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Interview: Sina Safatian

Sina Safatian, Musiker und Schriftsteller, erblickte in Chalus, einer Stadt im Nordiran, das Licht der Welt. Die Abgeschiedenheit und gleichzeitige Nähe zum Kaspischen Meer dieses Ortes spiegeln sich in seinen kreativen Werken wider.

Im Gespräch mit Ruud van Weerdenburg

Wo haben Sie in Iran gelebt und wie beeinflussen die verschiedenen Landschaften und Menschen dort und hier Ihre Arbeit als Musiker und Schriftsteller?

Ich erblickte in Chalus das Licht der Welt, einer Stadt, die sich an den Schoß des Nordiran schmiegt. Chalus ist durch seine Abgeschiedenheit von anderen Teilen Irans gekennzeichnet und ist mit dem größten See der Welt, dem Kaspischen Meer, verbunden. Ein Meer, das eigentlich ein See ist – an dessen Ufern liegt meine Wiege. Es mutet seltsam an, dieses Gewässer als "Meer" zu bezeichnen - eine Bezeichnung, die es in einen Nebel der Mehrdeutigkeit hüllt und dennoch seine Identität festigt. Dennoch wird man zur Kenntnis nehmen, worüber man spricht, wenn man es so nennt. Ich meine das nicht romantisch, sondern eher, dass seine Bezeichnung stark beeinflusst, was es ist und was es sein kann. Vielleicht ist es gerade deshalb so abgeschieden von anderen Orten, um eine gewisse Einsamkeit zu entdecken, die anderen nicht unbedingt bekannt ist.

Foto: Sina Safatian

Ob die Menschen und Landschaften meine Arbeit beeinflusst haben, kann ich leider nicht beantworten. Es ist eher so, als ob es in meiner Arbeit fließt, was zu fließen vermag. Ich weiß nicht, warum ich nie diese Frage gestellt habe, ob die Menschen dort mich beeinflusst haben oder die Landschaft, stattdessen rang ich mit existentiellen Fragen: Warum existiere ich? Warum soll ich schreiben? Antworten auf solche Fragen bleiben stets im Reich des Unfassbaren; man muss sich damit abfinden, zu leben und zu schreiben.

Diese Resignation hielt mich jedoch nicht davon ab, weiter nach Erkenntnis zu suchen – nach Antworten auf das unausgesprochene Rätsel meiner Existenz.

Was ist Ihre Beziehung zu dem Buch „Die blinde Eule“ und erzählen Sie uns etwas über den Verfasser?

Meine erste Erfahrung mit Literatur war von Neugier geprägt, den schattenhaften Schriftsteller kennenzulernen, der oft von meiner Umgebung als unzugänglich bezeichnet wurde. Es herrschte die Angst davor, dass ich mich mit seiner Literatur beschäftigen würde und dadurch ein ähnliches Schicksal wie er erleiden könnte. Der Suizid des Schriftstellers galt als größte Kennzeichnung für diesen einzigartigen Charakter in einer konservativen Gesellschaft, die sich gegen die Integration westlicher Lebensstile in Iran wehrte. Viele seiner Leser haben sich ebenfalls das Leben genommen, und es gibt zahlreiche Geschichten über Tod und Suizid, die er in seinem herausragenden Werk trägt. Doch das ist nicht alles; er war ein herausragender Künstler, der sich für das Fremde interessierte. Oft wird vergessen, dass für viele östliche Künstler gerade das Exotische und Fremde das ist, was im Westen existiert und existierte. Dieser eurozentrische Blick bleibt auch unseren Künstlern nicht erspart. "Die Blinde Eule" ist ein sehr interessantes Werk, in dem Sadegh Hedayat versucht, viele literarische Werke, die ihn interessierten, zusammenzubringen und klar zu formulieren. Man sieht seine Prägungen durch westliche Literatur, die damals sehr neu waren (er war der Erste, der Kafka und andere ins Persische übersetzt hat), sowie seinen kulturellen Hintergrund. Sadegh Hedayat war stets auf der Suche nach dem Fremden, und dabei war er selbst ein Fremder für sich. Er suchte danach, sich selbst zu finden, nicht unbedingt in dem, was ihm nahe und dennoch unklar war, sondern in der Ferne des Fremden, um zu verstehen, was überhaupt anders ist. Das Gefühl des Fremdseins ist seltsam!

Hedayat lebte wiederholt in Paris, was ihm die Gelegenheit bot, die Unterschiede zwischen seiner eigenen Kultur und der europäischen Kultur zu entdecken. Er wurde von vielen zeitgenössischen Ereignissen in Europa beeinflusst, was für ihn nicht unbedingt erleichternd war!

Foto: Sina Safatian

Was fehlt im Iran, was Österreich im Überfluss hat und woran mangelt es in Europa, was Asien im Überfluss hat?

Oh, das ist eine schwierige Frage. Ich weiß nicht, ob ich das so kalkulieren kann. Wenn ich in Österreich bin, erlebe ich nicht das Leben in Iran und umgekehrt. Hat sich mir hier mehr angeboten oder dort? Was ich erlebe, ist das Erlebnis, das mir jeden Tag widerfährt. Es verändert vieles, wo man sich befindet. Aber es ist nicht allein der Ort, genauso wie es nicht allein das "Ich" sein kann, das alles beeinflusst. Es ist ein dynamisches Erlebnis der Existenz. Vieles von dem, was ich zuvor in der Gesellschaft erlebt habe, trage ich mit mir und im Vergleich zum Jetzt sind sie untrennbar mit meinem subjektiven Bewusstsein verbunden.

Im November traten Sie im Minoritensaal auf und begeisterten das Publikum. Wie hängt das Klavierspielen mit dem Komponieren zusammen?

Musik und Literatur sind für mich untrennbar miteinander verwoben; sie dienen als feinsinnige Werkzeuge, um die Welt zu erfassen. Wenn ich musiziere, ergibt sich oft die Chance, meinem eigenen Spiel zu lauschen. Das bedeutet, ich strebe danach, mich selbst aus einer gewissen Entfernung zu betrachten, um so die Musik – ich wage es, sie "meine" zu nennen – neu zu entdecken und zugleich Teil dieses Ereignisses zu sein.

Das Komponieren hingegen folgt einem anderen Pfad: Ich erschaffe eine Struktur, die ich ständig hinterfrage und in der ich das Gleichgewicht zwischen vollkommenem Chaos und absoluter Rationalität suche. Man denkt in Klangfarben und Harmonien und versucht, das Gerüst aufzudecken, das sich hinter scheinbar ungeordneten Gedanken verbirgt.

Dieser Prozess ähnelt dem Leben selbst. Unzählige Ereignisse entfalten sich vor uns, deren immense Flut wir zunächst nicht begreifen können. Doch mit der Zeit offenbaren sich ihre Auswirkungen und wir erhalten die Möglichkeit, eine Ordnung in ihnen zu erkennen – nicht um sie zu beherrschen, sondern um sie so anzunehmen, wie sie sind. Und dennoch bleibt stets eine Lücke bestehen – ein unübersetzbares Geheimnis!

Welche Projekte stehen bevor?

Derzeit widme ich mich intensiv meinem Studium in Erziehungs- und Bildungswissenschaften und versuche, einen Zugang zur Kunst als Werkzeug für das Denken zu entwickeln. Dieser Zugang soll die Möglichkeit aufzeigen, dass Kunst eine wirksame Form der Kommunikation und Bewältigung sein kann. Mehr dazu kann ich leider nicht sagen, da ich noch am Anfang stehe und noch viel an diesem Konzept und seinen Details arbeiten möchte. Die restlichen Aktivitäten halten mich auf Trab und fügen sich in meinen Alltag ein. Gelegentlich schreibe ich neue Musikstücke und Geschichten, und manchmal entstehen interessante Verbindungen. Töne verwandeln sich in Worte und Worte in Töne. Manchmal zeigen sich Bilder, die sich in Worte und Töne verwandeln wollen!

Gedicht:

Und die Sonne geht auf:

„Jetzt“ stiehlt,

wie Blut in den Adern,

der „Vergangenheit“ die Kälte der „Vergesslichkeit“

und der Körper des „Lebens“ beginnt sich zu bewegen!

in die Augen steigen mir Tränen;

wenn ich die Freude über dieses „am leben-sein „

in diesem unschuldigen Leben spüre,

das zum Vergessen verurteilt ist

wie ein Kind, dessen Kindheit gestohlen wurde.

Wenn Ich in diesem erleuchtet-sein

an den dunklen Rahmen des Seins erinnere,

wenn ich im „Jetzt“,

an die achtlos durchblätterte „Vergangenheit“ erinnere

Wenn diese Wärme mein lebendig-sein preist...

oh „Leben“

Mein einsamer Freund!

وخورشید بالا می آید:

"اکنون" چنان خونی

در رگ ھای"گذشته "

سردی"فراموشی" را می رباید

وجسم "زندگی" به حرکت می افتد.

اشک درچشمانم جای می کند

وقتی که شوق این "زنده بودن" به فراموشی محکوم شده را

مانند کودکی که کودکی اش را ربوده اند

در این زندگی بی تقصیر

احساس می کنم

وقتی در روشنی،

قاب تاریک بودن را یاد می آورم

وقتی که در "اکنون"،

از "گذشته" های غافلانه ورق خورده یاد می کنم

وقتی که این گرمی زنده بودنم را می ستاید…

آه "زندگی"

رفیق تنھای من!

Kategorie Interview

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