to do with the concept of being driven mad in Canadian North, which also receives the name of "getting bushed" or "cabin fever". In this specific case the supernatural creature represents a split-off element of the protagonist's psyche, developing a life of its own …” (Rosario Arias)

In Banishers übernimmt genau diese Rolle der “scourge”.

  • Donner Party

Im ersten richtigen Level des Spiels machen sich Spielende auf die Suche nach einer verschollenen Expedition. Sie haben den weiten Weg durch die verschneite Wildnis nicht überlebt. Eine Reihe von Fehlentscheidungen und der überraschend früh einsetzende Winter sorgen auch 1847 dafür, dass die Siedler:innen der Donner Party im Sierra Nevada verloren gehen und später dem Kannibalismus verfallen.

  • Roanoke

Im zweiten Level finden Red und Antea die Überreste eines verlassenen Forts. Zu den berühmtesten verlassenen Kolonien zählt zweifellos Roanoke. Eine Staffel American Horror Story wurde nach ihr benannt, ein kleiner Erzählstrang in Supernatural beschäftigt sich damit und auf Steam wird schon ein Spiel unter diesem Titel angekündigt.

https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2020/11/raetsel-um-roanoke-neue-spuren-im-fall-der-verschwundenen-kolonie (Öffnet in neuem Fenster)

Roanoke war eine britische Kolonie, die scheinbar spurlos verschwand. Archäologische Hinweise auf den Verbleib der Siedler:innen gibt es einige, doch eine schlüssige Erklärung blieb bislang aus.

Meme der Woche

Wo ist Kate Middleton? Die Prinzessin von Wales wurde ein paar Tage nach Weihnachten nicht mehr gesehen, ein Bild sollte nun vermitteln: Alles ist OK: Das ging so krass nach hinten los, ich kann’s gar nicht in Worte fassen. Nur einige Stunden nach Veröffentlichung haben Menschen im Internet Hinweise gefunden, dass das Bild bearbeitet wurde. Ein Tweet mit dem Absender “C” vom Account des Kensington Palace konnte die Wogen auch nicht mehr glätten und nun sehen wir uns einer MASSE an Theorien, Gerüchten, Verschwörungsmythen ausgesetzt. Von einer Affäre, Diana 2.0, ein kosmetischer Eingriff, Krebs, OPs… keine Erklärung scheint unmöglich.

https://www.zeit.de/2024/12/kate-middleton-royals-foto-verschwoerungstheorie (Öffnet in neuem Fenster)

Normalerweise halten sich seriöse Publikationen bei solchen Internetphänomenen zurück, aber selbst die ZEIT hat dieser Angelegenheit mittlerweile drei Artikel gewidmet. Daraus lernen wir 1., dass auch Journalismus dem Kapitalismus unterliegt und eine Website Klicks braucht, egal wie qualitativ hochwertig oder nicht die Inhalte sind.

2. Im Internet kann man nichts verstecken, außer die Wahrheit unter 100 Lügen, wenn man genug white noise mit Verschwörungsmythen kreiert.

3. Aufmerksamkeit ist ein wertvolles Gut und konzentriert sich gerade auf ein vermeintlich unwichtiges Thema. Dabei werden andere Ereignisse ausgeblendet, nicht alles kann in einer Welt voller Algorithmen exakt gleich viel Aufmerksamkeit bekommen. Die Relevanz eines Themas ist dabei zweitrangig. Vor allem, wenn Menschen glauben etwas beitragen zu können oder mögliche Erklärungen in die Debatte einstreuen und damit einen Diskurs konstruieren, geradezu aufbauschen, weil das Thema trotz seines überschaubaren Nachrichtengehalts überall zu sein scheint.

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Wir lesen uns in ungefähr einem Monat genau an dieser Stelle wieder.

Bundesgartenciao

Christina

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